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Trainingszentrum der Kore-Lanciers, Niffelheims, Kore Peripherie
11. April 3060

Die Tür der Kapsel öffnete sich mit einem Zischen, und kühle Luft strömte ins Innere, während Sturm die Sitzgurte löste und die Arme hob, um den Neurohelm abzunehmen, damit der Luftzug den Schweiß trocknen konnte, der von seinem Gesicht tropfte und seine Haut wie ein Film bedeckte. Er stellte den Helm beiseite, wobei er sorgfältig darauf achtete, sich nicht in den Kabeln zu verheddern, und kletterte aus der Luke, um sich seine Standpauke abzuholen. Er fuhr sich mit einer Hand durch das nasse dunkle Haar, das in einem unter MechKriegern verbreiteten Stil oben länger, aber seitlich extrem kurz geschoren war, um den Kontakt mit den Neuropflastern des Helms zu erleichtern.

Sturm grinste den draußen auf ihn wartenden Mann keck an, aber es war deutlich zu sehen, daß Stabsfeldwebel Aaron Krenner nicht in der Stimmung für Witzeleien war.

Der Stabsfeldwebel der Kore-Lanciers war über zwei Meter groß. Sein gesamter Körper war eine einzige wuchtige Muskelmasse, die er mit unerbittlichen Trainingssitzungen zu unchristlich frühen Morgenstunden stahlhart hielt. Das Neonlicht des Trainingshangars glänzte auf seiner ebenholzschwarzen Haut und dem billardkugelglatten Kopf. Krenner rasierte sich täglich den gesamten Schädel mit Ausnahme eines sauber getrimmten Kinnbarts, der ihm in den Augen mancher seiner Schüler ein etwas unheimliches Aussehen verlieh. Vermutlich hat er ihn genau deshalb, dachte Sturm. Er trug die Standarddienstmontur der Lanciers mit dem grauweißen Tarnschema, das sich sowohl für arktisches Gelände wie für Stadteinsätze eignete, und andere Geländearten gab es auf Kore nicht. Der Unteroffizier hatte die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt und einen Ausdruck von mühsamer Geduld aufgesetzt. Sturm erkannte auf den ersten Blick, daß ihm eine Predigt bevorstand.

»Feldwebel ...«, setzte er an, aber Krenner fiel ihm mit seiner tiefen Baritonstimme ins Wort, so, als habe er nur darauf gewartet, daß der junge MechKrieger etwas sagte.

»Das war erbärmlich, Kintaro.«
»Aber, Spieß, ich ...«
»Nichts ›aber, Spieß‹, MechKrieger! Ich bin hier,

um Sie auszubilden. Sie sind vielleicht kein Anwärter mehr, aber wenn Sie jemals einen wirklichen Einsatz erleben wollen, müssen Sie noch verdammt viel lernen. Mit so einer Darbietung wären Sie in einem echten Gefecht inzwischen tot!«

Fast hätte Sturm den Kopf geschüttelt. Als ob er hier draußen jemals erwarten könnte, in ein echtes Gefecht verwickelt zu werden, auf einer Bergwerkskolonie am äußersten Rand des erforschten Weltraums, Lichtjahre entfernt vom Geschehen in der Inneren Sphäre. »Es war nur ein Trainingskampf«, protestierte er zaghaft. Krenner hatte recht, wenn er feststellte, daß er sich nicht gerade berauschend geschlagen hatte, aber dafür gab es einen Grund. »Außerdem«, erklärte Sturm weiter, »war es nicht fair. Ich meine, ein Centurion gegen einen Mad Cat?«

»Fair?« explodierte Krenner. Sturm zuckte zusammen und erkannte, daß er genau das Falsche gesagt hatte. »Wir reden hier von Krieg, Kintaro! Das ist kein Spiel. Da draußen in der Wirklichkeit werden Sie in einem echten Mech sitzen, und echte Menschen werden versuchen, Sie umzubringen. Und manche davon werden in größeren Mechs als dem Ihren sitzen, kapiert? Wenn Sie gegen die versagen, gibt es keinen ›Neustart‹-Knopf. Wenn dieser Mad Cat echt gewesen wäre, dann wären Sie jetzt tot. Das ist der Grund für diese Ausbildung. Sie sollen lernen, am Leben zu bleiben.«

Sturm setzte zu einer Entgegnung an, überlegte es sich dann aber anders. Er senkte den Kopf, dann sah er wieder zu Feldwebel Krenner hoch. Schließlich hatte der Spieß ja recht. Wie üblich. »Tut mir leid, Kren. Nächstes Mal mach ich's besser.« Einen Moment hellte Krenners düstere Miene sich auf. Bei all seiner Grimmigkeit betrachtete er Sturm fast wie einen Adoptivsohn. Er hatte sich entschlossen, auf Jenna Kintaros Sohn aufzupassen, nachdem sie vor zehn Jahren gefallen waren, und er dachte nicht daran zuzulassen, daß Sturm sich bei seinem ersten wirklichen Kampfeinsatz gleich über den Haufen schießen ließ.

»Tut mir leid bringt's nicht, Sturm«, erklärte er streng. »Bessere Leistung, das bringt's. Deswegen mußt du üben, und deswegen mußt du lernen, wenn du ein MechKrieger sein und die Erfahrung auch überleben willst.«

Sturm nickte. Er hatte verstanden.
Jetzt trat Kenner an die Steuerkonsole neben der Kapsel und rief die Aufzeichnung von Sturms Sitzung auf. Er ließ sie ein Stück weit durchlaufen, dann drückte er den Pausenknopf. »Na schön, dann fangen wir mal damit an, wie du dich gegen den Uller benommen hast.«
»Was war daran falsch?« protestierte Sturm. »Mit dem bin ich doch gut fertig geworden. Ich hab' ihn abgeschossen, oder etwa nicht?«
»Ja, hast du, aber du warst nachlässig. Die Rutschpartie war ziemlich gut, und gegen einen Mech der Inneren Sphäre hätte sie auch perfekt funktioniert. Aber du hast vergessen, daß Clan-LSR nicht mit denselben Schwierigkeiten über kurze Distanz zu kämpfen haben wie unsere. Indem du auf den Uller zugestürmt bist, hast du dir einen geringeren Vorteil verschafft, als du dachtest. Der Uller-Pilot hat das ausgenützt und dabei deinen Raketenlafette zerstört. Du hattest Glück, aber beim nächsten Mal könnte das schon anders aussehen. Lerne deine Feinde kennen, MechKrieger!«
Sturm nickte. Verdammt, diese Eigenheit der Clan-Raketen hatte er völlig vergessen. Er war wirklich überrascht gewesen, als der Uller ihn auf so geringe Entfernung getroffen hatte.
»Und was den Mad Cat angeht: Der Versuch, ihn auszumanövrieren, war purer Schwachsinn.«
»Was hätte ich denn machen sollen?« fragte Sturm. »Mich zu Klump hämmern lassen?«
»Nein. Du hättest umdrehen und rennen sollen, weg, so schnell du konntest, und daß sofort, als du ihn gesehen hast.«
Sturms Miene mußte sich verhärtet haben, denn Krenner schien genau zu wissen, was jetzt in ihm vorging.
»Du hast ganz richtig gehört, ich habe gesagt rennen. Das ist keine Feigheit, Sturm. Nur ein Vollidiot bleibt stehen und stellt sich zu einem Kampf, von dem er weiß, daß er ihn nicht gewinnen kann. Du hast selbst gesagt, daß ein Kampf zwischen einem Mad Cat und einem Centurion nicht gerade fair ist, also weißt du auch, wovon ich rede. Der ClanMech war deinem um mehr als zwanzig Tonnen überlegen. Er hatte mehr Panzerung, mehr Waffen und war schneller als du. Es war völlig ausgeschlossen, gegen ihn zu gewinnen. Im Augenblick, als du ihn gesehen hast, hätte dein erster Gedanke sein müssen, wie du so schnell wie nur möglich Land gewinnst, ohne völlig zerblasen zu werden.«
»Ich dachte nicht, daß ein MechKrieger den Schwanz einkneifen sollte, wenn's mal haarig wird.«
»Soll er auch nicht. Von einem MechKrieger wird erwartet, daß er für die Einheit sein Leben riskiert, wenn die Situation das erfordert. Aber es wird auch von ihm erwartet, zu wissen, wann er sich selbst und seiner Einheit einen größeren Dienst erweist, indem er den Rückzug antritt. Ein Krieger, der erkennt, wenn es an der Zeit ist, bis zum Tod zu kämpfen, und dann auch dazu bereit ist, hat Mut. Ein Krieger, der grundsätzlich nicht bereit ist, zurückzuweichen, ist einfach nur dumm, und wahrscheinlich ziemlich schnell tot. Du hattest die Gelegenheit, dich aus dem Staub zu machen, und die hättest du ergreifen müssen.«
Sturm sah Krenner einen Moment in die dunklen Augen, und in seinen Gedanken formte sich eine unausgesprochene Frage. Er starrte seinen Ausbilder eine Weile stumm an, dann nickte er. »Ich verstehe, Spieß.«
Krenner erwiderte das Nicken und drehte sich wieder dem Bildschirm zu. »Gut, dann wollen wir uns mal ansehen, wie du von da hättest abhauen und deinen Mech intakt halten können, und möglicherweise sogar das Blatt wenden und auf dem Abmarsch etwas Schaden anrichten.« Er zeigte es Sturm, benutzte das Wrack des Uller als Deckung vor den Waffen des Mad Cat und betonte erneut, wie wichtig es war, Clan-Taktik und -Gedankengänge zu studieren, um den Gegner ebensogut kennenzulernen wie sich selbst.
Sturm hörte sich Krenners Ratschläge und Kritikpunkte an und überlegte sich, wie er die Situation hätte anders angehen können. Und er dachte darüber nach, was Krenner gesagt hatte. Früher oder später, dachte er, kann ein MechKrieger sich nicht mehr zurückziehen. Mama hat das herausgefunden. Manchmal muß man sich einfach stellen, selbst wenn man weiß, daß man es nicht überleben wird.
Die Nachbesprechung ging ziemlich schnell zu Ende, und Sturm hatte noch etwas Zeit, bevor er sich für die Ankunft des Landungsschiffs Tammuz fertigmachen mußte. Er verschwand unter die Dusche und zog sich um, und die ganze Zeit spulte er in Gedanken immer wieder die Analyse seiner Simulatorübung ab.
Krenner hatte recht. Teufel, der Stabsfeldwebel hatte immer recht. Sturm hatte seine Anwärterzeit zwar absolviert und es zum vollwertigen MechKrieger der Kore-Lanciers gebracht, aber er hatte immer noch eine Menge zu lernen. Ihm wurde jetzt erst allmählich deutlich, wie viel.
Solange er denken konnte, hatte Sturm davon geträumt, ein MechKrieger zu werden. Anfangs war es nicht mehr als ein Kindertraum gewesen. Wahrscheinlich gab es im ganzen bekannten Weltraum kein Kind, das nicht später einen Mech steuern wollte, und vorerst mit Mechfiguren spielte, wie Sturm es getan hatte. Später war es der Wunschtraum eines Jungen geworden, der seine Mutter angebetet hatte: Jenna Kintaro, die Kommandeurin der KoreLanciers. Die schneidige MechKriegerin. Nicht unbedingt das Bild einer Mutter, das die meisten Leute mit diesem Begriff verbanden, aber Jenna hatte ihren Sohn geliebt und sich immer gut um ihn gekümmert.
Sturm erinnerte sich immer noch gerne daran, wie sie ihn mit in die Zentralbasis der Lanciers genommen und ihm die riesigen BattleMechs gezeigt hatte, die ehrfurchterweckenden, zehn bis zwölf Meter großen stummen Metallkolosse in ihren Wartungskokons. Sturm erinnerte sich daran, wie er aus der Ferne die Gefechtsmanöver verfolgt und gesehen hatte, wie die Männer und Frauen in den Cockpits, seine Mutter eine von ihnen, den gewaltigen Mechs Leben eingehaucht hatten. Vom ersten Moment, in dem er einen Mech in Aktion gesehen hatte, wollte Sturm selbst eine dieser Kampfmaschinen steuern. Jenna hatte sein Interesse immer gefördert, ihn mit Spielen und Mechfiguren versorgt. Für den jungen Sturm waren BattleMechs genau das gewesen: ein riesiges Spielzeug.
Seit Jahrhunderten war der BattleMech die ultimative Kampfmaschine des gesamten von Menschen besiedelten Weltraums. BattleMechs kämpften um die Vorherrschaft unter den Nachfolgerstaaten, den Erben des alten Sternenbunds, der in einem schier endlosen Krieg auseinandergebrochen war, in dem die verschiedenen Fraktionen versuchten, die Kontrolle über die ganze, auf eine riesige Sphäre von hunderten Lichtjahren Durchmesser verteilte, Menschheit zu gewinnen. Das Kriegsglück hatte sich erst dieser, dann jener Seite zugeneigt, Schlachten wurden gewonnen oder verloren, aber die Nachfolgekriege hatten weiter getobt, über Jahrhunderte hinweg. MechKrieger auf ihren mechanischen Streitrössern waren die neuen Ritter des modernen Schlachtfelds. Das Bild des heldenhaften MechKriegers hatte etwas Romantisches, besonders für einen kleinen Jungen am Rand des bekannten Weltraums, einen Jungen, der die Schrecken des Krieges nie selbst erlebt hatte. Jedenfalls nicht, bis die Clans gekommen waren.
Als der Sternenbund zerbrach und die verschiedenen Fürsten der Inneren Sphäre versucht hatten, sich gegenseitig niederzuwerfen, war das Sternenbundmilitär gezwungen gewesen, sich zu entscheiden. Der von Menschen besiedelte Weltraum war unter den zerstrittenen Nachfolgerstaaten aufgeteilt worden, und die mächtigen BattleMechs und sonstigen Streitkräfte des Sternenbunds konnten sich dem Krieg nicht entziehen. Statt sich für eine Seite zu erklären oder von widerstreitenden Loyalitäten zerrissen zu werden, hatten viele der Truppen eine dritte Möglichkeit gewählt.
Unter dem Befehl General Aleksandr Kerenskys hatten die Sternenbund-Verteidigungsstreitkräfte sich zu einer gewaltigen Armada von Sprungschiffen formiert die ihre BattleMechs und übrige militärische Ausrüstung transportierte. Dann waren sie in den Hyperraum eingetaucht und in den unerforschten Weltraum weit jenseits der Peripherie menschlich besiedelter Systeme gesprungen.
Für Jahrhunderte hatte man nichts mehr von ihnen gehört. Der Exodus der SBVS war zu einem Mythos geworden, zur Legende. Die Menschen in der Inneren Sphäre hatten darüber geredet, daß General Kerensky und seine Sternenbundarmee eines Tages zurückkehren würden, wenn die menschliche Zivilisation ihre Hilfe benötigte. Sie hatten keine Ahnung davon gehabt, wie sich diese Prophezeiung tatsächlich bewahrheit sollte.
Vor zehn Jahren waren plötzlich aus dem Weltraum jenseits der Peripherie geheimnisvolle BattleMechs aufgetaucht. Sie hatten Grenzsysteme ohne Vorwarnung angegriffen, ihre Planeten erobert, und waren sofort weitergezogen. Niemand hatte gewußt, wer diese Angreifer mit ihren seltsamen neuen Mechkonstruktionen waren, nur, daß sie gnadenlos effizient vorgingen und ihre BattleMechs allem weit überlegen waren, was man seit den Zeiten des Sternenbunds in der Inneren Sphäre gesehen hatte. Es waren die Erben Kerenskys gewesen, die Nachkommen der Militärstreitmacht, die Jahrhunderte zuvor aus der Inneren Sphäre aufgebrochen war. In Generationen des Kriegs und Konfliktes hatten sie sich zur ultimativen Kriegerkultur entwickelt, deren Lebensziel die Eroberung war. Sie waren zurückgekehrt, wie die Legenden versprochen hatten, aber nicht, um der Inneren Sphäre zu helfen, sondern, um sie zu erobern und das Erbe zu beanspruchen, das ihre Vorfahren zurückgelassen hatten. Sie nannten sich die Clans.
Kore, zehn Parsek von der äußeren Grenze der Lyranischen Allianz entfernt, lag am Rand des riesigen Keils, den die Clanner in die Innere Sphäre getrieben hatten. Er war ein abgelegener Planet, kaum von Interesse für angehende Eroberer, nur auf Grund seiner Rohstoffe und Bergbauoperationen von Wert. Aber die Clans kümmerte das nicht. Ihre Truppen eroberten jede bewohnte Welt, die sie fanden, und marschierten danach weiter. Clan-BattleMechs waren auf Kore gelandet, um den Planeten zu beanspruchen, und nur die Kore-Lanciers hatten ihnen Widerstand geleistet.
Von der Schlacht auf der Eiswüste der Tundra hatte Sturm nicht viel mitbekommen. Er war damals erst elf Jahre alt gewesen und hatte sich mit seinem Vater in einem Bunker versteckt gehalten, zusammen mit Dutzenden anderer Zivilisten, während von draußen der Schlachtlärm hereindrang. Sturm hatte gewußt, daß seine Mutter und ihre Lanciers die Invasoren aufhalten würden. Schließlich gab es nichts, was sie nicht vollbringen konnten. In dieser Beziehung hatte er sich keine Sorgen gemacht, auch wenn der Lärm der Kämpfe ihm Angst gemacht hatte. Sein Vater hatte die ganze Zeit blaß und krank ausgesehen. Er hatte Sturm zu beruhigen versucht, daß alles gut werden würde, aber der Junge hatte gespürt, daß sein Vater ihn belog. Da hatte er es dann auch mit der Angst zu tun bekommen. Er hatte seine Mutter nie wiedergesehen.
Inzwischen wußte er, daß der Kampf damals vorbei gewesen war, bevor er begonnen hatte. Die Truppen der Lanciers waren den überlegenen ClanMaschinen nicht gewachsen gewesen.
»Ein Krieger, der erkennt, wenn es an der Zeit ist, bis zum Tod zu kämpfen, und dann auch dazu bereit ist, hat Mut. Ein Krieger, der grundsätzlich nicht bereit ist, zurückzuweichen, ist einfach nur dumm«, hatte Krenner erklärt. Was sagte das über seine Mutter? fragte sich Sturm, während er sich die Schweißschicht vom Körper wusch. War Jenna Kintaro eine mutige Heldin gewesen, die bei der Verteidigung ihrer Heimat und Familie gegen eine überwältigende Übermacht ihr Leben geopfert hatte, oder nur zu verbohrt zu erkennen, daß sie nicht gewinnen konnte? Vielleicht ein wenig von beidem. Sturm hielt den Kopf unter die Dusche und ließ sie seine quälenden Zweifel davonspülen. Er zog es vor, seine Mutter als Heldin zu sehen. Es war ihr Mut gewesen, der seinen Wunsch, ein MechKrieger zu werden, gefestigt hatte.
Die Clanner hatten sich nicht lange auf Kore aufgehalten, nur ein paar Monate. Sie waren auf einem Eroberungszug, und eine einzelne kleine Peripheriewelt war für sie kaum von Interesse. Nachdem sie die planetare Bevölkerung befriedet und ihre Stellung abgesichert hatten, war der größere Teil der ClanTruppen ins Herz der Inneren Sphäre weitergezogen. Nur eine symbolische Garnison von Mechs und Infanteristen in hydraulischen Rüstungen, die sich Elementare nannten, war zurückgeblieben, um die unterworfenen Koren zu bewachen.
Sturm erinnerte er sich noch gut an seinen Haß auf die Clanner, wenn sie ihm in den Straßen Niffelheims begegnet waren. Besonders die Elementare waren beängstigend gewesen. Die durch Genmanipulation für die Anforderungen gezüchteten Infanteristen, die das Steuern einer der Clan-Rüstungen stellte, waren gute zwei Meter siebzig groß und muskelbepackt. Sie ähnelten Ogern und Riesen der Sagenwelt. Und wie alle Clan-Krieger waren sie überheblich und selbstgefällig gewesen und hatten auf die Bevölkerung, die sie unterworfen hatten, herabgesehen wie Wölfe auf eine Schafsherde.
Sturm hatte diese kalte Arroganz gehaßt. Wie hatte er sich gewünscht, einfach einen Stein zu packen und eine dieser höhnischen Fratzen damit einzuschlagen. Aber er hatte sich beherrscht. Ein elfjähriger Knabe konnte gegen einen ausgebildeten Soldaten und Mörder nichts ausrichten. Möglicherweise war das seine erste Lektion im besseren Teil der Tapferkeit gewesen, dachte Sturm, als er das Wasser abdrehte. Er tapste über den kühlen Fliesenboden, zog ein Badetuch vom Ständer und trocknete sich ab.
Irgendwann hatte sich das Schlachtglück gewendet. Kore wurde von keiner der Herrscherdynastien der Inneren Sphäre kontrolliert, sondern gehörte komplett der Alfin-Bergwerks-AG, und während es den mächtigen Sternenreichen trotz ihrer riesigen Militärapparate schwerfiel, den Clans effektiven Widerstand entgegenzusetzen, hatte Alfin ironischerweise die bei der Firma unter Vertrag stehenden Söldner in Marsch setzen können, um den Tod ihrer Lancier-Kameraden zu rächen und Kore zu befreien. Damals hatten die Sturmreiter bereits fünfzehn Jahre im Dienst des Konzerns verbracht, und ihre MechKrieger waren entschlossen gewesen, die Clanner für das, was sie sich geleistet hatten, teuer bezahlen zu lassen.
Die Sturmreiter hatten Kore massiert angegriffen. Diesmal waren es die Stahlviper-Truppen gewesen, die in der Unterzahl waren, von der Front isoliert und mit einem übermächtigen Feind konfrontiert. Die ClanKrieger hatten verwegen und bis zum Tod gekämpft, um zu verteidigen, was sie erobert hatten, aber der Sieg hatte den Konzernsöldnern gehört. Kore war befreit und eine neue Mecheinheit unter dem alten Namen Kore-Lanciers aufgestellt worden, um die Welt zu verteidigen. Die Sturmreiter hatten, nachdem sie bei der Befreiung des Planeten schwere Verluste erlitten hatten, von Alfin die Erlaubnis erhalten, in der Bevölkerung der Kolonie Rekruten zu werben, und einer dieser Rekruten war Sturm Kintaro gewesen, inzwischen ein vollwertiger MechKrieger und Mitglied der Sturmreiterlanze der KoreLanciers.
Er warf das Badetuch beiseite und hob die dünne Lederschnur auf, die er abgelegt hatte, bevor er unter die Dusche gestiegen war. Ein kleines, an den Kanten verkohltes Metallstück hing an einem an einer Seite hineingefrästen Loch davon herab. Andächtig hängte er sich das Bruchstück vom BattleMech seiner Mutter wieder um den Hals. Der neue Kommandeur der Sturmreiter hatte es ihm nach der Befreiung Kores geschenkt, und er hatte es während der gesamten Ausbildung getragen, so, wie er es jetzt ständig trug, wenn er im Dienst war. Es war eine ständige Erinnerung daran, warum er hier war.
Er stand einen Moment in dem dunstgefüllten Badesaal und hielt das kühle Stück Metall in der Hand. Dann zog er eine saubere Uniform an und kämte sich. Er hatte gerade noch Zeit, zuhause vorbeizuschauen, bevor er zur Basis mußte. Für Nostalgie blieb ihm später Gelegenheit.
Die Pflicht ruft, dachte Sturm und machte sich auf den Weg.

BattleTech 50: MechWarrior Trilogie
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