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Außerhalb Thorpes, Slewis Randgemeinschaft, Peripherie

 

25. Februar 3059 Aus dem Tagebuch des Harley Rassor:

Ich möchte nicht an einer Pfeilwunde sterben. Man verblutet langsam und schmerzhaft. Es ist kein schneller Tod.

Ich legte es nicht darauf an zu töten, ich wollte mir nur ihre Aufmerksamkeit sichern. Aber für den Vertreter, dem mein Pfeil in der Hüfte steckte, machte das wahrscheinlich keinen großen Unterschied. Er jaulte wie ein verletzter Hund. Dann riß er den Pfeil heraus. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich sehen, daß er die Wunde dabei noch vergrößerte. Fast hätte er mir leidgetan, aber dann erinnerte ich mich daran, was sie den Mädchen angetan hatten. Meinen Freundinnen.

Brewster und die anderen waren schon in Bewegung, als ich den zweiten Pfeil abfeuerte. Er warf sich zu Boden, nahm sich einen Moment Zeit, um sich den Pfeil anzusehen und festzustellen, aus welcher Richtung er gekommen war. Dann feuerten sie. Erst einen regelrechten Kugelhagel, aber Brewster stoppte sie. Er hatte wohl den Verdacht, daß es um mehr als nur einen einsamen Bogenschützen ging.

Ich war auch nicht stehengeblieben, sondern lief geduckt über den Kamm hinab und sah, daß Jolee mir folgte. Sie behielt ständig einen Baum zwischen sich und den Handelsvertretern. Rinde spritzte von dem Baumstamm, hinter dem ich in Deckung gegangen war, und Holzsplitter regneten mir auf Kopf, Rücken und Schultern. Ihre Schüsse kamen gezielter.

Ich änderte wieder die Richtung und rannte einen anderen Hang hoch. Ich legte den dritten Pfeil auf die Sehne. Sie folgten mir. Genau das wollte ich. Da hatte gesagt, ich sollte sie aufhalten. Genau das tat ich.

Das wütende und ängstliche Gebrüll der Vertreter hallte durch den Wald unmittelbar bevor das donnernde Krachen ihrer Automatikgewehre die Stille zerriß. Die in der Nähe schlafenden Waldbewohner schreckten auf und hasteten in einer Kakophonie ängstlicher Herstammen hierhin und dorthin, was die Konfusion nur noch steigerte.

»Feuer einstellen, verdammt!« befahl einer der Männer grob. Ich glaube, es war Hackett. Es spielt wirklich keine Rolle, nach dem, was ihnen Minuten später zustieß.

»Zum Teufel!« brüllte einer der anderen. »Sie haben uns umzingelt!«
»Wenn du deine Munition sinnlos verballerst«, bellte Brewster zurück, »kannst du ihnen genausogut eine schriftliche Einladung schicken, sich deinen Arsch holen zu kommen!«
Das brachte sie einen Moment zur Besinnung, und sie hörten ihm zu.
»Diese Dummköpfe haben keine Gewehre wie die hier«, erklärte Brewster. »Wir haben genug Munition, um sie abzuwehren, bis wir am Landungsschiff sind.«
Sie versuchten, die Initiative zu gewinnen. Meine Milizausbildung sagte mir genau wie mein Bauch, daß ich das nicht zulassen durfte. Also schoß ich. Der Pfeil flog sicher und gerade und grub sich tief in den Rucksack des Mannes namens Hackett. Ich setzte ihn von der Seite in den Rucksack, um kein Risiko einzugehen, daß er sich geradewegs durch den Inhalt in den Rücken seines Trägers bohrte. Der Pfeil schlug hart genug gegen etwas Festes im Innern, um Hackett kurz stolpern zu lassen.
Der Anblick eines weiteren Pfeils reichte, die Männer in Panik zu versetzen. Vor lauter Angst liefen sie wie die Tiere. Die Gruppe bot Sicherheit, und sie hatten alle schon genug Erfahrung, um das zu wissen.
Weil ich wußte, was ihnen bevorstand, regte sich ein Hauch von Mitgefühl in mir, aber ich brauchte nur an Phelyn zu denken, mich an ihr verwüstetes Gesicht zu erinnern, um jeden Anflug von Sympathie für diese Kerle abzutöten. Ich richtete mich auf und winkte Jolee näher.
»Ich hoffe, Da ist jetzt soweit. Wir müssen leise sein«, flüsterte ich, als sie neben mir auftauchte. »Einer von ihnen könnte als Rückendeckung ein Stück zurückbleiben.«
»Ich weiß, Harley.« Ihr Tonfall war leicht sarkastisch.
Ich ging nicht weiter darauf ein, denn ich erinnerte mich, wie ich in ihrem Alter gewesen war. Sie ist letztes Jahr in die Miliz eingetreten, mit fünfzehn, so wie ich.
Nachdem wir den Handelsvertretern einen ordentlichen Vorsprung gegeben hatten, holte ich drei weitere Pfeile aus dem Köcher und packte sie mit dem Bogen zusammen, um sie einsatzbereit zu haben. Dann folgte ich den Männern, durch den Wald, parallel zu ihrem Kurs. Ich hielt mich dichter am Fluß, für den Fall, daß sie entschieden, in diese Richtung umzudrehen.
Zweihundert Meter später atmete ich leicht und flüssig, und unter der Ledermontur lag ein feiner Schweißfilm auf meiner Haut. Die Vertreter rannten, getrieben von Angst und Adrenalin. Sie würden nicht anhalten, bis es verbrannt war.
Ich erhaschte ab und zu einen Blick auf sie, aber keiner von ihnen bekam mich zu Gesicht, dafür sorgte ich. Siebzig Meter weiter erreichten sie Crystos Lichtung, einen weiten leeren Fleck mitten im Wald, an dem der Fels durch den Mutterboden an die Oberfläche tritt und nichts Wurzeln schlagen kann.
Ich winkte Jolee hinter mir in Deckung, brach hinter den Fremdweltlern quer über deren Weg, hängte mir den Kompositbogen über die Schulter und packte die unteren Äste der Baumwipfel, gerade als ich hartes Hufgeklapper auf der Lichtung hörte. Ich lugte durch das Gewirr von Zweigen und Blättern und sah die Ultethherde durch die tiefen Zweige vor den Handelsvertretern brechen.
Da und die anderen hatten die Herde zusammengetrieben und mit Wildwurz gefüttert, was sie noch bösartiger machte. Jetzt waren sie im Rausch, wütend und hungrig... auf Fleisch.
Ich weiß nicht, ob die Männer jemals vorher Ulteth gesehen hatten. Aber ich weiß, wie es ist, wenn man sie zum erstenmal zu Gesicht bekommt. Ich habe gelesen daß Ulteth vom Aussehen terranischem Rotwild ähneln nur daß sie größer und keine Pflanzenfresser sind, sondern Raubtiere. Wenn Ulteth einen Menschen allein in der Wildnis treffen, hetzen sie ihn zu Tode und reißen ihm das Fleisch von den Knochen. Erfahrene Männer wie Da und seine Begleiter wissen, wie man mit der. Tieren umgehen muß und sie auf Distanz halten kann bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Ulteth kennen keine Gnade, und Da hatte sie bewußt als Teil der Strafe ausgewählt, die für die Vertreter angemessen war Die Wildwurz hat sie noch tollwütiger gemacht.
Es müssen drei Dutzend Ulteth gewesen sein, die aus dem Wald brachen und auf ihren messerscharfkantigen Hufen über den harten Fels galoppierten. Sie hatten eine Schulterhöhe von zwei Metern und ein kurzes, drahtiges Fell von der Farbe antiken, pulvergeschwärzten Silbers. Ihr tückisches Geweih war kohlschwarz und strotzte vor spitzen Enden. Das Mondlicht spielte in ihren Augen und weckte grünes Feuer. Ihr Atem stand als grauer Nebel vor den Schnauzen.
Im Blutwahn stürmten die Ulteth auf die Handelsvertreter zu. Hackett war dumm genug, stehenzubleiben und das Automatikgewehr an die Schulter zu heben. Er schaffte einen kurzen Feuerstoß, der die Brust des Leittiers mit blutroten Flecken sprenkelte und vermutlich seine Lungen zerfetzte.
Der Ulteth stolperte nicht einmal, obwohl er jetzt ersuchte, dem Tod davonzulaufen. Er senkte den dicken, muskulösen Hals und spießte Hackett mit dem Geweih auf. Ein heulender Schmerzensschrei brach aus der Kehle des Mannes, als der Ulteth ihn von den Füßen riß. Das Tier trug ihn mit, ohne daß ihm die geringste Mühe anzusehen war, eine Tonne fellbedeckter blinder Wut, die sich von nichts aufhalten ließ.
Vier der Vertreter versuchten zu fliehen, aber keiner von ihnen schaffte es weiter als ein paar Schritte. Die Hufe der Ulteth zuckten hoch und zerfetzten sie. Dunkles Blut spritzte über Gras und Unterholz.
Ich schenkte den Männern nicht mehr als einen flüchtigen Blick, weil ich wußte, daß sie nicht wieder aufstehen würden. Jetzt traten Da und die anderen Männer in einer langen Reihe auf der anderen Seite der Lichtung aus dem Wald, bewaffnet mit Messern und Bögen. Es würde keine Überlebenden geben.
»Harley«, rief Jolee.
Aber ich hatte schon gesehen, worauf sie mich hinweisen wollte, während die Ulteth unter mir vorbeipreschten. Einer der Männer war entkommen und ins Gebüsch gesprungen. Er hatte sich zur Seite geworfen und tief in die dornigen Havilbüsche gegraben, um den Ultheth zu entkommen. Er kann nicht gewußt haben, wie verhaßt den Tieren der Ausschlag ist, den sie von Havil bekommen. Damit haben Da und die anderen die Herde unter Kontrolle gehalten. Dann war der Kerl durchgebrochen und rannte stolpernd den Hang hinunter auf den Fluß zu.
Ich ließ mich aus dem Baum fallen und setzte ihm nach, ohne daran zu denken, daß ich möglicherweise meinem Ende entgegenlief.
Der Überlebende war Brewster, und er rannte um sein Leben, huschte zwischen den Bäumen und Büschen hindurch, ein Schatten im Wald. Er war gut, weit besser als seine Kameraden. Aber er war nicht wirklich ein Teil des Walds um ihn herum.
Ich schon.
Ich warf Bogen und Köcher beiseite und markierte die Stelle, an der ich sie zurückgelassen hatte. Der Bogen ist ein Geschenk von Da. Er hat ihn mir vor fünf Jahren als Anerkennung für meine Hilfe bei der Versorgung der Familie gegeben.
Die Pfeile gehören mit Ich habe sie mit der Jagd und mit Holzhacken verdient, und mit anderen Arbeiten, was sich gerade fand. Pfeile aus Metallegierung sind teuer. Es gibt sie nur als Importware, und sie gehören nicht gerade zu den Waren, die Händler ständig anbieten. Ich habe den neun- oder zehnfachen Preis für sie bezahlen müssen, aber Holzpfeile sind schwer herzustellen und einfach nicht haltbar genug.
Ich hatte Mühe, Brewster in Sicht zu behalten, und mußte ihn aus den Augenwinkeln verfolgen. Wenn man einen Mann im Mondlicht direkt anstarrt, verschwindet er im Flimmern der Schatten.
Die Innenseite meiner Montur war schweißnaß, und das Leder klebte an meiner Haut. Mir war heiß in den wasserdichten Sachen.
Ich krabbelte, sprang und sprintete durch Wald und Unterholz. Meine Ellbogen pumpten, ich riß die Knie hoch und konzentrierte mich darauf auszuatmen statt ein. Ich trieb meine Stiefel hart auf den Waldboden und reagierte automatisch, wenn ich ihn nachgeben fühlte Auch ein guter Bogenschütze erlegt seine Beute nicht automatisch mit dem ersten Pfeil. Manchmal muß ich einem Tier hinterherhetzen, und ich meine wirklich hetzen, weil die Blutspuren schnell trocknen und dann nicht mehr zu sehen sind. Okay, zum Teil beeile ich mich auch, weil ich kein Tier unnötig leiden lassen will, aber meine Beute verlieren will ich ganz sicher auch nicht.
Brewsters Silhouette stolperte und fing sich hastig wieder ab. Aber damit hatte ich ihn. Trotz seiner Schnelligkeit und Geschicklichkeit fehlte ihm die Ausdauer, um es bis zum Fluß zu schaffen, bevor ich ihn einholen konnte. Er würde das sicher auch bald erkennen, und sobald es soweit war, würde sich sein Verhalten ändern.
Keine hundert Meter weiter hielt Brewster auf einer Lichtung an. Er wirbelte herum und riß das Automatikgewehr an die Schulter. Das erzeugte eine unnatürlich harte Kante in seinem Schatten, an der ich die Bewegung erkannte.
Ich hechtete nach vorne statt abzubremsen, weil ich aus der Milizausbildung wußte, daß ein trainierter Schütze auf die Füße des Gegners zielte und die Waffe vom Rückstoß hochziehen ließ. Hinter mir flogen Erdklumpen weg, als die Kugeln in den dunklen Waldboden schlugen.
Ich blieb in Bewegung, preßte mich auf den Boden und stieß mich mit den Ellbogen weiter. Eine Kugelgarbe zerfetzte die Blätter und Zweige des Gebüschs über meinem Kopf. Ich verschwendete keinen Gedanken an den Tod. Das tue ich nie. Wenn mir das läge, würde ich meinen Bogen verkaufen und zuhause bleiben. Jedesmal, wenn ich zur Jagd in den Wald aufbreche, geht es um alles oder nichts. Die Messerscheide an meinem Gurt hat Ben genäht, aber den Ulteth, der das Leder dafür geliefert hat, habe ich selbst erlegt.
Die Dunkelheit verbarg mich, und ich bewegte mich vorsichtig und ohne einen Laut weiter vor. Ich atmete durch die Nase ein und durch den Mund aus und konzentrierte mich auf meine Atmung. Da hat mich trainiert, ruhig zu bleiben. Ein atmender Mensch ist ein denkender Mensch, und ein denkender Mensch ist einem, der nicht denkt, weit voraus.
Der Vertreter stellte das Feuer ein und zog sich in die Deckung der Bäume zurück. Er blieb in Bewegung und stierte in die Dunkelheit, weil er nicht wußte, wo ich war.
»Wer, zum Teufel, bist du?« rief er mit keuchender Stimme. Er war verängstigt und außer Atem.
Ich antwortete nicht. Ich zog das Messer aus der Scheide und machte den nächsten vorsichtigen Schritt auf ihn zu. Meine Jagdmontur lag naß von Schweiß schwer auf meinen Schultern, aber das Leder blieb geschmeidig. Das Knochenheft des Messers lag heiß und hart in meiner Hand.
Und ich erinnerte mich an Phelyns Gesicht, erinnerte mich an das abgehackte Schluchzen ihrer Mutter, als sie versucht hatte, ihre einzige Tochter zu trösten. Mein Herz war aus Stein. Phelyn war praktisch Familie, und er war ein Fremdweltler, und Abschaum dazu.
»Ich weiß, daß ich dich nicht erledigt habe«, brüllte Brewster.
Ich tat noch einen Schritt, kam ihm immer näher.
»Diese Mädels«, sagte Brewster. »Kann sein, daß sie ein bißchen mehr bekommen haben, als sie erwartet hatten, aber sie wollten es.« Er blieb in Bewegung, versuchte, meinen Schatten aus den Dutzenden anderen herauszufiltern, die ihn umgaben.
Dann war ich sechs Meter vor ihm und bewegte mich von links auf ihn zu. Brewster drehte mir das Profil zu, und ich wußte, daß er aus dem Augenwinkel eine bessere Chance hatte, mich zu entdecken, als wenn er geradewegs in meine Richtung geblickt hätte.
Ich erkannte, daß er meine Nähe bemerkt hatte. Sein Kopf erstarrte schräg zur Seite geneigt. Gehört haben konnte er mich nicht, es mußte eine Art Überlebensinstinkt gewesen sein. Er wirbelte herum und riß das Automatikgewehr hoch.
Bevor es in Position war, streckte ich den Arm aus und packte den Lauf, dann trat ich nach seinen Händen. Ich riß ihm das Gewehr ohne Mühe weg, aber dann warf ich es beiseite, weil mir klar war, daß er mich erledigt hätte, bevor ich Zeit gehabt hätte, es umzudrehen und zu benutzen.
Brewster war fünf, sechs Zentimeter kleiner als ich und mindestens zehn Kilo leichter. Sein dunkelbraunes Haar ging zurück, und er hatte tiefe Geheimratsecken. Über dem dünnlippigen Mund kräuselte sich ein Schnurrbart wie ein Tourquit-Bandwurm.
Das Mondlicht glitzerte auf der Schneide des breiten Messers in seiner Hand. Die Klinge war fast vierzig Zentimeter lang und krümmte sich zum Ende hin zu einer rasiermesserscharfen Spitze. In der Mitte des Blatts lag eine Rille, durch die Blut ablaufen konnte, während die Klinge in einem Körper steckte. Das war eine Mordwaffe, kein Jagdmesser.
»Wie heißt du?« fragte er. Seine Augen wurden schmal, als er mich unbewußt nach links umkreiste, immer darauf achtend, daß das Messer zwischen uns blieb.
»Harley Rassor«, antwortete ich ihm leise.
»Du bist kaum mehr als ein Kind.«
»Mag sein«, äußerte ich. »Aber ich stehe zwischen Ihnen und dem Fluß.«
Er lächelte mich dünn und ohne Humor an. »Welche Rolle spielst du in dieser Angelegenheit, Harley Rassor?«
»Ich vertrete meine Freunde«, erwiderte ich und drehte mich mit ihm.
»Bist du bereit, für sie zu sterben?« spottete er.
»Wenn es nötig wird, ja. Aber dazu wird es nicht kommen.«
»Bist du dir da so sicher?«
Das war ich nicht, aber ich dachte nicht daran, ihr das merken zu lassen. »Sie haben die Wahl. Sie können sich ergeben.«
»Und mich in Thorpe vor Gericht stellen lassen?«
»Ja.«
»Und was, wenn man mich schuldig spricht, die Mädchen vergewaltigt zu haben, was dann?« Sein rechter Fuß streifte einen losen Zweig, und er verlagerte sofort das Gewicht, um keine Gefahr einzugehen, die Balance zu verlieren.
»Man wird Sie zu zwanzig oder dreißig Jahren Zwangsarbeit verurteilen. Aber Sie werden überleben.«
Er fluchte, und lächelte dabei. »Nichts zu machen, Kleiner. Sobald ich beim Landungsschiff bin, sind die Karten neu verteilt. Ich werde einfach nie mehr hier auftauchen.«
Ich sagte nichts.
»Du bist allein, Kleiner«, sagte er. »Die anderen habt ihr erwischt. Vielleicht solltest du mal überlegen, ob du damit nicht zufrieden sein kannst.«
»Nein.« Ich wußte nicht, ob sich Phelyn in dem Wissen besser fühlen würde, daß alle Männer, die ihr Gewalt angetan hatten, dafür bezahlt hatten, aber zumindest würde es der Sache ein Ende machen.
Ohne Vorwarnung schlug Brewster mit dem Messer nach meinem Bauch. Ich hieb mit meiner Klinge nach seinem Gesicht, als Erinnerung, daß ich ebenfalls bewaffnet war.
Brewster duckte sich ohne Probleme weg, aber meine Geschwindigkeit und Bereitschaft, ihn anzugehen, muß ihn überrascht haben. Er trat zwei Schritte nach hinten. Ich blieb, wo ich war. Er konnte nirgends hin.
Dann sprang er auf mich zu und stieß mir das Messer ins Gesicht. Ich schlug ihm mit der freien Hand den Arm beiseite, mein Messer zuckte in einem Querhieb in Bauchhöhe vor, dann erwischte er mich mit einem Kinnhaken, den ich nicht hatte kommen sehen. Schmerzen schossen durch meinen Kiefer, und ich schmeckte salziges Blut. Ich blieb konzentriert und duckte mich unter seinem erneut heranschießenden Messer weg. Er trat mir mit knochenbrecherischer Wucht in die Brust.
Als ich stolperte und nach Halt suchte, setzte er nach. Sein Messer zuckte wie eine Schlangenzunge auf mich zu, schien überall zugleich zu sein. Ich blockte seine Attacken mit meiner Klinge ab. Stahl knirschte auf Stahl, stiebende Funken erhellten die Nacht. Wieder schlug ich seinen Messerarm beiseite, dann trat ich in seine Deckung und riß die freie Hand in einem Schwinger herum, der ihn voll im Gesicht erwischte.
Bresters Nase schien in einem roten Nebel zu explodieren. Sein Kopf flog nach hinten, aber er bekam sich wieder in die Gewalt und kam wieder auf mich zu. Sein Messer peitschte senkrecht herab. Der Stahl kreischte, als unsere Klingen aufeinandertrafen. Ich stoppte seinen Angriff und zog mich zurück, sobald er es auch tat.
Der Kampf entwickelte sich zu einem blitzartigen Austausch von Faust- und Messerattacken. Ich griff an und blockte ab, und die Klingen trafen mit hellem Glockenklang aufeinander, unterstrichen vom dumpfen Aufprall unserer Körper. Er stieß in einem geraden Ausfall nach meiner linken Schulter. Ich duckte mich leicht weg, zog die Schulter zurück und wollte im Gegenzug vorstoßen. Er überraschte mich. Ich reagierte zu spät, um der herumschwingenden Klinge auszuweichen, und fühlte ihre Sägezahnkante über meine Stirn fahren. Heißer, lodernder Schmerz brannte sich in meinen Schädel, gefolgt von einem Schwall von Blut, der in mein linkes Auge strömte.
Ich wußte, daß er, halbblind wie ich plötzlich war, von mir erwartete, daß ich mich zurückzog, versuchte, den Schaden einzuschätzen und sicherzugehen, daß ich nicht ernsthaft verletzt war. Also tat ich genau das nicht. Ich wußte aus Erfahrung, daß das Messer meinen Schädel nicht gespalten hatte und daß nur eine Schlagader noch stärker blutet als eine Kopfverletzung. Die Augen und der Mund sind die Schwachpunkte am Kopf, und der Hals direkt unter ihm.
Er setzte den Angriff fort und versuchte, mir die Kehle durchzuschneiden, bevor ich reagieren konnte. Ich brachte das Messer hoch und herum. Die Spitze schabte kurz gegen seine Rippen, dann senkte sie sich zwischen die dritte und vierte und geradewegs in sein Herz. Brust an Brust gepreßt und durch den Stahl verbunden, den ich tief in seinen Körper gestoßen hatte fühlte ich ihn erzittern.
»Zur Hölle mit dir, Harley Rassor«, keuchte Brewster mit seinem letzten Atemzug. Er versuchte, nach mir zu treten, aber ich drehte mich zur Seite und wich ihm aus.
Ich starrte ihn mit dem freien Auge an. Das andere wurde von heißem, über mein Gesicht strömendem Blut vernebelt. Er starb langsam. Seine Glieder verloren ihre Kraft, bis nur ich ihn noch aufrecht hielt. So ist der Tod wirklich. Die Zuschauer im Kino von Thorpe sehen die Helden in den Holovids ihre Waffen abfeuern, und die Schurken fallen um. Ein Gefecht ist schnell, aber der Tod läßt sich oft Zeit. Das hat Da mir beigebracht.
Ich starrte Brewster an, bis ich das Licht in seinen Augen ersterben sah, bis das Mondlicht, das uns umgab, plötzlich nicht mehr ganz so tief drang. Ich hielt ihn noch ein paar Sekunden länger fest, um sicherzugehen, daß er sich nicht verstellte, um mich noch mit einem letzten Hieb mitzunehmen. Sein Kopf fiel zur Seite, und ich legte mein Gesicht an seines, um mit der Wange nach Atem zu suchen. Aber ich fühlte nichts.
Als die Gefahr vorüber war, spürte ich plötzlich sein totes Gewicht auf meinen Armen. Ich riß das Messer aus ihm heraus und ließ ihn fallen. Der Leichnam sackte kraftlos auf den Boden der Lichtung.
Ich schaute auf ihn hinab, atmete tief ein und zitterte plötzlich, wie es mir immer geht, wenn der Adrenalinstoß abklingt. Die leichte Brise streichelte kühl über meine Haut, und meine Jagdmontur klebte mir am Körper. Ich versuchte gar nicht erst darüber nachzudenken, wie ich mich fühlte. Ich ließ es einfach über mich kommen.
»Harley«, rief Jolee.
Ich drehte mich um und sah sie auf einem dicken Baumast balancieren, den Bogen in den Händen. »Es ist vorbei«, sagte ich.
»Ich konnte nicht schießen«, erklärte sie. »Ihr wart zu dicht beieinander.«
Ich nickte und versuchte, meine Atmung zu beruhigen.
Sie schlang sich den Bogen über die Schulter und ließ sich zu Boden fallen. Sie zog ihr Messer, trat an Brewsters Leiche und schnitt ohne zu zögern zwei Stoffstreifen aus seinem Overall.
Ich wartete, bis meine Atmung sich normalisiert und das Zittern sich gelegt hatte. Jolee wischte mir so gut es ging mit dem kleineren Stoffstück das Blut aus dem Auge und vergewisserte sich, daß die Stirnwunde eingetrocknet war, bevor sie mir mit dem zweiten Streifen einen Kopfverband umlegte.
Dann säuberte ich mein Messer und warf mir Brewsters Leiche über die Schultern. Selbst wenn ich nicht gewußt hätte, daß Da den Toten würde sehen wollen, hätte ich ihn nicht für die Aasfresser liegen gelassen. Das Automatikgewehr nahm ich auch mit, für den Fall, daß Ulteth die Blutspur rochen und uns nachstellten.

BattleTech 50: MechWarrior Trilogie
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