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Kore-Lanciers-Basis, außerhalb Niffelheims, Kore Peripherie23. April 3060
»Du bist also Sturm Kintaro«, meinte Susie Ryan und musterte Sturm mit ihrem gesunden Auge von Kopf bis Fuß. »Seltsam, ich hatte mir dich irgendwie ... größer vorgestellt.«
Sturm knirschte mit den Zähnen, als er Ryans bösartiges Lächeln sah. »Groß genug, um einen Ihrer Mechs zu erledigen«, gab er zurück. »Und eine Menge Ihrer Leute.«
Ryans Miene verdunkelte sich augenblicklich, als habe sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. »Ja, und trotzdem stehen wir jetzt hier. Ich war mir ziemlich sicher, daß die Gefühle für die Schwierigkeiten deines Papis dich hierher locken würden, und ich hatte recht. Du darfst stolz auf deinen Vater sein, Sturm. Er hat versucht, mich davon zu überzeugen, daß es nicht funktionieren würde, daß du keinen Versuch unternehmen würdest, ihn zu befreien.« Sturm sah zu seinem Vater hinüber. Sieht er mich wirklich so, fragte er sich. Er wußte, daß seine Beziehung zu seinem Vater sicher nicht preisverdächtig war, aber trotzdem schockierte ihn die Vorstellung, Hidoshi könne glauben, Sturm würde ihn einfach sterben lassen.
»Jetzt, da du hier bist«, fuhr Ryan fort, »können wir uns darüber unterhalten, wo du warst und was du getrieben hast, seit meine Leute dich in den Bergen zurückgelassen haben, weil sie annahmen, du würdest da oben den Tod finden.«
»Dazu ist es ja nun nicht gekommen«, erwiderteSturm.
»Das läßt sich leicht korrigieren, falls du mir nicht
sagst, was ich wissen will.«
»Sie wissen ganz genau, daß ich das nicht tun
werde.«
»Sturm«, redete Ryan ihm in freundlichem Tonfall
zu. »Verstehst du eigentlich, wie so ein Verhör funktioniert? Ich
meine, verstehst du es? Du kannst
dich
jetzt tapfer geben und so trotzig auftreten wie du
willst, aber in Wahrheit wirst du mir
sagen, was ich
wissen will. Wenn nicht, werde ich deinen Vater foltern lassen.
Nicht dich. Selbst wenn du es ertragen
kannst, deinen Vater in solchen Schmerzen zu sehen,
und ich glaube nicht, daß du das schaffst, wirst du
mich anbetteln, mir alles erzählen zu dürfen, wenn
ich mit ihm fertig bin. Das ist keine Drohung, es ist
einfach nur eine Tatsachenfeststellung. Also, warum
ersparst du dir, und viel wichtiger, deinem Vater,
diese Peinigung nicht und beantwortest mir einfach
meine Fragen? Inzwischen muß dir klar sein, daß du
nicht gewinnen kannst.«
Sturm sah zu seinem Vater, dann zurück zu Susie
Ryan. Ihr ruhiger Blick wankte keine Sekunde.
Sturm sah, daß sie es ernst meinte. Sie würde Hidoshi, ihn selbst
und wen auch immer sonst noch mit
Freuden foltern, um zu bekommen, was sie wollte.
Und Sturm machte sich keine Illusionen über seine
Fähigkeiten, einer Folter standzuhalten. Früher oder
später ließ sich jeder brechen. Er hatte nicht viel
Wahl.
»Bevor ich Ihnen irgend etwas sage, sollten Sie
etwas erfahren.«
»Ach ja?« fragte Ryan und zog die Braue über ihrem gesunden Auge
hoch.
»Ja. Sie haben recht, es gibt ein Clan-Mechdepot
auf dieser Welt, und ich habe es gefunden. Aber die
Anlage hatte ein Alarmsystem, und als ich sie entdeckt habe, habe
ich es ausgelöst. Ein Hyperpulsgenerator hat schon vor Tagen eine
Nachricht in die
Clanzone geschickt. Die Stahlvipern wissen, daß jemand ihr Depot
entdeckt hat, und sind vermutlich
schon hierher unterwegs. Außerdem haben wir den
Generator dazu benutzt, Verstärkungen anzufordern.
Der Rest meiner Einheit weiß, was hier geschehen ist
und ist ebenfalls unterwegs.«
Die Miene der Piratenkönigin zeigte kaum eine
Regung, während Sturm ihr seine Eröffnung machte.
Als er fertig war, schenkte sie ihm ein giftiges Lächeln.
»Na, dann habe ich ja erst recht Grund, mich zu
beeilen. An meinen Plänen ändert das nichts, mit
dem einzigen Unterschied, daß ich die Informationen
sofort brauche und die Zeit für Plaudereien vorbei
ist.«
In diesem Moment fiepte das Kommgerät an
Ryans Gürtel. Sie hob das Gerät an den Mund, ohne
Sturm aus dem Auge zu lassen. »Ryan, ich höre.« »Skipper, wir haben
ein Signal aus den Bergen aufgefangen. Das, wonach wir Ausschau
halten sollten.« »Könnt ihr es anpeilen?«
»Jawohl, haben wir bereits. Den Koordinaten nach
liegt es in der Nähe des Gebirgstals, in dem wir den
Thorn abgeschossen haben.«
»Gute Arbeit«, meinte sie. »Die Männer sollen in
die Mechs steigen. Macht so viele Fahrzeuge bereit
wie möglich. Wir rücken sofort aus. Ich bin unterwegs. Ryan
Aus.«
Als sie das Kommgerät wieder an den Gürtel
hängte, lächelte Susie Ryan Sturm triumphierend zu.
»Sieht aus, als wäre unser Gespräch nicht mehr nötig. Mein
ursprünglicher Plan scheint doch noch
funktioniert zu haben. Es freut mich zu sehen, daß
nicht alle Bewohner dieses Hinterwäldlerplaneten so
dickköpfig und kurzsichtig sind wie du und deine
kleine Bande. Dieses Signal hat uns die genaue Lage
des Clandepots verraten, das ihr als Stützpunkt benutzt. Wir werden
es in Kürze in einem Überraschungsangriff erobern, und dann werden
diese fünf
Mechs und die gesamte Ausrüstung mir gehören. All
dein Widerstand und deine ganzen Kämpfe waren
völlig nutzlos.«
Ryan zog die Pistole aus ihrem Holster, eine
schlanke Laserpistole, und schob den Lauf unter
Sturms Kinn. Er versuchte sein Bestes, unter der Berührung des
kalten Metalls nicht zusammenzuzukken. Ryan stieß seinen Kopf mit
einem leichten
Druck auf seine Kehle nach hinten.
»Genaugenommen«, erklärte sie leise, »habe ich
für dich keine weitere Verwendung. Ich sollte dich
einfach hier und jetzt erschießen. Zu deinem Glück
bin ich aber gerade in großzügiger Stimmung. Möglicherweise kannst
du mir noch ein paar Details über
das Depot und die Mechs liefern, wenn ich sie erst in
meinen Besitz gebracht habe. Also lasse ich dich leben. Vorerst.«
Die Laserpistole wurde zurückgezogen, und Sturm kämpfte gegen den
Drang an, den
Kopf zu schütteln und die Erinnerung an deren Berührung zu
verdrängen. Ryan warf den Kopf zu den
Piraten in ihrer Begleitung herum.
»Einsperren«, befahl sie. »Wir können diese Unterhaltung
fortsetzen, wenn wir mit meinen neuen
Mechs zurück sind.«
»Jawohl!« bestätigten die Piraten und stießen
Sturm und dessen Vater mit den Gewehrläufen vor
sich her. Ryan trat beiseite und öffnete die Tür einer
der anderen Zellen. Sturm und sein Vater gingen hinein, und die Tür
schloß sich mit einem lauten Knall
hinter ihnen.
»Bis bald«, verabschiedete Ryan sich lächelnd und
verließ den Kerker mit einem laut durch den engen
Korridor hallenden Lachen. Einer der Piraten blieb
vor der Zelle als Wache zurück.
»Sturm, es tut mir leid«, sagte Dr. Kintaro. »Du
hättest wegen mir nicht herkommen sollen.« »Das mußte ich, Vater.
Ich konnte dich nicht ein
fach umkommen lassen.«
»Das hättest du aber tun sollen«, stellte Hidoshi
mit ernster Stimme fest. »Deine Leute sind wichtiger. Das habe ich
von deiner Mutter gelernt.« Sturm erkannte, daß sein Vater dieselbe
Meinung
vertrat wie vorher Krenner. »Dann bin ich vielleicht
doch nicht ganz wie Mama«, erklärte er. »Ich konnte
dich nicht einfach zurücklassen, solange eine Chance
bestand, etwas zu unternehmen.«
»Aber es hat dir nichts gebracht«, meinte Hidoshi.
»Jetzt braucht deine Einheit dich, und du kannst ihr
nicht helfen.«
»Ich würde nicht so schnell aufgeben. Wir sind
noch nicht fertig. Es mag sein, daß ich sehr nach
meiner Mutter schlage, aber das ein oder andere habe
ich auch von meinem Vater mitbekommen.« Er lächelte.
»Wie?« fragte Hidoshi und sah seinen Sohn fragend an.
»Grips«, erwiderte Sturm leise. Er schaute auf seine Uhr. Nicht
mehr lange. Er hoffte nur, daß es lange
genug war. »Wart's ab. Es wird noch ein paar Minuten dauern. Ich
kann nur hoffen, daß uns das genug
Zeit läßt.«
»Sturm ...« setzte Hidoshi Kintaro an. »Danke, daß
du gekommen bist, um mich hier herauszuholen. Ich
war nicht immer mit den Entscheidungen einverstanden, die du in
deinem Leben gemacht hast, aber du
sollst wissen, daß ich immer stolz auf dich war.« Sturm lächelte
und berührte den Arm seines Vaters. »Danke«, sagte er. »Das
bedeutet mir eine Menge. Wir haben noch ein paar Minuten.
Dann
müssen wir folgendes tun ...«
Die Minuten verstrichen schmerzhaft träge, aber
Sturm hoffte, daß der Zeitraum lang genug war, damit die
Piraten-Mechs sich auf den Weg nach Shangri-La machen konnten. Zeit
genug, um sie eine gewisse Entfernung von der Basis erreichen zu
lassen.
Neben der Zellentür kauernd beobachtete er das Verstreichen der
letzten Sekunden auf seiner Armbanduhr. Fünf Sekunden, vier, drei,
zwei, eine ... »Jetzt«, flüsterte er.
Die Detonationen erschütterten die Basis. Eine
schnelle Serie dumpfer Explosionen, die man bis in
den Tiefkeller des Zentralgebäudes hören konnte, in
dem Sturm und sein Vater festsaßen. Das ganze Gebäude erzitterte,
und alle Lichter gingen aus. Abrupt
herrschte beinahe völlige Dunkelheit. Innerhalb weniger Sekunden
flammte die Notbeleuchtung im Korridor auf, aber vorher war Sturm
schon in Aktion. Die Minipistole in seinem Stiefelschaft
genügte,
um das Schloß der Zellentür zu zerschießen. Sturm
trat sie mit genug Wucht auf, um den Piratenposten
zu treffen, der entgeistert vor der Zelle stand und
versuchte, sich in der plötzlichen Dunkelheit und
dem Lärm zurechtzufinden. Die Tür knallte gegen
seine Schulter und warf ihn um. Sturm sprang in den
Flur und versetzte dem Mann eine harte Gerade. Er
sackte zusammen.
Sturm hob das Gewehr des bewußtlosen Wächters
auf und reichte seinem Vater die kleinere Pistole.
Hidoshi nahm sie entgegen, als würde sein Sohn ihm
eine Giftschlange hinhalten, dann riß er sich zusammen und packte
fester zu. Sturm sah zu seinem Vater
hinüber, dessen Gesicht in der schwachen Notbeleuchtung kaum zu
erkennen war. In der Ferne hörte
man Alarmsirenen gellen.
»Los«, sagte er, dann rannte er in Richtung Treppenhaus, seinen
Vater dicht hinter sich.
In der Basis herrschte reines Chaos. Die Sprengladungen, die Sturm
auf dem Hinweg plaziert hatte,
hatten den Hauptgeneratorschuppen zerstört. Zugleich waren noch an
mehreren anderen Punkten im
Außenbereich der Basis Sprengladungen hochgegangen, unter anderem
am Zaun. Bewaffnete Piraten
rannten wild durcheinander und suchten nach Spuren
von Eindringlingen oder Angreifern. Es war deutlich
zu erkennen, daß momentan niemand eine Ahnung
hatte, was los war, und niemand die Lage unter
Kontrolle hatte. Das machte die Sache einfacher. »In Ordnung«,
stellte Sturm fest, als er und Hidoshi beim Ausgang des
Treppenhauses kauerten. »Wir
versuchen, den Fahrzeughangar zu erreichen und
schnappen uns das erste Gefährt, das wir finden können. Ich werde
uns den Weg freimachen, so gut ich
kann. Wenn sich uns jemand in den Weg stellt, erschieß ihn. Bleib
auf keinen Fall stehen, was auch
geschieht. Okay?«
Sein Vater nickte. »Ich verstehe.«
»Dann los.« Sturm trat die Tür auf und sprang
hindurch, als gerade ein bewaffneter Pirat den Korridor
herabgerannt kam. Er gab einen Feuerstoß aus
seinem Gewehr ab, und der Mann brach tot zusammen. Die beiden
Kintaros rannten los, ohne sich umzusehen.
Das Lager war ein Hexenkessel. Männer und
Frauen rannten kreuz und quer durcheinander, und in
mehreren der äußeren Gebäude war Feuer ausgebrochen. Sturm und sein
Vater brachen im Galopp aus
dem Hauptgebäude und nahmen sofort Kurs auf den
Fahrzeughangar.
»He!« rief jemand in ihrer Nähe. Sturm gab einen
Feuerstoß in seine Richtung ab. Ob er sein Ziel getroffen oder den
Piraten nur veranlaßt hatte, in Dekkung zu gehen, konnte er nicht
sagen, und es interessierte ihn momentan auch nicht. Aber der Ruf
und
das Gewehrfeuer hatten die Aufmerksamkeit anderer
Rebellen erregt, und mehrere von ihnen kamen in
ihre Richtung gelaufen.
»Nicht anhalten!« rief Sturm. Er wirbelte herum
und feuerte eine Kugelsalve, die funkensprühend
vom Stahlbetonplatz und den Gebäuden abprallte
und ihre Verfolger in Deckung hechten ließ. Irgend
jemand erwiderte das Feuer, und eine Reihe von
Querschlägern schnappte nach Sturms Knöcheln. Er
hastete weiter zum Fahrzeughangar.
Die Seitentür stand offen, und Hidoshi stand kurz
dahinter. Auf dem Boden wälzte sich ein Pirat und
preßte die Hände auf eine blutige Wunde in seiner Seite. Hidoshi
stand wie gelähmt da und starrte auf den Verletzten, während ein
anderer von Ryans
Männern durch das offene Haupttor hereinrannte. »Papa!« rief Sturm
warnend. Er sprang durch die
Tür und erschoß den Piraten, bevor der feuern konnte. Dr. Hidoshi
Kintaro zuckte zusammen und drehte
sich zu seinem Sohn um.
»Danke«, sagte er.
»Das ist der zweite, den du mir schuldest«, grinste
Sturm zurück.
Der jüngere Kintaro lief zu einem Schneemobil
und zog es aus der Abstellbucht. »Hilf mir mal«, forderte er seinen
Vater auf. Zusammen wuchteten sie
das kleine Fahrzeug ins Freie. Als Sturm ein Bein
über den Sitz schwang, sah Hidoshi einen Raumpiraten um den
aufstehenden Torflügel kommen. Reflexartig hob er die Waffe und
schoß. Er verfehlte sein
Ziel, aber der Querschläger jagte den Mann in Dekkung. Sturm sah
überrascht hoch.
»Danke.« Er feuerte das Sturmgewehr ab, um den
Piraten unten zu halten.
»Den schuldest du mir«, stellte Hidoshi
trocken fest. Sturm zog das Gewehr von der Schulter und reichte es
seinem Vater nach hinten. »Gib uns Deckung.
Wir verschwinden von hier.«
Hidoshi nahm die Waffe, und Sturm ließ den
leichten Zweisitzer mit einem Tritt auf den Kickstarter an. Der
Planetologe kletterte hinter seinem
Sohn auf den Sitz. Mit einer Hand hielt er das Gewehr, mit der
anderen klammerte er sich an Sturm. Der gab Gas, und das
Schneemobil schoß auf wirbelnden Ketten nach vorne und schlidderte
über den Beton. Als sie aus der Deckung des Hangars donnerten,
versuchte der Pirat am Tor, sie aufzuhalten, aber Hidoshi feuerte
mit dem Gewehr in seine Richtung. Der Rückstoß warf ihn beinahe vom
Sitz, aber er schaffte es mit Mühe, sich festzuhalten. Wenigstens
eine Kugel mußte den Piraten getroffen haben, der gegen die
Hangarwand geworfen wurde, zu Boden
sackte und sich nicht mehr rührte.
Das Schneemobil rutschte über die wenigen Meter
Betonplatz, dann schoß es hinaus in die schneebedeckte Tundra. Die
Ketten schleuderten einen feinen
Nebel aus Schnee hoch, und sie nahmen schnell
Fahrt auf, während sie sich der Lücke im Außenzaun
näherten. Inzwischen hatten noch weitere Piraten den
Fluchtversuch bemerkt und kamen über den Betonplatz gelaufen.
Gewehrfeuer schlug um das rasende
Schneemobil ein, das Sturm auf einem Zickzackkurs
in Richtung Freiheit bewegte.
»Festhalten und Kopf runter!« schrie er gegen den
peitschenden Fahrtwind an. Hidoshi tat sein Bestes.
Das Gewehr nützte ihm momentan überhaupt nichts.
Auf dem Rücksitz des rasenden, ständig ausbrechenden Schneemobils
konnte er nicht einmal zielen. Das
Gefährt jagte durch die Bresche im Zaun und über
den Schnee. Hinter ihnen verstummten langsam die
Schüsse.
»Wu-hu!« juchzte Sturm, als sie über die Schneedecke
donnerten.
»Freu dich nicht zu früh, mein Sohn!« rief Hidos
hi. »Da!«
Sturm sah über die Schulter. Einige der Piraten
hatten bereits die Verfolgung aufgenommen.