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Niffelheims, Kore Peripherie
11. April 3060

Laura Metz' Welt stand kopf, und es gab kaum etwas, was sie dagegen tun konnte. Sie stand in der schmalen Gasse, vor ihrem Mund kondensierte der Atem zu weißen Dunstwolken, und sie versuchte sich zusammenzureißen und sich darüber klarzuwerden, was sie als nächstes tun sollte. Vorgesehen war für diesen Fall, daß sie sich in die Deckung besser zu verteidigender Gebäude tiefer im Stadtinneren zurückzogen, aber gab es überhaupt eine Verteidigung gegen einen Angriff wie diesen?

Vier Clan-OmniMechs marschierten in die Stadt ein. Angeführt wurden sie von einem riesenhaften, fünfundsiebzig Tonnen schweren Mad Cat, einer geduckten Mechkonstruktion mit keulenartig ausladenden Armen, die vor schweren Waffen starrte. Hinter ihr folgten ein Fenris, ein Puma und ein Uller. Der Puma und der Uller ähnelten von der Konstruktion her dem Mad Cat, mit waagerechtem, zwischen großen Vogelbeinen hängendem Torso, unter dessen schweren Schritten der Boden erzitterte. Der Fenris war eine kantig humanoide Konstruktion, deren einer Arm in einer modellierten Hand endete, über der ein Raketenwerfer plaziert war, und der andere im Lauf einer Partikelprojektorkanone.

Laura war eine Schlammstampferin, ein Mitglied des kleinen Infanteriekontingents der Kore-Lanciers, und eines der wenigen Einheitsmitglieder, die sich in Niffelheims aufgehalten hatten, als es losgegangen war. Die meisten Lanciers waren nicht verfügbar. Entweder wurden sie in der Zentrale gefangengehalten, oder sie waren bereits tot. Laura dachte an ein paar ihrer Freunde, die gerade Dienst hatten, und fragte sich, was aus ihnen geworden sein mochte. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt für Trauer oder Sorgen. Ihr Hauptziel mußte sein, selbst am Leben zu bleiben, und die Chancen dafür standen gar nicht gut.

Die ClanMechs hatten ohne Vorwarnung angegriffen, die Kommandozentrale unter ihre Kontrolle gebracht und Kores Mechverteidigung vernichtet oder kampfunfähig gemacht. Ohne Mechs oder die Panzerfahrzeuge, die in der Basis stationiert waren, hatte Niffelheims zu seiner Verteidigung nur vereinzelte Fahrzeuge aufzubieten, ein paar Soldaten, die ihre Freizeit hier verbracht hatten, und eine spärliche Miliz, deren Ausbildung ebensoviel zu wünschen übrig ließ wie ihre Ausrüstung. Gegen vier der gewaltigsten Kampfmaschinen, die menschlicher Erfindungsgeist je entwickelt hatte, besaßen sie nicht den Hauch einer Chance.

Trotzdem hatte Stabsfeldwebel Krenner die wenigen verfügbaren Truppen zusammengezogen, um die Stadt gegen einen Angriff der ClanMechs zu verteidigen, und jetzt, kurz nach Einbruch der Nacht, war es soweit. Ihre Positionslichter machte die furchteinflössenden Kampfkolosse unübersehbar, als sie die wenigen Kilometer zwischen Niffelheims und der Lancier-Basis zurücklegten. Ein Teil der Infanterie hatte an der Stadtgrenze Stellung bezogen, bewaffnet mit KSR-Werfern, schweren Maschinengewehren und allem, was sich in der Waffenkammer sonst noch hatte auftreiben lassen. Es war nicht viel gegen zig Tonnen schwere wandelnde Stahlgiganten, bestückt mit Lichtwerfern und PPKs, aber es war alles, was sie hatten.

Laura beobachtete, wie die Mechs sich der Stadt beinahe gemächlich näherten. Sie hatten es nicht eilig und wußten ohne Zweifel genau, welche entmutigende Wirkung der Anblick derart riesenhafter Kampfmaschinen auf die Truppen und die Zivilbevölkerung haben mußte. Sie ließen sich Zeit. Wohin hätten die Niffelheimser auch fliehen sollen? Dies war die einzige Siedlung des Planeten, seine gesamte restliche Oberfläche war Eiswüste und Wildnis. Die Menschen saßen in ihrer Stadt fest, konnten nichts tun als auf die Ankunft der Mechs zu warten.

Krenner hatte allen befohlen, abzuwarten, bis die Mechs in optimaler Reichweite waren. Munition war kostbar, und sie konnten es sich nicht leisten, auch nur einen Schuß zu vergeuden. Die Kampfkolosse wurden immer größer, kamen immer näher heran, bis Krenner endlich den Feuerbefehl gab.

Mehrere der KSR-Werfer waren mit Infernos geladen. Die Raketen überschütteten die Mechs mit loderndem, klebrigen Brandgel, das die Panzerung angriff und die Wärmetauscher mit seiner enormen Hitzeentwicklung überlastete. Die Infernos schleuderten gewaltige Dampfwolken in den frostigen Nachthimmel Kores, bremsten die Mechs aber kaum. Die Maschinen der Angreifer schluckten das Schlimmste, was die Lanciers gegen sie aufzubieten hatten, und marschierten weiter. Die Vergeltung ließ nicht auf sich warten. Laserfeuer der Feindmechs strich über die Infanterielinien. Selbst ein leichter Mechlaser feuerte genügend Energie ab, um einen Menschen beinahe zu verdampfen und nur noch verkohlte Asche und ein paar Knochen zurückzulassen. Laura mußte mit ansehen, wie einige ihrer Kameraden in den teuflischen grünen Lichtbahnen verbrannten, die über das Schlachtfeld schwenkten. Eine Autokanonensalve des Uller zertrümmerte einen Geländewagen. Er wurde regelrecht in die Luft geschleudert, überschlug sich und krachte, von den Explosivgranaten in Stücke gerissen, acht Meter entfernt wieder zu Boden.

Feldwebel Krenner befahl sofort den Rückzug, und Niffelheims Verteidiger zogen sich in die Stadt zurück. Die Straßen waren an verschiedenen Stellen vermint, so, daß ein BattleMech nötig war, um die Sprengladungen auszulösen. Die Detonationen brachten mehrere Häuser zum Einsturz, und Laura sah einen der Mechs, den Uller, falls sie sich nicht täuschte, leicht schwanken und unter dem Aufprall der Trümmer ins Stolpern kommen, doch dann richtete er sich wieder auf. Die vier feindlichen Maschinen wateten unbeeindruckt durch alles, was die Verteidiger Niffelheims ihnen entgegenschleuderten. Sie schienen unaufhaltsam. Sie kamen einfach immer näher.

Die Lanciers verlegten sich auf Straßenkampftaktiken, griffen die Mechs mit Maschinengewehren und tragbaren Infernowerfern an. Sie ähnelten einem Schwarm von Insekten, der auf die metallenen Riesen einstach, wo sich die Gelegenheit bot, um sie zum Rückzug zu zwingen. Gelegentlich schlug einer der Mechs nach den Soldaten, zertrümmerte mit einer gewaltigen Armbewegung ein Gebäude oder zerkochte sein Ziel in einem Inferno von Laserfeuer. Es dauerte nicht lange, bis die restlichen Truppen sich in voller Flucht befanden. Feldwebel Krenner hatte ihnen befohlen, sich in die Verwaltungsgebäude im Herzen der Stadt zurückzuziehen. Dort würden sie sich zum letzten Aufgebot gegen die Invasoren sammeln.

Laura beugte sich um die Hausecke und sah hinaus auf die Straße. Sie war weitgehend verlassen. In der Ferne heulten Sirenen, und sie konnte einen der knapp über die Hausdächer ragenden Mechs sehen, der mehrere Querstraßen weiter durch die Stadt stampfte. Die Schritte der titanischen Maschinen ließen den Boden erzittern, und Lauras Puls dröhnte fast ebenso laut in ihren Ohren. Sie faßte ihr Sturmgewehr fester und rannte die Straße hinab, duckte sich ab und zu in Gassen und Eingänge, um nach näherkommenden Mechs oder ihnen in die Stadt folgenden Fußtruppen Ausschau zu halten. Aber die schien es nicht zu geben.

Wenigstens etwas. Sie überzeugte sich, daß die Luft rein war, bevor sie zum nächsten Hauseingang sprintete. Die Außenbezirke der Stadt waren bereits evakuiert. Nur die Soldaten hielten sich noch hier auf. Laura hatte den Rest ihrer kleinen Einheit aus den Augen verloren, als beinahe ein Haus über ihnen eingestürzt wäre. In dem Chaos und der Verwirrung, unter einer Wolke von Staub und Qualm und verfolgt von einen der Clan-Mechs, hatten die Lanciers sich verteilt, und Laura war gezwungen, sich allein einen Weg durch das verlassene Stadtviertel zu suchen.

Plötzlich sah sie helle Lichter die Straße herabkommen. Eine Sekunde glaubte sie, es könnte ein BattleMech sein, aber dann erkannte sie die Scheinwerfer eines kleinen Wagens. Sie entschloß sich, das Risiko einzugehen, daß es sich um ein ClanFahrzeug handelte, und trat aus den Schatten, um zu winken. Der Wagen kam wenige Meter entfernt zum Stehen, und sie rannte zur Beifahrertür.

Der ältliche Asiate hinter dem Steuer sah sie überrascht an. Ein Zivilist? Was, zum Teufel, hatte der hier draußen verloren?

»Was machen Sie ...?« setzte sie an. Der Mann schüttelte nur den Kopf. »Steigen Sie ein«, sagte er. Laura dachte nicht daran, ihm zu widersprechen. Sie öffnete die Tür und kletterte hastig in den kleinen Schweber. Sie hatte kaum Zeit, sich zu setzen, als der Fahrer bereits wieder beschleunigte, und sie mit steigender Geschwindigkeit die Straße hinabjagten.

»Danke, Herr ...?«
»Doktor«, erwiderte er. »Dr. Hidoshi Kintaro.« »Obergefreite Laura Metz«, antwortete sie und schob ihr Gewehr seitlich neben den Sitz, so, daß sie es jederzeit fassen konnte. »Sie müssen zur Planetologischen Forschunsgsabteilung gehören. Ich dachte, Sie wären alle schon evakuiert worden.«
Der Doktor verzog das Gesicht. »Sind wir auch. Aber ich konnte nicht alle meine Notizen und Forschungsunterlagen zurücklassen.« Er deutete auf mehrere auf dem Rücksitz gestapelte Plastikkisten. »Sie repräsentieren Jahre harter Arbeit. Ich konnte nicht riskieren, das sie zerstört werden.«
»Sie haben für einen Haufen Forschungsdaten Ihr Leben riskiert?« Dieser Kerl muß zäher sein als er aussieht, dachte sie.
Dr. Kintaro nickte nur.
»Wohin fahren wir?« fragte Laura.
»Ins Verwaltungszentrum. Dorthin wurden doch alle evakuiert, oder?«
»Ja, auch wenn ich nicht weiß, ob das viel... VORSICHT!«
Als der Schweber um eine Ecke bog, krachte fast unmittelbar vor ihnen ein gewaltiger Metallfuß auf die Straße. Es war der Puma. Der ClanMech ragte hoch über ihnen auf, und sein abgeflachter Torso drehte sich in ihre Richtung.
Kintaro riß das Steuer hart zur Seite. Der Schweber rutschte kreischend um den riesigen Mechfuß herum und schoß über die Kreuzung. Er trat das Gaspedal durch, und der Schweber raste mit heulenden Hubpropellern die leere Straße entlang.
Der Puma drehte sich und folgte ihnen wie ein von der plötzlichen Flucht eines Beutetiers angelocktes Raubtier.
»Er verfolgt uns!« schrie Laura gegen das Heulen der Motoren an.
»Das sehe ich selbst!« brüllte Dr. Kintaro zurück. »Er schneidet uns aber auch den direkten Weg zum Zentrum ab. Wir müssen einen Umweg machen.«
»Hier durch!« befahl Laura und deutete in eine Seitenstraße. Zum Glück war Dr. Kintaro nicht in der Stimmung, zu widersprechen. Er riß den Schweber einfach hart nach rechts, und das Heck brach kurz aus und wedelte über die ganze Straßenbreite, bevor es sich wieder stabilisierte. Dem Mech würde eine so abrupte Kurve schwerer fallen, und im Labyrinth der schmalen Stadt-straßen hatten sie eine Chance, ihn abzuschütteln. Laura dankte Gott, daß der Puma seine riesigen PPKs nicht abfeuerte. Ein Treffer damit hätte genügt, den Wagen in einen Haufen Metallsplitter zu zerblasen.
Das sind wir nicht wert, dachte sie. Er spielt mit uns, wie eine Katze mit der Maus, und er will sich den Spaß nicht verderben. Natürlich mußten sie damit rechnen, daß er sie wahrscheinlich mitsamt dem Schweber verdampfen würde, sobald ihm die Verfolgungsjagd langweilig wurde.
Der Schweber rutschte gerade in die nächste Kurve, als der Puma wieder in Sicht kam. Der Mech bewegte sich mit beachtlichem Tempo, streifte ab und zu ein Gebäude, brachte Mauern zum Einstürzen und zertrampelte alles, was ihm in den Weg kam. Der Pilot kümmerte sich einzig und allein um seine Jagdbeute, und plötzlich sah Laura eine Möglichkeit, das zu ihrem Vorteil auszunutzen.
»Da hinüber!« rief sie Dr. Kintaro zu. »Durch diese Straße!« Der Planetologe bog gehorsam ab und raste in die angegebene Richtung. Laura kniff die Augen zusammen und versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen, die sich über die Stadt gelegt hatte. Ohne Lichter aus den Häusern und von den Straßenlaternen mußte sie sich allein anhand der Schweberscheinwerfer orientieren. Es mußte doch hier irgendwo... da. Sie sah den etwa drei Meter über dem Boden quer über die Straße gespannten Draht. Der Puma holte auf, als der Schweber unter dem Draht hindurchschoß. »Bleiben Sie unten und halten Sie sich fest, Dokterchen«, meinte sie, als der BattleMech hinter ihnen heranpreschte.
Sekunden später zerriß der Puma den Draht und löste die Sprengladungen aus, die von den Lanciers auf beiden Seiten der Straße gelegt worden waren. Die gerichteten Sprengladungen explodierten zur Straßenmitte hin, und die Wucht ihrer Detonation ließ den Boden erzittern. Asphalt- und Mauerbrocken prasselten auf den Mech, und die Hauswände auf beiden Seiten brachen in wogenden Staubwolken über ihm zusammen.
Der von den Explosionen völlig überraschte Puma bewegte sich zu schnell. Er rannte weiter, und sein ausladender Metallfuß senkte sich auf einen rutschenden Schutthaufen. Der Mech kippte nach vorne und knallte mit einem dröhnenden Krachen auf den Asphalt. Schwere Schuttstücke stürzten unter der Erschütterung auf seine dünne Rückenpanzerung.
»Jaaaa-HUUU!« juchzte Laura beim Anblick des am Boden liegenden OmniMechs. »Nimm das, du Clan-Bastard!« Der Sturz und die Explosion hatten den Puma sicher nicht kampfunfähig gemacht, aber es würde den Piloten eine Weile kosten, seine Maschine wieder auf die Beine zu bringen, und sie hatten zumindest einen gewissen Schaden angerichtet.
»Sehr schlau«, bemerkte Dr. Kintaro mit einem trockenen Lächeln. Laura bedankte sich mit einem breiten Grinsen. Ihre Zähne strahlten weiß aus dem von Schweiß und Schmutz verschmierten Gesicht. »Leider könnte sich Ihr Jubel als verfrüht herausstellen«, meinte der Doktor, als der Schweber um die Ecke zum Verwaltungszentrum bog und beinahe die turmhohen Beine des 75t-Mad Cat rammte. Der monströse Mech beugte seinen Rumpf zu ihnen herab, und Laura glaubte fast, sie könnte das verdammte Ding lächeln sehen.

BattleTech 50: MechWarrior Trilogie
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