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Kore-Lanciers-Basis, außerhalb Niffelheims, Kore Peripherie2. Mai 3060 »Kintaro? Der Oberst möchte Sie sehen.«
Sturm sprang auf und strich nervös seine Uniformjacke glatt, als der Adjutant des Oberst ihn ansprach. Er hatte das Gefühl, Stunden vor der Tür des Kommandeurs gewartet zu haben. Er wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab und zog die Schultern zurück, bevor er eintrat. In diesem Moment war er nervöser als bei dem Kampf mit Susie Ryan am Frostriesenpaß. Aber es kam ja auch nicht jeden Tag vor, daß der Kommandeur der Sturmreiter nach Kore kam.
Sturm trat in das kleine Büro und sah hinüber zu dem Mann hinter dem Schreibtisch, der hier in den letzten paar Tagen residiert hatte. Oberst Gerald Quinn hatte bei den lyranischen Streitkräften gedient, bevor er Kommandeur seiner eigenen Söldnereinheit geworden war. Obwohl er über vierzig war, besaß er noch einen durchtrainierten, schlanken Körper und eine militärische Haltung, die einem erheblich jüngeren Mann gut zu Gesicht gestanden hätte. In seinem hellblonden Haar fielen die ersten weißen Haare nicht auf, und die Falten um Augen und Mund ließen ihn nur noch eindrucksvoller erscheinen. Er trug eine frisch gestärkte Uniform im dunklen Blau der Sturmreiter und machte den Eindruck, daß er sich im Cockpit eines BattleMechs sehr viel wohler fühlte als hinter einem Schreibtisch.
»Kommen Sie rein, Kintaro.« Oberst Quinns Tonfall war locker und doch befehlend. Sturm trat ins Zimmer und nahm vor dem Schreibtisch Haltung an.
»Stehen Sie bequem.« Sturm entspannte sich ein
wenig und verschränkte die Hände im Rücken.
»Wie geht es Ihren ›Riesen‹?« fragte der Oberst.
Sturm gestattete sich ein Lächeln. Die Sturmreiter hatten seine
buntzusammengewürfelte Truppe von MechKriegeranwärtern nach der
Legende, die Sturm gegen die Piraten eingesetzt hatte und dem
Schauplatz ihrer Entscheidungsschlacht »Väterchen Frost und die
Frostriesen« getauft. Er war durchaus stolz auf diesen
Namen.
»Es geht Ihnen gut, Herr Oberst. Wir sind bereit, den Dienst
wiederaufzunehmen.«
Sturm war froh, daß der Rest seiner Leute die Schlacht am
Frostriesenpaß ohne schwere Verletzungen überstanden hatte. Nachdem
Susie Ryan einem Waffenstillstand zugestimmt hatte, hatten die
Lanciers den noch dazu fähigen Mechs von Ryans Rebellen gestattet,
sich aus dem Tal zurückzuziehen und zur Basis zu humpeln. Am
nächsten Tag waren die Piraten an Bord ihres Landungsschiffes
gestiegen und abgeflogen, und die Militärbasis war wieder in die
Hände der verbliebenen Lanciers übergegangen. Sie hatten
gesiegt.
Nur wenige Tage später hatten sie erfahren, daß das Landungsschiffs
Innana mit Sturmreitertruppen als
Verstärkung für die Lanciers im Anflug auf Kore war. Es hatte sie
gehörig überrascht, als sie hörten, daß Oberst Quinn, der
Kommandeur der gesamten Sturmreiter, mit einer vollen Kompanie
BattleMechs und Hilfspersonal an Bord war. Mit soviel Hilfe hatten
die Sturmreiter die Basis schnell wieder einsatzbereit bekommen und
die Schäden durch den Piratenüberfall repariert. Außerdem war ein
Kontingent der Söldnertruppen damit beschäftigt, das Clandepot nach
Informationen und Material zu durchforsten, das sich
abtransportieren ließ.
Aber Sturm und seine Leute hatten mit all dem wenig zu tun gehabt.
Sie hatten beinahe augenblicklich Erholungsurlaub bekommen, und
während sie sich von den Strapazen der letzten Wochen erholten
hatten sie vollständige Berichte über das Depot und den Angriff
durch Ryans Rebellen für den Befehlsstab Quinns angefertigt. Jetzt,
nachdem alle Informationen verarbeitet waren, kamen sie schnell
wieder zu Kräften, nicht zuletzt Sturm, der sich jetzt hier in
Oberst Quinns Büro wiederfand.
»Und wie geht es Ihrem Vater?« fragte der jetzt.
»Ganz gut, Herr Oberst«, erwiderte Sturm. »Er ist aus dem
Krankenhaus entlassen und wieder an der Arbeit. Die MedTechs sagen,
seine Verletzungen waren nicht ernsthaft, nur eine Ohnmacht durch
die Hitze im Cockpit und eine leichte Gehirnerschütterung durch den
Sturz.«
»Er ist zäh«, stellte der Oberst fest. Sturm grinste.
»Ja, Herr Oberst, das ist er. Ohne ihn hätten wir Ryans Rebellen
nicht besiegen können.«
»Ja, das habe ich Ihrem Bericht entnommen. Sagen Sie, wird Ihr
Vater ohne Sie hier zurechtkommen?«
»Herr Oberst?« fragte Sturm verwirrt.
Oberst Quinn lächelte, zum ersten Mal, seit Sturm das Büro betreten
hatte.
»Sie können ihm natürlich schreiben. HPGNachrichten aus der Freien
Inneren Sphäre kommen selbst nach hier draußen.«
»Der Freien...« wiederholte Sturm, dann unterbrach er sich, weil
ihm klar wurde, daß er sich wie ein Idiot anhören mußte.
»Ich erkenne Talent, wenn ich es sehe«, stellte Quinn fest. »Sie
und Ihre Frostriesen sind mit sofortiger Wirkung zur weiteren
Ausbildung von Kore auf unsere Heimatbasis versetzt. Sobald Sie
bereit dazu sind, werden Sie und Ihre Leute einen Einsatzauftrag
erhalten. Die Sturmreiter haben eine Menge Arbeit, nicht nur das
Babysitten konzerneigener Bergwerkskolonien, Kintaro. Immer
vorausgesetzt natürlich, daß Sie einverstanden sind?«
»Ich... natürlich, ich meine... Jawohl, Herr Oberst!« Sturm konnte
nicht anders, er mußte grinsen, und Oberst Quinn erwiderte das
Grinsen in gleichem Maße.
»Sie haben hier gute Arbeit geleistet, Kintaro. Deshalb befördere
ich Sie zum Oberleutnant mit Befehl über die FrostriesenLanze. Ein
paar Monate Training daheim, und Sie werden bereit für Ihren ersten
offiziellen Feldauftrag sein. Verschwinden Sie und sammeln Sie Ihre
Leute ein. Sie sollen sich zum Dienst melden. Danach können Sie das
Einschiffen der Mechs überwachen. Die haben Sie sich weiß Gott
verdient.«
Der Oberst hob einen Compblock vom Schreibtisch und reichte ihn
Sturm. »Das hat die HPGAnlage des Clandepots gestern
empfangen.«
Sturm nahm den Compblock entgegen. Auf dem Bildschirm leuchtete
eine kurze Botschaft: »VIEL VERGNÜGEN MIT EURER DIEBESBEUTE. WIR
FREUEN UNS BEREITS AUF DEN TAG, AN DEM WIR EINANDER AUF DEM FELD
DER EHRE GEGENÜBERTRETEN, BANDITEN.« Darunter prangte das Siegel
der Stahlvipern.
»Sie kommen nicht hierher?« fragte Sturm.
»Sieht nicht danach aus«, antwortete der Oberst und nahm den
Compblock wieder entgegen. »Wie es scheint, haben die Stahlvipern
wichtigeres zu tun, als sich um ein isoliertes Mechdepot mit
Garnisonsklassemaschinen hier draußen zu kümmern. Aber es ist
ziemlich klar, daß sie auch nicht gerade erfreut sind. Deshalb will
ich sichergehen, daß Sie diese ClanMechs behalten wollen. Sie sind ziemlich auffällig und werden Sie
zur Zielscheibe für jeden ClanKrieger machen, dem Sie über den Weg
laufen.«
»Wie Sie bereits sagten, Herr Oberst: Wir haben uns diese Mechs
verdient, sowohl mit den Leuten, die wir bei der Wiedereroberung
Kores verloren haben, wie mit denen, die diesmal bei seiner
Verteidigung gefallen sind. Ich habe vor, sie zu behalten. Aber was
wird, wenn wir fort sind? Was sollte die Clans daran hindern,
zurückzukommen?«
»Ich habe bereits eine neue Lanze für den Garnisonsdienst hier
eingeteilt«, stellte der Oberst fest. »Sowie mehrere zusätzliche
Hilfsfahrzeuge und Personal. Alfin will die Technologie in dem
Clanversteck studieren, das Sie gefunden haben, aber die Firma hat
sich in Anerkennung der mutigen Anstrengungen der Kore-Lanciers zum
Schutz ihrer Interessen bereiterklärt, die BattleMechs und den
größten Teil der Ausrüstung an uns abzutreten. Kore wird nicht
schutzlos zurückbleiben, und ich glaube kaum, daß die Clans sich
die Mühe machen werden, noch einmal hier aufzutauchen. Inzwischen
muß ihnen klar sein, daß es wenig Sinn hat, um diesen Felsklumpen
zu kämpfen. Sonst noch Fragen?«
»Nein, Herr Oberst. Danke, Herr Oberst.«
»In Ordnung. Wegtreten.«
Sturm salutierte, mache auf dem Absatz kehrt und ging zur
Tür.
»Und, Oberleutnant?« hielt Quinn ihn auf. Sturm blieb stehen, eine
Hand auf der Türklinke, und drehte sich um.
»Herr Oberst?«
»Gute Arbeit.«
Als Sturm das Büro verließ, fand er im Korridor Metz, Clancy und
Flannery vor, die auf ihn warteten. Er sah in die besorgten
Gesichter der drei MechKriegeranwärter, die er mit Stolz als seine
Waffenkameraden bezeichnen konnte. Als er ihnen die Neuigkeit
erzählte, schallte lauter Jubel durch den Korridor. Dann
marschierten Väterchen Frost und seine Frostriesen davon, einer
gemeinsamen Zukunft entgegen.