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Shangri-La, Jotunberge, Kore Peripherie22. April 3060
Laura Metz saß im Cockpit eines BattleMechs und tat ihr Bestes, um am Leben zu bleiben. Aber ihre Gegner machten es ihr alles andere als leicht.
Sie steuerte eine Vixen, einen leichten ClanMech von nur dreißig Tonnen Masse. Die Clans führten ihn unter der Bezeichnung Incubus, aber Kintaro zog die Codenamen der Freien Inneren Sphäre für die ClanMaschinen vor. Die Vixen galt bei den Clans als Mech der »Garnisonsklasse«, eine Maschine, die in Reserve gehalten wurde, während die FrontklasseEinheiten die Hauptoffensive bestritten. Sie war nicht annähernd so kampfstark wie ein mittelschwerer Mech, zum Beispiel der Goshawk, und konnte einem schweren Mad Cat erst recht nicht das Wasser reichen, aber sie wirkte trotzdem gehörig beeindrukkend. Laura erinnerte sich noch, mit welcher Ehrfurcht sie vor dem gigantischen Kampfkoloß gestanden und sich vorgestellt hatte, ihn zu kontrollieren.
»Nicht einschlafen, Metz!« drang eine Stimme aus den Kopfhörern, und Laura konzentrierte sich auf ihre aktuelle Lage. Sie war langsamer geworden, und eine der Feindmaschinen, ein Uller, kam in Reichweite. Sie stieß den Steuerknüppel nach vorne und beschleunigte. Ihre Schnelligkeit war eindeutig eine der Stärken der Lady Fuchs (wie Laura ihren Mech getauft hatte). Sie wußte zwar, daß es ziemlich überheblich war, einen Mech zu taufen, obwohl sie sich noch kaum als Pilotin qualifiziert hatte, geschweige denn, diesen Namen zu benutzen, wenn sie nicht einmal in dem betreffenden Mech saß, sondern nur in einer Simulatorkapsel, aber irgendwie machte es das Ganze für sie realer und ließ sie die Vixen mehr als ihren Mech sehen.
Mit Höchstgeschwindigkeit erreichte die Lady Fuchs etwas mehr als einhundertfünfzig Stundenkilometer. Laura war nicht einmal annähernd so schnell. Sie mußte sich noch daran gewöhnen, schnell über das gefrorene Gelände zu rennen. Eis und Schnee machten die Fortbewegung erheblich schwieriger. Sie hatten auf ebenem Boden angefangen, waren aber schnell auf die Tundra umgestiegen, damit die neuen Piloten sich möglichst rasch mit deren Bedingungen vertraut machen konnten.
»Wenn wir da draußen alle auf die Schnauze fallen, ist es schnell vorbei«, hatte Krenner erklärt. Also übten sie auf einer Simulation der Geländebedingungen Kores, in Eis und Schnee, der sich selbst für eine riesige humanoide Kampfmaschine als erstaunlich rutschig herausstellte. Besonders für einen Mech, um genau zu sein.
Auf der Sichtprojektion blinkte eine Warnung vor anfliegenden Raketen auf. Laura duckte den Mech nach links und arbeitete die Ausweichmanöver durch, die sie gelernt hatte. Die Glieder ihres BattleMechs reagierten gehorsam auf ihre Befehle und trieben ihn über den Schnee. Die Raketen schossen recht weit vorbei, und Laura setzte zu einem erleichterten Juchzer an, der sich aber schnell zu einem überraschten Aufschrei verwandelte.
»Was, zum ... Aah!« schrie sie, als der Mechfuß der Lady auf den Rand einer Eisspalte traf, die sie nicht bemerkt hatte. Sie kämpfte mit den Kontrollen, um abzudrehen, während die Steuersignale des Neurohelms versuchten, die Vixen mit Hilfe des internen Kreiselstabilisators auszubalancieren, wie es keine Maschine konnte. Aber es war zu wenig, und es kam zu spät. Der Mech wedelte mit den Armen, dann rutschte er in die eisige Falle, trat Schneemassen los und wurde von einem Hagel von Eisbrocken getroffen.
Laura konnte die Lady relativ aufrecht landen. Die Polster der Pilotenliege und die Gurte fingen den Schlag auf, und sie überstand ihn nur leicht benommen. Hastig überprüfte sie die Statusanzeige auf Schäden und stellte nur leichte Panzerungsverluste am rechten Bein fest, aber keine internen oder strukturellen Schäden.
Blieb das Problem, wie sie aus der Spalte herauskommen sollte. Sie war etwa dreizehn Meter tief, nur ein paar Meter höher als die Vixen. Die Arme des Mechs reichten bis ins Freie, aber die Lady Fuchs hatte nur eine freie Hand. Der rechte Arm schien zwar eine Hand zu besitzen, aber die war nur Illusion. In Wahrheit waren deren Finger nur Ausbuchtungen am Schaft des schweren Impulslasers, den sie wie eine gewaltige Handfeuerwaffe zu tragen schien. Die einfachste Lösung hätte darin bestanden, einfach aus der Eisspalte zu springen, aber ihr Mech besaß keine Sprungdüsen wie der Goshawk oder der Hellhound.
Plötzlich fingen ihre Außenmikrophone ein tiefes Donnern auf, und von den Wänden der Spalte stürzten Eis und Schnee in die Tiefe. Laura drehte ihre Maschine herum, so gut sie konnte, und richtete ihre Sensoren nach oben, gerade rechtzeitig, um einen gigantischen OmniMech dicht genug an den Rand treten zu sehen, daß sie ihn an der vogelartigen Silhouette, den wuchtigen Unterarmen und den Raketenlafetten auf beiden Schultern erkennen konnte: ein Mad Cat. Der Mech richtete seine Waffen auf sie, und Metz griff nach dem Feuerknopf ihrer Waffensysteme.
Eine Stimme aus den Kopfhörern unterbrach sie.
»Peng! Du bist tot.«
Sie ließ die Kontrollen los und sackte auf der Pilotenliege
zusammen. Frustriert warf sie den Kopf zurück gegen die Kopfstütze,
soweit der Neurohelm das erlaubte. »Verdammt«, stöhnte sie. »Nicht
schon wieder.«
Die Tür der Simulatorkapsel öffnete sich, und Sturm Kintaro beugte
sich herein, um ihr die Hand zu reichen.
»Zeit, auszusteigen, MechKriegerin«, meinte er mit düsterer Miene.
Laura hob den Neurohelm vom Kopf und schüttelte das schweißnasse
Haar aus. Sie hätte schwören können, daß die sadistischen
ClanTechs, die diese Simulatoren bauten, sie absichtlich heißer als
einen echten Mech machten, damit die Anwärter sich an die Hitze
gewöhnten oder ohnmächtig wurden, so daß die Schwächsten leichter
auszusortieren waren.
Sie nahm die angebotene Hand gerne an und kletterte aus der Kapsel.
Clancy wartete schon und nickte Laura zu, bevor sie für eine
Trainingssitzung einstieg. Laura fing richtig an, Clancy zu mögen.
Obwohl sie schon länger trainierte als Laura oder Flannery,
behandelte sie die beiden nie von oben herab, sondern immer als
gleichberechtigt. Genau das gefiel Laura übrigens auch an Kintaro,
obwohl es ihm schwerer fiel, sich mit den Anwärtern
anzufreunden.
»Nicht so toll, oder?« fragte sie ihn in Erwartung einer kritischen
Analyse ihrer Leistung.
»So schlecht war es gar nicht«, erwiderte Kintaro zu ihrer
Überraschung. »Abgesehen davon, daß du gestorben bist, natürlich.«
Als er sah, wie ihre Miene zusammenfiel, lächelte er. »Mach dir
keine Sorgen deswegen. Du schlägst dich immer noch viel besser als
ich es nach zwei Tagen Training geschafft habe. Teufel, ich habe es
nicht mit Polargelände zu tun bekommen, bis ich Wochen trainiert hatte. Achte nur besser auf den
Boden unter deinem Mech, wenn du gehst, und ganz besonders, wenn du
läufst. Es hilft, wenn du dir erst ein Bild davon machst, wohin du
willst, und dir dann die Sensordaten ansiehst, bevor du losläufst.
Versuch immer, einen Schritt vorauszudenken, dann wirst du seltener
überrascht.« Er hielt ihr eine Plastikflasche hin.
Laura nahm sie dankbar an und trank mehrere tiefe Züge. Das Wasser
war lauwarm, aber immer noch weit kühler, als sie sich gerade
fühlte. »Danke.«
»Nichts zu danken.« Er ging zurück zur Kontrollkonsole der
Simulatoren, deren Monitore neben einer Gesamtansicht des
Schlachtfelds den Blickwinkel des Piloten zeigten.
»Chef?« Es dauerte eine Sekunde, bis Kintaro sich umdrehte. Er war
es sichtlich nicht gewohnt, mit »Chef« angesprochen zu werden.
»Glauben Sie wirklich, daß wir gegen Ryans Rebellen eine Chance
haben?« fragte sie. Er sah sie lange an, so, als versuche er, sich
eine Antwort zu überlegen.
»Wenn ich das nicht täte, Laura«, meinte er schließlich, »könnten
wir uns das alles sparen.« Es war das erste Mal, daß er Lauras
Vornamen benutzt hatte. Kintaro wandte sich wieder der Konsole zu,
und sie beobachtete ihn eine Weile und fragte sie, wieso sie ihn so
lange gar nicht richtig zur Kenntnis nehmen konnte.
Dann fühlte sie sich plötzlich ein wenig schuldig und senkte den
Blick. Was würde Lon davon halten, daß ich
Sturm Kintaro abchecke? fragte sie sich. Wahrscheinlich nicht viel. Er mag Kintaro nicht, aber ich
bin schließlich nicht sein Eigentum. Es ist ja nicht, als hätten
wir was Ernstes miteinander. Trotzdem hatte sie
Schuldgefühle. Seit sie aus der Basis geflohen waren und für den
Kampf gegen die Piraten trainierten, hatte sie von Volker kaum
etwas gesehen. Natürlich waren sie beide sehr beschäftigt, aber das
allein war es nicht. Volker schien abwesend, mit seinen eigenen
Problemen beschäftigt, und zog es vor, allein zu sein. Bei den
wenigen Gelegenheiten, zu denen sie versucht hatte, mit ihm darüber
zu reden, hatte er sie abblitzen lassen.
Sie wußte, daß es ihm schwerfiel, Kintaro als Kommandeur zu
akzeptieren. Lon hielt sich für erfahrener als Sturm, und es gefiel
ihm nicht, Befehle von einem »Kind« anzunehmen, das jünger war als
er, wenn auch nur um rund ein Jahr. Sie fragte sich, ob es etwas
damit zu tun hatte, daß Lon Volker von Ryans Rebellen
gefangengenommen worden war, während Sturm entkommen konnte.
Jedenfalls hielt er Sturms Entdeckung des Mechdepots für »blindes
Glück«.
Sie sah zur Wanduhr und stellte fest, daß sie noch fast eine Stunde
Zeit bis zur nächsten Simulatorsitzung mit der Lady Fuchs hatte. Sie entschied, nach Volker zu
sehen. Vielleicht brauchte er jemanden, mit dem er reden konnte,
und sie war ohnehin zu aufgedreht, um sich zu entspannen.
Vielleicht ist Volker auch in der Stimmung für
eine kleine gemeinsame Entspannung, dachte sie und grinste
verschmitzt.
Ihn zu finden, erwies sich allerdings als schwieriger als erwartet.
Obwohl alle Lanciers doppelt damit belastet waren, die Systeme
Shangri-Las und der Mechs zu erkunden und für den Angriff auf die
Rebellen zu trainieren, schien es Volker irgendwie gelegentlich zu
gelingen, sich zu verdrücken. Wahrscheinlich, weil er nicht so viel
Trainingszeit brauchte wie die neuen Rekruten und auch kein Tech
oder Schütze Arsch war, sondern ein MechKrieger. Das lieferte ihm
zusätzlichen Spielraum, obwohl ziemlich deutlich war, daß Kintaro
und Krenner Volkers Haltung auf die Nerven ging.
Sie ging in sein Quartier, und als sie ihn dort nicht fand,
versuchte sie es mit gleichem Mißerfolg in der Messe. Erst als sie
sich entschied, zurück zum Mechhangar zu gehen, begegnete sie ihm
auf dem Gang.
»He, Lon«, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln. »Ich hab' dich
gesucht.«
Er erwiderte das Lächeln und zuckte die Achseln. »Ich war die ganze
Zeit hier. Ich habe mir nur ein paar der Systeme an Cerberus angesehen.« Das war der Name, den er dem
Hellhound gegeben hatte. Kintaro hatte
ihn Volker überlassen, weil er mit fünfzig Tonnen der
zweitschwerste Mech des Sterns war, nur fünf Tonnen leichter als
der Goshawk. »Er ist entschieden besser
als mein alter Panther. Ich hoffe nur,
wir bekommen eine Chance, diese Mechs zu behalten.«
»Du glaubst nicht, daß wir mit Ryans Rebellen fertigwerden?« In
Lauras Stimme schwang eine Spur von Zurechtweisung mit.
»Ernsthaft? Denk doch mal nach, Laurie. Ich meine, ehrlich. Klar,
wir haben mehr Tonnage als sie, aber nur gerade mal zehn Tonnen.
Zehn Tonnen. Verglichen damit, daß wir
nur zwei erfahrene MechKrieger gegen deren vier haben, sieht das
nicht so toll aus. Unser Sonnenscheinchen Kintaro mag vielleicht
glauben, diese ClanMechs würden uns stark genug machen, es mit
jedem aufzunehmen, aber da hat er sich gehörig geschnitten. Er will
hier den großen Helden spielen und angeprescht kommen, um die Welt
zu retten. Das einzige, was er erreichen wird, ist, uns alle
umzubringen, wenn er nicht besser aufpaßt.«
»Und was willst du, Lon?« fragte sie.
»Ich? Du kennst mich, Laurie. Ich wollte immer schon ein
MechKrieger werden, einen BattleMech steuern, und zwar besser als
jeder andere. Aber ich will auch am Leben bleiben. Ich habe nichts
gegen einen anständigen Kampf, aber ohne Ausbildung oder
Vorbereitung gegen die Rebellen loszumarschieren, mit der Gefahr,
daß uns die Clans im Nakken sitzen, ist einfach nur
dumm.«
»Wenn du nicht daran glaubst, daß wir gewinnen können, was willst
du dann überhaupt hier?« fragte sie wütend. Sie wollte es sich
nicht eingestehen, aber was Volker sagte, machte Sinn.
Möglicherweise machten sie sich nur etwas vor.
Er zuckte die Schultern. »Wie ich schon sagte: Ich habe nichts
gegen einen anständigen Kampf, und es gefällt mir, einen eigenen
Mech zu haben. Die Rebellen haben meinen Panther, Laune. Ich hätte als Entrechteter enden
können. Ich war nicht bereit, in der Gefangenschaft zu bleiben, und
ich werde ganz sicher nicht im Kämmerlein sitzen und zusehen, wie
Kintaro eine Bande von Grünschnäbeln ins Feld führt. Deshalb bin
ich hier. Es gefällt mir zwar nicht, aber man tut, was man tun
muß.«
Laura dachte nach. Volkers Befürchtungen waren sicher
gerechtfertigt. Der schlimmste Albtraum jedes MechKriegers war es,
seinen Mech zu verlieren. BattleMechs waren selten im
einunddreißigsten Jahrhundert, besonders für Söldnereinheiten wie
die Sturmreiter. Söldner mußten mit dem auskommen, was sie hatten,
und viele Kampfkolosse waren Familienerbstücke, die von einer
Generation an die nächste weitergegeben wurden.
Ein MechKrieger ohne Mech war eine traurige Gestalt. In mancher
Hinsicht war ein ehrenvoller Tod in der Schlacht dem Leben als
Entrechteter vorzuziehen.
»He«, versuchte sie, das Thema zu wechseln. »Ich hab' noch ein paar
Minuten Zeit bis zu meiner nächsten Trainingssitzung. Wie wär's mit
'ner Tasse Käff?« Sie senkte die Stimme ein wenig. »Oder vielleicht
ziehen wir uns mal kurz zurück, nur wir beiden Hübschen?«
Volker wollte gerade antworten, als sie unterbrochen
wurden.
»Lon!« rief Sturm Kintaro. »Ich habe nach dir gesucht.«
»Wußte gar nicht, daß ich verloren war«, erwiderte Volker. Kintaros
Miene ließ erkennen, daß er kein bißchen amüsiert war. »Du hättest
mich schon vor zwanzig Minuten an den Simulatoren ablösen sollen.
Oder hast du das vergessen?« »Ich hatte zu tun. Ich habe
Cerberus durchgecheckt und
...«
»Es interessiert mich wirklich nicht die Bohne, was du getrieben
hast. Ich brauche dich da unten an der Trainingskonsole.
Sofort.«
»Das ist doch reine Zeitverschwendung«, erwiderte Volker. Die
beiden standen sich so dicht gegenüber, daß sich ihre Nasen fast
berührten. Laura erwartete jeden Moment Handgreiflichkeiten.
Kintaros Körper zitterte vor Spannung.
»Ich nehme deine Ansicht zur Kenntnis, MechKrieger, aber hier und
jetzt erwarte ich ...«
»Sturm!« rief Stabsfeldwebel Krenner. Der Unteroffizier kam den
Korridor herab gerannt. »Sturm! Wir brauchen dich in der
Funkzentrale, dringend!«
»Was ist?« fragte Sturm. Seine Konfrontation mit Volker war vorerst
vergessen.
»Es ist Susie Ryan«, erklärte Krenner. »Sie hat deinen Vater,
Sturm, und sie droht, ihn umzubringen.«