Stephen Kenson

VÄTERCHEN FROST 1

Kore Peripherie
11. April 3060

Die Sensoren kreischten ihre Warnung, als die Raketen herabstürzten. Sturm Kintaro riß den Steuerknüppel zurück. Der über das vereiste Gelände Kores rennende Mech flog herum und wich dem Angriff aus. Die Servomotoren des fünfzig Tonnen schweren Centurion heulten auf, als der riesige Kreiselstabilisator im Rumpf gegen die Schwerkraft ankämpfte, um die humanoide Kampfmaschine aufrecht zu halten. Die Raketen schossen knapp einen Meter vorbei, krachten in den Boden und schleuderten eine Wolke aus Schmutz, Schnee und zu Staub zerblasenem Gestein auf. Sturm kämpfte gegen die Druckwelle des Beinahetreffers an, schaffte es, den Mech auf den Beinen zu halten, und drehte ihn dem neuen Angreifer entgegen.

Er nutzte die Staubwolke als Deckung und schätzte den Neuankömmling ab. Es war natürlich ein ClanMech, eine Maschine des Typs, dem man in der Freien Inneren Sphäre nach dem nordischen Gott der Bogenschützen den Codenamen Uller gegeben hatte, während er bei den Clans als Kit Fox lief. Dieser Uller schien entsprechend einer der Alternativkonfigurationen mit Langstreckenraketen bestückt zu sein. Verglichen mit dem schlanken, humanoiden Centurion erinnerte der feindliche Mech mit seinem tief gebeugten Torso an eine Krabbe.

Mit nur dreißig Tonnen Masse war der Uller leichter als Sturms Centurion, aber zugleich auch schneller und beweglicher. Zudem gaben ihm die Raketenlafetten auf größere Distanz einen Vorteil. Sturms Kampfkoloß war mit einer Autokanone und einer einzelnen LSR 10er-Lafette bestückt. Wenn Sturm auf Distanz zu dem Uller blieb, konnte er damit rechnen, daß der schnellere Mech den Angriffen auswich und den Centurion mit seinem Raketenbeschuß in einen Haufen Altmetall verwandelte. Er entschied sich, vorzurücken und die überlegene Größe und Nahgefechts-Feuerkraft seines BattleMechs zu nutzen.

Diese Gedanken nahmen nur den Bruchteil einer Sekunde in Anspruch. Kaum hatte Sturm den Gegner erkannt, als bereits kampfgestählte Reflexe die Kontrolle übernahmen und den Steuerknüppel nach vorne stießen. Der Centurion rannte mit nahezu maximaler Geschwindigkeit auf den feindlichen Mech zu und erreichte auf der gefrorenen Tundra fast sechzig Stundenkilometer.

Während er sich seinem Ziel näherte, preßte Sturm den Feuerknopf der LSR-Lafette und sandte eine kreischende Salve Raketen, weiße Rauchbahnen hinter sich herziehend aus dem Torso des Centurion auf ihren Weg. Wie erwartet, war der Pilot des Uller schnell genug, rechtzeitig auszuweichen. Die meisten Raketensysteme der Freien Inneren Sphäre waren ungelenkt, und Treffer waren mehr vom Können und Glück des Schützen abhängig als von Elektronik.

Sturm nutzte den gefrorenen und von einer weißen Schneedecke bedeckten Boden aus, die sich unter den wuchtigen Schritten der Metallgiganten rapide in braugraunen Schlamm verwandelte. Auf dem eisigen Untergrund war man ständig in Gefahr, auszurutschen, aber diesmal legte Sturm es sogar darauf an. Im Vertrauen auf das Gyroskop seines Mechs und unter beträchtlichen Anstrengungen, die Kontrolle über den Steuerknüppel nicht zu verlieren, schlitterte er über den Rest der Distanz zu seinem Gegner wie ein spielendes Kind auf winterlichem Gehsteig. Das Manöver war darauf angelegt, den Uller-Piloten zu überraschen, und es funktionierte.

Die Beine des Centurion trafen unter dem Quietschen protestierenden Metalls und dem Scheppern von Panzerplatten auf das linke Bein des Uller. Aufflackernde gelbe Lichter auf dem Schadensdiagramm meldeten kleinere Schäden an der Beinpanzerung des mittelschweren Mechs, aber keine ernsthaften Beschädigungen der internen Systeme. Das Titanstahlskelett der gigantischen Kampfmaschine war unversehrt. Der Uller hingegen wedelte auf eine sehr menschliche, beinahe komische Weise mit den Armen, bevor er mit einem donnernden Krachen umkippte, das im Innern des Cockpits nur gedämpft an Sturms Ohren drang.

Kintaro verlor keine Zeit damit, sich am Anblick des wie eine von einem Lausebengel auf den Rücken gedrehte Schildkröte strampelnden ClanMechs zu weiden. Er packte die Kontrollen fester und richtete den Centurion so schnell er konnte auf ein Knie auf, um ihn in Schußposition zu bringen. Der Pilot des Uller versuchte dasselbe, aber wie die meisten nichthumanoiden Mechs ließ sich auch seine Maschine nur unter Mühe wieder aufrichten.

Der Pilot hob den rechten Mecharm und versuchte., die LSR auf den Centurion zu richten. Sturm grinste. Langstreckenraketen hatten auf kurze Entfernung eine notorisch schlechte Trefferquote, und der feindliche Krieger konnte froh sein, wenn er den Planeten nicht verfehlte.

Laut röhrend jagten die LSR auf Feuerzungen auf den Centurion zu. Mehrere schlugen in den linken Arm und Torso ein. Warnsignale meldeten heulend einen Schaden an der Raketenlafette der Maschine. Der Abschußmechanismus war schwer beschädigt und ausgefallen. Verdammt!

Mit einem geknurrten Fluch hob Sturm den rechten Mecharm und richtete die schwere LuxorAutokanone auf die Unterseite des Uller-Torsos. Mit der anderen Hand zog er das Fadenkreuz des mittelschweren Laser über das Zentrum des gegnerischen Mechrumpfs. Dann stieß er die Feuerknöpfe durch.

Ein dumpfes Wummern hallte durch die Kanzel, als die AK/10 Feuer spuckte und einen Strom von 80mm-Granaten abschoß, unter deren Aufprall die Kompositpanzerung des Uller zerbarst. Gleichzeitig zuckte eine smaragdgrüne Lichtlanze aus dem mittelschweren Laser, verwandelte die Panzerung zu Wolken aus superheißem Dampf und schnitt in die überlebenswichtigen internen Systeme der ClanMaschine.

Ein greller Lichtschein flammte in den Tiefen des Uller auf, als Sturms Laser den Fusionsreaktor des gegnerischen Mechs fand. Sturm brachte den Centurion vollends auf die Beine und zog sich hastig zurück, als der beschädigte Reaktor außer Kontrolle geriet. Ein dumpfes Wummern aus der Richtung des beschädigten Mechs zeigte an, daß der Pilot die Rettungsautomatik ausgelöst hatte. Sturm konnte nicht sehen, ob es dem Clanner gelungen war, aus dem am Boden liegenden Mech auszusteigen. Dann leuchtete der Uller wie eine winzige Sonne auf, und die unkontrollierte Fusionsreaktion verzehrte die internen Systeme. Als sie verblaßte, ließ sie nur noch einen schwarzen Krater und etwas zerschmolzenes Metall zurück.

Aber Sturm erhielt keine Gelegenheit, seinem Sieg zu genießen. Gerade als er sich die Schäden des Centurion noch einmal näher ansah und das Schlachtfeld nach anderen Mechs abzutasten begann, hatte er auch schon den nächsten Feindkontakt. Die Sensoren hatten kaum Gelegenheit, warnend aufzuheulen, bevor eine Raketensalve in die mittelschwere Maschine einschlug. Das Schadensdiagramm leuchtete auf und zeigte Panzerverluste entlang der rechten Rumpfseite. Den Raketeneinschlägen folgten zwei feuerrote Energiebündel. Laserstrahlen zerkochten die Panzerung an Torso und Arm des Centurion. Sturm wirbelte zu seinem neuen Gegner herum, riß alle verfügbaren Waffen hoch... und erstarrte.

Es war ein Mad Cat, einer der tödlichsten ClanOmniMechs überhaupt. Mit fünfsiebzig Tonnen hochmoderner Waffen- und Panzertechnik verfügte er über die anderthalbfache Masse des Centurion. Der gebeugte Rumpf ähnelte der Konstruktion des Uller, wirkte aber weit bedrohlicher. Der Mad Cat war mit schweren und mittelschweren Lasern in beiden wuchtigen, an Keulen erinnernden Armen bestückt, je einer Langstrecken-Raketenlafette auf beiden Schultern und einer Phalanx Maschinengewehre und Laser unter dem spitz vorstehenden Bug des granatenförmigen Torsos. Die breiten, gespaltenen Mechfüße wuchteten über den gefrorenen Boden und verliehen dem Metallriesen in Verbindung mit den nach hinten abknickenden Beinen beinahe das Aussehen eines gigantischen Raubvogels.

Sturm zögerte nur einen Augenblick, bevor er mit allem gegen den Mad Cat losschlug, was er hatte. Die Autokanone des Centurion brüllte, und sein mittelschwerer Laser sang. AK-Granaten zerschellten auf schwerer Ferrofibritpanzerung, und der Lichtwerfer hinterließ eine schwarze Narbe auf dem rechten Bein des Clan-Mechs, aber die schwerere Kampfmaschine rückte unbeeindruckt weiter vor und feuerte ihre Waffen ab, während sie näher wuchtete. Der Centurion versuchte auszuweichen, aber es war zu spät.

Verdammt! dachte Sturm. Das Ding ist nicht nur größer als ich, sondern auch noch schneller. Die rubinroten Laserstrahlen des Mad Cat peitschten über den Centurion wie glühende Klingen, schnitten die Panzerung in großen Brocken weg und legten Myomermuskeln und empfindliche interne Strukturen frei. Wieder kreischte eine Wand aus Raketen heran und krachte ins Bein des Mechs. Warnlichter flammten auf und meldeten den Verlust wichtiger Panzerung. Der Schaden war allerdings nicht allzu bedrohlich ... noch nicht. Aber es gab keinen Zweifel, daß der mittelschwere BattleMech einem derartigen Beschuß nicht lange standhalten konnte.

Das Cockpit des Centurion war erstickend heiß, und Sturms nur in Stiefel, Shorts und eine Kühlweste gekleideter Körper triefend naß von Schweiß. Seine Hände waren so glitschig, daß er Probleme hatte, die Steuerknüppel zu fassen. Er legte die Stirn auf die Innenseite des Neurohelms und ging hastig seine Optionen durch.

Das Problem ist, dachte er, wenn ich diesem Burschen den Rücken kehre, kann ich mich einsargen lassen. Der Centurion gehörte zu den wenigen Mechs mit Bewaffnung im Rücken, aber Sturm hatte arge Zweifel, daß ein einzelner mittelschwerer Laser einen Mad Cat beeindrucken würde. Die Waffen des ClanMechs hingegen würden seine dünne Rückenpanzerung schon mit der ersten Breitseite durchschlagen und die internen Systeme des Centurion pulverisieren, so wie Sturm es kurz zuvor an dem Uller vorexerziert hatte. Aber er konnte sich auch nicht rückwärts zurückziehen, nicht auf so trügerischem Untergrund und gegen einen so schnellen Gegner. Seine einzige Chance bestand darin, den größeren Mech auszumanövrieren, in seinen Rücken zu kommen und dann zu rennen wie der Teufel, bevor der Mad Cat sich wieder fing und ihn abschoß.

Sturm duckte den Mech nach links, als der nächste Raketenhagel anflog und ihn nur knapp verfehlte. Er biß die Zähne zusammen und rammte den Steuerknüppel nach vorne, trieb den Centurion auf Höchstgeschwindigkeit, als er in einem Zickzackkurs, von dem er sich die größte Chance erhoffte, den gegnerischen Waffen zu entgehen, beinahe direkt auf den Clanner zustürmte. Der Pilot des Mad Cat ließ sich vom Anblick des auf ihn zu rennenden Fünfzig-Tonnen-Mechs keine Sekunde beeindrucken und bewegte seinen Kampfkoloß beinahe schlendernd weiter vor.

Sturm feuerte die Autokanone des Centurion ab und zog eine Kraterlinie am linken Bein des Mad Cat hoch über den Torso, während er vorpreschte, und schaffte es, den anfliegenden Raketen und dem größten Teil der Laserschüsse auszuweichen. Ein einzelner mittelschwerer Laser erwischte ihn links am Mechtorso, und das Schadensdiagramm meldete interne Schäden.

»Komm, Baby, halt durch«, murmelte Sturm, als der Mad Cat auf dem Sichtschirm immer größer wurde und die Zahlen auf der Distanzanzeige der Sichtprojektion immer kleiner. Verdammt, ist der groß. Nur noch ein paar Meter ...

Als der Centurion dicht genug an die titanische Clan-Kampfmaschine heran war, zog Sturm den Steuerknüppel hart nach links und änderte die Richtung. Fast wie ein Matador, der sein Cape schwang, drehte der Mad Cat den Torso und schwenkte einen der immensen Me-charme wie eine Keule. Sturm sah den Schlag kommen, aber er konnte nicht schnell genug reagieren, um ihm auszuweichen. Der riesige Metallarm schoß auf seinen Mech zu und füllte fast den gesamten Sichtschirm aus.

Ein ohrenbetäubendes Krachen hallte durch das Cockpit, als der Schlag den Centurion außer Kontrolle nach hinten warf. Sturm kämpfte mit der Steuerung, um die Maschine aufrecht zu halten, aber Kores Schwerkraft hatte die fünfzig Tonnen humanoides Metall fest im Griff, und der Mech kippte wie ein k. o. geschlagener Preisboxer aus den Pantinen. Das ganze Cockpit erzitterte, als die Schockabsorber bis zum Äußersten belastet wurden, und Sturm wurde hart in die Gurte geschleudert.

Aber er dachte nicht daran, aufzugeben. Beinahe reflexartig warf er den Centurion in eine seitliche Rolle, um dem nächsten Angiff zu entkommen. Aber statt wie erwartet mit dem anderen Arm zuzuschlagen, trat der Mad Cat mit einem seiner breiten Krallenfüße aus. Der Aufprall brachte das ganze Cockpit wie eine Glocke zum Hauen, Panzerung und interne Systeme zerbarsten, und auf der Schadensanzeige flammten rote Warnlichter auf. Als Sturm versuchte, die Autokanone auf seinen Gegner zu richten, blickte er zum Sichtschirm hoch und sah den Mad Cat einen seiner riesigen Arme senken. Sturm griff nach den Kontrollen. Dann füllte ein höllisch rotes Licht den Sichtschirm, die Temperatur im Innern der Kanzel schoß nach oben, und plötzlich wurde es dunkel.

BattleTech 50: MechWarrior Trilogie
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