26
Fort DelVillar, Toffen Geisterbären-Dominium21. April 3062
Sterncommander Stone hielt seinen Mech bei
einer kleinen Baumgruppe an, die den Rand der Rodung rund um Fort
DelVillar markierte. Mit den Sensoren seiner alten Viper tastete er die Festung ab. Der Mech war mit
gutem Grund in Reserve gehalten worden. Er hatte bereits in der
ersten Angriffswelle der Invasion Dienst getan und war seit dem
Überfall auf die Innere Sphäre so oft beschädigt und instandgesetzt
worden, daß sein momentaner Zustand, in ChefTech Lurays Worten,
»technologisch unbefriedigend« war. Damit meinte er, daß eine
Vielzahl von Techs ihre jeweiligen Lösungen für Schäden an interner
Struktur und Bauteilen an ihm ausprobiert hatten, mit dem Ergebnis,
daß sein Innenleben inzwischen kunterbunt genannt werden konnte.
Der Mech konnte kämpfen und stellte noch immer eine schlagkräftige
Waffe dar, aber er hatte gewisse Eigenheiten. Ab und zu fiel die
Langstrekkenortung aus, wenn auch nie länger als ein paar Sekunden,
und die Zielerfassung hatte eine Tendenz, das Waffenfeuer nach
unten rechts abzulenken.
Trotzdem war es ein gutes Gefühl, wieder im
Dolf und einer seiner Elementare waren fast einen Kilometer entfernt, ebenfalls am äußeren Kordon der Festung. Die Sensoren verrieten ihm nicht viel. Die dicken Granitmauern des jahrhundertealten Baus dienten nicht nur zur Abwehr, sie schirmten das Innere auch gegen die meisten Sensorabtastungen ab. Er zeichnete allerdings einen laufenden Mechreaktor im Innern der Anlage. Einen einzigen. Klasse und Bauart des Mechs waren nicht erkennbar. Ebensowenig konnte er sagen, ob das Fort noch irgendwelche anderen Überraschungen enthielt, etwas die Elementare des Vernichter-Trinärsterns. Aber wenn Stone und Sterncaptain Bekker recht hatten, waren die Wölfe in nahezu voller Stärke zu den Falmouthebenen abgerückt. Das bedeutete, Fort DelVillar stand praktisch leer.
»Dolf, bist du mit Raul in Position?« fragte er.»Aye, Sterncommander«, kam die von Störungen
unterbrochene Antwort.
Das Tor der Festung war geschlossen. Was sie zu tun hatten, war
nicht leicht, aber machbar. Und es gab kaum einen Sieg, der sich
anders erringen ließ. »Ihr wartet, bis ich über die Mauer bin, dann
rückt ihr gegen euer Zielobjekt vor.« Sie hatten diese Operation so
gut geplant, wie es angesichts der beschränkten Zeit und Mittel
möglich gewesen war. Ihr Hauptvorteil lag in der Überraschung.
Einer Überraschung, die groß genug war, um Dirk Radick in den
Grundfesten seiner Seele zu erschüttern - falls er eine
hatte.
Stone fuhr den Reaktor der alten Viper
hoch und fühlte ihn unter dem Cockpit zittern, statt zu pulsieren,
wie es bei anderen Mechs normal war. Eine
Schlacht noch, mehr bist du den Geisterbären nicht schuldig,
sprach er dem Mech in Gedanken zu. Dann stürmte er in gestrecktem
Galopp aus dem Wald auf den Torbogen Fort DelVillars zu. Der Boden
an den Seiten des Sichtschirms verschwamm, und das Fort schien wie
ein Berg vor ihm anzuwachsen. Kaum vierzig Meter vor der
Granitmauer zündete Stone die Sprungdüsen des Kampfkolosses. Das
Zittern hatte sich inzwischen in ein wildes Schütteln verwandelt,
und Stone mußte mit den Kontrollen kämpfen, um die Gewalt über den
OmniMech nicht zu verlieren.
Die Viper erhob sich in die Lüfte,
langsam erst, fast widerwillig, dann schoß sie empor. Die massive
Frontmauer der Festung schien auf ihn zuzufallen, und einen Moment
bekam Stone Angst, es nicht hinüber zu schaffen. Dann sah er die
Zinnen und die breite Gefechtsplattform, die auf der Oberseite der
Mauer lag. Er setzte auf. Die Temperatur im Innern des Cockpits war
so hoch, daß sein dünnes Hemd vor Nässe am Körper klebte.
Er sah den Mist Lynx, kaum daß er
aufgesetzt hatte. Irgend etwas stimmte mit dem Mech nicht. Er war
beinahe ein Skelett. Er besaß keine irgendwie nennenswerte
Panzerung, abgesehen von vereinzelten Panzerplatten hier und da an
Armen und Beinen, vor allem in der Nähe des Kopfes. Eines der
Waffenmodule fehlte völlig, war entweder abmontiert oder in einem
früheren Kampf weggeschossen worden. Beinahe wie im Schock bewegte
er sich vorwärts und kam auf den Eindringling zu. Er zog das rechte
Bein nach wie ein waidwundes Tier.
Stone hielt sich nicht lange mit Gedanken darüber auf, wie sie die
Wölfe auf ein derart trauriges Bild reduziert hatten. Er schwenkte
die Waffen herum und initiierte die Ladesequenz. Die
Feuerbereitschaftslichter der fünf mittelschweren
Extremreichweitenlaser flammten nacheinander auf, auch wenn das
letzte unstet flackerte, bis er mit der Faust auf die Konsole
schlug. Mit einem metallischen Knall wurden die Kurzstreckenraketen
in die Abschußrohre der Lafette geladen.
Der Mist Lynx beendete seinen
schwerfälligen Anmarsch in neunzig Metern Entfernung und kippte den
Torso nach hinten, um die Viper
anzuvisieren. Dann feuerte er, aber statt der tödlichen
Geschützsalve, die Stone erwartet hatte, prasselte nur MG-Feuer die
Beine des Omnis bis zum Cockpit hoch und kostete die
Geisterbären-Maschine eine ganze Panzerplatte. Stone erkannte, daß
dem Mist Lynx nur noch die
Maschinengewehre geblieben waren. Er hätte den Wolf-Mech mit einer
einzigen Salve vernichten können, wenn er das gewollt hätte. Aber
das wäre Verschwendung gewesen. In einem Kampf ohne Gegenwehr lag
keine Ehre.
Stone legte nur die Kurzstreckenraketen auf den primären
Feuerleitkreis, zog das Fadenkreuz auf die Beine des Mist Lynx und preßte den Feuerknopf des
Steuerknüppels. Die Raketen schossen in wirbelndem Flug auf den
Innenhof der Festung hinab und in die Beine des Blutsäufer-Mechs.
Eine Serie von Detonationen krachte, dann fiel das Mechwrack nach
vorne. Aus seinem rechten Knie stieg schwarzer Qualm. Der
Mist Lynx knallte auf den
Stahlbetonbelag der Straße, und ein Gitternetz von Rissen platzte
unter seinem Aufprall darin auf. Stone schaltete noch einmal die
Sprungdüsen ein und sank unsicher vor der Maschine auf den
Boden.
An der Seite des Sichtschirms sah er Dolf und Raul über die Mauer
kommen und durch den Festungshof rennen. Raul nahm Kurs auf den
Befehlsbunker, Dolf auf das Landungsschiff, das auf dem Paradeplatz
an der anderen Seite des Forts aufragte. Er aktivierte die
Funkanlage und rief den gestürzten Wolf an. »Wolf-Krieger. Ich bin
Sterncommander Stone vom Trinärstern Pirschende Bären. Du bist
besiegt. Schalte den Mechreaktor ab.«
Eine wütende Stimme antwortete ihm. »Ich bin Vaul von den
Blutsäufern, Trinärstern Blutrünstige Wölfe. Töte mich, Geisterbär.
Ich habe kein Verlangen danach. Sterncolonel Dirk Radick als
Schuldiger für den Verlust dieser Basis
gegenüberzutreten.«
Stone sah auf die zertrümmerten Überreste des Mist Lynx hinab. »Ich bin ein Krieger, kein Mörder.
Wenn du Erlösung suchst, mußt du sie anderen Orts finden. Jetzt muß
dir genügen, daß du verloren hast. Und auf den Falmouths bringt
mein Sterncaptain deinem Clan soeben eine weitere Niederlage bei,
neben der diese hier verblaßt. Benachrichtige die Mitglieder deines
Clans in dieser Anlage, daß du sie an die Geisterbären verloren
hast.«
Es dauerte eine volle Minute, bis Vaul gehorchte.
Das Landungsschiff der Union-C-Klasse Hundezahn stand schweigend in der Mitte des Paradeplatzes, als Dolf ins Freie trat und auf die Laderampe zumarschierte, die in die riesigen Frachträume des Raumschiffs führte. Er ging offen auf das Schiff zu, ohne den geringsten Versuch, sich zu verstecken. Auch die Geschütztürme am Rumpf des Schiffes, riesige Kuppeln des Tods und der Vernichtung, blieben stumm. Die Wölfe im Innern mußten ihn sehen können. Das Geisterbären-Wappen auf dem Harnisch über seiner Brust glänzte so unübersehbar, daß auch ein Banner in seiner Hand nicht deutlich hätte sein können.
Plötzlich krachte eine Stimme aus den Helmlautsprechern seines Gefechtspanzers. »Ich bin Sterncaptain Kevin vom Wolfsclan-Landungsschiff Hundezahn. Bleib stehen, Elementar, oder du wirst vernichtet.«
Dolf hielt an und sah zu dem Schiff hoch, dem er an Masse und Feuerkraft hoffnungslos unterlegen war. Es war Zeit, die Ehre der Wölfe zu spielen wie ein Instrument. »Sterncaptain Kevin, ich bin Dolf vom JagdStern der Pirschenden Bären, gegen die dein Clan dieses Besitztest austrägt. Ich komme mit einer Nachricht von Sterncaptain Angela Bekker, meiner Kommandeurin und der Verteidigerin Toffens.«
»Übermittle deine Nachricht«, forderte die
Stimme ihn auf.
»Ich habe den Auftrag, dir mitzuteilen, daß meine Anwesenheit hier
vor deinem Schiff bedeutet, daß Fort DelVillar gefallen ist.
Dementsprechend beansprucht sie dein Schiff mitsamt seiner
Besatzung als Isoria.« Die Verwendung dieses Begriffs, der im
Clan-Sprachgebrauch für Kriegsbeute benutzt wurde, war keine leere
Drohung.
»Du bist nur ein Elementar. Du bist allein. Wir könnten dich in
deine Atome zerblasen, und weder du noch irgend jemand sonst könnte
etwas dagegen tun«, reizte Kevin ihn.
»Aye, das könntet ihr. Aber bedenke folgendes: Dein Schiff wurde im
Bieten für den Besitztest um diesen Planeten nicht einmal erwähnt.
Wenn du nur eine Schuß auf mich abfeuerst, verletzt du die
Bedingungen dieses Tests. Was immer deinem Sterncolonel noch an
Ehre verblieben sein sollte, wäre damit verloren, und die
Geisterbären würden diesen Test vor allen Clans im Großen Konklave
anfechten. Die Ehre deines Clans und deines Khans wird in Frage
gestellt werden. Wir werden vor den anderen Clans anführen, daß ihr
offensichtlich von den verdorbenen Methoden der Inneren Sphäre
angesteckt seid. Für diesen einen Schuß wird man deine Gene und die
deiner Kommandeure für den Rest der Zeit verwerfen und in die
nächste Latrine kippen. Es wird keine Zukunft geben für einen
Kommandeur, der seine Krieger in eine derartige Schande führte.
Keine Zeile wird in der Erinnerung
eurer Leistungen gedenken. Wenn überhaupt, werden andere euch als
abschrekkendes Beispiel sehen, nicht als Vorbild.« Dolf grinste im
Innern seines Helms. »Also, Sterncaptain Kevin von der Hundszahn, verletzt du Jahrhunderte der Tradition
und Rituale, oder ergibst du dich in Ehren?«