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Planetares Hauptquartier Able's Aces, Gillfillan's Gold Randgemeinschaft, Peripherie18. Mai 3059
»Worauf wartest du, Rassor?« fragte BrevetOberleutnant Gunney Coombs und kaute auf seiner Zigarre, die sich ein wenig aufrichtete. »Brauchst du eine schriftliche Einladung? Mach endlich dein Gebot, Mann.«
Harley sah auf die Karten. Dann wanderte sein Blick über die anderen Mitglieder der Kompanie, die sich um den Tisch versammelt hatten. Blauer Dunst hing in der Luft, vermischt mit dem Geruch von Schweiß und Bier Jeder von ihnen hatte ein Glas vor sich stehen. Er hatte gehörig Spaß, mehr Spaß, als er sich seit dem Beitritt zu den Aces, seit Bens Tod, zugestanden hatte.
Das Spiel war neu für ihn, und er hatte die erster Partien gleich gewonnen. Deshalb war er dabei geblieben, aber jetzt schien sich sein Glück gewendet zu haben.
»Und?« knurrte Coombs wieder.»Ich überlege, Sir«, antwortete Harley und
starrte wieder auf die Karten in seiner Hand.
»Laß diesen ›Sir‹-Scheiß, Schütze. Bloß weil mir jemand ein
Oberleutnantsabzeichen auf die Schulter heftet, heißt das noch
lange nicht, daß ich im Grunde der Seele kein Feldwebel mehr bin.«
Coombs behagte sein neuer Rang als Kommandeur der Einserkompanie
nicht sonderlich. Obwohl er wußte, daß die Beförderung nur eine
Übergangsmaßnahme war, schien er nicht damit zurechtzukommen.
Vielleicht brach er deswegen heute nacht das Verbot der
Verbrüderung von Offizieren mit Mannschaftsgraden, oder
möglicherweise fand er auch daß es für ihre letzte Nacht auf
Gillfillan's Gold nicht galt.
»Nachdenken?« spottete er. »Nennt man rumsitzen und auf die Karten
starren jetzt so?«
Harley studierte ein letztes Mal seine Hand und entschloß sich, die
Logik in den Wind zu schießen. »Ich denke, Sie bluffen«, teilte er
Coombs mit.
»Und was ist mit mir?« fragte Jill Sutcliffe, die ebenfalls noch im
Spiel war. Bix hatte gepaßt, ohne auch nur darauf zu warten, was er
eintauschen konnte. Jord hatte zwei Runden durchgehalten, dann war
er auch ausgestiegen.
Harley sah sie an. »Du bluffst nicht, Jill. Du hast nur nichts
besseres als Affendreck auf der Hand.« Er drehte sich wieder zu
Gunney um. »Ich halte mit.«
Coombs grinste, und seine Zigarre ragte noch steiler in die Höhe.
»Dein Stil gefällt mir, Jungchen. Laß sehen, was du
hast.«
Harley breitete mit dem Versuch einer großen Geste die Karten vor
sich aus. »Zwei Paare, Dreien und Buben.«
Jill knallte ihre Karten auf den Tisch und machte sich nicht einmal
die Mühe, sie umzudrehen. »Schlimm genug, daß ich nichts als Müll
bekommen habe, kann mir das auch noch ein kleiner Schütze, der noch
naß hinter den Löffeln ist, am Gesicht ablesen. Ich weiß wirklich
nicht, was aus der Welt wird!«
Coombs schüttelte den Kopf. »Nicht vom Glauben abfallen, Jill, mein
Mädchen. Dieser Schütze leistet nur seinen Beitrag zu meinem
Ruhestand.« Er deckte seine Karten auf. »Ich habe auch zwei Paare.
Zehnen und Asse.« Mit einer ausladenden Geste zog er die Chips zu
sich auf den Haufen, der sich bereits vor ihm auftürmte. Er
kicherte leise. »Ich hatte schon immer was übrig für
Asse.«
Harley starrte ungläubig auf die Karten, dann sah er wieder hoch zu
Gunney. »Wie haben Sie das gemacht?«
Jord lachte laut. »Einfach, Harley. Er hat dich
reingelegt.«
Harley sah sich hastig um und stellte fest, daß alle anderen im
Zimmer, mit Ausnahme von Bixy, entweder schmunzelten oder offen
lachten. Er drehte sich wieder zu Coombs um und sah, daß der auch
grinste »Stimmt das?« fragte er.
»Du hast doch wohl nicht ernsthaft geglaubt, daß du die ganze erste
Stunde nichts als Glück hattest?« schalt ihn der Veteran. »Ich
wollte nur abwarten, bis du leichtsinnig wirst und ein bißchen
großzügiger mit dem ersten Soldbündel C-Noten um dich
wirfst.«
In Harley stieg die Wut hoch. Das überkam ihn ziemlich selten. Er
stand auf und wollte aus dem Zimmer stampfen, als Coombs sich
ebenfalls erhob und ihm die fleischige Hand auf die Schulter
legte.
»Nimm's dir nicht zu Herzen, Rassor. Es ist nicht mehr als eine
kleine Initiation, die hier bei uns in der Einserkompanie Tradition
ist. Du warst einfach an der Reihe, das ist alles.«
Harley war immer noch wütend, aber die Art, wie Kanones Hand auf
seiner Schulter lag, erinnerte ihn an seinen Da. Er wurde sofort
ruhiger, und plötzlich mußte er selbst lachen.
Coombs blies eine Fontäne aus Zigarrenqualm in die Luft. »Warum
spielt ihr Grünschnäbel die nächsten paar Runden nicht unter euch«,
erklärte er. »Ich möchte diesen Schützen mal kurz mit rausnehmen
und mich mit ihm unterhalten.«
Coombs deutete zur Tür, und Harley folgte ihm hin-aus in die kühle
Nachtluft. Er sog die frische, saubere Luft tief in die Lungen und
dachte daran, daß er diese Welt morgen verlassen würde. Danach
würde er lange Zeit nur Landungsschiffluft zu atmen bekommen, bis
sie ihr Ziel irgendwo in der Lyranischen Allianz erreichten, wo
immer das liegen mochte.
Coombs zog an seiner Zigarre, deren Glut in der Nacht matt
orangegelb leuchtete. »Es war eine Nacht wie diese«, sagte er und
starrte zu den Sternen am völlig wolkenlosen Himmel hinauf. »Genau
wie heute«, wiederholte er und wedelte mit der Zigarre zwischen den
Fingern zum Himmel. »Wir haben mit deinem Bruder Ben dasselbe
gemacht. Dieselbe Initiation, die du gerade durchgemacht hast. Er
hatte fast denselben Ausdruck auf dem Gesicht, als ihm klarwurde,
was los war. Ich glaube mich zu erinnern, daß es ihm etwas
schneller aufgegangen ist, aber er war ja auch etwas älter. In
jener Nacht sind wir auch hier raus gekommen und haben uns hier an
dieser Stelle unterhalten.«
»Es heißt, er war ein ziemlich guter MechKrieger«, erklärte Harley
und sah ebenfalls zu den Sternen hoch. Er fragte sich, welcher von
ihnen die Sonne war, um die sein Heimatplanet Slewis
kreiste.
»Das war er«, bestätigte Gunney. »Aber er war kein Heiliger,
Harley. Ich will weder ihm noch dir zu nahe treten, aber Ben hatte
eine unberechenbare Ader. Du hast sie auch, ich habe sie schon an
dir bemerkt. Aber du hast dich besser in der Gewalt. Ben, der hat
sich von seinen Gefühlen lenken lassen. Mehr als einmal hätte ich
ihm fast einen Tritt ins Gemächt versetzt. Und er hat sich auch
nicht in guter Gesellschaft herumgetrieben, mit Ausnahme des
Oberleutnants.«
Das schockte Harley. »Meinen Sie damit Oberleutnant Hawke?« Er
betete, daß Gunney von einem anderen Oberleutnant sprach...
irgendeinem anderen Oberleutnant.
Coombs nickte. »Ich weiß, daß du davon nichts gewußt hast, und es
hat dir gegenüber auch niemand erwähnt, aber Ben und Livia Hawke
waren liiert. Es ist nur so, daß wir uns bei den Aces nicht den
Mund über anderer Leute Privatleben zerreißen.«
Harley war, als wäre er gegen eine Mauer gerannt. Das war einfach
nicht möglich. »Sie machen Witze? Das kann doch nur ein schlechter
Scherz sein.«
Coombs blies eine weitere Rauchwolke in die Nacht. »Kein Witz,
Harley. Ben hat eine ganze Weile mit dem Oberleutnant zwischen den
Laken getanzt. Die meisten Mannschaftsgrade wußten nur
gerüchteweise davon. Ich habe sie einmal zusammen ausgehen
sehen.«
»Aber die Vorschriften ...«
Coombs schnaubte und hatte Mühe, ein Auflachen zu unterdrücken.
»Teufel, Rassor, wenn die Vorschriften so mächtig wären, würden wir
nicht einmal miteinander reden.«
Harley war wie in Trance. Er wußte nicht, was er denken sollte. Im
letzten Monat hatte er sich allmählich mit dem Verlust seines
Bruders abgefunden. Darüber hinaus hatte er fast jede freie Minute
mit dem Versuch zugebracht, die Wahrheit darüber herauszufinden,
was auf dem Vogelsangkamm tatsächlich geschehen war oder jemanden
zu finden, der wenigstens eine Andeutung machen konnte, wer Ben und
die anderen, die dort gestorben waren, in diesen Hinterhalt gelockt
hatte.
Er haßte Oberleutnant Hawke noch immer, aber seit sie den Befehl
über Kompanie Eins verloren hatte, dachte er nicht mehr so häufig
an sie. Trotzdem fühlte er sich durch ihre Versetzung betrogen,
denn das machte es schwieriger für ihn, die ganze Wahrheit über sie
herauszufinden. Jetzt wußte er nicht mehr, was er glauben, fühlen
oder sagen sollte. Livia Hawke und Ben Ein Paar?
»Warum?« wollte er wissen. »Warum erzählen Sie mir das?«
Coombs hob die Zigarre vors Gesicht und rollte sie eine Weile
zwischen den Fingern hin und her. »Weil du nicht dein Bruder bist.
Du hast Ben mit dieser Mörderjagd, in die du dich verbissen hast,
in dir wachgehalten, und es wird Zeit, daß du losläßt. Es ist schon
mehr als ein MechKrieger daran gestorben, daß er in der
Vergangenheit lebte. Du hast wirkliches Potential. Deine
Kompaniebewertungen liegen sogar noch höher als die mancher
Acerveteranen. Aber du schlägst eine Schlacht, die du nicht
gewinnen kannst, eine Schlacht mit der Vergangenheit.«
»Gunney, Ben war mein Bruder. Ich kann ihn nicht einfach
vergessen.«
»Das verlangt auch niemand, Rassor. Ich will damit nur sagen, daß
du dieselbe Beherrschung, die du im Cockpit zeigst, auch bei deinen
Gefühlen für Ben benötigst. Ich habe gehört, daß du glaubst, Hawke
hätte etwas mit seinem Tod zu tun. Sie hätte uns
verraten.«
Harley hatte den Eindruck, daß Gunney ihn in die Defensive zu
drängen versuchte, und das verwirrte ihn. »Richtig«, bestätigte et
»Alles deutet darauf, daß sie die Verräterin ist. Ich habe Berichte
gelesen, ich habe mit Leuten geredet. Wer sonst hätte das tun
können ... hätte die Aces verraten können?«
Coombs schüttelte den Kopf. »Du hast dich mit ein paar Leuten
unterhalten, hast ein bißchen gegraben. Aber ich habe etwas, das du
nicht hast. Ich habe Ben Rassor gekannt, und ich kenne Livia Hawke.
Sie hätte ihre eigene Kompanie ebensowenig zur Schlachtbank führen
können, wie sie sich einen Arm oder ein Bein abschneiden könnte.
Selbst wenn ihr Leben davon abhinge, würde sie niemals ihre Einheit
opfern. Schon gar nicht, wenn ihr Geliebter dabei wäre.«
Harley schüttelte den Kopf Ihm war, als hätten Kanones Worte die
Schlinge um sein Herz nur noch enger gezogen. »Was Sie mir sagen
wollen, ist, daß ich keinen Schritt näher an der Wahrheit bin, an
der Gerechtigkeit, die zu finden mein Da mich hierher geschickt
hat, als an dem Tag, an dem ich hier angekommen bin.«
»Nein, Schütze Rassor«, erklärte Gunney und sah Harley in die
Augen. »Was ich dir gesagt habe, ist, dass du weißt, wer die Aces
nicht verraten hat. In diesem Universum
schränkt das deine Suche gewaltig ein.«
»Und was mache ich jetzt?« fragte Harley.
»Du führst dein Leben. Ben hätte sich niemals derartig in deinen
Tod verbissen. Er hat sich nicht gerne an andere gebunden. Du, du
suchst dir Freunde, gute Freunde sogar. Irgendwann wirst du die
Wahrheit finden, und zwar, sobald du aufhörst, danach zu
suchen.«
Harley war verwirrter denn je zuvor, aber zugleich erinnerte ihn
etwas an der Art, wie Coombs mit ihr redete, an die Gespräche mit
seinem Da. »Danke, Gunney«, sagte er schließlich.
»Betrachte es als einen gutgemeinten Ratschlag von jemandem, der
zufällig verteufelt mehr zu sagen hat als du. Und jetzt würde ich
dir raten, dich in die Unterkunft abzuseilen und deine Sachen zu
packen. Wir rücken morgen zum Sprungpunkt ab, und du und deine
Kumpels sollten besser bereit sein, wenn es losgeht. Du willst
deinem Oberleutnant doch keine Schande machen, oder?«