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Kore-Lanciers-Basis, außerhalb Niffelheims, Kore Peripherie20. April 3060
»Noch immer keine Spur von ihnen, Skipper, und in dem Sauwetter wer'n wir auch kaum eine finden«, erklärte Darneil über die Kommleitung. »Ich kann kaum fünf Meter weit sehen, und den Sensoren geht es auch nicht besser. Sie könnten überall sein. Ende.«
»Schon gut, schon gut. Umdrehen und zurück zur Basis. Gib ihnen durch, daß wir auf dem Rückweg sind, sobald du eine freie Verbindung bekommst. Mad Cat aus.«
»Verstanden, Skipper«, kam die Antwort.Im Cockpit ihres Mad Cat stieß Susie Ryan einen tiefen, frustrierten Seufzer aus. So ungern sie es auch zugab, Darnell hatte recht. Es war jetzt vier Tage her, daß der Goshawk die Kore-Lanciers aus der Basis befreit hatte, nachdem er zwei der Piratenmechs zur Ablenkung auf eine falsche Fährte gelockt hatte. Der Mech und die Lanciers waren in die Jotunberge geflohen, und als ob es nicht schon schwierig genug gewesen wäre, sie im Gebirge aufzuspüren, kam jetzt noch das miserable Wetter hinzu, das über das nördliche Tiefland Kores fegte.
Der heftige Sturm bedeckte die Tundra meterhoch mit Neuschnee und peitschte ihn zusätzlich zu einer weißen Wand auf, die den Piloten jede Sicht nahm. Die Rebellen steuerten ihre Mechs nahezu ausschließlich nach den Instrumenten, was in so großer Nähe der Berge reichlich riskant war. Die Sensordaten waren in dieser Gegend notorisch fehlerhaft. Sie hatten schon ein halbes Dutzend falsche Fährten verfolgt, die sich irgendwann als Erzadern oder Vulkanschlote herausgestellt hatten.
Außerdem wäre Darnells Puma einmal fast in eine Felsspalte gestürzt, die der Pilot erst im letzten Augenblick gesehen hatte. Es war reines Glück gewesen, daß er noch hatte ausweichen können. Ryan konnte sich keine Beschädigungen an ihren Mechs mehr leisten. Ehe Techs hatten den korischen Panther zwar repariert, aber er war ein schwacher Ersatz für den Uller, den sie im Kampf gegen »Väterchen Frost« verloren hatten.
Seit dem Überraschungsangriff auf die Basis war das »Väterchen« ebenso verschwunden wie die Lanciers. Ryan war sich sicher, daß sie es mit Sturm Kintaro zu tun hatte, dem fehlenden Lancier, dessen Mech in den Bergen zerstört worden war. Irgendwie mußte Kintaro das versteckte Clandepot gefunden haben, das sie auf diesem Planeten vermutete.
Einerseits war Ryan erfreut, daß sich ihr Verdacht bestätigt hatte und die wilden Gerüchte das Geld wert gewesen waren, daß sie für sie bezahlt hatte. Es gab ein geheimes Clandepot auf Kore, das die Stahlvipern in der Anfangsphase der Invasion eingerichtet hatten und das entweder vergessen oder aufgegeben worden war, nachdem die Welt wieder an Söldner der Freien Inneren Sphäre gefallen war. Eine derartige Ansammlung von Clantechnologie und militärischem Material war ein Schatz für die alten Banditenkönigreiche, die verzweifelt nach Mechs für den Kampf gegen die Clans suchten. Nichts hätte Ryan lieber getan, als diese Kampfkolosse gegen ihre ehemaligen Clan-Besitzer einzusetzen und sie unter den Metallfüssen zu zermalmen.
Aber statt dessen stolpert irgendein Mechkriegerbubi, der noch nicht mal trocken hinter den Ohren ist, kaum aus dem Training gekommen, irgendwie über sie! Ihr Blut kochte bei dem Gedanken an die bloße Frechheit dieses Kintaro.
Aber gleichzeitig mußte sie zugeben, daß der Kleine Mumm hatte, ganz allein gegen eine Truppe wie die Rebellen in den Kampf zu ziehen, und dazu noch in einem Mech, den er nicht kannte. Ryan war ehrlich beeindruckt davon, was Kintaro gegen den Uller geschafft hatte, ganz zu schweigen von dem Schaden, den er an der Basis angerichtet hatte.
Und jetzt ist Kintaro nicht mehr allein, nicht wahr? Nein, jetzt hatte er sich den Rest seiner Einheit zu Hilfe geholt, möglicherweise sogar, um ein paar der anderen Mechs zu steuern, die er gefunden hatte. Das war ein ernstes Risiko. Natürlich waren Kintaros Leute nicht ausgebildet. Das wußte Ryan. Er und Volker waren die beiden einzigen qualifizierten Mechpiloten, die nach dem Angriff der Rebellen auf Kore noch lebten. Aber es bestand die Gefahr, daß es ihnen gelang, ein paar vielversprechende Einheitsmitglieder weit genug in die Handhabung einer dieser Kampfmaschinen einzuweisen, um sie zu einer Gefahr werden zu lassen. Sie ging definitiv mit jeder ungenutzt verstreichenden Sekunde ein Risiko ein.
Je eher diese Mechs in ihrer Hand waren, desto eher konnte sie diesem erbärmlichen Felsklumpen den Rücken kehren. Ryan brannte darauf, nach Hause zurückzukehren und ihre neue Beute einzusetzen. Sie waren jetzt schon hinter dem Zeitplan zurück. Eigentlich hatte das alles nur ein kurzer Ausflug an dieses Ende der Peripherie und zurück werden sollen. Ryans neue Piratenkoalition brauchte Führung. Ohne ihre lenkende Hand drohte ihr Bündnis auseinanderzufallen, wenn nicht unter Angriffen der Clanner, dann an seinen internen Spannungen. Wenn sie zu lange fort blieb, würden ihre Stellvertreter einander in den Rücken fallen, um sich selbst zum Chef aufzuschwingen, und alles, was sie aufgebaut hatte, würde zerbrechen. Aber noch hatte sie etwas Zeit, und Ryan hatte nicht vor, Kore mit leeren Händen zu verlassen. Nicht, wenn alles nach Plan verlief.
Trotzdem lohnt es sich, eine kleine Rückversicherung zu haben, dachte sie, während ihr Mad Cat über die Tundra stampfte. Nur für den Fall, daß nicht alles so lief wie geplant. Sie öffnete eine Verbindung zur Basis.
»Zentrale von Ryan, Ende.«
»Zentrale hier. Sprechen Sie, Skipper. Ende.« »Schick ein paar
Leute hinüber zum Forschungszentrum. Sie sollen Dr. Kintaro finden.
Ich will sichergehen, daß er dort bleibt. Wenn er nicht da ist,
sollen sie ihn suchen und dorthin bringen. Und ich will einen Jeep
am Mechhangar stehen haben, der mich auch dorthin bringt, wenn ich
eintreffe. Ich möchte mich mit dem Herrn Doktor unterhalten. Ryan
Aus.«
»Verstanden, Skipper. Ich schicke sofort ein
paar Männer los. Ende und Aus.«
Ryan ließ sich in die Polster der Pilotenliege sinken und
gestattete dem Wogen des Mad Cat, ihre
Nerven zu beruhigen. Ja, alles würde bestens laufen. Es ging nur
darum, an den richtigen Fäden zu ziehen und die Dinge so zu
arrangieren, daß sich die Lage zu ihren Gunsten entwickelte. Diese
Mechs würden schon bald ihr gehören, und dann konnte sie diese
Eiskugel verlassen und sich wieder ums Eigentliche kümmern. Sturm
Kintaro und seine Leute würde sie auf der Tundra als Futter für die
Winterwölfe aussetzen, damit alle sahen, was es bedeutete, sich
Susie Ryan zu widersetzen.
Sie lächelte. Auch wenn er es noch nicht wußte, Dr. Hidoshi Kintaro
würde sich als weit nützlicher erweisen, als sie zu Beginn gedacht
hatte.