6
Kore-Lanciers-Basis, außerhalb Niffelheims, Kore Peripherie11. April 3060
Hans Brinkmann starb als erster. Feindliche Raketen heulten auf seine Javelin zu und explodierten in einer Wolke aus Rauch und Flammen.
»Reaktorschaden!« schrie Brinkmann über Funk.
»Ich bekomme die Reaktion nicht unter Kontrolle!«
Der feindliche Puma richtete beide Arme
auf die Javelin, und ein lauter
Donnerschlag hallte über das Landefeld, als künstliche Blitze aus
den beiden PPKs des Mechs zuckten. Die bläulichweißen
Energiestrahlen trafen das Cockpit des Lancier-Mechs, und es barst
auseinander. Ein Hagel von Trümmerstücken schoß aus der
Einschlagswolke in alle Richtungen davon und ließ den kopflosen
Rest der Javelin in der letzten
Bewegung erstarrt auf dem Stahlbetonfeld zurück, wo er wie ein
Mahnmal auf die konsternierte Überraschung der Kore-Lanciers über
diesen plötzlichen, gnadenlosen Angriff wirkte.
»Ihr Bastarde!« brüllte Sturm und drückte den Feuerknopf durch.
Eine Salve Langstreckenraketen schoß auf die feindlichen Mechs zu,
und rubinrotes Laserfeuer zuckte in Richtung des Puma. Der hatte sich allerdings bereits
weiterbewegt, und die Raketen flogen vorbei und explodierten
nutzlos auf dem Raumhafenfeld, und nur einer der beiden Laser traf
und schmolz einen Teil der Panzerung vom Arm der Kampfmaschine.
Rechts neben Sturm donnerte die PPK von Volkers Panther, als dieser seine Energiewaffe auf die
Angreifer abfeuerte.
»Zurückziehen!« befahl Oberleutnant Holt. »Volker! Kintaro! Rückzug
in Richtung Gebirge, und versuchen Sie weiter, Kontakt mit der
Zentrale herzustellen.«
»Aber Oberleutnant, was wird aus ...«
»Das ist ein Befehl, Kintaro! AB!«
Sturm zögerte nur einen Augenblick. Der Oberleutnant hatte recht.
Sie hatten keine Chance, die kampfstärkeren ClanMechs zu besiegen,
erst recht nicht ohne Brinkmann. Er drehte seine Maschine um und
zog in Richtung der Jotunberge ab, stieß den Steuerknüppel nach
vorne und trieb den Thorn auf
Höchstgeschwindigkeit. Schon nach Sekunden hatte er den Rand des
Landefelds erreicht und bereitete sich auf die Erschütterung vor,
als der Mech von dem harten, ebenen Stahlbeton auf die
schneebedeckte Tundra wechselte. Zum Glück hatte Sturm Erfahrung
darin, einen Mech über das tückische Gelände Kores zu steuern. Er
konnte nur hoffen, daß die ClanPiloten mehr Schwierigkeiten mit den
rutschigen Oberflächenbedingungen hatten. Möglicherweise bremste
sie das lange genug, um den Lanciers eine Atempause zu verschaffen.
Dann konnten sie sich neu gruppieren, Verbindung mit der Zentrale
aufnehmen und herausfinden, was, zum Teufel, los war. Falls die
Zentrale nicht schon in der Hand des Feindes war Aber wie hätte das
möglich sein sollen?
Sturm zwang sich, all diese Fragen und Ängste für den Moment
beiseite zu schieben. Hier und jetzt mußte er sich auf die
aktuellen Schwierigkeiten konzentrieren. Volkers Panther war direkt hinter ihm. Der schwerere
ScoutMech war langsamer als Sturms Thorn, was diesem einen Vorsprung verschaffte. Was
den Centurion betraf...
Sturm bremste seinen Mech so schnell ab, wie er es auf dem
gefrorenen Boden schaffte.
»Kintaro! Was soll das?«
»Oberleutnant Holt! Er ...«
»Es gibt nichts, was du für ihn tun könntest, Kleiner", meinte
Volker, »außer seinem Befehl zu gehorchen.
Jetzt nimm endlich wieder Fahrt auf, verdammt!«
Sturm schaute noch einmal auf den Sichtschirm. Holts Centurion bewegte sich ebenfalls, aber er versuchte
nicht, vor den ClanMechs zu flüchten. Obwohl der mittelschwere Mech
fast so schnell wie der Panther war,
folgte der Oberleutnant seinen beiden MechKriegern nicht. Er
versuchte, den Mechs der Invasoren den Weg abzuschneiden und sie
daran zu hindern, den Rest seiner Lanze zu verfolgen. Ein
mittelschwerer Mech der freien Inneren Sphäre gegen vier weit
überlegene ClanMechs. Der Oberleutnant hatte keine Chance. Das
mußte ihm klarsein.
Es ist ihm klar, dachte Sturm, als er
den Thorn
wieder beschleunigte, Er weiß, daß er nicht gewinnen kann, aber er will dafür sorgen, daß wir davonkommen.
Der junge MechKrieger warf einen schnellen Blick auf die Ortungsdaten, die seine Mechsensoren lieferten.
Der Centurion versuchte eine Flankenbewegung um die Feindmaschinen, verbunden mit verschiedenen Aus-weichmanövern, um ihren Waffen zu entgehen. Aus der Arm-AK des BattleMechs schlugen Flammen, als Holt dem Gegner eine Stakkatosalve schwerer Granaten entgegenschleuderte. Sturm sah, wie die Detonationen eine Kraterspur über die schwere Panzerung des Mad Cat zogen, die dessen Metallkeramikhaut sichtlich verunstaltete, aber ansonsten keinerlei ernsthaften Schaden verursachte. Der schwerere Mech antwortete mit vier smaragdgrünen Energielanzen aus seinen wuchtigen Armmodulen. Die leistungsstarken Laserstrahlen zuckten über den Rumpf des Centurion, zerschmolzen und verdampften Panzerung, zerkochten künstliches Muskelgewebe und interne Struktur.
Oberleutnant Holt ließ sich davon kaum bremsen. Er feuerte mit allem, was sein Mech zu bieten hatte. Die Autokanone spuckte wieder Feuer und überschüttete den vordersten Mech mit einem Granatenhagel, während Holts Torsolaser ein Bündel kohärenter Lichtenergie auf die Schulter des schwereren Mechs abfeuerte, in dem Versuch, die dort montierte Raketenlafette auszuschalten. Der Lichtwerfer schnitt in die schützende Panzerung, konnte die Lafette aber nicht beschädigen, jedenfalls nicht, soweit Sturm das erkennen konnte. Gleichzeitig schickte der Centurion eine Salve Langstreckenraketen gegen den Mad Cat auf die Reise, aber Holt stand zu nahe am Gegner, als daß die ungesteuerten Geschosse eine nennenswerte Trefferchance gehabt hätten. Sie flogen über ihr Ziel hinweg und zerplatzten nutzlos auf dem Stahlbeton des Landefelds. Möglicherweise hatten ein oder zwei von ihnen das Landungsschiff getroffen, aber Sturm bezweifelte stark, daß zwei Raketen mehr als eine Delle in der schweren Panzerung der Tammuz hinterlassen konnten.
Holt hielt nichts zurück, jagte mit seinem Centurion über das Feld und feuerte eine Breitseite nach der anderen. Die Temperatur im Innern seines Cockpits konnte inzwischen kaum noch zu ertragen sein. Sturms Haut glänzte bereits durch die Geschwindigkeit, zu der er seinen Thorn antrieb, mit einem dünnen Schweißfilm, aber im Vergleich zu dem Glutofen, den der Centurion inzwischen darstellen mußte, war das nichts. Selbst die eisige Kälte Kores konnte den Hitzestau im Innern eines derartig beanspruchten Mechs nicht mehr reduzieren.
»Lon, wir kriegen Gesellschaft«, stellte Sturm mit einem Blick in den Heckabschnitt des Sichtschirms fest.
»Schon gesehen«, bestätigte sein Lanzenkamerad. Zwei der anderen ClanMechs lösten sich aus dem Gefecht und machten sich an die Verfolgung. Holt hatte keine Möglichkeit, sie daran zu hindern. Er war schon mit dem Mad Cat mehr als genug beschäftigt. Sturms Bordcomputer identifizierte die beiden Maschinen als den Puma und einen Uller. Beide waren avoide Mechs mit tief zwischen den Vogelbeinen hängendem waagerechten Torso, wie geschaffen für unzugängliches Gelände und rutschigen Boden.
Trotz der dichten Schneedecke bewegten sie sich rasant. Sturm Kintaros Augen zuckten zur Sichtprojektion. Er hatte inzwischen wieder seine Höchstgeschwindigkeit von knapp hundert Stundenkilometern erreicht. Volkers Panther hinkte hinterher. Die Höchstgeschwindigkeit der schwereren Maschine betrug nur etwa fünfundsechzig km/h, und Volker schien mehr Probleme mit den Geländebedingungen zu haben als Sturm. Die feindlichen Mechs holten schnell auf.
In Sturms Helm krachte der Lautsprecher, und wie aus weiter Ferne hörte er die Stimme Oberleutnant Holts.
»Volker, Kintaro, jetzt hängt es an Ihnen. Versuchen Sie, Hilfe zu rufen. Benachrichtigen Sie das Hauptquartier. Es sind keine ...«
Das Signal wurde von einem lauten Rauschen unterbrochen. Sturm sah zur Sichtprojektion auf, die den optisch kaum noch auszumachenden Kampf graphisch darstellte. Der Centurion bewegte sich noch, aber seine Funkanlage mußte ausgefallen sein. Er war in der Nähe des Landungsschiffs von dem Mad Cat und einem zweiten ClanMech, einem Fenris, in die Enge getrieben worden. Auf der Infrarotortung strahlte Holts Maschine wie eine kleine Nova. Die Betriebstemperatur mußte gefährlich hoch liegen, und es gab Anzeichen, daß der Reaktor beschädigt war. Wieder feuerte der Mech aus allen Rohren auf seine Peiniger, aber die beiden ClanMechs setzten erkennbar zum Todesstoß an.
Was machen Sie da, Oberleutnant? dachte Sturm. Steigen Sie aus! Es war unübersehbar, daß Holt den Kampf verloren hatte. Es war vorbei. Wenn er die Rettungsautomatik seines Mechs auslöste, bestand die Chance, daß er nur gefangengenommen wurde. Warum, zum Teufel, stieg er nicht aus?
Der Mad Cat wuchtete wie ein sagenhaftes Monster vor und schwenkte einen seiner schweren Arme wie eine Keule. Er versetzte dem Centurion einen mächtigen Schlag und schleuderte ihn zu Boden.
Kommen Sie endlich,
Oberleutnant, dachte Sturm. Steigen Sie
aus. Steigen Sie aus, bevor ...
Der Mad Cat trat über den gestürzten
Mech und senkte beide Arme. Ein höllisches grünes Licht flammte
auf, und die Sonnenhitze der schweren Laserwaffen verwandelte die
obere Rumpfhälfte des Centurion in
einen glühenden Schlackehaufen. Sturm überprüfte noch einmal die
Sensoranzeigen, in der Hoffnung, daß Oberleutnant Holt sich
vielleicht doch noch hatte retten können ... nein. Es war
unmöglich. Der Mech ihres Vorgesetzten war vernichtet, und sein
Pilot konnte auf keinen Fall überlebt haben. Oberleutnant Holt war
tot. Einen kurzen Moment fragte Sturm sich, ob seine Mutter genauso
gefallen war, in einem Opfertod, um den Kriegern unter ihrem Befehl
ein paar kostbare Sekunden mehr zu erkämpfen.
Die beiden anderen Clan-Maschinen holten weiter auf. Ihre
Geschwindigkeit erreichte fast seine eigene, und sie waren deutlich
schneller als Volkers Panther. Sein
Lanzenkamerad hatte keine Hoffnung, ihnen zu entkommen. Trotz
seines Vorsprungs würden die ClanMechs ihn einholen.
Plötzlich leuchtete ein Signallicht auf Sturms Monitor auf, als der
Puma das Feuer auf den Panther eröffnete. Die beiden PPKs des ClanMechs
schleuderten blauweiße Energieblitze mit unglaublicher
Treffsicherheit in den Rücken des ScoutMechs, wo dessen Panzerung
am dünnsten war, und zerfetzten mit wilder Gewalt beide
Torsohälften. Der Kreiselstabilisator im Innern des Mechrumpfs
kämpfte wild darum, die Maschine im Gleichgewicht zu halten, aber
unter dem Einschlag der beiden Partikelstrahlen hatte Lon Volkers
Panther den Bodenkontakt verloren, und
der abrupte Verlust beträchtlicher Rumpfmasse warf ihn komplett aus
der Balance.
Sturm bremste den Thorn ab und wollte
umdrehen.
Volker war eine Zielscheibe für seine Angreifer. Von der
Rückenpanzerung seines Mechs konnte nichts mehr übrig sein, und die
feindlichen Maschinen kamen schnell näher. Er würde es nicht
überleben, wenn Sturm nicht...
»Mach keine Dummheiten, Kleiner«, drang Volkers Stimme über die
Kommverbindung, fast, als hätte er Sturms Gedanken gelesen. »Renn'
weiter. Mach, daß du hier wegkommst, solange du noch
kannst!«
»Dich lasse ich nicht auch noch zurück!« entgegnete
Sturm.
»Du kannst überhaupt nichts machen! Hör gut zu, Mann, ich gebe dir
den Befehl. Mach zum Teufel, daß du hier verschwindest. Versuche
irgendwie, Kontakt mit den Sturmreitern aufzunehmen. Hol Hilfe. Ich
kann selbst auf mich aufpassen!«
Sturm zögerte. Die ClanMechs mußten Lon Volker jeden Augenblick
erreichen. Vielleicht würde er helfen können, sie abzuwehren, so
daß Volker sich retten konnte, aber die ClanMechs waren beinahe so
schnell wie sein Thorn. Wenn er sie
nicht ernsthaft beschädigte, würde mit großer Wahrscheinlichkeit
keiner von ihnen entkommen können, wenn Sturm auf die
Höchstgeschwindigkeit des Panther
abbremste, besonders, wenn die beiden PPK-Treffer irgendwelche
internen Systeme des anderen ScoutMechs beschädigt hatten. Wenn er
umdrehte, um Volker zu helfen, war viel eher damit zu rechnen, daß
sie beide getötet oder gefangengenommen wurden.
»Nur ein Vollidiot bleibt stehen und stellt
sich zu einem Kampf, von dem er weiß, daß er ihn nicht gewinnen
kann«, hat Krenner gesagt. »Von einem MechKrieger wird auch
erwartet, zu wissen, wann er sich selbst und seiner Einheit einen
größeren Dienst erweist, indem er den Rückzug antritt.«
Sturm erinnerte sich daran, was sein Feldwebel ihm an diesem Morgen erst gepredigt hatte und zwang sich, den Wunsch niederzuringen, umzudrehen und Lon Volker zu Hilfe zu kommen, alles, was er hatte, auf die Invasoren abzufeuern, die seinen Oberleutnant und seinen Lanzenkameraden auf dem Gewissen hatten. Volker hatte recht: Sturm konnte gegen die ClanMechs nichts ausrichten, aber wenn ihm die Flucht gelang, bestand zumindest eine Chance, daß er den Rest der Sturmreiter darüber informieren konnte, was auf Kore geschehen war. Solange Sturm frei blieb, hatten sie eine Chance.
»Viel Glück, Lon«, verabschiedete er sich ins Helmmikro, als er den Thorn wieder zum Gebirge drehte und auf volle Geschwindigkeit beschleunigte. Er hörte Volkers Antwort aus dem rasch zurückbleibenden Panther.
»Dir auch, Kleiner. Viel Glück.« Die ClanMaschinen wurden langsamer, als sie sich dem am Boden liegenden ScoutMech näherten. Lon Volker versuchte nicht einmal, seinen Kampfkoloß aufzurichten, als sie ihre Waffen auf ihn richteten. Außer einer sinnlosen Trotz-geste hatte er nichts anzubieten.
Sturm wandte sich ab und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die dunklen Gipfel des am Horizont aufragenden Jotunmassivs, die zumindest eine zeitweilige Sicherheit versprachen. Er mußte die Berge erreichen und einen Weg finden, Hilfe zu rufen.
Er war allein.