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In der Nähe des Rapidan, Toffen Geisterbären-Dominium2. April 3062
Gregoris Blick wanderte sicher zum vierhundertsten Mal seit Sonnenaufgang über das Gelände. Bis jetzt hatten sie keine Spur von den Wölfen gesehen, aber er wußte, daß sie in der Nähe waren. Seine einzige Gesellschaft waren ein stummes Funkgerät und eine Mitkriegerin, die in mit derselben Genugtuung umbringen würde wie ein Wolf. Bethany war fast hundert Meter vor ihm in Stellung gegangen, weiter in Richtung Fluß den Hang hinab. Ihre gedrungene, kurzbeinige Nova kehrte ihm den Rücken zu und hatte die Geschütze auf das entfernte Ende des Waldes gerichtet, der einen Großteil des Hangs bedeckte. In die Richtung, aus der die Wölfe kommen würden.
Seit Sterncaptain Bekkers Zurechtweisung hatte Gregori sich seine Sticheleien auf Bethanys Rechnung verkniffen, und das war ihm ganz und gar nicht leichtgefallen. Es war nicht einmal so, daß er sie gehaßt hätte. Es amüsierte ihn nur ungemein, sie zu ärgern. Aber er haßte ihre Verachtung für seinen Status als freigeborener Krieger. Es war dasselbe Gefühl, das ihn reichlich Beförderungen gekostet hatte, so viele, daß es unter den Geisterbären rekordverdächtig war.
Das war es, was diesen Kampf besonders machte. Als er die Kodaxinformationen der Wolf-Krieger gesehen hatte, mit denen sie es zu tun bekommen sollten, hatte Gregori die wahre Natur des Feindes erkannt. Die Blutsäufer und ihr Sterncolonel waren von einer besonderen Bösartigkeit, wenn es um freigeborene Krieger ging. Sie versuchten gar nicht erst, sie gefangenzunehmen oder zu Leibeigenen zu machen. Im Gegenteil, sie zogen es unter allen Umständen vor, einen Freigeborenen brutal abzuschlachten, als ihm auch nur die Chance zuzugestehen, jemals als gleichberechtigt anerkannt zu werden. Radicks Ruf ebenso wie der seiner Einheit basierte auf dieser Gnadenlosigkeit. Wenn Gregori im Kampf gegen die Blutsäufer unterlag, war das sein Tod.
Sein Grizzly war ein BattleMech der Garnisonsklasse, den modular aufgebauten, umkonfigurierbaren OmniMechs, wie sie die meisten Wahrgeborenen steuerten, weit unterlegen. Aber das machte ihm nichts aus. Sein siebzig Tonnen schwerer Koloß war mit einem tödlichen Gaussgeschütz, drei Impulslasern verschiedener Größen und einer Zehnerlafette Langstreckenraketen bestens für ein Distanzgefecht gerüstet. Er tastete die Gegend ab, justierte die Filterkontrollen der Langstreckenortung und wurde mit einem Signalton in den Ohrhörern seines Neurohelms belohnt. Sein Blick zuckte zur Anzeige. Mehrere unidentifizierte Zielobjekte waren in Anmarsch.
»Bethany, bestätige meine Ortung«, funkte er. »Natürlich bestätige ich sie«, kam die Antwort.»Ich zeichne vier näherkommende Mechs.« »Fünf«,
korrigierte er sie. »In ein oder zwei Minu
ten werden sie auf Sichtweite heran sein.«
Solange wollte Bethany nicht warten. »Befehl
Eins von Befehl Zwo. Ich zeichne einen von Süden
anrückenden Wolf-Stern.«
Sterncaptain Bekkers Stimme drang klar und fest
aus den Lautsprechern. »Bestätigt Kampf Zwo diese
Ortung?«
Gregoris Puls raste vor Erregung. »Aye, Sterncaptain.«
»Haltet euch an den Plan«, ermahnte Bekker sie.
»Lockt sie auf den Hang, der zum Fluß hinunterfahrt,
den Rest erledigen wir.«
Gregori knackte mit den Fingerknöcheln, dann
legte er die Hände um die Steuerknüppel des Grizzly.
Um ihn herum erwachte der Mech zu neuem Leben.
Das leise Summen des Gyros gute vier Meter unter
dem Cockpit, das Wummern des Fusionsreaktors,
jetzt fuhren die Maschinen zur vollen Leistung hoch.
Ja, er stand vor einem gefährlichen Kampf, aber er
hatte vor, ihn zu überzuleben.
»Kontakt!« schrie Bethany. Ein Wolf-Mech trat
aus dem Wald, eine Stormcrow, die mit
unverkennbarer Absicht auf die Nova
zustürmte. Ihre eingeknickten Arme setzten oberhalb des Kopfes an,
was
diesem Mechtyp sein charakteristisch verwachsenes
Aussehen verlieh, besonders jetzt, wo die Arme die
unteren Äste der Bäume streiften. Bethany schwenkte die Arme in
Feuerposition, aber Gregori war schneller. Noch während er den
Signalton der Zielerfassung hörte, löste er das Gaussgeschütz und
die LSR-Lafette aus. Im selben Moment eröffnete die Stormcrow das Feuer und schoß mit ihrer Autokanone
auf den näheren der beiden Geisterbären-Mechs. Irgendwann mitten in
diesem Bombardement hatte auch Bethany die Hälfte ihres tödlichen
Laserarsenals abgefeuert. In der Ferne konnte Gregori einen
Warhawk und einen Executioner auftauchen sehen,
die sich für den Angriff bereitmachten.
In dem Moment, in dem er und Bethany auf denselben Mech geschossen
hatten, ungeachtet des Timings, waren für ihre Gegner alle
Einschränkungen
durch die formellen Clan-Gefechtsregeln gefallen,
und nun war jedes Ziel erlaubt. »Du Idiot!« brüllte
Bethany, als die Stormcrow unter dem
Doppelbeschuß wankte.
»Jetzt ist es zu spät für eine Diskussion«, stammelte Gregori und
feuerte weiter.
Die silbern gleißende, von den Magnetspulen auf
Überschallgeschwindigkeit beschleunigte Kugel des
Gaussgeschützes schlug mit solcher Gewalt in die
Seite der Stormcrow, daß die
Panzertrümmer hoch
durch die Luft wirbelten, gerade rechtzeitig für die
nachsetzende Raketensalve. Die weißen Kondensstreifen der
Langstreckenraketen senkten sich
korkenzieherartig auf den Wolf-Mech. Die Geschosse trafen Cockpit
und Torsomitte und ließen eine Abfolge grauschwarzer Detonationen
aufflammen, als
sie die Panzerung zerschmetterten. Bethanys Wand aus
hochenergetischen Lichtimpulsen stieß durch den Qualm und traf die
Beine und untere Torsohälfte des entfernt humanoiden OmniMechs,
aber die Rauchentwicklung hinderte Gregori daran, zu erkennen,
welchen Schaden sie angerichtet hatte. Der Gegenangriff des
Wolf-Piloten traf Bethanys Mech vor allem an der rechten Seite und
sprengte weitere Pan
zerung ab.
Jetzt richtete der Warhawk seine Waffen
auf Bethany. Die schweren Laser und Langstreckenraketen
vereinigten sich zu einem Orkan aus Licht und Vernichtung. Die
schweren Laserstrahlen zuckten über
die rechte Torsoseite und das Waffenmodul. Die gedrungene
Nova wurde nach hinten geschleudert,
als
die Raketensalve den Mech praktisch überall traf,
außer am Cockpit.
»Bethany!« bellte Gregori. »Wir müssen hier
weg.«
Sie antwortete nicht, sondern feuerte statt dessen
eine weitere Salve auf die Stormcrow
ab, diesmal
eine Breitseite aus allen Lasern. Die Nova verfügte
mit zwölf mittelschweren Extremreichweitenlasern
über eine tödliche Vernichtungskraft. Zusammen abgefeuert, konnten
ihre Waffen nahezu jeden Gegner
zerfetzen. Der Preis für den Nova-Piloten war allerdings eine Hitzewelle, die
kaum zu ertragen war,
wenn die Laser eine derartige Abwärme ausstießen,
daß sie die automatische Stillegung der Maschine
auslösen oder den Krieger im Innern der Kanzel
ernsthaft verletzen konnte.
Sie muß bei lebendigem Leib gebraten werden da drin, dachte Gregori, als er ah, wie die Laserbahnen die Stormcrow trafen. Die smaragdgrünen Energielanzen schlugen mit solcher Gewalt in den WolfMech ein, daß er sichtbar erzitterte. Panzerung verdampfte und wurde in alle Richtungen davongeschleudert. Ein Teil der Schüsse fand sein Ziel in der internen Struktur des Mechs, bohrte sich tief in dessen Eingeweide und ließ gelblichgrüne Kühlflüssigkeit aus rußgeschwärzten Rumpflöchern strömen.
Die Stormcrow fiel schwankend ein, zwei Schritte zurück, während der Executioner und der Warhawk sich viel zu langsam auf die Ausläufer des Hangwalds zubewegten. Warum fällt er nicht um? fragte sich Gregori. Selbst der beste Pilot verlor die Kontrolle über einen Mech, der solche Schäden erlitt, aber irgendwie schaffte der Wolf-Pilot es, seinen Kampfkoloß aurecht und kampfbereit zu halten. Für einen Moment erkannte Gregori, wie ausgezeichnet die Blutsäufer tatsächlich waren, und welche Gefahren sie bereit waren, auf sich zu nehmen. Auch die anderen Wolf-Mechs verteilten sich und verlängerten damit die Kampflinie ihrer Gegner noch weiter. Sie rückten nicht überhastet vor. Anscheinend hatten sie aus ihren letzten beiden Begegnungen mit den Geisterbären gelernt. Das behagte Gregori ganz und gar nicht, und sein Puls hämmerte ihm immer schneller und lauter in den Ohren.
Wie als Beweis, daß sie noch nicht erledigt war, feuerte die Stormcrow ihr Kurz- und Langstreckenraketen ab und bombardierte das Areal, auf dem Bethanys vor Überhitzung nahezu bewegungsunfähige Nova stand. Einen Moment verschwand sie unter Rauch, Schrapnell, fliegenden Trümmerbrocken und den orangeroten Lichtblitzen der Detonationen. Mechpanzerung wurde von den Einschlägen ebenso brutal zerfetzt wie der Boden ringsum von den Fehlschüssen. Kleine Pilzwolken wuchsen auf dem Berghang, als die Gefechtsköpfe der Geschosse explodierten.
»Bethany, Rückzug!« befahl er, als er ihren
Mech unter den Einschlägen taumeln sah.
»Neg, erst wenn diese Stormcrow
ausgeschaltet ist-,. zischte sie zurück.
Er war versucht, sie zurückzulassen, aber er verstand genau, was in
ihr vorging. Bethany würde sich nicht vom Fleck rühren, bis dieser
Wolf-Mech zerstört war. Statt zu warten oder seinen Mech zu ihr
nach vorne zu steuern, richtete er sein Gaussgeschütz auf die
wankende Stormcrow. Der Signalton der
Zielerfassung summte ihm in den Ohren, als er das Fadenkreuz über
die Mitte des unförmigen Mechs zog. Mit ihren hochgezogenen Armen
lieferte die Stormcrow eine perfekte
Zielscheibe, wie ein überdimensionales X auf der Ortungsanzeige. Er
löste die Waffe aus und fühlte förmlich den Einschlag, als die
glitzernde Kanonenkugel überschallschnell ins Herz der
Blutsäufermachine schoß. Welchen Schaden sie dort genau anrichtete,
konnte er nicht feststellen. Er sah den Mech nur unter der Wucht
des Aufpralls nach hinten kippen. Der Mechtorso faltete sich ein,
als habe der Treffer die gesamte Stützstruktur
zerschmettert.
Er hörte ein Aufheulen über den Kommkanal, Bethanys
ohrenbetäubenden Aufschrei von Wut und Frustration. Dann nahm der
Executioner Gregori mit
Langstreckenraketen unter Beschuß, und das Krachen der Einschläge
übertönte den Wutausbruch seiner Kameradin. Die Raketen trafen
seinen Mech von links und zertrümmerten die Panzerung an Arm, Bein
und Torso, als er den Berg hinauf zum Gipfel zurückwich. Bethanys
Nova drehte gerade rechtzeitig um, so
daß sie von einem Angriff des Warhawk
nur gestreift wurde und ihm Lichtbogen einer
Partikelprojektorentladung einen Teil der Torsopanzerung einbüßte.
Über den Auslaßöffnungen der Wärmetauscher flimmerte die Luft, als
sie sich bewegte.
»Du suratgezeugter tittensaugender Freigeburtsidiot!« fluchte sie.
»Der Abschuß gehörte mir!«
Gregori verzichtete auf eine Entgegnung, bis er die Bergkuppe
erreicht hatte. »Ich liebe dich auch heiß und innig, Bethany, aber
wir müssen von hier weg.« Er schwenkte seinen Mech herum und
feuerte mit dem schweren Impulslaser auf den Warhawk, um ihr etwas Zeit zu verschaffen. Der
Lichthagel traf den OmniMech hart am Bein und zog eine Schmelzspur
bis hinauf zur Hüfte.
Sobald er außer Sicht der Wölfe war, drehte Gregori den
Grizzly hangabwärts, in Richtung der
Flußschleife, und beschleunigte. Er rannte bereits in gestrecktem
Galopp auf das Wasser zu, als Bethany hinter ihm um den Berg kam
und ebenfalls den Hang herabsprintete, verfolgt vom orangeroten
Lichtschein einer Explosion. Der Warhawk erreichte die Bergkuppe als erster
Verfolger, gerade, als sie sich zu ihm umdrehte. Der Wolf-Pilot
erwiderte Gregoris letzten Angriff mit einer Salve der
Partikelprojektorkanonen.
Die PPKs schleuderten ihre künstlichen Blitze auf ihn herab, als
habe es Gottvater Zeus persönlich auf ihn abgesehen. Einer traf den
Mechtorso auf der rechten Seite, der andere auf der linken. Gregori
wurde mit Wucht in die Gurte geschleudert, als der Grizzly unter den Treffern hart nach hinten ruckte.
Statische Elektrizität schlug ins Cockpit durch, und einen Moment
standen Gregori die Haare zu Berge. Er bemühte sich, den abrupten
Verlust über einer Tonne Panzerung auszugleichen. Durch verkniffene
Augen und mit zusammengebissenen Zähnen hielt er den Warhawk im Visier, obwohl er den Executioner und einen Dire
Wolf auf beiden Seiten der Bergkuppe zu einer Zangenbewegung
ansetzen sah.
Bethany hielt gut vierzig Meter entfernt an, drehte den Mechtorso
der Nova und feuerte die Hälfte ihrer
ER-Laser hangaufwärts auf den Executioner ab, ohne mehr Schaden anzurichten als
ihm einige Panzerplatten wegzureißen. Die Situation auf der
Taktikanzeige sah gar nicht gut aus. Hinter ihnen lag der tosende
Rapidan, zu tief und zu reißend, um ihn zu durchqueren. Vor ihnen
waren vier Wolf-Mechs, in erhöhter Position und weit aufgefächerter
Formation, die langsam und methodisch den Hang herab
näherrückten.
Das Gaussgeschütz lud die nächste Kugel in die Kammer, und er hörte
das metallene Knallen, mit dem Langstreckenraketen aus dem
Munitionspack in die Abschußrohre fielen. Ein Hellbringer mit fleckiger purpurrot-sandbrauner
Bemalung erschien in der Nähe des Executioner im unteren Abschnitt des Berghangs, als
die Wolf-Maschinen zum Todesstoß ansetzten. Gregori hatte in seinem
Leben schon einige Gefechte durchgestanden, aber noch nie hatte er
sich gefühlt wie gerade jetzt. Es war ein übles Gefühl, das da wie
Galle aus seiner Magengrube aufstieg. Ein Gefühl von Hilflosigkeit.
Die Waffen noch immer auf den Warhawk
gerichtet, feuerte er noch einmal Langstreckenraketen und
Gaussgeschütz ab.
Kampflos bekommt ihr mich nicht...