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Landungsschiff General Gordon,
im Anflug auf Slewis Randgemeinschaft, Peripherie

16. März 3059

Livia Hawke bereitete sich auf den Angriff vor und verlagerte den größten Teil des Körpergewichts nach hinten auf das rechte Bein. Den rechten Fuß drehte sie etwas, so daß er senkrecht zu dem nach vorne geschobenen linken stand.

Geschützfeldwebel Harry Coombs, von den anderen Feldwebeln und seinen Männern nur »Gunney« genannt, stürmte forsch heran. Er war einen Kopf größer als sie und war von wuchtigem, muskelbepacktem Körperbau. Das graue Haar trug er in einem kurzen Bürstenschnitt, und er trug einen grauen Trainingsanzug mit dunklen Schweißflecken an Hals, Brust und Achseln. Sie hatten beide Sparringszeug angelegt, Schutzhelme, Handschuhe und gepolsterte Stiefel.

Coombs' Hände schossen zum Angriff hoch und auf Hawkes Gesicht zu. Er bewegte sich mit blitzartiger Geschwindigkeit, weit schneller, als irgend jemand bei einem Mann seiner Statur erwartet hätte.

Hawke wich vor dem Angriff zurück und wehrte ihn mit flachen Händen ab. Das Knallen ihrer aufeinandertreffender Arme hallte über das Deck der General Gordon. Das Landungsschiff befand sich auf dem Flug ins Systeminnere, und der Antriebsschub lieferte Schwerkraft für ein Kampfsporttraining. Nicht allzu viel, aber genug.

Die General Gordon war ein älteres Modell der Union-Klasse, das eine komplette Kompanie aus einem Dutzend BattleMechs oder Fahrzeugen in die Schlacht tragen konnte. Ein Sprungschiff dahingegen bewegte sich zwischen den Sonnensystemen, oder genauer gesagt, zwischen den Zenith- oder Nadirsprungpunkten weit ober- bzw. unterhalb der Schwerkraftsenken ihrer Zentralgestirne. Sprungschiffe waren bis zu einem Kilometer lang, aber nicht dafür gebaut, durch die Gravitationsfelder im Innern eines Sonnensystems zu fliegen Das erledigten die Landungsschiffe. Sie dockten für der Flug zwischen den Sternen mittschiffs am Rumpf eines Sprungschiffs an. Im Gegensatz zu ihren interstellar-flugtauglichen Vettern waren sie in der Lage, vom Sprungpunkt zu einem Planeten zu fliegen und auf dessen Oberfläche aufzusetzen.

Die etwa ein Dutzend anderen Besatzungsmitglieder, die in ihrer Freischicht hier in die Halle gekommen waren, hatten sich um die Matte versammelt, als sich Coombs und Hawke nach ihren Kampfsportkata-Aufwärmübungen zum Duell gegenübergetreten waren. Weder sie noch der Feldwebel hatten vor oder während der Begegnung ein Wort miteinander gewechselt.

Die Wände des Appelldecks waren stumpf. Der grüngraue militärische Anstrich blätterte ab. Als Hawke mit ihrem Armverband einen Handkantenschlag seiner Rechten schmerzhaft abblockte, drang ihr der in der ganzen Halle in der Luft hängende Schweißgeruch in die Nase. Die General Gordon war schon vor Jahrhunderten in Dienst gestellt worden. In dieser ganzen Zeit waren auf diesem Deck Kämpfe und Gefechtssimulationen abgelaufen. Dies war nicht der erste Zweikampf hier, und es würde auch nicht der letzte werden.

Hawke hatte die Zeit für ihren Trainingskampf angesetzt, und Coombs war sofort einverstanden gewesen. Die beiden waren bei den Aces als gelegentliche Sparringspartner bekannt, die keiner Herausforderung aus dem Weg gingen. Sie hatte sogar Creditnoten an den Seitenlinien den Besitzer wechseln sehen. Es lag etwas Magisches darin, wenn ein Unteroffizier mit einem Offizier kämpfte.

Gunney ließ nicht locker und sprang wieder auf Hawke zu. Er erwischte sie mit einem Streifschlag, der ihr klarmachte, daß sie keinen Spielraum für Fehler hatte. Sie versuchte, Coombs die Beine wegzusäbeln, aber er sprang über ihren Tritt weg. Seine Fäuste wirbelten wie ein Hurrikan auf sie zu. Sie konnte die meisten Hiebe abblocken, aber ihre Verteidigungshaltung nahm ihre jede Möglichkeit, selbst zum Angriff überzugehen. Der Schweiß, der ihr in den Augen brannte, erinnerte sie nachdrücklich daran, daß er keine Gnade erwartete oder zeigte - auf ihren ausdrücklichen Befehl nicht.

Sie konterte und wehrte seine Schläge ab. Nach Jahren des Zweikampfs wußte sie, daß Coombs sich auf seine Größe, sein Gewicht und die Länge seiner Arme verließ, die ihm in den meisten Fällen einen klaren Vorteil verschafften. Hawke konnte sich trotzdem gegen ihn halten.

Sie bewegte sich flüssig, aber ihr selbst erschienen ihre Bewegungen abgehackt Die Verletzungen zwickten und zerrten und erinnerten sie daran, daß sie noch nicht voll genesen war Das Training half allerdings. Der MedTech hatte ihr einen speziellen Bindeverband um den Unterarm gelegt, der ihr gestattete, den Arm zu benutzen, während der Knochenbruch heilte. Die Schmerzen halfen ihr, die emotionalen Wunden zu überwinden, die nach dem Geschehen auf dem Vogelsangkamm zurückgeblieben waren.

Coombs verlagerte das Gewicht und rückte vor. Er traf sie mit einem kräftigen Schlag in die Magengrube und warf sie einen Schritt zurück. Aber Hawke geriet nur kurz ins Wanken, dann schwang sie das Bein erneut unter das seine, und diesmal erwischte sie ihn an der Ferse. Coombs ging zu Boden und rollte ab, aber ein plötzliches Krachen und Zischen dröhnte aus dem Lautsprecher, gefolgt von einer über das Deck hallenden Stimme. »Oberleutnant Hawke, Prioritätsdatenübertragung von Slewis trifft ein.«

Plötzlich stoppte der Kampf. Livia Hawke atmete tief ein, richtete sich auf und sah hinüber zu dem Geschützfeldwebel. Coombs schlug frustriert auf die Matte und rollte auf die Füße. Er hob die Arme und sah sie erwartungsvoll an.

»Genug«, keuchte Hawke. Sie schüttelte schwer atmend den Kopf. »Genug«, wiederholte sie. »Wenn ich noch weitermache, kippe ich um.« Ihr Gesicht war triefnaß vor Schweiß, und ihr Herz hämmerte in der Brust.

Coombs zögerte nur einen Augenblick, dann ließ er die Deckung sinken. »In Ordnung, Ma'am.«
Sie verbeugten sich voreinander, die rechte Faust in die offene linke Hand gelegt. Hawke hob den Kopf und fing das Handtuch auf, das einer der Soldaten ihr zuwarf. Sie nickte dankbar, dann wischte sie sich das Gesicht ab.
»Bis später, Gunney«, verabschiedete sie sich müde von Coombs und machte sich auf den Weg zum Interkomterminal in einer der Stützsäulen. Ihr Compblock war an das Terminal angeschlossen, und von seinem Bildschirm blinkte ihr die Mitteilung entgegen, daß er die Datenübertragung von Slewis empfangen hatte.
Sie hatte schon auf die Daten gewartet. Kommandanthauptmann Able hatte ihr angekündigt, daß er die Akten der neuen Rekruten und alle AnalytikerInformationen über HPG nach Slewis senden würde, so daß sie auf dem neuesten Stand blieb. Hyperpulsgeneratoren waren, abgesehen von Kurierschiffen, die einzige Möglichkeit, Nachrichten über interstellare Entfernungen zu verschicken, die noch zu Lebzeiten des Absenders ankommen sollten. Die HPGStationen der Randgemeinschaft waren allerdings allesamt alte Klasse-C-Stationen mit einer recht niedrigen Übertragungspriorität. Diese Nachricht war nur Tage vor ihrer Ankunft eingetroffen. Aber so war das nun mal in der Peripherie. In der Inneren Sphäre hätte die Botschaft den Empfänger weit früher erreicht.
Ihr verbundener Arm schmerzte, als sie den Compblock aus dem Bus zog und die Daten aufrief. Sie und ihre Lanze sollten am 19. März auf Slewis eintreffen.
Dort würde sie zu der örtlichen Miliz und einer der Schlammstampferlanzen der Aces aus Panzern und Infanteristen stoßen.
Die Händler befanden sich bereits auf Slewis und hatten ihren Aufbruch für den 25. März geplant. In der größten Gefahr schwebten sie während der letzten Landephase am Boden, wenn die Waren zum Abtransport eingeschifft wurden. Das war der Zeitpunkt, zu dem Plünderer und Raumpiraten bevorzugt angriffen. Leere Frachter anzugreifen machte wenig Sinn.
Als sie die HPG-Botschaft überflog, stellte Hawke fest, daß Kommandanthauptmann Able den Flugplan geändert hatte. Er hatte den Abflug der Händler auf den 23. März vorverlegt. Ihre Blicke jagten über den geheimen Nachrichtentext, und sie verstand den Grund für die Änderung sofort. Die Verschiebung der Abflugdaten machte einem möglichen Piratenüberfall einen Strich durch die Rechnung. Außerdem reduzierte es die Anzahl der möglichen Verdächtigen, falls es einen Verräter in den Reihen der Aces gab, und ließ ihm dazu nur ein Minimum an Zeit, die Änderung in den Plänen an seine Auftraggeber weiterzugeben.
Ein um zwei läge vorverlegter Abflug bedeutete auch eine um zwei Tage frühere Ankunft auf Gillfillan's Gold. Falls die Piraten die Händler angriffen, konnten sie den neuen Zeitplan nur von einem Mitglied der Aces erfahren haben. Und mit ziemlicher Sicherheit überwachten die Analytiker der Einheit alle Kontakte und Kommunikationsverbindungen sehr genau auf verdächtige Handlungen.
Für Hawke bedeutete das, daß sie in kurzer Zeit eine Menge zu erledigen hatte. Die Händler mußten von dem veränderten Zeitplan in Kenntnis gesetzt werden, und die Aufmarschplanung wurde erheblich gestrafft. Das alles war machbar, aber es brachte ein zusätzliches Element der Dringlichkeit ins Spiel, auf das sie nicht vorbereitet gewesen war.
Der Rest der Datenübertragung bestand aus Routinenachrichten, Informationen über die Ersatztruppen, die auf Slewis angeworben worden waren, um die Verluste am Vogelsangkamm auszugleichen. Sie rief die Liste der elf neuen Soldaten auf und überflog sie. Da sie selbst aus der Randgemeinschaft stammte, suchte sie bei solchen Gelegenheiten automatisch nach vertrauten Familiennamen, vielleicht sogar nach denen alter Freunde. Es kam nur selten vor, daß sie dabei Erfolg hatte, aber es kam vor.
Diesmal sprang ihr ein Name ins Auge. Schütze Rassor, Harley Dain. Rassor. Die Erinnerung an Benjamin stieg in ihr auf. Sie erinnerte sich, daß er mit Zuneigung von seinem jüngeren Bruder gesprochen hatte und daß dessen Name Harley war. Sie sagte sich, daß das nur ein Zufall sein konnte, aber ihr Puls hämmerte, als sie den Namen des Rekruten anklickte und seine Dienstakte aufrief.
Tatsächlich. Der Eintrag war noch nicht einmal aktualisiert. Benjamin Rassor war noch immer als einziger Bruder verzeichnet. Hawke starrte auf den Schirm. Sie fing gerade erst an, ihre Gefühle über Benjamins Tod zu verarbeiten. Wenn es etwas gab, was sie jetzt ganz und gar nicht gebrauchen konnte, dann war das jemand, dessen bloße Anwesenheit eine ständige Erinnerung an ihr Versagen auf dem Vogelsangkamm war.
Jedenfalls nicht, wenn sie es verhindern konnte. Kommandanthauptmann Able hatte eine Reihe recht rigider Regeln betreffs der Personalrekrutierung. Familienangehörige im Dienst gefallener Aces wurden erst mehrere Jahre nach dem Todesfall aufgenommen. Er hatte diese Regel eingeführt, als die Aces die Rotation der planetaren Milizen der Randgemeinschaft in die Einheit aufgenommen hatten. Sie sollte verhindern, daß Verwandte aus Rachegelüsten in die Einheit eintraten, oder aus anderen verqueren Motiven über die Wiedergutmachung erlittener Fehler oder Verluste.
Hastig schob Livia Hawke ihren Compblock wieder auf den Terminalanschluß und rief das Kommsystem auf. Das war ein Problem, das sie auf der Stelle lösen konnte. Schütze Harley Rassor würde nicht zu Able's Aces stoßen. Dafür würde sie sorgen.

BattleTech 50: MechWarrior Trilogie
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