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Rectortown, Gillfillan's Gold Randgemeinschaft, Peripherie4. April 3059
Die letzten Tage waren erstaunlich ruhig für Harley und den Rest der Aces und Milizionäre gewesen. Als er hörte, daß es Judith Glancy wieder besserging, wartete er auf den Befehl, ihr den Sentinel wieder zu übergeben, aber der kam nicht. Vielleicht lag es daran, daß er seinen Quadranten des Kraterrands jetzt schon seit zwei Tagen patrouillierte und sich inzwischen mit der Gegend vertraut gemacht hatte.
Gefreite Glancy war eine erfahrene MechKriegerin, aber sie hätte Zeit gebraucht, das Gelände zu erkunden und die besonders infiltrationsgefährdeten Pässe zu identifizieren. Wahrscheinlich wollte Hawke nicht das Risiko eingehen, daß Glancy dafür mehr Zeit benötigte, als die Banditen ihnen ließen. Harley war es im Grunde gleichgültig. Ganz egal, welche Position oder welchen Auftrag er hatte, er hatte sich den Aces nur angeschlossen, um die Wahrheit über Benjamins Tod herauszufinden. Was Livia Hawke von ihm hielt, war für ihn so oder so ohne Bedeutung.
Unten in dem Krater, der Rectortown umgab, hatten die Händler auf dem Asphalt des Landefelds ihre Waren aufgebaut. Trotz der strengen Sicherheitsvorkehrungen war eine große Zahl von Einheimischen im Schatten der Landungsschiffe damit beschäftigt zu kaufen, zu verkaufen und um Preise zu feilschen. Frachtwagen brachten Waren und nahmen andere mit. Der Markt und das Händlertreiben ging bis tief in die Nacht, weil Hawke wegen der Gefahr eines Angriffs durch die Plünderer auf einem baldigen Abflug bestanden hatte. Die Händler hatten sich nicht beschwert. Im Gegenteil, sie erwarteten noch bessere Gewinne, weil die Einheimischen weniger Gelegenheit hatten, auf Zeit zu spielen.
Bevor er zu den Aces gestoßen war, hatte Harley die Miliz immer für einen wertvollen Bestandteil der planetaren Verteidigung gehalten. Aber da hatte er auch noch nicht gewußt, was es hieß, einen BattleMech zu steuern. Miliztruppen waren mit Gewehren und Raketenwerfern bewaffnet und hätten sich gegen den Angriff einer Mecheinheit nicht länger als Sekunden gehalten.
Auch Geschützfeldwebel Coombs und sein AcerInfanteriezug waren Schlammstampfer, aber sie waren für den Kampf gegen Mechs trainiert und ausgerüstet. Die Kletterstangen, die sie mitführten, gestatteten ihnen, an einem Kampfkoloß hochzuklettern, und ihre Waffen waren schwerer und tödlicher. Ihre tragbaren PPKs und Laser fraßen sich durch Mechpanzerung.
In wenigen Stunden schon würden die Händler ihre Schiffe wieder beladen und abfliegen. Die General Gordon würde sie sicher bis zum Sprungpunkt eskortieren. Wenn alles lief wie geplant, würde Harley in ein paar Stunden wieder in einem echten Bett schlafen können statt auf der Pilotenliege des Sentinel, dessen Kanzel seit zwei lagen sein Zuhause war.
Er justierte die Fernortung, wie er es in dieser Schicht schon einige Male getan hatte, als ein kurzes Flackern auf dem Sichtschirm seine Aufmerksamkeit erregte. Es war nur ein kurzer Lichtblitz, aber eigentlich hätte es ihn nicht geben dürfen. Er kam von der gegenüberliegenden Seite des Kraters, auf der Jord MacAuld Dienst schob. Erst dachte Harley, es wäre ein Gewitter aufgezogen, aber es standen kaum Wolken am Himmel.
»Feuerball Fünnef an Feuerball Zwo«, bellte er in das Mikrofon seines Neurohelms. Über die Kommleitung kam keine Antwort, außer einem Knattern und Zischen,»... arm ... wiederhole ... Feind ...« Dann Stille.
Harley fuhr den Pitban 240 Fusionsreaktor des Sentinel hoch und schaltete auf die Breitbandfrequenz der Kompanie. »Feuerball Fünnef an Feuerball-Leiter. Rot, Rot, Rot.« Es war das vereinbarte Zeichen für Feindkontakt.
»Position, Rassor!« ertönte Hawkes Stimme.
»Nicht bei mir, bei Jord«, gab Harley durch. »Jemand stört seinen
Funkverkehr, und es sieht aus, als würde in seinem Quadrant
geschossen.«
Hawke übernahm sofort das Commando. »Fünnef und Vier, Position auf
dem Kraterrand halten. Es könnte ein Ablenkungsmanöver sein.
Coombs, deine Leute bleiben mit der Miliz am Boden und sichern den
Raumhafen. Die Händler sollen sofort mit dem Einschiffen beginnen.
Alle anderen Einheiten rücken auf Feuerball Zwos Koordinaten
vor.«
Harley sah eine Rauchsäule von Jord MacAulds Stellung aufsteigen,
ein sicheres Zeichen für ein Gefecht. Er wurde angegriffen, aber
Hilfe war schon unterwegs.
Vier angespannte Minuten vergingen, während Hawke und die anderen
sich durch die Gebirgspässe zum Kraterrand hocharbeiteten. Noch
während Harley das Gefecht beobachtete, schien sich dessen Tempo zu
steigern. Die Langstreckensensoren zeichneten schwache Signale, als
sich die Feindmaschinen zwischen den Felsformationen bewegten und
gelegentlich aus deren Deckung traten.
Als er einen PPK-Schuß aufblitzen und eine vorbeigehende
Raketensalve Staub- und Rauchwolken in die Luft schleudern sah,
spielte Harley mit dem Gedanken, seine Befehle zu ignorieren. Hier
war er zu nichts nutze. Er hätte dort drüben sein und MacAuld
helfen sollen. Einen flüchtigen Augenblick erinnerte er sich an
seine erste Simulatorübung, in der er Jord zurückgelasser und sich
auf eigene Faust in den Kampf gestürzt hatte.
Nein, er hatte seine Befehle, und es war durchaus möglich, daß der
Oberleutnant recht hatte: Der ganze Kampf konnte eine Art
Ablenkungsmanöver sein. In diesem Moment blinkten mehrere blaue
Signallichter vor ihm auf.
Im Verlauf der vergangenen Tage hatten er und die anderen
Mitglieder der Einheit in allen Pässen und Straßen tragbare
Sensoren aufgestellt. Soeben hatte etwas einen nicht weit von
seiner Position aufgestellten Detektor ausgelöst.
»Feuerball-Leiter von Fünnef«, rief er. »Ich zeichne eine Bewegung
an Außenmarkierung Acht. Banditen an der Hintertür.«
Livia Hawkes Antwort war gepreßt. »Verstanden, Fünnef. Wir sind
hier beschäftigt. Vier unterstützt Fünnef, während wir hier
aufräumen.«
Jeremy Lewis reagierte sofort. »Wird gemacht, Ma'am.« Er schaltete
auf einen anderen Kanal um, über den er mit Harley reden konnte,
ohne die anderen abzulenken. »Ich bin zwei Minuten an Ihrer
Position. Können Sie da warten, bis ich Sie erreicht habe,
Rassor?«
Harley holte die Nahortungsdaten auf den Hauptschirm. Er war nicht
länger allein. Vier BattleMechs möglicherweise sogar noch mehr,
bewegten sich in Sensorreichweite, aber nicht in seine Richtung.
Sie hatten Kurs auf den Kraterrand und auf Stadt und Raumhafen
unter ihm genommen. Der Bordcomputer rief bereits die Daten der
Maschinen ab und versuchte sie zu identifizieren. Eines war jetzt
schon sicher. Er war den Angreifern unterlegen.
»Ich kann nicht warten. Geben Sie Gunney Bescheid, daß er
Gesellschaft bekommt. Ich rücke vor und versuche sie
abzulenken.«
Hastig steuerte er den Sentinel die
schmale Straße entlang, die über den Kraterrand verlief, und
erreichte eine kleine Lichtung mit spärlichem Gestrüpp, Felsbrocken
aller Formen und Größen ... und Ausbeuter-BattleMechs. Auf der
Sichtprojektion blinkten mehrere Ziele alarmierend auf, und Harley
verlor keine Zeit mit langen Überlegungen.
Zwei der Mechs standen dicht am Abhang der Kraterwand. Der
vorderste der beiden, ein Dragon, hatte
sich bereits an den Abstieg gemacht und war nur noch teilweise zu
sehen. Auch andere Feindmaschinen waren bereits auf dem Weg hinab
zur Stadt und zum Raumhafen, und Harley erkannte, daß er es nur
noch mit der Nachhut zu tun hatte. Ein Trebuchet drehte ihm den Rücken zu, als er auf die
Lichtung trat. Seine dünne Rückenpanzerung bettelte geradezu darum,
mit einer Breitseite zerblasen zu werden.
Er löste die Kurzstreckenraketen und Autokanone aus. Eines der
Geschosse flog am Ziel vorbei und pflügte neben dem Piratenmech in
eine Felsformation. Das andere senkte sich in die Panzerplatten
über der Torsomitte des Trebuchet und
riß eine üble Bresche auf. Die AK-Granaten waren treffsicherer. Sie
schlugen eine Kraterspur den Rücken des Kampfkolosses hinauf, und
bei jedem Einschlag spritzten die Panzertrümmer nach allen Seiten
davon. Eine Hitzewelle wusch durch das Cockpit, und Harley stellte
fest, daß er die Rückenpartie des Piraten komplett entblößt
hatte.
Der Mechpilot des Trebuchet hatte Mühe,
auf dem Rand des Kraterbeckens das Gleichgewicht zu halten. Er
drehte den Mech halb zur Seite und brachte in einer Torsodrehung
seine Waffen bis in Schußposition herum.
Harley stürmte vorwärts. Die Hauptbewaffnung des Trebuchet bestand aus zwei je fünfzehn Abschußrohre
starken Lafetten mit Langstreckenraketen. Wenn es ihm gelang, dicht
genug an seinen Gegner heranzukommen, waren sie wertlos, weil sie
nicht genug Flugzeit hatten um die Sprengköpfe scharf zu machen. Er
verließ sich darauf, daß der Ausbeuterpilot instinktiv zuerst diese
Waffen abfeuern würde, und er hatte recht. Dreißig Raketen glitten
aus den Rohren und schwärmten auf den Sentinel zu.
Mehr als die Hälfte traf ihn, während er in gestrecktem Galopp auf
seinen Gegner zustürmte, aber da hatte Harley die kritische Distanz
bereits unterschritten. Er stählte sich für den Aufprall, als er
die Stichflammen aus den Lafettenrohren schlagen sah, aber die
Raketen flogen blindlings wie Feuerwerkskörper durch die
Landschaft, bis ihr Treibsatz ausgebrannt war. Sie tanzten wild
durch die Luft und verteilten sich über die Lichtung.
Die Temperatur im Innern der Kanzel war immer noch hoch genug, aber
er wußte, er mußte das Risiko eines weiteren Angriffs eingehen. Der
Trebuchet war ihm an Masse und
Bewaffnung überlegen. In einem längeren Schlagabtausch hatte er
keine Chance. Außerdem war der Dragon,
der auf dem Weg ins Tal schon fast aus seinem Sichtfeld
verschwunden gewesen war, stehengeblieben. Er mußte damit rechnen,
daß der schwere Mech umdrehte, um den plötzlichen Angriff aus dem
Rücken der Formation mit zurückzuschlagen.
Harley verschwendete keine Zeit mit dem leichten Laser. Statt
dessen zog er mit einer schnellen Knüppelbewegung das Fadenkreuz
auf den Kopf des Trebuchet. Als erstes
löste er die Raketenlafette aus, gefolgt von einer erneuten Salve
seiner AK-Ultra.
Die Kurzstreckenraketen schlugen in den rechten Arm der
Kampfmaschine, und die Panzerplatten verwandelten sich unter der
Wucht der Detonationen in graue Rauchschwaden. Die Autokanone traf
die obere rechte Brustpartie des Trebuchet und zeichnete eine Spur aus
rußgeschwärzter, zerfetzter Panzerung aufwärts bis über den Kopf
des humanoiden Kampfkolosses. Der zehn Tonnen schwerere BattleMech
geriet unter dem Stakkatofeuer ins Wanken und kippte leicht nach
hinten, vermutlich, weil sein Pilot unter dem ohrenbetäubenden
Granatenbombardement im Innern der Kanzel wild durchgeschüttelt
wurde.
Harley war entschlossen, den nach seinem ersten Angriff praktisch
schutzlosen Rücken des Gegners aufzureißen. Noch ein paar
Volltreffer, und er hatte eine Chance, den Trebuchet auszuschalten, bevor der Dragon in das Geschehen eingriff. Er stürmte weiter
und wünschte sich, seine Wärmetauscher könnten mehr Leistung
liefern. Inzwischen war er bis auf vierzig Meter an den Piratenmech
heran. Als der Sentinel durch sein
Schußfeld preschte, feuerte der Trebuchet einen seiner mittelschweren Laser ab und
erwischte Harley fast mitten in der Bewegung. Er zog seine Maschine
vor dem Mech vorbei, eindeutig in der Absicht, in dessen
ungeschützten Rücken zu gelangen.
Dann blieb er abrupt stehen und änderte die Richtung um
hundertachtzig Grad.
Der MechKrieger im Innern des Trebuchet
mußte wissen, daß seine verbliebene Rückenpanzerung die
Schutzwirkung von Toilettenpapier hatte. Harley zählte darauf, daß
der Pirat versuchte, seine Schwachstelle zu beschützen. Wieder
hatte er richtig geraten. Mit einer erneuten Torsodrehung richtete
Morrisons Pilot seinen Mech dorthin aus, wo der Sentinel gestanden hätte, hätte Harley nicht den
Kurs plötzlich geändert. So hatte er den Banditen mit seiner
abrupten Kehrtwende und einer kleinen Drehung dazu gebracht, ihm
genau das zu liefern, was er wollte: einen freien, ungehinderten
Schuß auf den Rücken eines praktisch reglosen Mechs.
Er konnte sein Ziel nicht verfehlen.
Er verfehlte es nicht.
Der leichte Laser schnitt von der Mitte des Torsos hinüber zur
linken Seite eine Sektion aus dem Rücken der Maschine und brannte
die Myomerbündel weg, die dem Kampfkoloß als künstliche Muskeln
dienten. Die Kurzstreckenraketen verschwanden in dem dadurch in der
Rückenpartie aufklaffenden Loch und explodierten im Innern der
Maschine. Schwarzer Qualm und rote Flammenzungen schlugen ins
Freie.
Wegen des Wärmestaus in seiner eigenen Maschine wartete Harley eine
volle Sekunde, bevor er die Ultra-Autokanone auslöste, dann feuerte
er einen steten Strom von Projektilen in die Eingeweide des
Trebuchet. Die Granaten detonierten
immer tiefer im Herzen der Kampfmaschine, zerschlugen die interne
Skelettstruktur und lebenswichtige Untersysteme. Er sah
bläulichweiße Lichtbögen aus dem Innern der Bresche schlagen, und
eine gleißend gelbe Feuersäule zeigte ihm, daß er den
Fusionsreaktor oder mindestens dessen Abschirmung getroffen
hatte.
Die Temperatur im Innern des Cockpits war inzwischen so hoch, daß
er glaubte, im eigenen Saft geschmort zu werden, aber auf dem
Sichtschirm erzitterte der Trebuchet
wie von einem Krampfanfall geschüttelt. Eine gar nicht einmal so
starke interne Explosion versetzte dem Mech den Todesstoß. Er
sackte zusammen und krachte über den Rand des Kraters den Hang nach
Rectortown hinab, auf den Dragon zu,
der sich seinen Weg zurück nach oben bahnte.
Harleys Blick zuckte zur Wärmeskala, die nach dem Sturmlauf und
seinen Breitseiten gefährlich hohe Werte anzeigte. Er verlor keine
Zeit, drehte um und machte sich vor dem immer näher kommenden
Dragon aus dem Staub. Irgendwo weiter
hangabwärts waren die beiden anderen Ausbeuter-Mechs auf dem Weg
zum Raumhafen. Aber im Moment hatte Harley selbst Probleme
genug.
Er bildete sich auf den Abschluß des Trebuchet nichts ein. Es war ihm nur deshalb
gelungen, sie zu besiegen, weil er den schwereren Mech mit seinem
Angriff von hinten überrascht und im weiteren Verlauf des
Mechduells die Initiative behalten hatte. Bei dem Dragon würde ihm das nicht gelingen. Dessen
Mechpilot wußte, daß Harley hier war, und mit einem Mechgewicht von
sechzig Tonnen hatte er eine solchen Vorteil gegenüber dem
Sentinel, daß das Ergebnis der
Konfrontation nur eine Frage der Zeit war. Der Dragon bewegte sich in ruhigem Schrittempo und ließ
Harley Gelegenheit, auf Distanz zu gehen, bevor er seine tödliche
Mauer aus Langstrekkenraketen auf die Reise schickte. Vorerst
begnügte er sich mit seiner Standard-Autokanone und den
mittelschweren Lasern.
Ein Laserschuß zuckte keinen Meter an Harleys Kanzeldach vorbei.
Der andere bohrte sich in das rechte Bein des Sentinel und schnitt durch die Schutzpanzerung. Das
AK-Feuer traf den linken Mechtorso und zertrümmerte den größten
Teil des Panzerschutzes. Noch ein Treffer an dieser Stelle, und ihn
erwartete dasselbe wie kurz zuvor sein Opfer.
Harley duckte den Mech hinter einen kleinen Felsvorsprung, der ihm
gestattete, aus der Schußlinie seines Verfolgers zu kommen, und zog
sich weiter zurück.
»Feldwebel Lewis, ich könnte hier Unterstützung gebrauchen«,
keuchte er ins Helmmikro. Er erhielt keine Antwort und wartete auch
nicht darauf. Als er mit dem Sentinel
um eine weitere Felsgruppe rannte, erwischte ihn der Dragon mit einer neuen Autokanonensalve, diesmal am
rechten Arm knapp unterhalb des Ellbogenaktivators. Der Treffer
beschädigte nur die Panzerung, aber Harley war klar, daß ihm die
Zeit davonlief.
Die Sensoren warnten ihn vor der Annäherung eines weiteren Mechs,
dann sah Harley sich um und entdeckte einen Hermes II. »Ist das eine Privatfeier, oder darf
jeder mitmachen?« fragte Lewis' Stimme in Harleys
Helmlautsprecher.
»Übernehmen Sie, Feldwebel«, stammelte er überrascht und
erleichtert.
»Ich lenke ihn von rechts ab. Sie ziehen in seine linke Flanke«,
befahl Lewis. Der Hermes II war ein
älteres Mechmodell, verfügte aber trotzdem über reichlich
Feuerkraft. Er zog an Harleys Sentinel
vorbei und stürmte davon, während er mit Autokanone und Lichtwerfer
auf ein unsichtbares Ziel feuerte.
Harley folgte seiner eigenen Spur und fand Jeremy Lewis und den
Dragon wie zwei Sumoringer im Duell
verstrickt. Sie tauschten aus tödlich kurzer Distanz Geschützfeuer
aus. Harley beschleunigte den Sentinel
auf einen mittleren Trab und legte alle Waffen auf denselben
Feuerleitkreis.
Trotz der Schäden, die der Dragon schon
erlitten hatte, war Harley klar, daß er mit seinen begrenzten
Waffen nicht die Entscheidung erzwingen konnte. Es würde mehr
brauchen, die Waagschalen dieses Gefechts zu beeinflussen, etwas
weit Dramatischeres. Große Siege erfordern große Risiken, hatte Ben
immer gesagt. Jetzt verstand Harley nur allzu gut, was sein Bruder
damit gemeint hatte.
Er warf den Mech in einen Sturmangriff. Statt sich in die Flanke
des Piratenmechs zu bewegen, hatte er sich entschlossen, ihn zu
rammen. Harley drehte den Sentinel, bis
die Ausbeutermaschine direkt voraus auf dem Kraterrand aufragte,
dann rammte er den Schubregler bis zum Anschlag nach vorne und
jagte den Kampfkoloß vorwärts mit jedem Joule, das der Reaktor
aufbieten konnte. Der Dragon-Pilot war so mit Lewis beschäftigt,
daß er Harley gar nicht bemerkte, bis es zu spät war. Eine Sekunde
vor dem Zusammenstoß löste Harley eine letzte Breitseite
aus.
Er glaubte, das Aufblitzen seiner Raketen noch für einen
Sekundenbruchteil mitzubekommen, bevor der Rumpf des Dragon Sichtschirm und Kanzeldach füllte. Der
Aufprall war knochenbrecherisch, und Harley fühlte, wie die
Sicherheitsgurte der Pilotenliege sich bis zum Zerreißen gespannt
in seinen Körper gruben. Blut stieg ihm in den Kopf, und das
Gesicht brannte heißer als die Luft im Innern des Cockpits, als er
sich bemühte, den Mech im Griff zu behalten. Nicht einmal das
Neurofeedback seines Gleichgewichtssinns an den Kreiselstabilisator
reichte dazu aus. Der Sentinel
schwankte und stürzte nach hinten. Wieder wurde Harley durch die
Kanzel geschleudert.
Das Schadensdiagramm auf dem Zweitbildschim zeichnete kein hübsches
Bild. Ein großer Teil der Torsopanzerung war zerstört, aber
wenigstens waren die Waffen noch intakt. Bis jetzt hatte er keinen
internen Schaden einstecken müssen, aber das konnte nicht mehr
lange dauern. Er konnte nur hoffen, daß der Dragon ähnlich schwer mitgenommen war ausreichend,
um Lewis die Möglichkeit zum Todesstoß zu geben. Wenn nicht, stand
ihm noch weit Schlimmeres bevor.
Harley bearbeitete Steuerknüppel und Pedale wie ein Derwisch, um
den Sentinel wieder aufzurichten. Als
er es endlich geschafft hatte, konnte er auf dem Sichtschirm das
Ergebnis seines Rammangriffs betrachten. Der Dragon lag auf der Seite, und Lewis überschüttete
ihn mit Laser- und AK-Feuer Sein Rumpf war rußgeschwärzt, und seine
Panzerung und Myomermuskulatur war durch Lewis' Attacken so schwer
verbrannt, daß er kaum noch an den Mech erinnerte, in den Harley
nur eine Minute zuvor gesprescht war.
Der Dragon schüttelte sich heftig, als
die Raketenmunition in seinem Innern explodierte und den Kampfkoloß
von innen heraus zerfetzte. Der MechKrieger im Innern der Maschine
versuchte auszusteigen, aber der am Boden liegende BattleMech war
dafür in einer denkbar ungünstigen Position. Der Schleudersitz
schoß zwar aus dem Mechkopf, aber statt senkrecht in die Höhe zu
steigen, wie es vorgesehen war, schleuderte der Treibsatz ihn in
einem spitzen Winkel über den Boden und geradewegs auf eine
Felsformation zu. Wie zum Hohn öffnete sich der Fallschirm, als die
Leiche des Piloten auf seiner zertrümmerten Pilotenliege an der
Felswand herabrutschte.
»Lagebericht«, bellte Lewis.
Harley überprüfte noch einmal alle Systeme. »Ich bin einsatzbereit,
aber meine Panzerung ist hinüber.«
»Das war ein verteufelter Zug, Rassor. Der Dragon brachte zwanzig Tonnen mehr auf die Waage
als Sie, aber Sie haben es geschafft, ihn umzuwerfen, und das war
alles, was ich brauchte, um ihn zu erledigen.«
»Feldwebel Lewis«, brach eine dritte Stimme über die
Kommverbindung, eine Stimme, die Harley noch nie zuvor gehört
hatte. »Wenn Sie und Glancy hier fertig sind, warten da unten im
Tal noch mehrere Mechs mit Kurs auf den Raumhafen und eine Menge
verängstigter Zivilisten.«
Lewis antwortete sofort. »Das ist nicht Glancy,
Kommandanthauptmann. Es ist einer der Rekruten, Schütze Harley
Rassor.«
Harley drehte seinen zerbeulten Sentinel zu der riesigen, fünfundneunzig Tonnen
schweren Banshee um, die hundert Meter
entfernt aufgetaucht war. Auf dem graubraunen Tarnmuster prangten
das Einheitsabzeichen der Aces und eine große rote Ziffer Eins.
Harley wußte sofort, wem er gegenüberstand, ohne daß es ihm noch
irgend jemand sagen mußte.
»Rassor, ja? Das war ein verteufelter Zug, Kleiner. Ich nehme an,
der Trebuchet, an der ich
vorbeigekommen bin, geht auch auf dein Konto?«
»Ja, Sir«, bestätigte er.
»Na, dein Bruder war ein guter Mann, und es sieht aus, als wärst du
aus demselben Stoff. Willkommen bei den Aces. Ich bin
Kommandanthauptmann Jerry Able.« Der Kommandanthauptmann wartete
nicht auf Harleys Antwort. »Hinter mir aufstellen. Auf uns wartet
Arbeit.«