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Fort DelVillar, Toffen Geisterbären-Dominium28. Februar 3062
Die Pirschenden Bären marschierten in Zweierreihe durch den riesigen Torbogen, der den Eingang Fort DelVillars markierte, angeführt von Angela an der Spitze des BefehlsStems. In den letzten Wochen hatte sie ihre Leute in zahllosen Gefechtsdrills und Manöverübungen kreuz und quer durch die Landschaft um die Basis gescheucht. Sie waren an den Ufern des Ishima-ru-ko gegeneinander angetreten. Sie hatten in den Tiefen des Richartwalds Hinterhalte gelegt und Feuergefechte absolviert. Sie waren hinaus in die hohen, dichten Gräser und Farne der Zentralebenen Grahams marschiert, hatten Scheingefechte veranstaltet, hatten in einer Schlacht nach der anderen überlebt und waren gefallen. Selbst nach Angelas persönlichen Maßstäben war es eine gewaltige Anstrengung geworden. Ihr ganzer Körper tat weh, so war sie im Innern des Cockpits herumgeschleudert worden.
Dieses letzte Manöver hatte drei Tage gedauert und ihre Einheit in einer Abfolge von Scharmützeln über ein Gebiet von zweihundert Kilometern Durchmessern gehetzt. Es war anstrengend gewesen, aber auch befriedigend. Unter ihren Augen hingen tiefe Hautsäcke, denn sie hatte ich selbst keineswegs geschont. Aber das war es wert gewesen. Ihre Einheit hatte gelernt, zusammenzuarbeiten. Das war ein Sieg, der ihr wichtiger war als jeder Erfolg in einem Trainingsgefecht.
Erstaunlicherweise war der Konfrontation mit Bethany und ihre Niederlage im Kreis der Gleichen der Wendepunkt gewesen. Bethany hatte sich widerwillig untergeordnet, auch wenn sie und Gregori noch immer reichlich Gelegenheit fanden, Ärger zu machen. Trotzdem konnte niemand entgehen, daß sich etwas Entscheidendes geändert hatte. Gregori formulierte seine Kommentare in Form von Witzen, die häufig mithalfen, die Anspannung zu lockern. Bethany schien immer noch vor Unzufriedenheit zu strotzen, verzichtete aber darauf, das bei jeder sich bietenden Gelegenheit deutlich zu machen. Ihre aufgestaute Wut sorgte dafür, daß sie im Trinärstern kaum Freunde hatte, auch wenn Angela davon ausging, daß sich das mit der Zeit ändern würde. Sie hatte Bethany besiegt, aber das war nur ein physischer Sieg gewesen. Innerlich widersetzte sich die junge MechKriegerin noch immer.
Sie führte sie in den Mechhangar Fort DelVillars und manövrierte den Executioner in Position. Nachdem sie den Kampfkoloß rückwärts in die Nische eines leeren Wartungskokons bewegt hatte, fuhr sie den schweren Fusionreaktor herunter. Einen Moment war die ganze Welt plötzlich still und friedlich. Sie genoß den Augenblick ebensosehr, wie sie die Erregung der Schlacht genoß. Seit Jahren kannte Angela die Autorität, die mit dem Befehl über Binär- und Trinärsterne der Geisterbären-Touman verbunden war, und sie liebte dieses Gefühl, aber zugleich war damit immer eine Last verbunden. Unter der steten Notwendigkeit, eine Aura der Kraft und Führung auszustrahlen, sackten ihre müden Schultern. In diesem seltenen Augenblick durfte sie einfach nur Mensch sein, mit all den Sorgen, Zweifeln und Schwächen, die das beinhaltete. Es war ein Luxus, den sie sich für wenige kostbare Sekunden gestattete.
Dann rief wieder die Pflicht. Sie hob den verschwitzten Neurohelm von den Schultern und reckte sich, soweit die Enge der Pilotenkanzel das zuließ. Nach der langen Zeit ohne größere Bewegung schmerzten die Gelenke. Sie fummelte blind nach dem Schlauch, der Kühlflüssigkeit in die Weste pumpte, um zu verhindern, daß sie ohnmächtig wurde, wenn das Cockpit im Kampf überhitzte. Ein Knopfdruck auf der Konsole öffnete zischend die Luke, und sie kroch auf die kleine Plattform hinaus, auf der schon ein Tech stand und wartete.
Ihr Mech war in sicheren Händen, und sie
kletterte langsam die ausfahrbare Leiter hinab. Unten warteten die
Sterncommander Stone und Tseng. Ihre Körper glänzten vor Schweiß,
und an den unrasierten Gesichtern und geröteten Augen erkannte
Angela, daß die beiden nicht minder erschöpft waren als sie
selbst.
»Gute Arbeit, Herrschaften«, stellte sie fest, als ihre Füße den
Boden berührten.
»Unsere Leute haben sich sehr gut gehalten«, bestätigte Tseng und fuhr sich mit der Hand über das kurzgeschorene schwarze Haar. »Mehr als einmal habe ich gedacht, ich hätte dich in der Falle, Sterncaptain, aber es ist dir immer wieder gelungen, meinem und Stones Stern zu entwischen.«
»Aye«, stimmte Stone ihm bei. »Unsere Leute sind keine Einzelkämpfer oder auch nur Einzelsterne mehr. Sie kämpfen als Trinärstern, zumindest in Scheingefechten.«
»Wie geht es Dolf?« fragte Angela. Der Elementar war im Manöver verletzt worden, als Bethany ihn mit einem Hieb des Mecharms gegen einen Felsvorsprung geschleudert hatte. Die Rüstung hatte den Aufprall unbeschädigt überstanden, aber er selbst war in ihrem Innern gehörig zerschlagen worden.
»Drogan hat ihn in Behandlung. Gehirnerschütterung und drei geprellte Rippen. Wenn der Doktor weniger reden und mehr arbeiten würde, könnte Dolf vielleicht schon wieder auf Posten sein.«
Angela sah es als ein weiteres Zeichen dafür, daß der Trinärstern zusammenwuchs. Sie hätte nicht gedacht, daß sie den Tag erleben würde, an dem Stone versuchte, witzig zu sein.
»Ausgezeichnet. Aber ihr seid nicht gekommen,
um mir das zu sagen, frapos?«
»Neg, Sterncaptain. Wir haben unsere Leute hart gefordert, und sie
haben die Leistung gebracht. Seit unserer Ankunft haben wir ihnen
keinen Tag Ruhe gegönnt. Sie sind zu einer Einheit verschmolzen. Es
ist an der Zeit, ihnen eine Erholungspause zu gestatten.«
Stone nickte zustimmend. »Wenn wir sie jetzt weiter belasten,
Sterncaptain, machen wir unseren Erfolg selbst zunichte.«
Angela studierte die Mienen ihrer beiden Offiziere einen Moment.
»Genau das denke ich auch, meine Herren. Leichter Dienst für die
nächsten zwei Tage. Geben wir ihnen die Chance, neue Kraft zu
schöpfen.«
Zurück in ihrem Büro ließ Angela sich erleichtert in den Schreibtischsessel fallen. Vor ihr lagen mehrere Compblocks, die alle ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit verlangten. Der »Papierkrieg« war ein Teil der von einer Kommandeurin erwarteten Arbeiten, auf den sie nie wirklich vorbereitet worden war. Materialanforderungen, Frachtbriefe, Berichte der Techs und anderen Angehörigen der niedereren Kasten über alle möglichen Probleme, von der Tragfähigkeit der Festungsdächer bis zu den Speisekarten der Messen für den nächsten Monat. Sie stierte die Compblocks an und fragte sich, ob sie es sich erlauben konnte, sie bis morgen liegenzulassen, sich einen Tag Pause zu gönnen, bevor sie sich zwang, die endlos langweiligen Seiten zu erdulden.
Von der Tür her erklang ein leises Klopfen. Sie sah von ihrer Arbeit auf und stellte fest, daß es der Doktor war, der das Büro betrat, ohne auf eine Einladung zu warten.
»Sterncaptain«, stellte er fest, »Sie sehen aus
wie durch die Mangel gedreht.«
Angela war zu erschöpft, um mit ihm zu streiten. »Ich warne dich,
Doktor. Wenn du mich beleidigst, töte ich dich mit bloßen
Händen.«
»Sollte keine Beleidigung sein, nur eine Feststellung.«
»Bist du nur gekommen, um mit diese ›Feststellung‹ mitzuteilen,
Drogan?«
»Nein«, erwiderte er und setzte sich. »Ich bin gekommen, um Ihnen
zu sagen, daß es Dolf gutgeht. Er ist morgen wieder einsatzfähig,
aber erstmal nur für leichten Dienst.«
»Ich weiß deine Dienste für die Geisterbären zu schätzen«, meinte
sie. »Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich habe zu tun.« Angela
zog den obersten Compblock von dem Stapel auf ihrem Schreibtisch,
als wäre es ein kiloschwerer Backstein.
»Ich bin noch nicht fertig«, stellte der Doktor fest.
Angela wollte nur einen Moment die Augen schließen, aber es schien
eine Ewigkeit zu dauern, bis sie die Kraft fand, sie wieder zu
öffnen. »Ich höre.«
»Als Garnisonsarzt sehe ich es als meine Pflicht an, Ihnen zu
sagen, daß die Leute eine Pause benötigen. Sie fordern sie zu
stark. Noch sind die Verletzungen nur leichter Natur, aber die
Leute fangen an, Fehler zu machen.«
Angela kniff die Augen zusammen und verschränkte die Hände auf dem
Schreibtisch. Ihre bionischen Finger zuckten leicht. »Du bist
anmaßend, Doktor. Es ist nicht deine Sache, mir vorzuschreiben,
wann ich meiner Einheit eine Pause gönne und wann nicht.« Der
Tonfall, in dem sie ihn zurechtwies, war nicht ärgerlich. Noch
nicht.
»Nach Geisterbären-Standards können Sie damit Recht haben. Aber ich
bin Mediziner und einer höheren Sache verpflichtet als blindem
Gehorsam einem Clan gegenüber. Ich habe geschworen, das Leben
meiner Patienten zu schützen und Schaden von ihnen abzuwenden.
Meine Patienten sind Geisterbären. Das kann sich ändern, aber meine
Pflicht bleibt davon unberührt. Sie werden feststellen, daß ich in
dieser Hinsicht zu keinerlei Kompromiß bereit bin.«
Angela ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. Das war kein
Mann, den sie unterwerfen oder brechen konnte. Er wußte, wo sein
Platz war, aber auch, wie weit er gehen konnte. Es ging ihm nicht
um sein eigenes Wohlergehen, sondern um das ihrer Leute. »Ich habe
bereits eine zweitägige Ruhepause angeordnet, damit der Trinärstern
Atem schöpfen kann, Doktor.«
Drogan grinste. »Sehr gut, dann sind wir uns ja einig.«
Angela lächelte nicht zurück. »Soweit es meine Einheit betrifft,
haben wir zumindest eines gemeinsam: die Sorge um ihr
Wohlergehen.«
»Sie sind anders als Sterncolonel Vishgio, ihre Vorgängerin. Sie
hätte sich mit mir gestritten und schließlich das Gegenteil von dem
getan, was ich vorgeschlagen habe, nur um mir zu beweisen, wer das
Sagen hat.«
»In einem Punkt hast du recht, Doktor. Ich bin anders.« Angela
deutete zur Tür. »Jetzt entschuldigst du mich. Ich habe noch zu
tun.«
Der Scheiterhaufen loderte hoch in den Nachthimmel, und die Funken tanzten zu den Bäumen empor. Das über einen Kilometer entfernte Fort schimmerte in der Dunkelheit, während die Mitglieder der Pirschenden Bären sich um das Feuer drängten und zum erstenmal seit langen, harten Tagen entspannten. Das war kein Ort für die Offiziere, die den Trinärstern leiteten, sondern für Krieger, die unter ihrem Befehl Dienst taten.
»Ich könnte umfallen vor Müdigkeit«, meinte Sprange, rieb sich den Nacken und bewegte die Schultern um die verkrampfte Muskulatur zu lokkern. »Noch ein Drink, dann bin ich weg, und lege mich in einem echten Bett schlafen.«
»Dir fehlt die Ausdauer«, spöttelte Gregori. »Aber ich habe dich in der Simulation ja auch abgeschossen. Das erklärt deinen Mangel an Energie, frapos?«
Dolf trat aus der Dunkelheit und gesellte sich zu der kleinen Gruppe Geisterbären. »Du hoffst wohl immer noch darauf, daß einer von uns dich zu Brei prügelt, Gregori, frapos?«
Der Freigeborene lachte. »Neg, Dolf. Ich finde nur, wir sollten diese seltene bißchen Freizeit ausnutzen, statt es mit Schlafen zu verschwenden. Du bist wohl wieder dienstklar?«
Dolf nickte und rieb sich den Druckverband um den ausladenden Brustkorb. »Aye, gerade rechtzeitig, um euch beim Entspannen Gesellschaft zu leisten, wie es scheint.«
»Du hattest Glück«, drang eine höhnische Stimme aus der Dunkelheit, und ihre Besitzerin trat ins Licht. »Mein Angriff hätte dich das Leben kosten können.«
Bethanys Auftritt schien der Versammlung einen Dämpfer zu versetzen und dem Abend einiges an Freude zu nehmen. Nur Neta wirkte unbeeindruckt. Sie saß im Schneidersitz auf dem Waldboden und starrte in die Flammen.
Gregori ergriff als erster das Wort. »Du hast eine ganz besondere Art, dich bei deinen Mitkriegern beliebt zu machen, Bethany«, stellte er schneidend fest.
»Danke, Freigeburt.«
»Das war ironisch gemeint.«
Dolf unterbrach den Streit. »Bethany tat, was nötig war. Es hat ihr
keinen Sieg gebracht, aber zum betreffenden Zeitpunkt hielt sie es
für erforderlich.«
»Zu schade«, unterbrach ihn Sprange, »daß sie den Wert der Teamarbeit im Gegensatz zur Einzelkämpferinnenpose noch immer nicht gelernt hat.«
»Vielleicht wärst du in deiner Laufbahn schon weiter, wenn du dich mehr um deine eigene Haltung kümmern würdest«, schoß Bethany zurück.
Sprange hob wütend die Faust, aber Gregori trat zwischen die beiden, um die Lage zu entschärfen. »Du bist wie immer ein Ausbund an guter Laune, Bethany. Du strahlst schlechtes Karma aus. Frage Neta. Die Novakatzen kennen sich mit Karma bestimmt aus. Was hältst du von Bethany, Neta?« fragte er.
Neta drehte langsam den Kopf. Ihr Gesicht schien im Licht des Scheiterhaufens zu glühen. »Ich muß gehen«, meinte sie plötzlich und stand auf.
Sprange griff nach ihrem Arm. »Gregori hat sich
nichts dabei gedacht, Neta. Er wollte nur ...«
»Es ist nicht Gregori«, unterbrach sie ihn. »Ich habe in den
Flammen etwas gesehen. Etwas, das der Sterncaptain wissen sollte.«
Sie verließ hastig das Feuer und verschwand in Richtung der Festung
in der Dunkelheit.
Gregori drehte sich wieder zu Bethany um. »Weißt du was? Du hast
etwas an dir, daß einer Party jeden Spaß raubt, Freigeburt«,
fluchte er.
Angela rieb sich die Augen. Der Stapel Compblocks war auf die Hälfte gesunken, aber der Rest würde warten müssen. Müde erhob sie sich aus dem Sessel. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um Schlaf, aber in diesem Augenblick schlug abrupt die Bürotür auf. Im Rahmen stand Neta.
»Sterncaptain«, erklärte sie hastig. »Ich muß
mit dir reden.«
»Was gibt es, Neta?« Irgend etwas mußte furchtbar schiefgelaufen
sein, wenn sie Angela mitten in der Nacht derartig
überfiel.
»Es ist nicht leicht auszudrücken«, meinte Neta, und schien nach
den richtigen Worten zu suchen. »Du weißt, daß ich eine loyale
Geisterbärin bin. Aber mein Erziehung als Novakatze ist auch Teil
meines Wesens. Sie wird immer ein Teil von mir bleiben. Ich kann
sie ebensowenig ignorieren wie du die Tatsache, daß du deine Finger
verloren hast.«
»Was gibt es, Neta?« fragte Angela noch einmal.
Die MechKriegerin atmete tief durch. »Ich war bei den anderen. Ich
habe an einem Feuer meditiert. In den Flammen sah ich ein
Bild.«
»Weiter.« Angela war so müde, daß mehr die Lethargie als irgendein
Interesse aus ihr sprach.
»In den Flammen des Scheiterhaufens sah ich eine Kreatur, die einen
Bären jagte. Der Bär hatte nur eine Tatze, die andere war
verletzt.« Sie blickte auf Angelas linke Hand.
»Neta, für Geisterbären haben Visionen kaum einen Wert, wie du
sicher weißt. Was willst du mir sagen?«
»Vielleicht ist es nichts. Aber Novakatzen glauben, daß solche
Visionen einen kurzen Blick in die Zukunft gestatten. Falls dem so
ist, macht jemand Jagd auf uns. Ich kann es spüren. Der Bär bist du, soviel weiß ich. Der Jäger
ist ein Raubtier, ein bösartiges, tödliches Raubtier.«
Etwas in ihrer Stimme ließ Angela aufhorchen. Sie fühlte, daß Neta
nicht nur eine vage Ahnung hatte, sondern etwas Tiefergehendes,
Geheimnisvolleres erlebte. Etwas, das möglicherweise die Grenzen
ihres Verstehens überschritt.
»Was können wir tun?«
Neta schüttelte frustriert den Kopf. »Nichts. Vielleicht ist es gar
nichts. Aber es könnte auch unser Schicksal sein. Dein Schicksal.«
Angela wußte nicht, was sie davon halten sollte. »Ich hätte mich
nicht zur Novakatze geeignet. Derartige Visionen wären mir zu
frustrierend. Erzähle erst einmal niemand davon, Neta. Wenn
tatsächlich jemand Jagd auf uns macht, wird er bald lernen, wie
gefährlich es ist, sich einen Pirschenden Bär als Beute
auszusuchen.«
Fort DelVillar, Toffen Geisterbären-Dominium
5. März 3062
Angela stand im Mechhangar und sah den Techs zu, die beschäftigt waren, die Waffenmodule für die nächste Gefechtsübung auszuwechseln. Sie bedienten die Winden und Deckenkräne mit sichtlichem Können, bewegten das neue Modul flüssig durch die Halle und verbanden es mit dem Rumpf ihres Executioner. Sie kannte das Verfahren gut genug, um es zur Not selbst machen zu können, aber das war Arbeit für die niederen Kasten.
Sie war gerade einen Schritt vorgetreten, um ChefTech Luray besser zusehen zu können, der sich in einem Gurtkorsett unter die Achsel des Mechs geschwungen hatte, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Es war der KommTech. Er reichte ihr schweigend eine Botschaft. Angela überflog den Ausdruck, und einen Augenblick jagte ihr Herz wie ein gehetztes Wild.
Sie hob den Taschensender an den Mund.
»Sterncommander Constant Tseng und Stone, sofort in der
Kommzentrale melden.« Ihr Tonfall verriet die Dringlichkeit dieses
Befehls. »Sterncommander Stone, ich weiß, daß du Truppen auf
Manöver hast. Die Trainingsmission wird abgebrochen. Rufe das
gesamte Personal sofort zurück zum Fort.«
»Aye«, bestätigte Stone gelassen.
»Probleme, Sterncaptain Angela Bekker?« fragte
Constant Tseng.
»Möglicherweise. Gerade ist eine Sprungschiff im
System aufgetaucht. Wir scheinen ungebetene Gäste
zu haben.«
Die KommZentrale Fort DelVillars war beim Wiederaufbau der riesigen Sternenbundanlage durch die Geisterraren wiederhergestellt worden. Sie stand in direktem Kontakt mit einem Netz von Satelliten in der planetaren Umlaufbahn und an den Sprungpunkten des Systems, den beiden Positionen über den Polen der Sonne, weit genug außerhalb der Schwerkraftsenke, um die Rematerialisation von Sprungschiffen zu gestatten. Noch wichtiger aber war, daß die Zentrale in Verbindung mit dem Hyperpulsgenerator stand, der es der Garnison Toffens ermöglichte, überlichtschnell mit den Bewohnern anderer Welten zu kommunizieren. Die Relaisübertragung von HPG-Botschaften benötigte zwar auch einige Zeit, aber mit ihrer Hilfe war es immerhin möglich, sich mit Lichtjahre entfernten Gesprächspartnern innerhalb von Tagen in Verbindung zu setzen statt innerhalb von Jahren.
Der Raum war hell erleuchtet und äußerst funktionell eingerichtet. Eine seiner Wände war vollständig von Bildschirmen und Anzeigegeräten bedeckt. Mehrere Techs waren überaus beschäftigt damit, sie zu überwachen. Die Ausrüstung war neu, und die über die Anzeigen laufenden Daten veränderten sich ständig. Selbst in der Luft der Zentrale hing jener besondere »neue« Geruch, der Duft frischer Farbe. Die Techs schienen die Ankunft Angelas und ihrer beiden Offiziere gar nicht zu bemerken, aber an der Geschwindigkeit ihrer Bewegungen erkannte sie, daß sie die Nachricht von den unerwarteten Neuankömmlingen ebenso als potentielle Gefahr behandelten wie sie es tat. Sie trat an das kreisförmige Podium in der Mitte des Saals und aktivierte den wandgroßen Sichtschirm gegenüber der Anzeigewand, an der die Techs arbeiteten. Das Bild flackerte einen Moment, dann zeigte es die tiefe Schwärze des Alls. Die schiere Größe des Schirms vermittelte Angela für einen Sekundenbruchteil den Eindruck, tatsächlich hinaus in die Leere des Toffen-Systems zu blicken. Sie winkte einen jungen Tech heran, dessen Rangabzeichen ihn als ranghohes Mitglied des Technikerstabs kennzeichneten. Er trat an die Kontrollen.
Die Dunkelheit wurde von einem Lichtblitz erhellt, als ein kilometerlanges Sprungschiff am Sprungpunkt materialisierte. Das Raumschiff beherrschte augenblicklich den Schirm. An seinem Rumpf waren drei Landungsschiffe angedockt, deren reichlich vorhandene Geschütztürme deutlich machten, daß es sich nicht um zivile Handelsschiffe, sondern eindeutig um Militärschiffe handelte. »Unsere Satelliten am Nadirsprungpunkt haben uns diese Bilder vor drei Stunden übermittelt. Die Verbindung unterliegt einer Verzögerung von minimal anderthalb Stunden.«
»Kampfschiffe«, teilte Stone ruhig fest.
»Wissen wir, zu wem sie gehören?«
Angela drehte sich um und nickte dem Tech zu. Der Mann betätigte
ein paar Kontrollen, und auf dem Bildschirm wurde eines der
Landungsschiffe größer, bis man deutlich den knurrenden Wolfskopf
auf seinem Rumpf erkennen konnte.
»Clan Wolf«, meinte Tseng, obwohl das inzwischen alle sehen
konnten.
»Allerdings«, bestätigte Angela. »Und angesichts der Größe der
Schiffe, die an diesem Sprungschiff hängen, könnten sie bis zu
einem vollen Sternhaufen transportieren.«
Tseng betrachtete das Wolfskopfwappen auf dem Schirm, dann drehte
er sich zu ihr um. »Sie könnten nur auf der Durchreise sein und
ihren Antrieb aufladen. Haben wir bereits eine Bestätigung ihrer
Absichten?«
»Aye. Das hier traf kurz nach ihrer Ankunft ein.« Angela nickte dem
KommTech noch einmal zu, und seine Finger tanzten über die Tastatur
der Computerkonsole. Das Bild des Landungsschiffes machte einem
Krieger in der Uniform des Wolfsclans Platz. Sein Haar war an den
Seiten ungewöhnlich lang, und sein Gesichtsausdruck düster, beinahe
bedrohlich.
»Ich bin Sterncolonel Dirk Radick von den Wölfen. Ich befehlige den
7. Gefechtssternhaufen und bin gekommen, um Toffen den schwachen
Tatzen der Geisterbären zu entreißen. Ich fordere dich,
Sterncaptain Angela Bekker, zu einem Besitztest um diese Welt und
alles, was sich auf ihr befindet. Laß mich wissen, mit welchen
kümmerlichen Kräften du planst, den Planeten zu verteidigen.« Sein
Ton war arrogant und fordernd, als könne er Angela bereits damit
besiegen.
»Neta hatte recht«, stieß sie leise aus.
»Sterncaptain?« fragte Constant Tseng.
Sie schüttelte den Kopf. Im Augenblick sah sie keinen Wert darin,
es zu erklären. Sie starrte zu Dirk Radick hoch, dessen
eingefrorenes Bild den Raum beherrschte. »Ich habe mir unsere Daten
über diesen Sterncolonel und seine Einheit angesehen. Er ist ein
extremer Kreuzritter, und er und sein BlutsäuferSternhaufen sind
bekannt für ihre Skrupellosigkeit im Kampf. Außerdem haßt er alle
freigeborenen Krieger und hat keine Probleme damit, sie
abzuschlachten. Die Wache nennt ihn gefährlich unberechenbar. Wenn
er dem treu bleibt, was wir über ihn wissen, wird er versuchen,
einen schnellen, deutlichen Sieg zu erringen.«
»Sein Haß auf Freigeborene wird Gregori gefallen. Endlich bekommt
er einen Wahrgeborenen, den er sich richtig zur Brust nehmen kann«,
meinte Tseng trocken.
Angela gestatte sich eine dünnes Lächeln, ging aber davon abgesehen
nicht auf die Bemerkung ein. »Was wissen wir sonst noch über Dirk
Radick? Weiß irgend jemand von euch etwas über ihn? Irgend etwas,
das uns über das hinaus helfen könnte, was die Wache zu berichten
weiß?«
Es war Stone, der das Wort ergriff. »Ich habe von meinem
Geschko-Ausbilder von ihm gehört. Sie haben kurz nach Beginn der
Invasion einmal in einem Besitztest um Genmaterial gegeneinander
gekämpft. Dirk Radick war ein gefährlicher Bieter.«
»Gefährlich?« Tseng runzelte die Stirn. »Was genau heißt das,
Stone?«
Der Sterncommander zuckte die Achseln. »Ich habe gehört, daß Dirk
Radick einen großen Teil seiner Kräfte weggeboten hat und dadurch
das Bieten gewann. Später verriet er seine Ehre, indem er die
zuletzt weggebotenen Kräfte aktivierte und einen Gefechtsabwurf auf
meinen Ausbilder und dessen Einheit durchführte. Die Geisterbären
wurden innerhalb von Minuten besiegt, und mein Ausbilder brach sich
das Genick. Die Verletzungen haben ihn gezwungen, Geschko-Trainer
zu werden.«
»Eine nützliche Information. Kreatives Bieten könnte ein Hinweis
darauf sein, was wir von Sterncolonel Radick erwarten können.«
Angela wanderte vor dem riesigen Bildschirm auf ab und zog
geistesabwesend an ihren künstlichen Fingern, als ob deren Gelenke
schmerzten.
»Das ist noch nicht alles, Sterncaptain«, meinte Stone. »Dirk
Radick hat dich beim Namen genannt.«
Sie hielt an und dachte nach. »Du hast recht, Constant Tseng. Das
hat er. Wo waren die Blutsäufer zuletzt stationiert?«
Tseng trat ans Podium und betrachtete den kleinen Datenschirm,
während seine Hände den Suchbefehl eintippten. »Laut Angaben der
Wache wurden sie vor kurzem nach Lothan verlegt, um den 1.
WolfSternhaufen auf Altenmarkt abzulösen.« Auf seiner Stirn wurden
nachdenkliche Falten sichtbar. »Ich verstehe nicht, was das zu
bedeuten hat.«
»Der Khan hat die Aushebung unseres Trinärsterns erst im Januar
angeordnet. Jetzt haben wir März. Er hat mich namentlich
angesprochen, wußte also, daß ich hier stationiert bin. Davon kann
ihn nur sein Geheimdienst informiert haben. Angesichts der Zeit,
die nötig war, damit diese Information den Wolf-Ableger der Wache
erreicht und von dort zu Sterncolonel Dirk Radick gelangt, und der
Flugzeit seines Sternhaufens von Altenmarkt ... muß er sich sehr
beeilt haben, hierherzukommen.«
Constant Tseng nickte nachdenklich. »Er hatte keine Zeit, für einen
solchen Überfall eine durchdachte Mischung von Waffenmodulen und
Gebrauchsgütern zu laden. Wie ich die Wölfe kenne, hat er
wahrscheinlich schwere Sturmbestückung dabei: Raketen und
Autokanonen. Und er wird auch kaum Zeit gehabt haben, die förmliche
Genehmigung seines Khans einzuholen.«
»Oder, seinen Sternhaufen für diesen Test umzukonfigurieren«,
stellte Stone fest. »Er verläßt sich darauf, daß er uns überraschen
und im ersten Anlauf zerschlagen kann.«
»Und Toffen für die Wölfe erobern«, vervollständigte Tseng mit
Blick auf Angela.
»Das sind nützliche Informationen. Sehr nützliche.« Sie dachte über
die Voreiligkeit ihres Gegners nach und darüber, wie sie dieses
Wissen gegen ihn einsetzen konnte. Es gab sicher eine Möglichkeit,
auch wenn sie die bis jetzt nicht sah ... Aber seinen ersten Fehler
hatte Dirk Radick bereits begangen.
»Sterncaptain«, unterbrach Tseng ihre Gedanken. »Wir schulden ihm
eine Antwort.«
»Aye«, erwiderte sie und drehte sich zu dem KommTech um. »Öffne
eine Verbindung zu dem Wolfsclanschiff.« Der Tech ging an die
Monitorwand hinüber, wo seine Finger über zwei verschiedene
Tastaturen tanzten. Dann drehte er sich um. »Die Verbindung steht,
Sterncaptain.«
Angela reckte sich und blickte auf den Wandschirm. »Sterncolonel
Dirk Radick, ich bin Sterncaptain Angela Bekker vom Trinärstern
Pirschende Bären der 8. Bärkürassiere. Diese Welt wurde mit dem
Blut von Geisterbären-Krieger gewonnen, und ich stehe mit meinem
gesamten Trinärstern bereit, sie in einem Besitztest gegen dich zu
verteidigen. Ich werde dir die Kodaxinformationen der Krieger unter
meinem Befehl übermitteln und erwarte dein Gebot für die Einnahme
dieses Planeten. Über den Schauplatz des Tests werde ich mich in
Kürze mit dir in Verbindung setzen. Ich freue mich darauf, dem Wolf
zu zeigen, welch ein Fehler es war, sich in das Jagdrevier des
Geisterbären zu wagen.« Dann schnitt sie mit der flachen Hand durch
die Luft, und der Tech unterbrach die Verbindung.
Angela drehte sich zu ihren Offizieren um. »Wir haben reichlich
Arbeit vor uns. Wir müssen ein Schlachtfeld für diesen Test
auswählen und eine Methode finden, wie wir eine Einheit besiegen
können, die erheblich mehr Kampferfahrung besitzt als wir.«
Fort DelVillar Toffen Geisterbären-Dominium
5. März 3062
»Zeige uns Planetarkarte 104«, befahl Angela dem KommTech. Auf dem Wandschirm erschien der Kontinent Graham. In seiner Mitte und ein Stück nach Westen waren die grasbedeckten Ebenen zu sehen, die topographisch hellgrün dargestellt waren. Fort DelVillar lag nordöstlich der Ebenen, umgeben vom Dunkelgrün des Richartwalds. Angelas Blick wanderte von einem Gebiet zum anderen und wieder zurück, suchte nach etwas, von dem sie selbst nicht wußte, was es war. Zu beiden Seiten der Basis verliefen zwei Gebirgsketten von Nord nach Südost. Parallel zum östlichen Gebirge war das breite blaue Flußband des Rapidan eingezeichnet. Ihre Augen wanderten weiter nach Osten, an den letzten Kämmen der Berge vorbei zu dem großen blauen Fleck auf der Karte, der den Ishimaru-ko darstellte.
Irgendwie mußte sie einen Weg finden, Radicks Vorteil über ihre Einheit zu neutralisieren, indem sie die Wölfe zwang, zu ihren Bedingungen zu kämpfen. Wie auch immer die aussehen, dachte sie. Ohne die Augen von der Karte zu nehmen, sprach sie mit ihren Offizieren. Es klang, als würde sie laut denken.
»Stone«, fragte sie in einem sanften Tonfall, der kaum zu ihr paßte. »Wenn du Sterncolonel Dirk Radick wärst, was würdest du tun?«
Stone stellte erstaunt eine Augenbraue schräg. »In dem Wissen, daß ich es mit einer Einheit zu tun habe, der ihre Feuerprobe noch bevorsteht, würde ich hart und schnell zuschlagen. Ich würde mit solcher Stärke und Geschwindigkeit angreifen, daß meine Gegner keine Gelegenheit hätten, als Einheit zu reagieren, sondern gezwungen wären, sich als Einzelkämpfer zu verteidigen. Sie ... wir ... wären innerhalb von Minuten besiegt.«
»Genau das würde ich auch tun«, meinte sie und starrte weiter auf die Karte. Ein erfahrener, kampferprobter Trinärstern oder Sternhaufen konnte unter den entsprechenden Umständen beinahe instinktiv reagieren. Die Krieger kannten ihre jeweiligen Reaktionen auf eine breite Palette von Situationen und kompensierten ihre Schwächen gegenseitig mehr reflexartig als aus taktischer Überlegung heraus. Aber die Pirschenden Bären existierten noch nicht lange genug als Einheit, um diese Qualität zu haben. »Constant Tseng, wenn du Dirk Radick wärst, wo würdest du von uns erwarten, daß wir diesen Test bestreiten?«
Tseng studierte die Karte. Seine dunklen Augen wurden schmal. »Wäre ich Sterncolonel Dirk Radick, gäbe es nur einen Ort, an dem ich erwarten würde, gegen dich kämpfen zu müssen. Die Festung.« Er nickte bei sich, als überzeugte seine Antwort ihn selbst. »Fort DelVillar ist die logischste Verteidigungsposition für unseren Test. Hier könnten wir enge Befehlsintegrität aufrechterhalten. Die Wölfe werden zehn Tage brauchen, bis sie Toffen erreichen. Das gäbe uns Zeit, ein paar innere Verteidigungsstellungen aufzubauen. Wir könnten sie für jeden Zentimeter Boden bezahlen lassen, den sie einzunehmen versuchen.«
»Stone?« fragte Angela. »Du würdest auch von
mir erwarten, daß ich hier kämpfe, frapos?«
Stone dachte kurz nach. »Es ist die logischste Wahl. Pos, ich würde
erwarten, daß du dich hier zum Kampf stellst, weil dies deine
Logistik- und Nachschubbasis ist. Du bist auf jeden Fall an diese
Anlage gebunden. Wäre ich ein Wolf, würde ich diese Festung
möglichst schnell erobern, um dich zu vernichten.«
Sie fixierte das quadratische Bild des Forts auf der Karte. Sie
mußte die Wölfe zwingen, zu ihren Bedingungen zu kämpfen, auf
Gelände ihrer Wahl. Dann kam ihr die Lösung. »Was, wenn wir das
Fort aufgeben?«
Tseng schüttelte den Kopf. »Bei allem Respekt, Sterncaptain, aber
das wäre ein Fehler. Stone hat recht, wir brauchen diese Anlage.
Hier reparieren wir unsere Maschinen, hier lagert unsere Munition,
das Fort ist unser Herz. Außerdem ist es die beste
Verteidigungstellung auf dem ganzen Kontinent. Wir werden uns hier
eingraben und die Wölfe für jeden blindwütigen Ansturm teuer
bezahlen machen, wie die dreihundert Spartaner der
Legende.«
»Du vergißt, daß die Spartaner an den Thermopylen bei aller
heldenhaften Verteidigung schlußendlich besiegt wurden,
Sterncommander. Denke an den Sturm auf Alamo oder die Belagerung
von Fort Diffly auf New Vandenburg, wo mehr als hundert Krieger
nach zwanzig Tagen ums Leben kamen. Sicher alles glorreiche
Schlachten, die sich teilweise zu strategischen Siegen
entwickelten, aber alle waren taktische Niederlagen. In einem
Gefechtstest kann eine taktische Niederlage das Ende
bedeuten.«
»Nicht alle derartige Verteidigungsgefechte waren Niederlagen. Bei
Roarke's Drift haben die Briten Tausende Zulu-Krieger
zurückgeschlagen«, wandte Tseng ein.
»Aber sie hatten einen enormen technologischen Vorsprung, Constant
Tseng. Es war ein Kampf von Speeren gegen Gewehre. Hier kämpfen wir
mit gleichen Waffen.«
»Du hast einen Plan?«
»Pos. Wir werden uns einige der grundlegensten Prinzipien der
taktischen Kriegsführung zunutze machen: Zwinge den Feind, zu
deinen Bedingungen zu kämpfen, ergreife die Initiative und behalte
sie. Statt uns Dirk Radicks Wölfen in einem kurzen, schnellen Test
zu stellen, werden wir sie in einen ausgedehnten Feldzug zwingen.
Wie die ComGuards auf Tukayyid werden wir ihn treffen, wo er am
schwächsten ist, bei der Logistik. Wir werden ihn ausbluten, ihn
aushungern. Die Zeit wird für uns arbeiten.«
»Was ist mit dem Fort?« fragte Stone.
»Das Fort wäre leicht zu verteidigen, aber im Grunde ist es nur ein
Symbol für unsere Anwesenheit auf Toffen. Wir werden alles von Wert
aus Fort DelVillar abziehen. Die Vorräte und Ersatzteile können wir
auslagern und in kleinen Depots über den Kontinent verteilen.
Unsere Techs können kleine Wartungsbereiche aufbauen, von deren
Lage die Wölfe nichts wissen. Sollen sie das Fort ruhig einnehmen.
Sie werden nichts erbeuten, was ihnen etwas nützen
könnte.«
»Dann werden sie Jagd auf uns machen«, stellte Tseng
fest.
»Stimmt, aber wir werden in Bewegung bleiben. Sie werden uns zum
Kampf stellen, aber wir werden entscheiden, wann und wo. Sie haben
die größere Kampferfahrung, aber wir kennen das Gelände. Um uns zu
jagen, werden sie ihre Nachschublinien bis an die Grenzen des
Möglichen strecken müssen. Wir werden ihnen keine Ruhe gönnen. Wir
werden uns aufteilen und als unabhängige Sterne agieren. Wenn wir
gegen den Feind losschlagen, werden wir ihn schwächen und uns dann
zurückziehen. Wenn wir kämpfen, werden wir unsere Kräfte
konzentrieren, zuschlagen und wieder verschwinden, bevor die Wölfe
Gelegenheit haben, sich zum Gegenschlag zu sammeln. Wir werden
größere Konfrontationen um jeden Preis vermeiden, denn das würde
ihnen die Chance geben, ihre Kräfte zu einem endgültigen Sieg
zusammenzuziehen. Wir werden sie langsam schwächen, sie abnutzen,
in einem Guerillafeldzug.«
»Können wir mit Verstärkungen rechnen?« fragte Tseng.
»Ich werde eine HPG-Botschaft an das Oberkommando aufsetzen.
Vermutlich wird man eine Streitmacht für einen Widerspruchstest
senden, für den Fall, daß wir Toffen verlieren. Die Geisterbären
lassen einander nicht im Stich. Aber wenn wir eine
Entscheidungsschlacht vermeiden, besteht die, Chance, daß wir noch
im Kampf stehen, wenn unsere Eidgeschwister eintreffen. Und das
wird mithelfen, Sterncolonel Dirk Radick nervös zu machen.« Der
Plan nahm immer mehr Gestalt an, noch während sie ihn erklärte, und
mit jedem Satz erkannte sie, daß einiges für ihn sprach. Sie konnte
Radick zwingen zu reagieren, konnte ihm die Initiative rauben. Das
war zumindest teilweise der Schlüssel zum Sieg.
Stone hatte einen Einwand. »Ein tagelanger Feldzug, wie er dir
vorschwebt, wird unseren Leuten schwerfallen. Sie sind derartige
Feldzüge nicht gewohnt.«
»Ebensowenig wie ich es vor Jarett war. Wir Geisterbären sind keine
Anpassungskünstler, in dieser Hinsicht sind uns die Wölfe
überlegen. Aber auf Jarett habe ich gelernt, wie wichtig
Flexibilität ist, und dieselbe Lektion steht uns hier bevor. Ich
habe auf Jarett eine ganze Woche gegen die draconischen Verteidiger
gekämpft und den Sieg errungen. Auch die Schlacht um Tukayyid
dauerte Tage. Das hier ist dieselbe Art von Kampf, nur noch länger.
Wir können es schaffen,
Sterncommander.« In ihrer Stimme lag Feuer. Sie streckte die Hand
aus und packte den jungen KommTech fest an der Schulter. »Suche
ChefTech Luray und Doktor Drogan. Sie sollen sich sofort bei mir
melden.«
»Wir haben hier eine gewaltige Menge an Nachschub und Ersatzteilen
eingelagert«, bemerkte Tseng. »Allein schon die zu bewegen, wird
eine Herausforderung.«
»Wir haben Mechs. Die lassen sich mit Transportnetzen ausrüsten«,
erwiderte Stone. »Aber Sterncommander Constant Tseng hat nicht
unrecht. Wenn wir eine Chance haben wollen, das zu schaffen, müssen
wir uns auf der Stelle an die Arbeit machen.«
»Vermutlich könnten wir gut zehn Nachschublager einrichten«, meinte
der. »Natürlich müssen wir mit denen beginnen, die am weitesten
entfernt liegen.« Er trat an die Karte und deutete auf mehrere
logische Standarte. Der Wandschirm markierte die Stellen, an denen
seine Finger ihn berührten, mit einem orangeroten
Leuchtpunkt.
Kerensky sei Dank kennen wir uns wenigstens in
einem Teil des Geländes aus, dachte Angela. Sie nickte
zustimmend und drehte sich noch einmal zu einem der KommTechs an
den Überwachungsgeräten um. »Schicke eine Nachricht an
Galaxiscommander Roberto Snuka und Sterncolonel Dana Vishio.
Priorität Eins. Autorisationscode Silber. Sicherheitscode Delta
Gamma Zeta.« Der Tech aktivierte den Compblock für die Aufzeichnung
der Nachricht.
Angela räusperte sich. »Hier spricht Sterncaptain Angela Bekker vom
Trinärstern Pirschende Bären. Zum gegenwärtigen Datum und Zeitpunkt
hat der 7. Gefechtssternhaufen Clan Wolfs unter Sterncolonel Dirk
Radick einen Besitztest um Toffen eingeleitet. Ich habe meinen
gesamten Trinärstern zur Verteidigung des Planeten geboten. Ich
habe den Kontinent Graham als Schauplatz des Tests gewählt und
werde meine Einheit entsprechend in Stellung bringen. Ich plane,
den Kampf so lange wie möglich auszudehnen. Erbitte das Ausrücken
einer Entsatzstreitmacht zu unserer Unterstützung.« Sie bedeutete
dem Tech mit einer Geste, daß sie fertig war, und er schaltete die
Aufzeichnung ab.
»Wie lange wird es dauern, bis die Verstärkungen hier sein können?«
wollte Stone wissen.
»Falls sie nicht bereits abmarschbereit an einem nahegelegenen
Sprungpunkt warten, müssen wir vermutlich mit zweiundzwanzig Tagen
oder länger rechnen, vorausgesetzt, sie haben keinen allzu weiten
Weg«, antwortete Tseng. »Und das ist schon optimistisch
geschätzt.«
Angela legte dem KommTech, der ihre Nachricht aufgezeichnet hatte,
die Hand auf die Schulter. »Sobald die Botschaft abgegangen ist,
wirst du den Hauptsendeschaltkreis und die Ausrichtungssteuerung
des HPG ausbauen. Sie werden auf mehrere der von uns eingerichteten
Nachschubdepots verteilt. Nähere Befehle erhältst du
noch.«
»Damit machst du unser HPG unbrauchbar«, sagte Stone.
»Aye«, bestätigte Angela. »Wenn Sterncolonel Dirk Radick keine
Gelegenheit hatte, sich diese Mission autorisieren zu lassen, wie
wir es annehmen, möchte ich ihm keine Gelegenheit geben,
zusätzliche Wolf-Einheiten anzufordern oder sein Vorgehen mit dem
Rest des Clans zu koordinieren.«
Die Tür am anderen Ende der Zentrale öffnete sich, und Drogan kam
herein, begleitet von einem drahtigen jungen Mann in einem
verdreckten Overall. Angela wußte, daß das der ChefTech Luray war.
Damit eine Militäreinheit einwandfrei funktionieren konnte,
brauchte es mehr als nur Nachschub und Munition. Diese beiden
Männer würden mithelfen, eine Infrastruktur aufzubauen, die es
ihren Kriegern ermöglichte, langfristig durchzuhalten.
Angela winkte sie hastig heran. »Doktor, ChefTech, wir stehen vor
einem Problem. Clan Wolf versucht, Toffen zu übernehmen.«
Drogans normalerweise so selbstsicherer Gesichtsausdruck fiel in
sich zusammen.
»Doktor, ich erwarte von dir, daß du deine gesamte Krankenabteilung
zusammenpackst und abtransportierst. Wir werden die Wölfe zu einem
Guerillafeldzug zwingen, und du wirst in der Wildnis mehrere
Feldhospitäler aufbauen müssen. Wir geben Fort DelVillar auf und
zwingen die Wölfe, zu unseren Bedingungen zu kämpfen.«
Halb erwartete Angela eine arrogante Antwort, aber der Arzt
überraschte sie. »Gibt es keine andere Möglichkeit?«
»Neg, das ist unsere beste Hoffnung. Um die Wölfe besiegen zu
können, müssen wir sie langsam erschöpfen. Deine Aufgabe wird es
sein, unsere Krieger währenddessen am Leben zu halten.«
Ausnahmsweise unterdrückte der Arzt seine Neigung zu spöttischen
Bemerkungen. »Das wird nicht leicht, ich mache mich besser gleich
an die Arbeit. Wieviel Zeit habe ich?«
»Neun Tage, vielleicht zehn.«
»Das reicht nicht.«
»Zu schade«, erwiderte Angela. »Ich bezweifle, daß Sterncolonel
Dirk Radick dir soviel Freiheit zugestehen wird wie ich,
insbesondere bei seinem berüchtigten Haß auf
Freigeburten.«
Drogan verzog das Gesicht. »Zehn Tage ... Sterncaptain«, bestätigte
er und drehte um. Angela sah zu ChefTech Luray. »Du hast es gehört,
frapos?«
»Pos, Sterncaptain.«
»Wir bauen alles ab, was den Wölfen in dieser Anlage von Nutzen
sein könnte. Koordiniere deine Maßnahmen mit Sterncommander
Constant Tseng. Ihr werdet die Wartungsanlagen des Forts abbauen
und Feldstationen einrichten müssen, um unsere Truppen kampfbereit
und versorgt zu halten. Könnt ihr das?«
Luray war sichtlich nervös, und seine Antwort kam mit erkennbarem
Zögern. »Ich bin mir nicht sicher, Sterncaptain. Das haben wir
vorher noch nie getan.«
»Keiner von uns hat das je zuvor getan. Du kennst deine Fähigkeiten
und die deiner Leute. Also antworte mir, könnt ihr es?«
»Positiv, Sterncaptain«, preßte Luray hervor, »Aber ich muß sofort
anfangen.«
»Dann los«, befahl Angela und trat an die Funkstation. Sie klopfte
mit den Knöcheln auf die Konsole, um die Aufmerksamkeit des jungen
Techs zu erregen. »Öffne einen Kanal zu dem Wolf-Schiff.« Er
betätigte ein paar Tasten, dann hob er den Daumen zum Zeichen, daß
die Verbindung stand.
»Sterncolonel Dirk Radick, hier spricht Sterncaptain Angela Bekker.
Ich wähle den Kontinent Graham als Austragungsort für diesen Kampf.
Ich freue mich auf dein Gebot... und deine Niederlage.« Mit einer
Handbewegung ließ sie die Verbindung kappen. Sollte er sich ruhig
fragen, was sie vorhatte. Er sollte merken, daß er ihr zwar
rangmäßig überlegen war, aber in keiner anderen Hinsicht.
Angela Bekker drehte sich ihren beiden Sterncommandern um. »Wir
dürfen Sterncolonel Dirk Radick nicht unterschätzen. Stellt sicher,
daß unsere Nachschubdepots vor einer Orbitalortung geschützt sind,
falls er etwas vermutet. Verwischt unsere Spuren. Jeder Krieger
darf nur die Lage einer Handvoll Nachschubbasen kennen, für den
Fall, daß er in die Leibeigenschaft der Wölfe gerät. Von diesem
Moment an müssen wir uns verhalten, als stünden die Blutsäufer
schon auf unserem Boden. Meine Herren, der Kampf hat begonnen.«