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Fort DelVillar, Toffen Geisterbären-Dominium
14. März 3062

Am Eingang Fort DelVillars herrschte hektisches Treiben, aber trotz der Eile verlief alles in geordneten Bahnen. Angela, die sich das Schauspiel vom Eingang des Befehlsbunkers aus ansah, war beeindruckt vom Anblick ihrer Geisterbären. Die Raumortung hatte sie vor ein paar Stunden abschalten lassen, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die WolfLandungsschiffe noch einen Tag entfernt waren. Jetzt würde das Ortungsnetz ihnen kaum noch etwas nützen. Sie hatte die wichtigsten Schaltkreise ausbauen lassen und mit den letzten Techs ausgelagert.

In den letzten neun Tagen hatten sie einiges geleistet, aber allmählich lief ihnen die Zeit davon. Abgesehen von den kahlen Mauern war Fort DelVillar praktisch leergeräumt. Ihr Trinärstern und die Mitglieder der niedereren Kasten unter ihrem Befehl hatten teilweise rund um die Uhr gearbeitet, um alles abzutransportieren, was für die Wölfe einen Wert haben konnte. Alle Raketen, AK-Granaten und MGPatronen waren in eines der zehn Nachschubdepots verschifft worden, die sie an verschiedenen Punkt Grahams eingerichtet hatten.
Ein Transporter fuhr am Bunker vorbei, und Constant Tseng sprang von dem Radfahrzeug auf den Asphalt und kam herübergelaufen. Vor der Tür angekommen, hielt er an und salutierte kurz und schneidig. Angela erwiderte den Gruß. »Das dürfte die letzte Ladung sein«, meinte er.

»Status der Wartungsanlagen?« fragte sie. »ChefTech Luray ist gerade dabei, eine aufzubauen, und meldet, daß sie in wenigen Stunden einsatzbereit sein wird. Barthelow arbeitet an der anderen. Er schätzt, daß er zur Fertigstellung noch mindestens einen Tag Denötigt.«
Angela neigte fragend den Kopf. »Du hast die Aufgabe deinem Leibeigenen übergeben, frapos?«
»Pos«, bestätigte Tseng. »Der Rest des Personals war damit beschäftigt, die anderen Nachschubbasen einzurichten. Ich habe benutzt, was verfügbar war. Gibt es irgendein Problem, Sterncaptain?«
»Neg«, erwiderte sie. »Ich weiß, unser Personal ist knapp. Ich hatte nur nicht an deinen Leibeigenen gedacht.« Die Zugmaschine des Transporters röhrte, als das Fahrzeug durch das Tor in der Granitmauer rollte und Kurs auf den Wald nahm, der die Festung umgab. Eine Staubwolke stieg über die Mauer auf, und eine seltsame Stille schien sich über die Anlage zu legen. »Wie steht es mit Doktor Drogan?«
Tseng verzog etwas das Gesicht. »Er beschwert sich in einem fort, aber er hat seinen Teil getan und ist ebenso gut vorbereitet wie wir alle.«
Angela gestattete sich ein Schmunzeln. »Unser medizinischer Offizier ist ein rechtes Unikum. Wäre er ein Krieger, würde er vermutlich den größten Teil seiner Zeit damit zubringen, seine Ehre im Duell zu verteidigen.«
»Er hat einen Mund, und den benutzt er auch«, stellte Tseng fest. Aus seinem Tonfall schloß Angela, daß einige der Sticheleien des Arztes ins Schwarze getroffen haben mußten.
Sie reckte den Hals, um die Muskeln zu lockern, dann rieb sie sich die Stirn und die Augen, als ob sie damit die Müdigkeit vertreiben könnte. »So ist es. Aber Ehrlichkeit kann eine nützliche Eigenschaft bei einem Untergebenen sein.«
»Wann hast du zum letzten Mal geschlafen, Sterncaptain?«
»Irrelevant«, antwortete sie und unterdrückte ein Gähnen. »Wir haben alle unsere Verpflichtungen.«
»Stimmt, aber wir müssen uns auch für das wappnen, was noch bevorsteht. Ich brauche Ruhe, und du auch.«
Sie starrte ihn ärgerlich an, nickte aber gleichzeitig einmal langsam. »Ich versichere dir, Sterncommander daß ich voll ausgeruht sein werde, wenn Dirk Radicks Wölfe eintreffen.«
»Gut. Ich habe eine letzte Überprüfung der Anlage angeordnet, um sicherzugehen, daß wir nichts übersehen haben, was die Wölfe nutzen könnten.«
»Den Befehlsbunker habe ich bereits geräumt«, meinte Angela und zog unbewußt an ihren künstlichen Fingern. »Er enthält nichts mehr außer einer Nachricht an Dirk Radick, für den Fall, daß er tut, was ich erwarte.«
Tseng starrte sie an, dann blickte er zu den beider Mechs, die in der Nähe des Tors warteten, Angelas Executioner und sein Warhawk. Ein kleines Geländefahrzeug mit den letzten Hilfstruppen und mehreren kleiner. Nachschubbehältern bog gerade um die Beine der OmniMechs und nahm Fahrt auf, um dem Transporter zu folgen.
»Sterncommander Constant Tseng?«
»Ja, Sterncaptain?«
»Sind sie der Aufgabe gewachsen?«
»Unsere Leute?«
»Aye.«
»Ja«, erklärte er. »Was ihnen an praktischer Erfahrung im Kampf als Einheit fehlt, machen sie an Kampfgeist wett. Selbst die Hitzköpfe scheinen ihren Platz gefunden zu haben ... Sie balancieren uns auf gewisse Weise aus.«
»Bethany«, flüsterte sie.
»Nicht nur sie. Du darfst nicht glauben, Gregori stünde ihr in irgendeiner Weise nach. Der Unterschied zwischen den beiden scheint mir im Grad ihrer Selbstbeherrschung zu liegen. Gregori hat ein schnelles Mundwerk, aber er weiß, wann er aufhören muß. Gelegentlich tänzelt er hart am Rande des Kreises der Gleichen, aber er sagt oder tut nie genug, um wirklich hineinzukommen.«
Angela nickte. »Du kennst seinen Kodax. Er hat in der Vergangenheit schon viel zu oft im Kreis der Gleichen gestanden. Vielleicht ist er es müde geworden.«
»Das bezweifle ich stark, Sterncaptain«, meinte Tseng und sog in einem tiefen, langanhaltenden Atemzug die nachmittägliche Luft ein. »Er ist so häufig in Herausforderungen über seine Positionstests degradiert worden, weil er immer wieder als Freigeburt beschimpft wurde. Wir haben nicht zugelassen, daß jemand darauf herumreitet. Bethany dagegen ringt mit einem inneren Feind.«
Angela verstand nur zu gut. »Ja, in ihrem Geist bin ich der Feind.«
Tseng nickte. »Sie glaubt, du willst sie zwingen, die Art Kriegerin zu werden, die sie haßt.«
Hat sie damit recht? Angela ließ sich den Gedanken durch den Kopf gehen und versuchte, eine Antwort zu finden. »Ich versuche, ihr das Wesen des Geisterbären beizubringen, das Wesen unseres Clans ... unserer Familie. Sie sieht sich als Einzelgängerin, selbst im Kampf. Aber sie muß sich klarmachen, daß der ganze Trinärstern als ein Team zusammenarbeiten muß, statt zu versuchen, für sich allein eine Kometin zu werden.«
»Ich kann dir nicht widersprechen«, stellte Tseng fest, »aber ich befürchte, daß es nur eine Möglichkeit gibt, ihr diese Lektion beizubringen: durch direkte Kampferfahrung. Meine einzige Sorge dabei ist, daß wir gute Krieger verlieren werden, bevor sie das begriffen hat.«
Angela unterdrückte erneut ein Gähnen und drehte den Kopf, um die Nackenmuskeln zu entspannen. Ihr Blick zuckte zu dem in der Ferne kleiner werdenden Transporter. »In jeder Familie gibt es jemand, der gegen die Autorität rebelliert. Auch bei uns. Wir müssen über sie wachen und uns um sie kümmern, geradeso wie wir es bei denen tun, die uns fraglos gehorchen.«
»Aye«, bestätigte Tseng. »Und in diesem Kampf gegen die Wölfe werden wir alle geprüft. Es wird ein Feldzug werden, dessen Methoden keinem von uns vertraut sind.«
Angela drehte sich zu ihm um. »Du hast recht. Das wird für uns alle schwer werden.«
»Sie werden sich daran gewöhnen, Sterncaptain«, erklärte Constant Tseng leise.
»Genau wie Sterncolonel Dirk Radick«, gab Angela zurück. »Dieser Wolf ist clever. Du hast seine Akte und die Kodaxe der Truppen gesehen, mit denen er antritt. Alle sind erfahren und gut ausgebildet. Und vergiß auch sein Gebot nicht. Jeder andere Kommandeur hätte seine Offiziere ermutigt, für diesen Kampf auf eine relative Gefechtsstärke von unter eins zu eins zu bieten. Dirk Radick hat einen kompletten Trinärstern der bester Truppen der Wölfe gegen uns geboten.« Der Einsatz geringer Truppenstärken, um einen Sieg zu erringen versprach größere Ehre für einen Clanoffizier. Radicks Vorgehen reduzierte die Ehre, die er auf Toffen erringen konnte, erhöhte aber seine Chance, Angela und ihren Pirschenden Bären den Planeten abzujagen.
»Vielleicht erwartet er, daß wir uns hinter den Mauern der Festung verschanzen und rechnet mit hoher Verlusten bei einer Belagerung.«
Angela lächelte vielsagend. »Sterncolonel Dirk Radick gehört zu den skrupellosesten der KreuzritterWölfe. Möglicherweise habe ich ihm in der Wahl des Schlachtfelds einen genügend deutlichen Hinweis gegeben, um mehr als ausreichend vorbereitet hier zu erscheinen.«
»Willst du damit etwa sagen, wir können diesen Wolf nicht besiegen?«
Angela wollte auflachen, aber aus ihrer Kehle drang nur ein schwaches Kichern. »Nein, Sterncommander, ich weise dich nur darauf hin, daß es nicht leicht werden wird. Unser Gegner ist wild und skrupellos, aber wir dürfen weder seine Intelligenz noch seine Schläue unterschätzen. Wenn wir nur für einen Moment vergessen, daß wir es mit einem der besten Kommandeure zu tun haben, die es bei den Wölfen gibt, sind wir verloren.« »Ich werde es mir merken.« Tseng sah sich in der seltsam ruhigen Festung um. »Wir sollten uns auf den Weg machen. Hier soll es bald Wölfe regnen.«
Angela beugte sich, immer noch lächelnd, hinab und öffnete eine vor ihr liegende Kiste. Tseng beobachtete, wie sie ein ledernes Objekt hervorzog, aus dem in verschiedene Richtungen hölzerne Flöten ragten. Sie hielt es ehrfürchtig in der Hand, streichelte über das Leder, liebkoste die glatten Holzpfeifen. Während sie das tat, wurde sie wie von selbst ruhiger. Es war eine entspannende Tätigkeit, unter der die Nervosität verblaßte, die sie durch die Übermüdung entwickelt hatte.
»Was ist das?« fragte er.
»Mein Dudelsack«, erklärte sie leise. »Ich habe nicht vor, ihn hierzulassen.«
»Ich habe schon Dudelsackmusik gehört, aber noch nie einen gesehen. Er sieht ziemlich kompliziert aus.« Sie hievte den Sack hoch und klemmte ihn sich unter die linke Achsel. Die drei Brummpfeifen lagen auf der linken Schulter und dem Unterarm. Die Melodiepfeife hing vor ihrem Leib herab. »Durch den Dudelsack habe ich viel darüber gelernt, was es heißt, eine Kriegerin zu sein.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Um den Dudelsack zu spielen, muß man mehrere Fertigkeiten meistern. Ich muß den Takt halten, atmen, Noten lesen und spielen, alles gleichzeitig.«
»Der Schlüssel scheint mir Koordination zu sein.«
»Stimmt, aber das ist es nicht allein. Wenn ich spiele, entwickelt sich ein Rhythmus, aber der ist nicht wirklich musikalisch. Er baut sich auf, wenn alle Elemente des Dudelsackspiels zusammenkommen, und dann ist es fast, als ob die Musik ein Eigenleben hat. Diese Art von Rhythmus kenne ich sonst nur vom Schlachtfeld her. Verschiedene Ereignisse treten ein, fließen, treten in Bezug zueinander und verlaufen im Gleichklang obwohl sie gegeneinander stehen. Meine Musik führt mich, sie schenkt mir das Gefühl der Schlacht.« Sie stockte. »Es tut mir leid. Das muß sich sehr seltsam anhören aus dem Mund einer Kriegerin.«
»Neg«, beruhigte Tseng sie. »Ich verstehe, glaube ich zumindest, Sterncaptain. Also gut, wir sind die letzten hier. Spielst du jetzt etwas?«
Angela hob das Mundstück an ihre Lippen und richtete sich auf, den Dudelsack in den Armen. Sie blies den Sack auf, bis er fast voll war. In einer fließenden Bewegung brachte sie den rechten Arm herum und preßte den Sack, blies und klemmte ihn unter den Arm, spielte ihn. Die Brummpfeifen stimmten ihren trostlosen Gesang an, und als ihre Finger über die Melodiepfeife tanzten, hallte Musik durch das Fort, indem die beiden Geisterbären fast verloren wirkten. Sie spielte etwas länger als eine Minute, dann hörte sie auf.
»Das war sehr beruhigend. Was war es?« fragte er.
»Das Stück heißt ›The Green Hills of Tyrol‹«, erklärte sie, und legte den Dudelsack vorsichtig zurück in seine Kiste. »Es ist ein seit Jahrhunderten von und für Krieger gespieltes Lied. Ein sogenannter Retreat.«
»Retreat? Rückzug? Hast du es als Signal für unseren Abzug gewählt?«
»Ja und nein. Es ist eines meiner Lieblingsstücke. Ich werde dir irgendwann den Text geben, damit du es verstehst. Es handelt von einem Krieger fern seiner Heimat. Für mich hat das eine besondere Bedeutung.« Sie verstummte und sah, daß Tseng verstand. Als Geisterbären standen sie auf ständig wechselnden Welten, kämpften immer wieder ferne Schlachten.
»Normalerweise wurde ein Retreat gespielt, um die Truppen für den Abzug nach beendeter Schlacht zu sammeln. Später spielte man sie dann nachts, als eine Art Schlaflied für die müden Krieger.« Sie sah hinüber zum Tor, wo der Executioner wartete. »Aber dies ist kein Abzug für uns, Sterncommander. Nein. Wir werden hierher zurückkehren.« Sie machte sich auf den Weg zu den Mechs, den Koffer in einer Hand. »Jetzt werden wir erst einmal eine Weile Winterschlaf halten, und die Wölfe werden keine Ahnung haben, wo wir uns verstecken. Aber bald schon, sehr bald, wird es Zeit sein, die Jagd auf die Jäger einzuläuten.«

BattleTech 50: MechWarrior Trilogie
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