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Kore-Lanciers-Basis, außerhalb Niffelheims, Kore Peripherie16. April 3060
Obergefreite Laura Metz senkte das Sturmgewehr und gab einen Feuerstoß auf die ihr entgegenrennenden Piraten ab. Der Kugelhagel traf einen von ihnen und schleuderte ihn zu Boden. Die anderen hechteten in Deckung, während Laura weiter zum Fahrzeughangar rannte, gefolgt vom Rest der Lanciers. Der weiße BattleMech stand wie ein schützender Torbogen über ihnen, die Beine links und rechts vom Hangareingang, und hielt mit seinen schweren MGs die übrigen Piraten auf Distanz.
Metz und Krenner erreichten das offene Tor und gaben ein paar Schüsse auf die vereinzelten Piratenwachen ab, die im Innern Dienst taten. Die Piraten erwiderten das Feuer, aber die in der Halle arbeitenden Techs gehörten zum größten Teil zu den Lanciers. Sie schnappten sich schwere Schraubenschlüssel und anderes Werkzeug, mit dem sie die Gewehre der Piraten beiseite und deren Besitzer niederschlugen, so daß die Lanciers den Hangar stürmen konnten. Die Raumpiraten, die sich widersetzten, wurden von Gewehrschüssen oder Schraubenschlüsselhieben niedergestreckt. Ihre Waffen fielen ihnen aus den Händen, und die Lanciers hoben sie auf. Dann rannten sie weiter zu den im Hangar abgestellten Fahrzeugen.
»Nur die Schweber!« brüllte Feldwebel Krenner gegen Alarmsirenen und Gewehrfeuer an. »Wir müssen über die Tundra, und die Radfahrzeuge schaffen das nicht!« Laura wußte nicht genau, was der Pilot des Mechs vorhatte, der sie aus ihrem improvisierten Gefängnis befreit hatte, aber sie war sich ziemlich sicher, wer da oben im Cockpit saß, und sie wußte, daß Krenner bereit war, ihm sein Leben anzuvertrauen. Wenn es zu Kintaros Plan gehörte, daß sie die Basis verließen, wollte Krenner alles tun, was in seiner Macht stand, damit dieses Vorhaben gelang.
Der Goshawk stand
am Eingang des Fahrzeughangars und zwang die Piraten mit seinen
drei schwerer Maschinengewehren, in Deckung zu bleiben. Die
wenigsten von ihnen waren bereit, sich zu weit heranzuwagen, und
die Leichen der vereinzelten Piraten, die es doch taten, lagen über
den Betonplatz verstreut. Aber war nur eine Frage der Zeit, bevor
die Piraten ihre schweren Waffen auffuhren, die selbst einem
BattleMech gefährlich werden konnten, oder schlimmer noch, bis ihre
eigenen Mechs auf der Bühne erschienen. So kampfstark er auch war,
Laura war klar, daß ein einzelner Clan-BattleMech keine sonderliche
Chance gegen zwei oder drei der Piratenmaschinen hatte, die
ebenfalls aus Clanbeständen stammten. Die Lanciers mußten schnell
von hier verschwinden, solange es noch ging.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Laura eine Bewegung. Sie drehte sich
um und sah einen der Piraten, der entweder übersehen worden war
oder nur einen Streif-schlag abbekommen hatte. Er kauerte hinter
einem Regal mit Wartungswerkzeugen und Ersatzteilen und zielte mit
dem Gewehr auf Krenner. Sie riß ihr Sturmgewehr hoch und brüllte
eine Warnung.
»Spieß, Vorsicht!« Krenner wirbelte herum und sah den Rebellen, aber es war zu spät, etwas zu unternehmen.
Ein einzelner Schuß hallte durch die Hangarhalle, und der Pirat kippte nach vorne. Er warf das Werkzeugregal um, und dessen Inhalt polterte über den Boden.
Aus dem Schatten des Hangars trat eine große, blonde Gestalt, die eine dampfende Pistole in der Hand hielt. Der Schütze winkte Krenner und Laura lässig zu.
»Volker!« rief Laura. Er lebte! Sie wollte hinüberrennen und ihm um den Hals fallen, aber vorerst blieb sie besser, wo sie war, und hielt die Augen für andere unerwartete Gefahren offen. Krenner seinerseits blieb in Deckung und rief über die Schulter: »Danke, Volker!«
Lon Volker ging zum Eingang des Hangars, als die Motoren zweier Winterhawk-Truppentransporter aufheulten und die Hubpropeller der Luftkissenfahrzeuge Wolken von Staub und Schnee aufwirbelten. Die Lanciers hasteten durch die offenen Luken der beiden Schweber, sobald sich die Luftkissen fertig aufgebaut hatten.
»Schön, Sie lebend wiederzusehen«, meinte
Krenner zu Volker.
»Gleichfalls«, erwiderte der. »Als die Alarmsirenen losplärrten,
habe ich meine Chance erkannt und genutzt. Ich dachte mir schon,
daß Sie dasselbe tun und hier zum Hangar kommen würden, also bin
ich vorbeigekommen, um zu sehen, ob mich jemand
mitnimmt.«
»Gutes Timing«, stellte Laura lächelnd fest. Volker strahlte
zurück. »Wir wollten gerade ohne dich abfahren.«
»Freut mich, daß das nicht nötig war.« Volker deutete mit dem Kopf
zu dem Goshawk, der immer noch die
Piraten in Schach hielt. »Wer ist das?« fragte er.
Jetzt war es an Krenner zu grinsen. »Was denken Sie wohl?«
erwiderte er. »Kintaro.«
»Kintaro?« Volker schüttelte ungläubig den Kopf. »Nie und
nimmer.«
»Glauben Sie's besser, mein Junge«, sagte Krenner. »Ich weiß nicht,
wie er es geschafft hat, aber er ist es. Und jetzt Tempo, wir sind
die Letzten.« Damit rannten die drei zum nächsten Winterhawk. Sobald sie in der Kabine verschwunden
waren, zogen sie die Luken dicht und gingen nach vorne
durch.
Volker blickte den Gefreiten am Steuer von oben herab an, und der
Mann machte ohne Widerspruch Platz. Krenner übernahm den Platz des
Beifahrers, während Laura sich auf einem der Crewplätze
anschnallte. Volker zog das Kommset über und überflog die
Instrumente auf der Konsole.
»Hat zwar keine Beine«, stellte er dann fest, »aber ich kann ihn
fahren.« Er legte die Hände um die Kontrollen und ließ den
Winterhawk nach vorne gleiten. Der
andere Schweber folgte ihnen, und die tonnenschweren
Truppentransporter rutschten mit heulenden Propellern auf ihren
Luftkissen aus dem Hangar. Sobald sie im Freien waren, öffnete
Volker einen Kommkanal.
»Okay, volle Fahrt!« Er stieß den Steuerknüppel vor, und die
leistungsstarken Triebwerke des Transporters trieben den riesigen
Schweber mit steigender Geschwindigkeit über den Hof auf freies
Gelände zu.
Ein gepanzerter Jeep mit einem schwenkbaren MG verstellte ihnen den
Weg. Der Pirat an dem Maschinengewehr feuerte eine lange Salve auf
die Frontpartie des vorderen Winterhawk
ab. Die Geschosse prallten knallend von der Panzerung und der
kugelsicheren Windschutzscheibe des Truppentransporters ab. Volker
zuckte mit keinem Muskel, als die MGSalve die Scheibe vor ihm traf.
Er trieb den Winterhawk nur weiter vor,
genau auf den heranbrausenden Jeep zu. Als der Zusammenstoß beinahe
unvermeidlich schien, grub Laura die Finger in den Rand ihres
Sitzes.
Der Fahrer des Jeeps verlor als erster die Nerven. Beim Anblick des
riesigen gepanzerten Truppentransporters, der unaufhaltsam auf ihn
zu raste, riß der Pirat das Steuer herum und versuchte
auszuweichen, aber er hatte einen Augenblick zu lange gewartet. Der
Winterhawk erwischte mit einem dumpfen
Knall den linken hinteren Kotflügel des Jeeps, gefolgt von einem
Krach, als der Wagen sich überschlug und eine kurze Strecke über
den Betonplatz rollte.
Die Schweber erreichten den Rand des Stahlbetons und jagten hinaus
ins freie Gelände. Der äußere Maschendrahtzaun sah aus, als hätte
der Goshawk ein Tänzchen darauf
ausgeführt. Als die Schwebetransporter die offene Tundra
erreichten, donnerten sie mit fast einhundert Stundenkilometern
über Eis und Schnee und beschleunigten noch immer.
Laura blickte auf die Sichtprojektion über der Fahrerkonsole des
Cockpits und sah den Goshawk einen
letzten Feuerstoß aus Lasern und Maschinengewehren abgeben, um das
Gelände vor sich von Piraten zu säubern. Er drehte sich zur Seite
und hob den rechten Arm. Ein Stakkato grellgrüner Lichtimpulse
zuckte auf und traf eines der Treibstoffsilos in der Nähe des
Fahrzeughangars.
Die Außenhülle des Silos schmolz unter der Liebkosung der
Energiewaffe dahin, und der Treibstoff in seinem Innern explodierte
wie eine gewaltige Bombe. Selbst aus zweihundert Metern Entfernung
schüttelte die Druckwelle die beiden Winterhawks noch durch. Hinter ihnen stieg ein
rotorangefarbener, wogender Pilz mit einem Kopf aus Feuer und einem
Stiel aus schwarzem Rauch in den Himmel.
Dann wandte der Mech sich von der Verwüstung ab und preschte mit
voller Geschwindigkeit vom Basisgelände. Er wurde rasch schneller
und konnte fast mit den Schwebern mithalten.
Krenner drehte sich zu Volker um, als der den Vorsprung
vergrößerte. »Nicht so hastig, Draufgänger. Laß Kintaro mitkommen.
Diese Kisten haben bloß gehörig kleine Geschütztürme. Wenn wir auf
offenem Gelände ohne Geleitschutz erwischt werden, können wir unser
letztes Gebet sprechen. Außerdem«, meinte er und grinste breit
dabei, »ist Kintaro der einzige von uns, der weiß, wo wir
hinwollen.«
Volker grunzte und nahm zögernd etwas Gas weg, auch wenn der
Schweber immer noch gehörig schnell über den gefrorenen Boden
jagte. Hinter ihnen wurde die Basis wurde schnell immer
kleiner
Der Goshawk hatte die beiden Schweber
bald eingeholt und lief in gestrecktem Galopp neben ihnen her. Es
war ein Beweis für die gute Ausbildung der korischen MechKrieger,
daß Kintaro den riesigen humanoiden Mech über die eisige
Planetenoberfläche hetzen und dabei mit den schnellen Schwebern
Schritt halten konnte.
In der Kommleitung des Winterhawk
knackte es, dann drang Sturms Stimme aus den Lautsprechern.
»Kintaro an Lanciers. Hallo, Leute, freut mich, daß ihr kommen
konntet. Wie sieht's bei euch aus? Ende.«
Krenner schnappte sich das Mikro, noch bevor Volker auch nur zu
einer Antwort ansetzen konnte. »Sturm! Verdammt, Junge, du hast mir
ganz schöne Sorgen gemacht! Was, zum Teufel, hast du erlebt, und wo
hast du dieses kleine Clan-Spielzeug gefunden? Ende.«
Man konnte Sturms Grinsen fast hören. »He, Kren, tut mir leid, daß
ich Ihnen unnötige Angst gemacht habe. Ich hatte ein kleines
Problem mit meinem alten Mech, deshalb hab ich mir einen Ersatz
besorgt. Es ist eine lange Geschichte, aber ich erzähle Sie Ihnen
in allen Einzelheiten, wenn wir da sind. Ende.«
An diesem Punkt der Unterhaltung mischte Volker sich ein. »Und wo
genau ist ›da‹? Ende.«
»Volker? Freut mich, daß du es geschaffst hast, Mann. Für die
Rettung letztens bin ich dir was schuldig. Aber wo unser Ziel
liegt, würde ich lieber nicht über Funk geben, nicht, solange wir
nicht sicher sein können, daß niemand mithört. Es ist einfacher, es
euch zu zeigen. Ende.« Krenner nickte Volker zu, dann übernahm er
das Gespräch wieder. »Bestätigt, Kintaro. Zeig uns den Weg, und wir
halten die Augen nach unerwünschten Begleitern offen.
Ende.«
»Wird gemacht, Spieß«, gab Sturm zurück. »Aber allzu viele Sorgen
brauchen wir uns da wohl nicht zu machen. Ich habe einen neuen
Auftritt von »Väterchen Frost« auf einem Bergkamm etwa achtzig
Klicks von hier arrangiert. Zwei der Piraten-Mechs sind ausgerückt,
um nachzusehen. Bis die herausgefunden haben, daß das nur ein
Haufen Schrott ist, und sich auf den Rückweg machen, sind wir
längst weg. Der einzige Mech, auf den wir aufpassen müssen, ist der
Mad Cat. Ende.«
Jetzt grinste Volker. »Keine Sorge, Kintaro. Der Mad Cat ist Susie Ryans Mech, und die macht uns
fürs erste keine Probleme. Ich hab' mich um sie gekümmert.
Ende.«
»Tatsache?« fragte Sturm. »Scheint, daß wir beide was zu berichten
haben. Ich gehe jetzt auf Funkstille. Folgt mir, und dann kannst du
mir hinterher davon erzählen. Kintaro Ende und Aus.«
Krenner streckte die Hand aus, um das Funkgerät abzuschalten, und
Laura sah hinüber zu Volker. Etwas an der Art, wie er erklärt
hatte, er habe sich um Susie Ryan »gekümmert«, bereitete ihr
Unbehagen. Sicher, sie und Lon Volker waren nicht wirklich ...
also, genau wußte sie selbst nicht, was sie füreinander waren, aber
etwas an seinem Ton gefiel ihr nicht. Sie entschied, ihr Unbehagen
erst einmal zu ignorieren. Im Moment war wichtiger, daß die
Lanciers frei waren und eine Chance hatten, so hoffnungslos die
Lage kurz zuvor auch noch erschienen war. Das überraschende
Auftauchen Kintaros in einem ClanMech hatte die Situation völlig
umgekrempelt. Vielleicht hatte Krenner recht, und sie hatte Sturm
Kintaro tatsächlich unterschätzt.
Der Goshawk führte die Winterhawks in Richtung der Jotunberge. Kintaro
brachte sie dicht an das Massiv heran, damit das Profil der Berge,
ihre Erzvorkommen und die Thermalschlote die Sensoren möglicher
Verfolger verwirrten, Sie bewegten sich eine kurze Strecke dicht am
Rand des Gebirges entlang, bis sie einen Paß erreichten, der
hineinführte.
Kintaros Mech setzte sich an die Spitze, die Schweber folgten ihm
in geringer Entfernung. Der Paß war eng, gerade breit genug für
einen einzelnen BattleMech. Er führte in ein weites,
langgestrecktes Tal, umgeben von hohen Bergen, deren Gipfel von Eis
und Schnee bedeckt waren. Auf den tieferen Hängen wuchsen
Krüppelbäume und andere winterfeste korische Pflanzen. Der
Goshawk watete durch den tiefen Schnee
des Tals, während die Luftkissentransporter einen knappen Meter
über der Schneedecke dahinglitten und diente Wolken aus glitzernden
Schnee hochschleuderten, die es schwierig machten, den Mech nicht
zu verlieren, da die nichtoptischen Ortungssysteme in der Umgebung
der Berge kaum funktionierten. Aber sie schafften es und blieben
dem Goshawk bis zu einer steilen
schwarzen Felswand auf den Fersen, wo er abrupt
stehenblieb.
»Was macht er?« wollte Laura fragen, aber ein leises Rumoren aus
Richtung des Berges schnitt ihr das Wort ab, und dann teilte sich
der Fels. Ein schmaler dunkler Spalt öffnete sich entlang der
ganzen Höhe der Klippenwand. Er verbreiterte sich zu einer
Eingangsöffnung, als zwei titanische Torflügel langsam ins Innere
des Berges aufschwenkten.
»Da soll mich doch ...« flüsterte Krenner.
Als die Tore in der Dunkelheit verschwunden waren, tat der
Goshawk einen Schritt vor, drehte sich
halb um und winkte den Schwebern mit dem Laserarm, ihm zu folgen.
Der Mech trat durch die turmhohe Öffnung und verschwand.
Krenner klopfte Volker auf die Schulter. »Also dann, fahren
wir.«
Die Winterhawks glitten durch den
Eingang, und kaum waren sie im Berginnern, als die gewaltigen Tore
wieder zuschwangen und sich mit einem dumpfen Knall schlossen. Von
außen war wieder kein Übergang vom natürlichen Fels zur künstlichen
Oberfläche der Torflügel erkennbar, und der Eingang war in der
Szenerie des Gebirgstales nicht mehr auszumachen.
Kräftige Scheinwerfer flammten gut vierzehn Meter über den Köpfen
der Kore-Lanciers an der Decke einer riesigen Kuppelhöhle auf. Sie
beleuchteten eine gigantische Kaverne, deren glatte Wände von
mächtigen Bohrlasern aus dem Fels geschnitten waren. Die Höhle war
groß genug, daß Sturms BattleMech aufrecht in ihr stehen konnte und
noch mehrere Meter Platz zwischen seinem Kopf und der Decke
blieben. Sie hatte eine grob ovale Form von etwa achtzig Metern
Länge.
An den Wänden der Höhle erstreckten sich komplezierte metallene
Gerüste, Kabel und Paneele, die mehrere tiefe Nischen formten. In
jeder der Nischen ragte eine schweigende metallische Gestalt auf,
lackiert in einem fahlen weiß, daß im Licht der Deckenscheinwerfer
stumpf leuchtete. BattleMechs. Vier Kampfkolosse insgesamt,
zusätzlich zu Sturms Goshawk, und jeder
von ihnen trug das Emblem Clan Stahlvipers.
Sturms Stimme drang wieder über die Kommverbindung. »Willkommen in
Shangri-La, Leute. Willkommen in Väterchen Frosts
Unterschlupf.«