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Landungsschiff General Gordon, im Anflug auf Gillfillan's Gold Randgemeinschaft, Peripherie
19. Mai 3059Die Luft in der Taktischen Leitzentrale der General Gordon stank vor Schweiß, Erregung, Erwartung und Anspannung. Das trübe Licht und die trostlos grauen Schottwände standen in seltsamem Widerspruch zu den aufgeputschten Emotionen der hier versammelten Krieger. Auf der Hologrammanzeige waren der blaue Globus von Gillfillan's Gold und drei große grüne Lichtpunkte zu sehen, die für die Landungsschiffe der Aces standen. Sie waren noch ein gutes Stück von dem Planeten entfernt, aber sie näherten sich, rückten langsam, aber sicher immer dichter an die Weltkugel heran.
Außerdem zeigte die Anzeige noch zwei
pulsierende rote Lichtpunkte. Auf der Hologrammanzeige lagen nur
Zentimeter zwischen den roten und grünen Lichtern, aber die
wirkliche Entfernung betrug Hunderte Kilometer. Die roten Punkte
repräsentierten die Landungsschiffe Hopper Morrisons und seiner
Piraten, die sich der Atmosphäre des Planeten näherten. Zwischen
den beiden Gruppen hing noch ein einzelner gelber Punkt.
Das war die von Oberleutnant Hershorn gestohlene Raumfähre. Harley
starrte auf den Lichtpunkt und dachte daran, wie Hershorn die Aces
verraten hatte. Der Gedanke löste eine Flut aus Trauer und Wut
darüber aus, daß Hershorn Ben getötet hatte.
Sein Da hatte ihn zu Able's Aces geschickt, damit er die Wahrheit ans Licht brachte, und jetzt hatte er sie gefunden. Nun blieb nur noch, den Verräter zur Rechenschaft zu ziehen. Er erinnerte sich an die Nacht, in der er, Da und die anderen Männer die Handelsvertreter auf Slewis ihrer gerechten Strafe zugeführt hatten. Er schwor sich, daß Hershorn nicht so leicht davonkommen würde ...
Harley zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Was er an Kommandanthauptmann Ables Plan nicht verstand, war, warum die Aces nicht einfach ihre Jäger ausgeschleust und hinter der Fähre hergeschickt hatten. Die Langstreckenfähre vom Typ KR-61 war langsamer als die leichten Luft/Raumjäger der Einheit und besaß keine erwähnenswerte Bewaffnung. Seine Lanzenkameradin Dabney Fox stellte die Frage, gerade als Harley es auch tun wollte.
Hawke erinnerte sie, daß der Kommandanthauptmann Hershorn wenn möglich lebend wollte. Außerdem gäbe es noch einen anderen Grund, erklärte sie. Geschützfeuer hätte die Ortung der AusbeuterLandungsschiffe ansprechen lassen können, und wenn die Piraten den Anflug der Aces bemerkten, konnte das den ganzen Plan scheitern lassen.
Hawke widmete sich wieder den auf der Anzeige leuchtenden Lichtpunkten, dann sah sie hinunter auf den in den Hologrammtisch eingebauten Datenschirm. Sie berührte die Kontrollknöpfe, und mehrfarbige Zahlen- und Buchstabenreihen rollten über den Schirm. Im Spiel aus Schatten und Widerschein sah sie beinahe bedrohlich aus.
»Wir verfolgen zwei Landungsschiffe, beide UnionKlasse. Wir können also von insgesamt zwei Kompanien Ausbeutern ausgehen.« Sie sah sich unter den Mitgliedern ihrer wiederaufgebauten Einserkompanie um. »Wie die meisten von euch wissen, sind die Ausbeuter mit einer Reihe von LosTech-BattleMechs und -Fahrzeugen ausgerüstet. Wir haben selbst ähnliche Ausrüstung, die den Vorteil negieren könnte, den sie dadurch haben. Die Hauptgefahr ist der ClanTimber Wolf. Seid auf der Hut. Und seid besonders vorsichtig, wenn ihr euch auf Distanz mit ihnen anlegt. Es könnte sein, daß sie über Extremreichweitentechnologie verfügen, die wir nicht haben.«
Wie jeder in der Randgemeinschaft kannte auch Harley die Gerüchte über die LosTech, die ›König‹ Hopper Morrison in die Hände gefallen war. Falls die Geschichten stimmten, die man sich erzählte, war er über ein Depot mit BattleMechs und sonstiger Ausrüstung gestolpert, das General Aleksandr Kerensky und die Sternenbundarmee vor Jahrhunderten zurückgelassen hatten, als sie der Inneren Sphäre den Rücken gekehrt und in die Weiten des Alls jenseits der Peripherie verschwunden waren. Dieses Depot hatte ihm geholfen, seine kleine Bande von Plünderern in jüngsten Jahren stark auszuweiten und zu der gefährlichen Piratenarmee zu entwickeln, der die Aces sich jetzt gegenübersahen.
»Haben wir eine Prognose ihrer Landezone?«
fragte Jill Sutcliffe.
Hawke betätigte mehrere Tasten auf den Kontrollen des Holotisches.
Auf der blauen Weltkugel von Gillfillan's Gold blinkte in der Nähe
von Rectortown knapp südlich des Hauptquartiers der Aces ein
Lichtpunkt auf. »Es sieht so aus, als wollten sie weder auf dem
Raumhafen noch bei der Hauptstadt aufsetzen, was immerhin eine gute
Nachricht ist. Hershorn muß das bestens vorbereitet haben. Sie
fliegen in direktem Kurs die Hochebene in unserem alten
Manövergebiet Süd an. Von da aus können sie über den Fluß die
Hauptstadt angreifen, ohne daß sie vom Raumhafen aus zu erreichen
sind.«
»Das Gelände kennen wir«, stellte Jeremy Lewis fest »Wir kennen es
wie unsere Westentasche. Gehen Sie kein enormes Risiko ein, gerade
da aufzusetzen?«
»Wir stören den Funkverkehr der Raumfähre, die Hershorn uns
gestohlen hat, und unsere Schiffe sind noch außerhalb ihrer
Ortungsweite. Sie werden kaum erwarten, daß wir ihnen schon auf den
Fersen sind. Ich habe ernste Zweifel, daß sie auch nur ahnen, daß
wir auf dem Weg sind. Sie glauben, auf einer Welt zu landen, die
nur von einer Handvoll Miliztruppen verteidigt wird.«
»Da steht ihnen eine Überraschung bevor«, grinste Jord.
Hawke nickte lächelnd. »Ganz recht, Gefreiter.« Sie tippte die
Tasten des Kontrollblocks noch einmal an, und plötzlich fiel der
große holographische Planet in sich zusammen. Das Bild zoomte auf
die erwartete Landezone. Das Bild drehte sich in der Luft und wurde
zu einer dreidimensionalen Darstellung des Gebiets, das vermutlich
zu ihrem Schlachtfeld werden würde.
Im Osten und Westen des Gebiets erhoben sich kleine Baumgruppen.
Sie ähnelten niedrigen Zedern, keine höher als fünf Meter. Kaum
groß genug, um einen BattleMech dahinter zu verbergen, aber es
reichte, um die Bewegung zu behindern und Raketensalven teilweise
abzufangen. Im Norden, in Richtung der von den Aces verlassenen
Basis, lag eine Kelle niedriger, aber steiler Berge mit nur von
einer Seile zugänglichen Tälern, die zu tödlichen Fallen werden
konnten. Am Südrand der Gefechtszone lag ein kleines Morastgebiet,
das weiter südlich in Sumpf überging. Harley erinnerte sich an
mehrere Trainingsläufe in dieser Gegend. Sein Mech war in den
Sümpfen eingesunken, und er konnte sich noch bestens daran
erinnern, wie frustrierend die Erfahrung gewesen war.
In der Mitte der Karte lag eine vier Kilometer lange Hochebene. Das
bis auf etwas verkrüppeltes Buschwerk kahle Plateau war der einzige
Ort in diesem Gebiet, an dem ein Landungsschiff ohne
Schwierigkeiten aufsetzen und Truppen ausladen konnte. Harley
erinnerte sich, daß die Hochebene steil über dem Tiefland aufragte.
Das Gelände war unzugänglich, und es würde nicht leicht werden, die
Steigung zu überwinden. Einmal oben angekommen, erwartete sie
allerdings weites, offenes, flaches Gelände.
Hawke setzte ihre taktische Zusammenfassung fort. »Sie haben im
besten Fall zwei Kompanien. Wir greifen mit drei an. Unser
Überraschungsmoment dürfte etwa bis zu dem Moment halten, in dem
sie aussteigen und die Sensoren ihrer Landungsschiffe unseren
Landeanflug orten. Spätestens dann wird unser kleiner Schleimbeutel
sie auch warnen, daß wir unterwegs sind, ihnen den Spaß zu
verderben. Denkt daran, daß wir sie erwischen müssen, bevor sie
wieder einschiffen und abfliegen. Wenn wir keinen Fehler machen,
werden wir sie am Boden stellen, über die Hochebene verteilt.« Mit
einem Laserzeigestab lenkte sie die Aufmerksamkeit ihrer Untergeben
auf den Nordrand der Karte. »Wie springen am nördlichen Rand der
Hochebene ab. Kompanie Zwo übernimmt den Osten, Kompanie Drei den
Westen. Wir rücken von drei Seiten gegen sie vor.«
»Welches Einsatzziel haben wir, Oberleutnant?« fragte Feldwebel
Lewis.
»Die Antwort darauf ist kurz und simpel, Jeremy. Wir wollen sie
zerquetschen. Kommandanthauptmann Ables Auftrag lautet, Morrisons
Leuten so viel Schaden wie möglich zuzufügen und sie wenn möglich
daran zu hindern, irgendwelche Truppen wieder einzuschiffen. Unsere
drei Kompanien verfügen über insgesamt sechs Jäger, die den
Landungsschiffen einen Startversuch erschweren dürften.«
Gunney Coombs betrachtete die Karte und schüttelte nachdenklich den
Kopf. »Da steckt mehr dahinter als wir zu sehen bekommen,
Oberleutnant. Soll keine Beleidigung sein.« Er musterte das
Hologramm noch etwas länger. »Wir greifen mit Bataillon Eins an.
Als wir in Richtung Asteroiden unterwegs waren, sammelte sich da
fast ein komplettes Ausbeuterregiment. Was ist mit
denen?«
Hawke hob die rechte Augenbraue und lächelte. »Ich will Hershorn
nicht jeden Spaß verderben, aber sagen wir, der Kommandanthauptmann
hat zu viel in die Randgemeinschaft investiert, um das alles für
ein Stück Abschaum wie Hopper Morrison wegzuwerfen. Während wir uns
hier unterhalten, sind Bataillon Zwo und ein großer Teil von
Bataillon Drei auf dem Weg zum Sprungpunkt, wo sie von mehreren
Sprungschiffen erwartet werden. Aus offensichtlichen
Sicherheitsgründen kann ich nicht alle Einzelheiten aufdecken, also
begnügen wir uns damit, das hier als Gegenangriffsphase Eins der
Operation zu bezeichnen.«
Sie verbrachte die nächsten Minuten damit, die operationalen
Einzelheiten des Gefechtsabwurfs durchzugehen. Harley quetschte
sich zwischen Sutcliffe und Lewis, um besser sehen zu können, wo
sie in den Kampf ziehen sollten.
Mit einer den Ausbeutern um dreißig Prozent überlegenen Feuerkraft
auf ihrer Seite versprach es ein kurzes Gefecht zu werden. Wie
zuvor die Schlacht um Rectortown war das Harleys Chance, Morrisons
Leuten heimzuzahlen, was sie ihm geraubt hatten. Das allein genügte
bereits, ihm einen Adrenalinschub zu versetzen, der über das
hinausging, was er normalerweise kurz vor dem Kampf
empfand.
Als die Besprechung zu Ende ging, zogen er und seine Kameraden sich
zurück, um sich bis auf die Gefechtsmontur auszuziehen und die
wuchtigen Kühlwesten anzulegen, die ihnen halfen, die enorme Hitze
im Innern des Cockpits unbeschadet zu überleben. Bevor er die Luke
erreichte, fühlte er, wie ihm jemand von hinten die Hand auf die
Schulter legte. Er blieb stehen.
Als er sich umdrehte, sah er in Livia Hawkes Gesicht.
»Auf ein kurzes Wort, Schütze Rassor«, sagte sie, als die letzten
Mitglieder der Einserkompanie den Raum verließen und die Luke
hinter ihnen zufiel.
»Ja, Ma'am.« Er unterdrückte ein verlegenes Schlucken. Er hatte
begonnen, diese Frau zu hassen, weil er davon überzeugt gewesen
war, daß sie Ben verraten hatte. Jetzt hatte sich all das innerhalb
weniger Stunden von Grund auf geändert. Er hatte keinen Anlaß mehr,
sie zu hassen, er hatte herausgefunden, daß sie ein Freund war,
kein Feind, aber in seinem Herzen und seinem Verstand herrschte
noch einige Konfusion. Er hatte Mühe mit ihr zu reden. Die
Situation bereitete ihm Unbehagen.
»Ich weiß, daß du geglaubt hast, ich wäre verantwortlich für den
Tod deines Bruders, Harley. Wenn das auch weiter ein Problem
darstellen sollte, möchte ich es jetzt wissen, bevor wir
abspringen.«
Harley spürte, wie er vor Scham rot anlief. Er fuhr sich mit der
Zunge über die Lippen, während er nach den richtigen Worten suchte.
»Erlaubnis, frei zu sprechen, Ma'am?«
Oberleutnant Hawke verschränkte die Arme und lehnte sich etwas auf
dem Absatz nach hinten. »Erlaubnis erteilt, Schütze. Dieses
Gespräch bleibt unter uns.«
Er richtete sich auf und sah ihr in die Augen. »Es wird kein
Problem sein, Oberleutnant. Und ich entschuldige mich dafür, daß
ich Sie verdächtigt habe, etwas mit Bens Tod zu tun zu haben. Es
ist nur so, daß ... nun, Sie waren die einzige Überlebende des
Hinterhalts. Und als wir in Rectortown gegen die Piraten kämpften,
hat Ihr Mech kaum einen Kratzer abbekommen. Darüber hinaus hat
Oberleutnant Hershon mir ein Dokument gezeigt, in dem Sie als
Hauptverdächtige aufgeführt waren.«
Sie schüttelte kurz den Kopf. »Hershorn hat uns alle zum Narren
gehalten. Mich, dich, sogar den Kommandanthauptmann. Es war
ziemlich clever, wie er versuch hat, dich zu täuschen. Nach dem,
was wir in Erfahrung bringen konnten, hat er Hopper Morrrison seit
gut zehn Monaten geheime Informationen zugespielt. Hopper hat
allerdings erst kürzlich angefangen, sie gegen uns
einzusetzen.«
»Und als der Kommandanthauptmann Sie dann in die Wüste geschickt
hat, schien es alles zu bestätigen, was ich mir zurechtgelegt
hatte.«
Hawke zuckte die Schultern. »Das war nicht zu vermeiden. Der
Kommandanthauptmann wollte Hershorn die Königinmutter aller Lügen
unterschieben. Diese ganze Geschichte mit dem angeblichen Kontrakt
in der Lyranischen Allianz sollte für Hopper eine Verlockung sein,
der er unmöglich widerstehen konnte. Wie es scheint, hat das auch
funktioniert. Nachdem der Kommandanthauptmann mich wegschickte,
habe ich mit ausgewählten Agenten der Aces zusammengearbeitet,
damit das Gespenst nicht mitbekommt, was wirklich vorgeht. Er war
völlig außen vor, was Truppenbewegungen und die wahre Natur unserer
Mission betraf. Hauptmann Chou hat falsche Funkmeldungen lanciert,
die es so aussehen ließen, als würden wir uns in die Lyranische
Allianz absetzen. Kommandanthauptmann Able hat fälschungssichere
Verigraph-Ordern abgeschickt, damit wir die Aces in Position
manövrieren konnten, ohne daß diese Kanalratte von einem
Verräterschwein etwas davon mitbekommt.«
»Ich komme mir vor wie ein Vollidiot«, stellte Harley
fest.
»Dazu hast du keinen Grund. Hershorn hat einfach gute Arbeit
geleistet. Er hat so ziemlich jeden hinters Licht geführt. Selbst
der Kommandanthauptmann ist ihm eine Weile aufgesessen.«
»Wir können ihn nicht davonkommen lassen. Nicht nur der Einheit
wegen. Auch meine Familie will, daß er seine gerechte Strafe
erhält.«
»Genau wie ich. Ben war mir nicht gleichgültig. Ich bin sicher, im
Laufe deiner Erkundigungen hast du auch zu Tage gefördert, daß er
und ich eine besondere Beziehung hatten. Ich wünsche mir das
Gespenst mindestens genauso sehr ans unangenehme Ende einer PPK
geschnallt wie du.«
Harleys Verlegenheit war weitgehend verschwunden, aber der Gedanke
an den Oberleutnant im Bett mit seinem Bruder ließ seine Wangen
wieder auflodern. »Ich habe nichts davon gewußt, bis Sie fort
waren. Aber jetzt bin ich froh, daß Ben jemand wie Sie in seinem
Leben hatte. Er war immer so besessen von Mechs und seinem Ehrgeiz,
daß er die anderen Aspekte des Lebens möglicherweise zu weit
verdrängt hat. Er hat dem Rest der Familie nie etwas von Ihnen
erzählt.«
Das schien Hawke einen Stich zu versetzen. »Eigentlich dürfte es
mich nicht überraschen, daß er dir und deiner Familie nichts davon
erzählt hat. Wie du schon sagtest, er war so besessen, daß ich
manchmal auch das Gefühl hatte, daß ihm seine Datenblätter
wichtiger waren als ich. Aber es gab auch andere Momente, in denen
ich wußte, daß ich ihm etwas bedeutete. Dem Bruder war ein komplexer Charakter.«
»Stimmt«, bestätigte Harley und lächelte bei dem Gedanken an Ben in
besseren Zeiten. »Als wir noch Kinder waren, haben wir uns Kämpfe
wie diesen ausgemalt. Gut gegen Böse, um das Schicksal des
Universums Zu schade, daß er nicht mehr hier ist.«
Sie nickte. »Wir müssen das zusammen erledigen Harley. Wir müssen
das Gespenst zur Strecke bringen und wenn wir es nur tun, damit
Bens Tod und der Tod all der anderen in meiner alten Kompanie nicht
umsonst waren. Wenn Hershorn entkommt, sind sie für nichts und
wieder nichts gefallen.«
Harley verstummte. Er dachte an Hershorns Verrat. »Warum?« brach es
plötzlich aus ihm hervor. »Warum hat Hershorn das getan? Es ergibt
keinen Sinn.« Es würde ihm nicht helfen, sich besser zu fühlen,
wenn er die Antwort auf diese Frage wußte, und es konnte auch die
Toten nicht wieder ins Leben rufen. Aber etwas in ihm verlangte
nach einer Erklärung dafür, wie Menschen etwas derartiges tun
konnten.
»Wir werden es möglicherweise nie erfahren«, stellte Hawke leise
fest. »Die meisten Verräter tun es des Geldes wegen. Manche lassen
sich von Machtversprechen verführen oder weil man ihnen irgend
etwas anderes in Aussicht stellt, wonach sie verlangen. Ich habe
nie in Erfahrung bringen können, welches Motiv das Gespenst hatte.
Wir werden es herausfinden, wenn wir ihn erst gefangengenommen
haben.«
Harley nickte langsam. »Da ist noch etwas, was ich Sie fragen
wollte, Ma'am«, sagte er.
»Nenn mich Livia. Wenn wir unter uns sind, kannst du auf die
Förmlichkeiten verzichten. Und sag du zu mir. Ich habe es deinem
Bruder erlaubt, und nach dem, was wir durchgemacht haben, schätze
ich, daß ich dir dasselbe schulde.«
»Okay, Livia.« Ihm war noch nicht ganz wohl dabei, ihren Vornamen
zu benutzen. »Ich wollte dich fragen, wie du gemerkt hast, daß ich
dich verfolgt habe.«
Sie grinste. »Harley, ich bin in der Randgemeinschaft großgeworden.
Ich habe meine Kindheit und Jugend in den Gassen und Hinterhöfen
eines Dutzends Städten und Dörfern verbracht Ich habe dich in drei
Kneipen bei dem Versuch bemerkt, unter den Einheimischen nicht
aufzufallen.«
Harley verzog den Mund. »Ich dachte immer, ich wäre ein guter
Jäger.«
Sie lachte. »Aber sicher, in der Wildnis. Diesmal warst du in
meinem Revier.«
»Dann mußt du mir beibringen, wie man in deinem Revier jagt, Ma'am
... Livia.«
»Gemacht. Erst kümmern wir uns um das Gespenst. Dann entsaften wir
Hopper Morrison. Wenn wir das fertigbringen, kannst du noch eine
Menge von mir lernen. Aber jetzt wird es Zeit für
Gegenangriffsphase Eins.« Sie deutete zur Tür.
Harley ging voraus in den Mechhangar. Zum ersten Mal, seit er
erfahren hatte, was Ben auf dem Vogelsangkamm zugestoßen war,
fühlte er sich wirklich lebendig, und der Tod seines Bruders
lastete nicht mehr auf seinen Schultern.