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Rectortown, Gillfillan's Gold Randgemeinschaft, Peripherie
4. April 3059

Die letzten Tage waren erstaunlich ruhig für Harley und den Rest der Aces und Milizionäre gewesen. Als er hörte, daß es Judith Glancy wieder besserging, wartete er auf den Befehl, ihr den Sentinel wieder zu übergeben, aber der kam nicht. Vielleicht lag es daran, daß er seinen Quadranten des Kraterrands jetzt schon seit zwei Tagen patrouillierte und sich inzwischen mit der Gegend vertraut gemacht hatte.

Gefreite Glancy war eine erfahrene MechKriegerin, aber sie hätte Zeit gebraucht, das Gelände zu erkunden und die besonders infiltrationsgefährdeten Pässe zu identifizieren. Wahrscheinlich wollte Hawke nicht das Risiko eingehen, daß Glancy dafür mehr Zeit benötigte, als die Banditen ihnen ließen. Harley war es im Grunde gleichgültig. Ganz egal, welche Position oder welchen Auftrag er hatte, er hatte sich den Aces nur angeschlossen, um die Wahrheit über Benjamins Tod herauszufinden. Was Livia Hawke von ihm hielt, war für ihn so oder so ohne Bedeutung.

Unten in dem Krater, der Rectortown umgab, hatten die Händler auf dem Asphalt des Landefelds ihre Waren aufgebaut. Trotz der strengen Sicherheitsvorkehrungen war eine große Zahl von Einheimischen im Schatten der Landungsschiffe damit beschäftigt zu kaufen, zu verkaufen und um Preise zu feilschen. Frachtwagen brachten Waren und nahmen andere mit. Der Markt und das Händlertreiben ging bis tief in die Nacht, weil Hawke wegen der Gefahr eines Angriffs durch die Plünderer auf einem baldigen Abflug bestanden hatte. Die Händler hatten sich nicht beschwert. Im Gegenteil, sie erwarteten noch bessere Gewinne, weil die Einheimischen weniger Gelegenheit hatten, auf Zeit zu spielen.

Bevor er zu den Aces gestoßen war, hatte Harley die Miliz immer für einen wertvollen Bestandteil der planetaren Verteidigung gehalten. Aber da hatte er auch noch nicht gewußt, was es hieß, einen BattleMech zu steuern. Miliztruppen waren mit Gewehren und Raketenwerfern bewaffnet und hätten sich gegen den Angriff einer Mecheinheit nicht länger als Sekunden gehalten.

Auch Geschützfeldwebel Coombs und sein AcerInfanteriezug waren Schlammstampfer, aber sie waren für den Kampf gegen Mechs trainiert und ausgerüstet. Die Kletterstangen, die sie mitführten, gestatteten ihnen, an einem Kampfkoloß hochzuklettern, und ihre Waffen waren schwerer und tödlicher. Ihre tragbaren PPKs und Laser fraßen sich durch Mechpanzerung.

In wenigen Stunden schon würden die Händler ihre Schiffe wieder beladen und abfliegen. Die General Gordon würde sie sicher bis zum Sprungpunkt eskortieren. Wenn alles lief wie geplant, würde Harley in ein paar Stunden wieder in einem echten Bett schlafen können statt auf der Pilotenliege des Sentinel, dessen Kanzel seit zwei lagen sein Zuhause war.

Er justierte die Fernortung, wie er es in dieser Schicht schon einige Male getan hatte, als ein kurzes Flackern auf dem Sichtschirm seine Aufmerksamkeit erregte. Es war nur ein kurzer Lichtblitz, aber eigentlich hätte es ihn nicht geben dürfen. Er kam von der gegenüberliegenden Seite des Kraters, auf der Jord MacAuld Dienst schob. Erst dachte Harley, es wäre ein Gewitter aufgezogen, aber es standen kaum Wolken am Himmel.

»Feuerball Fünnef an Feuerball Zwo«, bellte er in das Mikrofon seines Neurohelms. Über die Kommleitung kam keine Antwort, außer einem Knattern und Zischen,»... arm ... wiederhole ... Feind ...« Dann Stille.

Harley fuhr den Pitban 240 Fusionsreaktor des Sentinel hoch und schaltete auf die Breitbandfrequenz der Kompanie. »Feuerball Fünnef an Feuerball-Leiter. Rot, Rot, Rot.« Es war das vereinbarte Zeichen für Feindkontakt.

»Position, Rassor!« ertönte Hawkes Stimme. »Nicht bei mir, bei Jord«, gab Harley durch. »Jemand stört seinen Funkverkehr, und es sieht aus, als würde in seinem Quadrant geschossen.«
Hawke übernahm sofort das Commando. »Fünnef und Vier, Position auf dem Kraterrand halten. Es könnte ein Ablenkungsmanöver sein. Coombs, deine Leute bleiben mit der Miliz am Boden und sichern den Raumhafen. Die Händler sollen sofort mit dem Einschiffen beginnen. Alle anderen Einheiten rücken auf Feuerball Zwos Koordinaten vor.«
Harley sah eine Rauchsäule von Jord MacAulds Stellung aufsteigen, ein sicheres Zeichen für ein Gefecht. Er wurde angegriffen, aber Hilfe war schon unterwegs.
Vier angespannte Minuten vergingen, während Hawke und die anderen sich durch die Gebirgspässe zum Kraterrand hocharbeiteten. Noch während Harley das Gefecht beobachtete, schien sich dessen Tempo zu steigern. Die Langstreckensensoren zeichneten schwache Signale, als sich die Feindmaschinen zwischen den Felsformationen bewegten und gelegentlich aus deren Deckung traten.
Als er einen PPK-Schuß aufblitzen und eine vorbeigehende Raketensalve Staub- und Rauchwolken in die Luft schleudern sah, spielte Harley mit dem Gedanken, seine Befehle zu ignorieren. Hier war er zu nichts nutze. Er hätte dort drüben sein und MacAuld helfen sollen. Einen flüchtigen Augenblick erinnerte er sich an seine erste Simulatorübung, in der er Jord zurückgelasser und sich auf eigene Faust in den Kampf gestürzt hatte.
Nein, er hatte seine Befehle, und es war durchaus möglich, daß der Oberleutnant recht hatte: Der ganze Kampf konnte eine Art Ablenkungsmanöver sein. In diesem Moment blinkten mehrere blaue Signallichter vor ihm auf.
Im Verlauf der vergangenen Tage hatten er und die anderen Mitglieder der Einheit in allen Pässen und Straßen tragbare Sensoren aufgestellt. Soeben hatte etwas einen nicht weit von seiner Position aufgestellten Detektor ausgelöst.
»Feuerball-Leiter von Fünnef«, rief er. »Ich zeichne eine Bewegung an Außenmarkierung Acht. Banditen an der Hintertür.«
Livia Hawkes Antwort war gepreßt. »Verstanden, Fünnef. Wir sind hier beschäftigt. Vier unterstützt Fünnef, während wir hier aufräumen.«
Jeremy Lewis reagierte sofort. »Wird gemacht, Ma'am.« Er schaltete auf einen anderen Kanal um, über den er mit Harley reden konnte, ohne die anderen abzulenken. »Ich bin zwei Minuten an Ihrer Position. Können Sie da warten, bis ich Sie erreicht habe, Rassor?«
Harley holte die Nahortungsdaten auf den Hauptschirm. Er war nicht länger allein. Vier BattleMechs möglicherweise sogar noch mehr, bewegten sich in Sensorreichweite, aber nicht in seine Richtung. Sie hatten Kurs auf den Kraterrand und auf Stadt und Raumhafen unter ihm genommen. Der Bordcomputer rief bereits die Daten der Maschinen ab und versuchte sie zu identifizieren. Eines war jetzt schon sicher. Er war den Angreifern unterlegen.
»Ich kann nicht warten. Geben Sie Gunney Bescheid, daß er Gesellschaft bekommt. Ich rücke vor und versuche sie abzulenken.«
Hastig steuerte er den Sentinel die schmale Straße entlang, die über den Kraterrand verlief, und erreichte eine kleine Lichtung mit spärlichem Gestrüpp, Felsbrocken aller Formen und Größen ... und Ausbeuter-BattleMechs. Auf der Sichtprojektion blinkten mehrere Ziele alarmierend auf, und Harley verlor keine Zeit mit langen Überlegungen.
Zwei der Mechs standen dicht am Abhang der Kraterwand. Der vorderste der beiden, ein Dragon, hatte sich bereits an den Abstieg gemacht und war nur noch teilweise zu sehen. Auch andere Feindmaschinen waren bereits auf dem Weg hinab zur Stadt und zum Raumhafen, und Harley erkannte, daß er es nur noch mit der Nachhut zu tun hatte. Ein Trebuchet drehte ihm den Rücken zu, als er auf die Lichtung trat. Seine dünne Rückenpanzerung bettelte geradezu darum, mit einer Breitseite zerblasen zu werden.
Er löste die Kurzstreckenraketen und Autokanone aus. Eines der Geschosse flog am Ziel vorbei und pflügte neben dem Piratenmech in eine Felsformation. Das andere senkte sich in die Panzerplatten über der Torsomitte des Trebuchet und riß eine üble Bresche auf. Die AK-Granaten waren treffsicherer. Sie schlugen eine Kraterspur den Rücken des Kampfkolosses hinauf, und bei jedem Einschlag spritzten die Panzertrümmer nach allen Seiten davon. Eine Hitzewelle wusch durch das Cockpit, und Harley stellte fest, daß er die Rückenpartie des Piraten komplett entblößt hatte.
Der Mechpilot des Trebuchet hatte Mühe, auf dem Rand des Kraterbeckens das Gleichgewicht zu halten. Er drehte den Mech halb zur Seite und brachte in einer Torsodrehung seine Waffen bis in Schußposition herum.
Harley stürmte vorwärts. Die Hauptbewaffnung des Trebuchet bestand aus zwei je fünfzehn Abschußrohre starken Lafetten mit Langstreckenraketen. Wenn es ihm gelang, dicht genug an seinen Gegner heranzukommen, waren sie wertlos, weil sie nicht genug Flugzeit hatten um die Sprengköpfe scharf zu machen. Er verließ sich darauf, daß der Ausbeuterpilot instinktiv zuerst diese Waffen abfeuern würde, und er hatte recht. Dreißig Raketen glitten aus den Rohren und schwärmten auf den Sentinel zu.
Mehr als die Hälfte traf ihn, während er in gestrecktem Galopp auf seinen Gegner zustürmte, aber da hatte Harley die kritische Distanz bereits unterschritten. Er stählte sich für den Aufprall, als er die Stichflammen aus den Lafettenrohren schlagen sah, aber die Raketen flogen blindlings wie Feuerwerkskörper durch die Landschaft, bis ihr Treibsatz ausgebrannt war. Sie tanzten wild durch die Luft und verteilten sich über die Lichtung.
Die Temperatur im Innern der Kanzel war immer noch hoch genug, aber er wußte, er mußte das Risiko eines weiteren Angriffs eingehen. Der Trebuchet war ihm an Masse und Bewaffnung überlegen. In einem längeren Schlagabtausch hatte er keine Chance. Außerdem war der Dragon, der auf dem Weg ins Tal schon fast aus seinem Sichtfeld verschwunden gewesen war, stehengeblieben. Er mußte damit rechnen, daß der schwere Mech umdrehte, um den plötzlichen Angriff aus dem Rücken der Formation mit zurückzuschlagen.
Harley verschwendete keine Zeit mit dem leichten Laser. Statt dessen zog er mit einer schnellen Knüppelbewegung das Fadenkreuz auf den Kopf des Trebuchet. Als erstes löste er die Raketenlafette aus, gefolgt von einer erneuten Salve seiner AK-Ultra.
Die Kurzstreckenraketen schlugen in den rechten Arm der Kampfmaschine, und die Panzerplatten verwandelten sich unter der Wucht der Detonationen in graue Rauchschwaden. Die Autokanone traf die obere rechte Brustpartie des Trebuchet und zeichnete eine Spur aus rußgeschwärzter, zerfetzter Panzerung aufwärts bis über den Kopf des humanoiden Kampfkolosses. Der zehn Tonnen schwerere BattleMech geriet unter dem Stakkatofeuer ins Wanken und kippte leicht nach hinten, vermutlich, weil sein Pilot unter dem ohrenbetäubenden Granatenbombardement im Innern der Kanzel wild durchgeschüttelt wurde.
Harley war entschlossen, den nach seinem ersten Angriff praktisch schutzlosen Rücken des Gegners aufzureißen. Noch ein paar Volltreffer, und er hatte eine Chance, den Trebuchet auszuschalten, bevor der Dragon in das Geschehen eingriff. Er stürmte weiter und wünschte sich, seine Wärmetauscher könnten mehr Leistung liefern. Inzwischen war er bis auf vierzig Meter an den Piratenmech heran. Als der Sentinel durch sein Schußfeld preschte, feuerte der Trebuchet einen seiner mittelschweren Laser ab und erwischte Harley fast mitten in der Bewegung. Er zog seine Maschine vor dem Mech vorbei, eindeutig in der Absicht, in dessen ungeschützten Rücken zu gelangen.
Dann blieb er abrupt stehen und änderte die Richtung um hundertachtzig Grad.
Der MechKrieger im Innern des Trebuchet mußte wissen, daß seine verbliebene Rückenpanzerung die Schutzwirkung von Toilettenpapier hatte. Harley zählte darauf, daß der Pirat versuchte, seine Schwachstelle zu beschützen. Wieder hatte er richtig geraten. Mit einer erneuten Torsodrehung richtete Morrisons Pilot seinen Mech dorthin aus, wo der Sentinel gestanden hätte, hätte Harley nicht den Kurs plötzlich geändert. So hatte er den Banditen mit seiner abrupten Kehrtwende und einer kleinen Drehung dazu gebracht, ihm genau das zu liefern, was er wollte: einen freien, ungehinderten Schuß auf den Rücken eines praktisch reglosen Mechs.
Er konnte sein Ziel nicht verfehlen.
Er verfehlte es nicht.
Der leichte Laser schnitt von der Mitte des Torsos hinüber zur linken Seite eine Sektion aus dem Rücken der Maschine und brannte die Myomerbündel weg, die dem Kampfkoloß als künstliche Muskeln dienten. Die Kurzstreckenraketen verschwanden in dem dadurch in der Rückenpartie aufklaffenden Loch und explodierten im Innern der Maschine. Schwarzer Qualm und rote Flammenzungen schlugen ins Freie.
Wegen des Wärmestaus in seiner eigenen Maschine wartete Harley eine volle Sekunde, bevor er die Ultra-Autokanone auslöste, dann feuerte er einen steten Strom von Projektilen in die Eingeweide des Trebuchet. Die Granaten detonierten immer tiefer im Herzen der Kampfmaschine, zerschlugen die interne Skelettstruktur und lebenswichtige Untersysteme. Er sah bläulichweiße Lichtbögen aus dem Innern der Bresche schlagen, und eine gleißend gelbe Feuersäule zeigte ihm, daß er den Fusionsreaktor oder mindestens dessen Abschirmung getroffen hatte.
Die Temperatur im Innern des Cockpits war inzwischen so hoch, daß er glaubte, im eigenen Saft geschmort zu werden, aber auf dem Sichtschirm erzitterte der Trebuchet wie von einem Krampfanfall geschüttelt. Eine gar nicht einmal so starke interne Explosion versetzte dem Mech den Todesstoß. Er sackte zusammen und krachte über den Rand des Kraters den Hang nach Rectortown hinab, auf den Dragon zu, der sich seinen Weg zurück nach oben bahnte.
Harleys Blick zuckte zur Wärmeskala, die nach dem Sturmlauf und seinen Breitseiten gefährlich hohe Werte anzeigte. Er verlor keine Zeit, drehte um und machte sich vor dem immer näher kommenden Dragon aus dem Staub. Irgendwo weiter hangabwärts waren die beiden anderen Ausbeuter-Mechs auf dem Weg zum Raumhafen. Aber im Moment hatte Harley selbst Probleme genug.
Er bildete sich auf den Abschluß des Trebuchet nichts ein. Es war ihm nur deshalb gelungen, sie zu besiegen, weil er den schwereren Mech mit seinem Angriff von hinten überrascht und im weiteren Verlauf des Mechduells die Initiative behalten hatte. Bei dem Dragon würde ihm das nicht gelingen. Dessen Mechpilot wußte, daß Harley hier war, und mit einem Mechgewicht von sechzig Tonnen hatte er eine solchen Vorteil gegenüber dem Sentinel, daß das Ergebnis der Konfrontation nur eine Frage der Zeit war. Der Dragon bewegte sich in ruhigem Schrittempo und ließ Harley Gelegenheit, auf Distanz zu gehen, bevor er seine tödliche Mauer aus Langstrekkenraketen auf die Reise schickte. Vorerst begnügte er sich mit seiner Standard-Autokanone und den mittelschweren Lasern.
Ein Laserschuß zuckte keinen Meter an Harleys Kanzeldach vorbei. Der andere bohrte sich in das rechte Bein des Sentinel und schnitt durch die Schutzpanzerung. Das AK-Feuer traf den linken Mechtorso und zertrümmerte den größten Teil des Panzerschutzes. Noch ein Treffer an dieser Stelle, und ihn erwartete dasselbe wie kurz zuvor sein Opfer.
Harley duckte den Mech hinter einen kleinen Felsvorsprung, der ihm gestattete, aus der Schußlinie seines Verfolgers zu kommen, und zog sich weiter zurück.
»Feldwebel Lewis, ich könnte hier Unterstützung gebrauchen«, keuchte er ins Helmmikro. Er erhielt keine Antwort und wartete auch nicht darauf. Als er mit dem Sentinel um eine weitere Felsgruppe rannte, erwischte ihn der Dragon mit einer neuen Autokanonensalve, diesmal am rechten Arm knapp unterhalb des Ellbogenaktivators. Der Treffer beschädigte nur die Panzerung, aber Harley war klar, daß ihm die Zeit davonlief.
Die Sensoren warnten ihn vor der Annäherung eines weiteren Mechs, dann sah Harley sich um und entdeckte einen Hermes II. »Ist das eine Privatfeier, oder darf jeder mitmachen?« fragte Lewis' Stimme in Harleys Helmlautsprecher.
»Übernehmen Sie, Feldwebel«, stammelte er überrascht und erleichtert.
»Ich lenke ihn von rechts ab. Sie ziehen in seine linke Flanke«, befahl Lewis. Der Hermes II war ein älteres Mechmodell, verfügte aber trotzdem über reichlich Feuerkraft. Er zog an Harleys Sentinel vorbei und stürmte davon, während er mit Autokanone und Lichtwerfer auf ein unsichtbares Ziel feuerte.
Harley folgte seiner eigenen Spur und fand Jeremy Lewis und den Dragon wie zwei Sumoringer im Duell verstrickt. Sie tauschten aus tödlich kurzer Distanz Geschützfeuer aus. Harley beschleunigte den Sentinel auf einen mittleren Trab und legte alle Waffen auf denselben Feuerleitkreis.
Trotz der Schäden, die der Dragon schon erlitten hatte, war Harley klar, daß er mit seinen begrenzten Waffen nicht die Entscheidung erzwingen konnte. Es würde mehr brauchen, die Waagschalen dieses Gefechts zu beeinflussen, etwas weit Dramatischeres. Große Siege erfordern große Risiken, hatte Ben immer gesagt. Jetzt verstand Harley nur allzu gut, was sein Bruder damit gemeint hatte.
Er warf den Mech in einen Sturmangriff. Statt sich in die Flanke des Piratenmechs zu bewegen, hatte er sich entschlossen, ihn zu rammen. Harley drehte den Sentinel, bis die Ausbeutermaschine direkt voraus auf dem Kraterrand aufragte, dann rammte er den Schubregler bis zum Anschlag nach vorne und jagte den Kampfkoloß vorwärts mit jedem Joule, das der Reaktor aufbieten konnte. Der Dragon-Pilot war so mit Lewis beschäftigt, daß er Harley gar nicht bemerkte, bis es zu spät war. Eine Sekunde vor dem Zusammenstoß löste Harley eine letzte Breitseite aus.
Er glaubte, das Aufblitzen seiner Raketen noch für einen Sekundenbruchteil mitzubekommen, bevor der Rumpf des Dragon Sichtschirm und Kanzeldach füllte. Der Aufprall war knochenbrecherisch, und Harley fühlte, wie die Sicherheitsgurte der Pilotenliege sich bis zum Zerreißen gespannt in seinen Körper gruben. Blut stieg ihm in den Kopf, und das Gesicht brannte heißer als die Luft im Innern des Cockpits, als er sich bemühte, den Mech im Griff zu behalten. Nicht einmal das Neurofeedback seines Gleichgewichtssinns an den Kreiselstabilisator reichte dazu aus. Der Sentinel schwankte und stürzte nach hinten. Wieder wurde Harley durch die Kanzel geschleudert.
Das Schadensdiagramm auf dem Zweitbildschim zeichnete kein hübsches Bild. Ein großer Teil der Torsopanzerung war zerstört, aber wenigstens waren die Waffen noch intakt. Bis jetzt hatte er keinen internen Schaden einstecken müssen, aber das konnte nicht mehr lange dauern. Er konnte nur hoffen, daß der Dragon ähnlich schwer mitgenommen war ausreichend, um Lewis die Möglichkeit zum Todesstoß zu geben. Wenn nicht, stand ihm noch weit Schlimmeres bevor.
Harley bearbeitete Steuerknüppel und Pedale wie ein Derwisch, um den Sentinel wieder aufzurichten. Als er es endlich geschafft hatte, konnte er auf dem Sichtschirm das Ergebnis seines Rammangriffs betrachten. Der Dragon lag auf der Seite, und Lewis überschüttete ihn mit Laser- und AK-Feuer Sein Rumpf war rußgeschwärzt, und seine Panzerung und Myomermuskulatur war durch Lewis' Attacken so schwer verbrannt, daß er kaum noch an den Mech erinnerte, in den Harley nur eine Minute zuvor gesprescht war.
Der Dragon schüttelte sich heftig, als die Raketenmunition in seinem Innern explodierte und den Kampfkoloß von innen heraus zerfetzte. Der MechKrieger im Innern der Maschine versuchte auszusteigen, aber der am Boden liegende BattleMech war dafür in einer denkbar ungünstigen Position. Der Schleudersitz schoß zwar aus dem Mechkopf, aber statt senkrecht in die Höhe zu steigen, wie es vorgesehen war, schleuderte der Treibsatz ihn in einem spitzen Winkel über den Boden und geradewegs auf eine Felsformation zu. Wie zum Hohn öffnete sich der Fallschirm, als die Leiche des Piloten auf seiner zertrümmerten Pilotenliege an der Felswand herabrutschte.
»Lagebericht«, bellte Lewis.
Harley überprüfte noch einmal alle Systeme. »Ich bin einsatzbereit, aber meine Panzerung ist hinüber.«
»Das war ein verteufelter Zug, Rassor. Der Dragon brachte zwanzig Tonnen mehr auf die Waage als Sie, aber Sie haben es geschafft, ihn umzuwerfen, und das war alles, was ich brauchte, um ihn zu erledigen.«
»Feldwebel Lewis«, brach eine dritte Stimme über die Kommverbindung, eine Stimme, die Harley noch nie zuvor gehört hatte. »Wenn Sie und Glancy hier fertig sind, warten da unten im Tal noch mehrere Mechs mit Kurs auf den Raumhafen und eine Menge verängstigter Zivilisten.«
Lewis antwortete sofort. »Das ist nicht Glancy, Kommandanthauptmann. Es ist einer der Rekruten, Schütze Harley Rassor.«
Harley drehte seinen zerbeulten Sentinel zu der riesigen, fünfundneunzig Tonnen schweren Banshee um, die hundert Meter entfernt aufgetaucht war. Auf dem graubraunen Tarnmuster prangten das Einheitsabzeichen der Aces und eine große rote Ziffer Eins. Harley wußte sofort, wem er gegenüberstand, ohne daß es ihm noch irgend jemand sagen mußte.
»Rassor, ja? Das war ein verteufelter Zug, Kleiner. Ich nehme an, der Trebuchet, an der ich vorbeigekommen bin, geht auch auf dein Konto?«
»Ja, Sir«, bestätigte er.
»Na, dein Bruder war ein guter Mann, und es sieht aus, als wärst du aus demselben Stoff. Willkommen bei den Aces. Ich bin Kommandanthauptmann Jerry Able.« Der Kommandanthauptmann wartete nicht auf Harleys Antwort. »Hinter mir aufstellen. Auf uns wartet Arbeit.«

BattleTech 50: MechWarrior Trilogie
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