13
Jotunberge, Kore Peripherie14. April 3060
Karl Yaeger haßte Drecksarbeit. Sie war langweilig, eintönig und sinnlos, absolut nichts, womit sich ein MechKrieger hätte abgeben sollen, nicht einmal ein Raumpirat. Teufel auch, er war nicht MechKrieger geworden, um durch irgendeine Eiswüste zu stampfen und wissenschaftliche Daten für einen Haufen Eierköpfe zu sammeln. Er war ausgebildet, die gefährlichsten Kampfmaschinen des einundreißigsten Jahrhunderts zu steuern. Sein OmniMech verfügte über genügend Feuerkraft, um eine Stadt zu verwüsten, und jetzt spielte er hier auf einem tiefgefrorenen Höllenloch von einem Drecksplaneten den Scout, ohne zu wissen, wonach genau er eigentlich suchte.
Andererseits war Yaeger Soldat, und wenn er einen Befehl erhielt, dann befolgte er ihn. Besonders, wenn dieser Befehl von einer Frau wie Susie Ryan kam, seiner Kommandeurin und der »Königin« dessen, was von den Banditenkönigreichen übriggeblieben war, nachdem die Clans vor zehn Jahren wie ein Orkan über sie hinweggefegt waren. »Einauge« Ryan war die zäheste und gemeinste MechKriegerin, die er je getroffen hatte. Sie hatte es mit nicht mehr als Charisma, Entschlossenheit und hervorragendem taktischen Können geschafft, die Überreste der alten Banditenkönigreiche zusammenzuschmieden, und alle drei Fähigkeiten hatte sie wirksam gegen die Clans eingesetzt.
Ryans Rebellen hatten mit minderwertigen Mechs und überlegener Schläue mehrere Siege gegen Clan Jadefalke errungen. Diese Siege hatten den Rebellen Mechs wie den Uller eingebracht, den Yaeger jetzt steuerte. Das mußte ihnen der Neid lassen: Diese Clan-Bastarde wußten vielleicht nicht mehr, was es hieß, ein Mensch zu sein, aber sie bauten die besten Mechs, Machinen, die fortschrittlicher waren als alles, was in der Inneren Sphäre vom Band rollte. Der Uller war dem alten Commando, den Yeager vorher benutzt hatte, um Längen voraus. Er mochte seinen alten Mech, aber diesem Baby konnte er nicht das Wasser reichen. Die Konstruktionen der Nachfolgerstaaten waren in Jahrhunderten des Krieges hinter den Stand der Technik zur Zeit des Sternenbunds zurückgefallen, während die Clans ihre Maschinen weiterentwickelt hatten. Erst jetzt, Jahre nach der ClanInvasion, holten die Nationen der Freien Inneren Sphäre langsam auf.
Und was machen wir mit all dieser Supertechnik? fragte er sich. Wir benutzen sie, um irgendeinen Eisklumpen mitten im Nirgendwo zu übernehmen, machen ein paar leichte Mechs platt und verschwenden Tage damit, rumzurennen und ein paar eisverkrustete Gebirge zu kartographieren und mit den Sensoren abzutasten. Aber wenn Ryan das so wollte, dann tat Yaeger es auch. Er verstand es vielleicht nicht, aber er wußte, daß der Skipper irgendeinen Hintergedanken haben mußte. Bisher hatte sich noch jedes Unternehmen, das Susie Ryan in Angriff nahm, für ihre Männer zum Vorteil entwickelt, und sie ging nichts ohne einen Plan an, der ihr und den Rebellen einen guten Profit einbrachte, meist sogar einen ausgezeichneten.
Was es auch war, es würde mit zum leichtesten Gewinn zählen, den die Rebellen je gemacht hatten, soviel stand fest. Der Angriff auf die Mechlanze, die den Planeten verteidigte, war exakt wie geplant abgelaufen, geradezu wie geschmiert. Die wußten gar nicht, wie ihnen geschieht. Okay, der letzte Mech ist uns für eine Weile entkommen, aber weit kam der auch nicht.
Yaeger grinste, und sein Goldzahn funkelte im Licht des Sichtschirms, als er kichernd daran dachte, wie er den Thorn erledigt hatte. Das hatte Spaß gemacht. Zu schade, daß er den Piloten nicht erwischt hatte. Aber der mußte inzwischen auch so tot sein. Niemand konnte auf einer Welt wie der hier überleben, wenn sein Mech zerstört war und er keine richtige Ausrüstung besaß. Beinahe tat der Kerl ihm leid. So hätte Yaeger nicht sterben mögen, allein und gefangen in einer Eishölle. Wenn er abtreten mußte, sollte das im Kampf sein. Er hatte gehört, daß es in den Bergen auch noch Wölfe und anderes Viehzeug geben sollte. Möglicherweise war der Kerl gefressen worden, bevor er erfrieren konnte.
Das war übrigens nicht alles gewesen, was Yaeger gehört hatte. Ein paar der Techs und sogar die anderen MechKrieger hatten eine örtliche Legende aufgeschnappt, nach der es in den Jotunbergen spukte. Es wurde erzählt, daß geisterhafte Schemen eines ClanBattleMechs im und um das Gebirge aufgetaucht waren, seit die Truppen Clan Stahlvipers von den Söldnern aufgerieben worden waren, die Kore beschützten. Es hieß, einer der Clan-MechKrieger habe mit dem letzten Atemzug geschworen, sein Leben und das seiner Leute zu rächen, und jetzt gehe er tief nachts in den Bergen um und warte auf den Tag der Vergeltung.
Der Wind heulte um das Cockpit des Uller, und trotz der Hitze im Innern der Kanzel
spürte Yaeger plötzlich ein Frösteln. Die Sensoren zeigten eine
Außentemperatur deutlich unter Null an. Dieser
Planet ist mir unheimlich, dachte er und überprüfte die
Ortung. Die Modifikationen, die der asiatische Wissenschaftler
gemacht hatte, sollten helfen, große Metallablagerungen
aufzuspüren. Er hatte irgend etwas von der Suche nach günstigen
Standorten für Erzbergwerke gefaselt. Yaeger hatte keine Ahnung,
wonach sein Skipper damit suchte, aber er hoffte inständig, daß sie
es schnell fanden, damit sie diesem gottverlassenen Felsklumpen den
Rücken kehren und nach Hause fliegen konnten. Yaeger war lieber da,
wo etwas abging, nicht zwischen diesen riesigen schwarzen Bergen,
den Kopf voller Geistergeschichten. Mann
Gottes, wir leben im einunddreißigsten Jahrhundert. Wer, zum
Teufel, glaubt denn heute noch an Geister? Trotzdem
überprüfte er noch einmal die Sensorergebnisse.
He, was war das? Yaeger öffnete die Kommverbindung.
»Uller an Basis.
Ich habe irgendeine ungewöhnliche Hitzespur entdeckt. Ich seh' mir
das mal an.«
»Verstanden, Yaeger«, antwortete die Stimme aus den
Helmlautsprechern.
»Wahrscheinlich nur irgendein Dampfschlot oder ein Tier oder
irgendsowas. Ich laß' es euch wissen. Uller Aus.« Dieser verdammte
Planet macht mich nervös, dachte er. Kein Wunder, daß die Leute Geister sehen, bei all dem
magnetischen und Thermalmüll, der die Sensordaten
durcheinanderbringt. Er erhielt ständig falsche Meßwerte,
und vermutlich war das hier nur der nächste Fall in der bereits
ellenlangen Liste. Aber wenigstens unterbrach es die Monotonie. Er
drehte den Uller mit laut über den
gefrorenen Boden donnernden Metallfüßen herum und bewegte ihn auf
die Quelle der Sensordaten zu.
Sie war von Schnee bedeckt und schien im Innern einer recht großen
Felsspalte nicht weit vom Gebirge zu befinden. Das bedeutete, daß
es sich vermutlich um einen Dampfschlot handelte. Während der
Uller näher marschierte, fragte Yaeger
sich, was das wohl sein konnte, bis er sich an eine ähnliche
Thermalspur erinnerte, die er früher gesehen hatte. Das war in den
Bergen gewesen, unmittelbar bevor der Thorn Darneils Puma
überrascht hatte. Es war die Thermalsignatur eines unter einer
Schneedecke versteckten BattleMechs.
Plötzlich explodierten Eis und Schnee, und ein riesiger,
knochenweißer Mech stieg wie ein Gespenst aus der Bodenspalte auf.
Es war ein ClanMech, ein Goshawk mit
dem silbrigen Schlangenkopfsymbol Clan Stahlvipers. Die ausladenden
Schulterdecken und der kapuzenförmige Aufbau hinter dem Kopf
verliehen ihm das Aussehen eines Raubvogels. Der rechte Arm endete
im Lauf eines schweren Impulslasers, während die linke Hand ein
Waffenmodul mit drei MG-Mündungen hielt. Aus dem Mechtorso ragten
zusätzliche Laser- und Maschinengewehrläufe, und zwei kleine,
kastenförmige Raketenlafetten saßen auf den Schultern der Maschine.
Vor den schwarzen Bergen und gegen den weißen Schnee wirkte der
fahle Mech wie ein metallisches Skelett, und die Vorderseite seines
Cockpits war mit einem grinsenden Totenschädel bemalt.
Der Goshawk richtete den rechten
Armlaser auf den Uller. Energiebolzen
aus infernalischem grünen Licht zuckten in schneller Folge aus der
Mündung des S-Lasers und den zwei leichteren Impulslasern auf der
rechten Seite des Torsos. Sie schlugen hart bei Yaegers Mech ein,
verdampften mit ihrer gewaltigen Hitzeentwicklung die Panzerung.
Rote Warnlichter blinkten auf dem Schadensdiagramm des Piraten
auf.
Das Jaulen der Alarmsirenen riß Yaeger aus der Schreckenslähmung,
die ihn beim Anblick des Mechs erfaßt hatte. Er packte die
Kontrollen, bewegte den Uller zur Seite
und hob den eigenen Laser zum Gegenschlag. Gleichzeitig öffnete er
eine Kommverbindung zur Basis. »Uller
an Basis! Ich werde von einem feindlichen Mech angegriffen! Ein
Goshawk mit Stahlvipern-Insignien! Ich
wiederhole, werde angegriffen!«
»Wir schicken Verstärkung, Uller!« rief
die Stimme aus der Gegenstelle.
Yaeger nahm es kaum war. Er war zu sehr damit beschäftigt, mit dem
schweren Laser seines Mechs zu zielen und zu feuern. Ein grüner
Lichtstrahl schoß aus dem Lauf, aber der Goshawk war schon weg. Er flog aus der Bodenspalte
und rannte über die Tundra davon. Der Laserschuß ging weit am Ziel
vorbei. Der mittelschwere Impulslaser des Stahlviper-Mechs schälte
weitere Panzerung vom Torso des Uller
und arbeitete sich gefährlich nahe an die empfindlichen internen
Systeme vor.
Yaeger wirbelte seine Maschine herum, um den Goshawk zu verfolgen, und feuerte Autokanone und
KSR-Lafette ab. Ein Strom von Schnellfeuergranaten und
Kurzstreckenraketen donnerte auf den feindlichen Kampfkoloß zu. Er
sah wenigstens eine Rakete in die breiten Schulterabdeckungen des
Goshawk einschlagen und die Panzerung
zerbeulen, aber die Autokanone kam nicht einmal in die Nähe seines
Gegners. Die meisten Waffen des Uller
waren für Distanzgefechte ausgelegt. Um ihre volle Wirkung zum
Tragen zu bringen, brauchte Yaeger mehr Platz.
Die Ortung warnte vor anfliegenden Raketen, als der andere Mech die
KSR-Lafetten auf seinen Schultern abfeuerte. Die Raketen stürzten
pfeifend herab und detonierten gefährlich nahe an der Pilotenkanzel
des Uller. Die Druckwellen schüttelten
Yaeger durch und warfen ihn in die Gurte, während der Goshawk seine Sprungdüsen aktivierte. Wie ein
mechanisches Phantom schoß er auf Feuerzungen in die Höhe und
verschwand vom Sichtschirm. Yaeger bemühte sich, wieder klar im
Kopf zu werden, als die Statusanzeige mit kreischendem Alarm seine
Aufmerksamkeit beanspruchte. Die Raketentreffer hatten schweren
Schaden angerichtet. Teile der Torsopanzerung waren komplett
zerstört. Seine Maschine war plötzlich äußerst
verwundbar.
Wo ist er hin? fragte Yaeger sich.
Seine Ortung war kaum eine Hilfe. Durch die magnetischen und
thermischen Störungen in dieser Umgebung lieferten die Sensoren
jede Menge Geisterbilder und Fehlanzeigen. Yaeger suchte auf dem
Sichtschirm nach der feindlichen Maschine, aber es war zu dunkel.
Der Goshawk konnte sich irgendwo
zwischen den zerklüfteten Felsvorsprüngen verstecken, aber
ebensogut auch in einer anderen Schlucht oder Bodenspalte.
Wer ist dieser Kerl? Wo kommt der auf einmal
her?
Dann traf ein Laserschuß den Uller im
Rücken. Er bohrte sich glatt durch die dünne Panzerung, und die
Schadensanzeige meldete strukturelle Schäden auf der linken
Torsoseite. Es war kein Kampf entscheidender Treffer, aber doch
ziemlich herb. Yaeger drehte den Omni zu seinem Gegner um und
feuerte gleichzeitig mit Lasern und Autokanone. Die AK erzielte
einen Treffer und zog eine Einschlagspur über den Torso des
Goshawk, aber die Temperatur im Cockpit
des Uller stieg deutlich an. Yaegers
Haut war naß von Schweiß, und die Kühlweste arbeitete mit voller
Leistung, um seine Körpertemperatur zu senken. Der letzte Treffer
hatte seine Maschine einen Wärmetauscher gekostet.
Der feindliche Mech war wieder in Bewegung, rannte über die Tundra
davon. Yaeger zog das Fadenkreuz hinter ihm her und feuerte erneut
mit dem schweren Laser Die Lanze aus gebündeltem Smaragdlicht
verfehlte den Goshawk nur knapp. Er war
einfach zu schnell. Plötzlich wirbelte der BattleMech herum und kam
geradewegs auf den Uller zu, wurde auf
Yaegers Sichtschirm immer größer, als er mit fast neunzig
Stundenkilometern herandonnerte.
Es war zu spät, auszuweichen, also feuerte Yaeger statt dessen mit
allem, was er hatte. Laser- und Autokanonenfeuer krachte in den
Goshawk und schnitt schwarze Breschen
in die weißlackierte Panzerung. Der Angriff richtete Schaden an,
aber nicht genug, um den Sturmangriff fünfundfünfzig Tonnen
humanoiden Metalls aufhalten zu können.
Der Goshawk rammte eine seiner
Schulterabdekkung in den Rumpf des Uller. Yaeger kämpfte um die Kontrolle über seinen
Mech und konnte unter Mühe verhindern, daß der Uller auf den Rücken geworfen wurde, was ihn nahezu
hilflos gemacht hätte. Er ließ den Mech einen Schritt zurück
machen, um die Balance wiederzufinden, und stand jetzt gefährlich
dicht an der Bodenspalte, aus der sein Gegner aufgetaucht war. Auch
der Stahlviper-Mech trat einen Schritt zurück, und es wirkte fast,
als nehme er eine Kampfsporthaltung an. Die Clan-Neurohelme
verliehen den Bewegungen humanoider Kampfkolosse eine beinahe
natürliche Eleganz.
Der Goshawk richtete beide Arme auf den
Uller, den rechten, mit dem schweren
Armlaser, den linken mit dem gewehrartigen Aufbau aus schweren
Maschinengewehren. Yaegers Ortung heulte warnend auf, als sein
Gegner ihn mit den Waffen erfaßte. Yaeger versuchte auszuweichen,
aber es war zu spät. Der Impulslaser flammte auf, den Bruchteil
einer Sekunde später jaulten die MG auf. Ein Stakkato giftgrüner
Energiebolzen hämmerte auf das Cockpit der Piratenmaschine,
zerkochten die Panzerung und reflektierende Abschirmung, bevor der
Geschoßhagel die Hülle durchschlug und Yaegers Körper
zerfetzte.
Das letzte, was Karl Yaeger sah, war der grinsende Totenschädel des
Goshawk und das Emblem Clan
Stahlvipers. Sein letzter Gedanke war, daß er sich immer gewünscht
hatte, im Kampf zu fallen. Wenigstens würde er nicht irgendwo in
der Wildnis krepieren, erfroren oder von einem Raubtier gefressen.
Er starb einen Kriegertod.
Als der Puma und der Fenris eintrafen, war von dem Angreifer keine Spur
mehr zu sehen. Nur der Uller stand
stumm und einsam auf der gefrorenen Tundra wie ein von Wind und
Wetter zerfressenes, jahrhundertealtes Standbild. Seine Panzerung
war geborsten, zerschmolzen und verkohlt, an mehreren Stellen waren
Myomermuskulatur und Endostahlskelett der eisigen Luft ausgesetzt.
Das Cockpit war ein Trümmerhaufen aus geschwärztem Metall und
Plastik, von Einschüssen durchlöchert. Aus den Breschen und vom
rasch abkühlenden Leichnam des Piloten stieg noch Dampf in den
Nachthimmel.
Und auf dem Permafrostboden vor ihm prangte die mit Laser
eingebrannte grobe Darstellung eines Schlangenkopfs mit zum Biß
gebleckten Fangzähnen. Das Symbol des Clans Stahlviper.