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Kore-Lanciers-Basis, außerhalb Niffelheims, Kore Peripherie11. April 3060
Sturm kletterte die Kettenleiter zum Cockpit des Thorn hoch. Er zitterte etwas in dem eisigen Wind, der durch die offenen Hangartore blies. Oben angekommen, schwang sich der junge MechKrieger ins Cockpit und ließ sich auf die gepolsterte Pilotenliege sinken. Er warf einen Kippschalter um, und die Cockpitluke schloß sich mit einem Zischen, dem ein sattes Wummern folgte, als die Verriegelung einschnappte. Automatisch flammte die Innenbeleuchtung auf und badete die Kanzel in fahlem Licht. Der Sichtschirm wurde hell und zeigte die auf 120° komprimierte 360°-Rundumsicht um den Mech. Über dem Schirm lag eine Sichtprojektion mit technischen Daten, während mehrere Hilfsmonitore zusätzliche Informationen über Waffen und sonstige Systeme lieferten. Alles war in bestem Zustand.
Sturm griff nach oben und zog den Neurohelm herab, ein Schlüsselelement in der Steuerung eines Kampfkolosses. Der Helm war ein ausgesprochen wuchtiges Gebilde mit offenem Visier und dicken Kabelleitungen, die ihn mit dem Bordcomputer des Thorn verbanden.
Eine der größten Anfangsschwierigkeiten bei der Entwicklung von BattleMechs hatte in dem Problem bestanden, die riesenhaften Kampfmaschinen aufrecht zu halten. BattleMech-Myomerfaserbündel funktionierten ganz ähnlich wie menschliche Muskeln, indem sie sich auf elektrische Spannungssignale hin zusammenzogen oder entspannten. Das gestattete dem Mech, sich fast wie ein Lebewesen zu bewegen. Aber durch das Fehlen der von einem lebenden Gehirn ständig unterbewußt gelieferten minimalen Ausgleichsbefehle verfügte ein zehn oder zwölf Meter hoher BattleMech nicht einmal über das Gleichgewicht und Koordinationsvermögen eines fünfjährigen Kindes. Wenn seine Bewegungen nicht genau aufeinander abgestimmt waren, kippte ein Mech einfach um. Ein Teil der notwendigen Gegensteuerung wurde von einem internen Gyroskop und einer Reihe hochkomplexer Bewegungsmodelle im Bordcomputer geliefert, die dem Mech menschenähnliche Bewegungen gestatteten.
Den Rest der Balance lieferte der MechKrieger im Cockpit der Maschine. In mehr als nur einer Hinsicht war der Mechpilot das »Gehirn« des Mechs. Im Innern des Neurohelms lagen mehrere Kontaktpflaster fest an der Kopfhaut des Trägers auf. Sie speisten Nervenimpulse aus dem Gehirn des Piloten in die Steuersysteme des BattleMechs. Die Hauptfunktionen der Kampfmaschine mußten weiter manuell gesteuert werden. Das Neurofeedback war nicht weit genug entwickelt, um das System zu einem primären Kontrollsystem ausbauen zu können. Aber es reichte aus, um dem Bordcomputer den Rückgriff auf den Gleichgewichtssinn des Piloten zu gestatten. Mit dieser Unterstützung durch den Neurohelm bewegte sich der Metallgigant entsprechend den Befehlen seines Piloten fast wie ein lebendes Wesen.
Sturm zog sich den Neurohelm über den Kopf und stöpselte die Medsensorstecker in die vier Buchsen unter seinem Kinn. Die Kontrollen leuchteten grün auf, und er fühlte das vertraut seltsame Kitzeln im Hinterkopf, als die Neuralsysteme aktiviert wurden und die Gleichgewichtszentren seines Gehirns mit den Antriebssystemen des Thorn koppelten. Gleichzeitig tastete der Helm Sturms Gehirnwellenmuster ab. Sie waren ein Teil des »Schlüssels« zu seinem Mech. Er befestigte den Helm an den Schulterpolstern der Kühlweste.
Auf dem Sichtschirm blinkten die Worte PASSCODE
EINGEBEN auf.
»Jennas Traum.« Auf dem Schirm blinkte zweimal PASSCODE AKZEPTIERT
auf, dann erwachte die riesenhafte Kampfmaschine zum Leben. Auf dem
Sichtschirm erschien wieder das Innere des Mechhangars, während
Sturm die Bordsysteme überprüfte und die Verbindungen der Maschine
zum Wartungskokon löste. Er schob den Steuerknüppel vor, und der
Metallriese bewegte sich langsam vor. Seine Schritte donnerten auf
dem Stahlbetonboden der Halle. Sturm lenkte den Mech aus dem Hangar
und in schnellem Trab zum Landefeld.
Mit einem Knopfdruck öffnete er die Kommverbindung.
»Zentrale von Kintaro. Bin auf dem Weg zum Landefeld. Ende.« Aus
Sturms Helmlautsprecher drang ein lautes Knistern.
»Kkkkssssrtttt ... Verstanden, Kintaro ... bsssst ... gehen ...
sssssssstttttt«
»Bitte wiederholen, Zentrale. Ich kann Sie kaum
verstehen.«
»Tut mir leid, Sturm«, krachte die Stimme in seinen Ohren. »... Wir
haben ein ... kkksssssttt ... Schwierigkeiten mit dem Kommsystem
... kkkkkrrrrrrrrkkk ... suchen nach der Ursache.«
»Vielleicht magnetische Interferenzen«, schlug Sturm vor. Sein
Vater ließ sich ständig über Kores ungewöhnlich starkes Magnetfeld
aus, das immer wieder für Probleme mit der elektronischen
Ausrüstung sorgte. Sturm selbst war schon mehr als einmal von
falschen Magnetabtastungen durch konzentrierte Metallablagerungen
in manchen Felsformationen zum Narren gehalten worden.
»Wahrscheinlich liegt es an dem ganzen Müll aus zweiter und dritter
Hand, mit dem wir hier abgespeist werden«, mischte sich eine dritte
Stimme ein.
»Hallo, Lon«, antwortete Sturm. »Freut mich, daß du dir die Mühe
gemacht hast, uns Gesellschaft zu leisten.« Er vergrößerte die
Silhouette von Volkers aus dem Mechhangar trottenden Panther auf dem Sichtschirm. Der schlanke graue
Mech war eine humanoide Konstruktion wie sein eigener Thorn, aber etwas schwerer und mit einer
Partikelprojektorkanone in einem Arm bestückt.
»Ich kann dich doch nicht ganz allein gegen diese Frachtcontainer
losziehen lassen, Kleiner«, gab Volker zurück. »Das könnte zuviel
für dich werden.«
»In dem Falle würde ich vorschlagen, daß Sie beide das Gelaber
einstellen und Ihre Ärsche hier rausbewegen«, wurden sie
unterbrochen. »Die Tammuz ist im
Landeanflug.« Der Tonfall der Aufforderung war freundlich, aber mit
einer Spur von Härte unterlegt.
»Jawohl, Herr Oberleutnant« reagierte Sturm zakkig. Volkers
Bestätigung fiel beim selben Wortlaut deutlich legerer
aus.
»Und, Volker«, sprach Oberleutnant Holt weiter. »Vergessen Sie
nicht, daß Sie auch noch nicht viel länger in einem Mechcockpit
sitzen als Kintaro und er Sie bei den letzten Manövern deutlich
geschlagen hat.« Sturm grinste, als plötzliche Schweigen in der
Kommleitung herrschte. Anscheinend wußte Volker darauf keine freche
Antwort.
»Zentrale«, meinte Holt. »Arbeiten Sie weiter am Kommsystem. Wir
gehen die Tammuz begrüßen. Vielleicht
kann sie mit ein paar Techs aushelfen. Wir halten Sie auf dem
laufenden. Ende.«
»Verstanden«, krachte es aus dem Lautsprecher. »Ende.«
Sturm bewegte seinen Mech in Richtung Landefeld, dicht gefolgt von
Volkers Panther. Plötzlich rannte der
andere Mech an ihm vorbei über das gefrorene Gelände.
»Du hast den Oberleutnant gehört«, rief Volker. »Bewegung!« Sturm
schüttelte lachend den Kopf. Volker konnte es einfach nicht lassen.
Es bestand keinerlei Notwendigkeit zu hetzen, und auf dem
winterharten Boden von Kore war es nicht ungefährlich, sich zu
schnell zu bewegen. Selbst Metallriesen wie die BattleMechs konnten
auf dem schnee- und eisbedeckten Untergrund ausrutschen, wie Sturm
aus bitterer Trainingserfahrung noch gut in Erinnerung hatte. Er
ließ Volker vorausrennen und beschleunigte selbst nur ein wenig. Es
war besser, seine Sache gut zu machen und in einem Stück
anzukommen, als sich unnötig zu produzieren. Aber wenn er sich
danach besser fühlte, sollte Volker ruhig seinen Spaß
haben.
Er konnte die Tammuz schon auf dem
Sichtschirm erkennen. Das Landungsschiff senkte sich langsam dem
Stahlbetonlandefeld entgegen. In der Nähe warteten zwei weitere
BattleMechs wie stumme Wachtposten und beobachteten den Himmel.
Einer von ihnen war Oberleutnant Holts Centurion, ein Mech desselben Typs, in dem Sturm an
diesem Morgen trainiert hatte. Der fünfzig Tonnen schwere
Kampfkoloß war mit einer anständigen Waffenausstattung bestückt,
deren Hauptkomponente die Autokanone im rechten Arm war. Nicht weit
entfernt stand Hans Brinkmanns Javelin.
Im Vergleich zum Centurion war der
30t-Mech von breiter, gedrungener Statur. Sein aufgeblähter Torso
enthielt zwei Lafetten mit Kurzstreckenraketen, die ihm auf geringe
Entfernung eine beträchtliche Schlagkraft verliehen. Beide
Maschinen waren im weißgrauen Standardtarnschema der Kore-Lanciers
bemalt.
Von den meisten Einheiten der Freien Inneren Sphäre wären die
Lanciers als Scoutlanze klassifiziert worden. Der Centurion war ihr schwerster Mech, und selbst der
war von seiner Gewichtsklasse her nur eine mittelschwere Maschine
und im Vergleich zu Monstern wie einem Atlas oder einer Banshee geradezu kümmerlich.
Die drei anderen Piloten steuerten nur leichte Mechs. Aber sie
waren alles, was Kore an Verteidigern besaß. Es machte nun mal
wenig Sinn, einer so isolierten Welt am Rande des erforschten
Weltraums und ohne größeren strategischen Wert eine komplette
Mechkompanie aus zwölf Maschinen oder auch nur eine mittelschwere
oder schwere Lanze als Garnison zuzuteilen.
Alfin war interessiert am Schutz Kores, aber der Konzern wollte
auch kein Geld verschwenden. Deshalb mußten die Lanciers häufig mit
zweitklassiger Ausrüstung und entsprechendem Nachschub auskommen.
Kore war einfach keine wichtige Garnison. Wahrscheinlich hat Volker recht, dachte Sturm.
Das Kommsystem ist gebrauchter Schrott.
Deshalb funktioniert es nicht.
Und dieTammuz ist auch nicht viel
besser in Schuß, ging ihm durch den Kopf, als das riesige
Landungsschiff auf dem Sichtschirm aus einem hellen Punkt zu einer
vertrauten Silhouette anwuchs. Das Schiff war eine gewaltige
Metallkugel von gut achtzig Metern Durchmesser, mit einem
abgeflachten Heck, an dem vier mächtige Lenkdüsen um den zentralen
Fusionsantrieb angeordnet waren. Es hatte die Triebwerksdüsen
bereits senkrecht nach unten gedreht und bremste den Sinkflug der
aber dreitausend Tonnen Metall durch die Atmosphäre des Planeten
mit genau dosierten Schubstößen. Die Metallhülle des Schiffsrumpfs
war von Dellen und Kratern übersät, Spuren von
Mikrometeoriteneinschlägen und Atmosphäreeinwirkungen. Die Bemalung
war flekkig und zerkratzt, und das ganze Schiff wirkte alt und
verbraucht. Und trotzdem war es ein beeindruckender Anblick. Obwohl
er gewohnt war, mit den riesigen BattleMechs zu arbeiten, raubte
Sturm die schiere Größe des Landungsschiffs immer noch den
Atem.
Normalerweise kamen keine Schiffe der UnionKlasse wie die
Tammuz auf Planeten wie Kore. Die
Tammuz hatte in ihren gewaltigen
Laderäumen Platz für eine ganze Kompanie BattleMechs und
Jägerunterstützung, mehr als genug Raum für den Nachschub, den eine
so kleine Kolonie benötigte. Aber auf Kore landeten nur selten
Versorgungsschiffe, und es stand immer eine volle Ladung
verarbeitetes Erz fertig verpackt in Frachtcontainern bereit zur
Verschiffung zurück zu den Alfin-Werken in der Inneren Sphäre.
Sturm beobachtete das sich herabsenkende Schiff, während er in
seinem Mech über die gefrorene Tundra stampfte, und träumte von dem
Tag, an dem er an Bord eines derartigen Landungsschiffes gehen und
hinaus ins All fliegen würde.
Die Tammuz zündete noch einmal alle
Triebwerksdüsen und setzte majestätisch auf einer gigantischen
Rauch- und Flammensäule in der Landegrube im Zentrum des Feldes
auf. Der enorme Schiffsrumpf senkte sich auf vier Landestützen, die
wie winzige Beinchen aus der unteren Hälfte der Kugel ragten. Der
Anblick kam Sturm wie eine seltsame Mischung aus Erhabenheit und
Komik vor.
»Auf das Freigabezeichen warten«, befahl Oberleutnant Holm über
Funk. Dann setzte er den Centurion um
die Landegrube herum in Bewegung, auf die breite Ladeluke der
Tammuz zu.
Im nächsten Augenblick zuckte ein grellflammender Blitzschlag aus
dem Landungsschiff und traf den Mech im Torso. Der PPK-Treffer
zerschmolz Panzerung und schleuderte den Centurion nach hinten. Lasergeschütze im Rumpf des
Landungsschiffes jagten dem Angriff mehrere blutrote Lichtbahnen
hinterher, die sich ebenfalls in die Panzerung des Mechs
bohrten.
»Was, zum Teufel...?« stieß Sturm aus.
»Zentrale, ich werde angegriffen!« brüllte Holt über den Kommkanal.
»Das ist ein Hinterhalt! Zentrale, melden!« Statt einer Antwort aus
der Kommandozentrale der Lanciers drang nur Knistern aus den
Lautsprechern. Irgend etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Sturm
stieß den Knüppel nach vorne und beschleunigte den Thorn auf maximale Geschwindigkeit, um den Rückzug
des Centurion decken zu können. Wieder
kam Holts Stimme über die Leitung.
»Alle Mechs: Tammuz ist feindlich! Ich
wiederhole, Tammuz ist ...« Ein lautes
Rauschen schnitt den Funk-spruch ab, als ein erneuter Schuß aus der
PPK des Landungsschiffes Holts Kampfkoloß traf. Entweder hatte der
Treffer das Kommsystem des Oberleutnants beschädigt, oder es war
von der elektrischen Ladung des Partikelstrahls zumindest
zeitweilig überlastet.
Während er noch näherstürmte, stieß Kintaro mit dem linken Daumen
den Feuerknopf nieder, und der Thorn
spie eine LSR-Salve aus der Lafette, die er an Stelle des rechten
Arms besaß. Die Langstreckenraketen zischten auf das Raumschiff zu
und schlugen mit dumpfen Detonationen ein. Die für Gefechte tief in
der Leere des Alls ausgelegte Panzerung überstand den Angriff
unbeeindruckt, auch wenn Sturm zumindest ein paar neue Kratzer
bemerkte. Es würde eine Ewigkeit dauern, diese Panzerung zu
durchschlagen. Wenn er irgend etwas ausrichten wollte, mußte er
sich ein weniger gut geschütztes Ziel suchen, zum Beispiel einen
der Geschütztürme.
Auch Brinkmann und Volker hatten das Feuer auf das Landungsschiff
eröffnet. Durch den Qualm, der um den Schiffsrumpf wogte, konnte
Sturm gerade noch erkennen, wie die anderen Mechs sich bei dem
Versuch zurückzogen, die schwerer beschädigte Maschine des
Oberleutnants zu decken. Das Krachen aus dem Kommsystem füllte
seine Ohren, als die Sensoren noch etwas anderes
erfaßten.
»Feindliche Mechs!« rief Brinkmann über die Funkleitung.
»Feindliche Mechs im Anmarsch!« Sturm holte die geöffneten
Frachtluken des Landungsschiffes auf dem Sichtschirm des
Thorn näher heran und und sah mehrere
riesige Metallgestalten ins Freie treten. Sie alle trugen auf
Gliedern und Torso das Wappen des Jadefalkenclans. Sturms Herz
setzte kurz aus, als der letzte der Invasoren-Mechs aus dem
Schiffsinneren trat. Es war ein riesiger, siebenundfünfzig Tonnen
schwerer Mad Cat.
Die Clans waren nach Kore zurückgekehrt.