Kapitel 9

Asko von Orven hatte sich und von Görenczy ein frühes Frühstück aufs Zimmer bestellt. Er hatte kein Verlangen nach höflicher Gesellschaft im Speisesaal, wollte niemandem begegnen, besonders nicht Mrs. Parslow oder Delacroix, sofern diese schon auf waren. Von Görenczy war die einzige, unvermeidbare Ausnahme, die er duldete. Er hatte dunkle Augenringe. Er hatte nicht geschlafen.

Nach Miss Jarrencourts schmerzvoller Flucht aus dem Zimmer hatten die beiden bayerischen Offiziere und der britische Colonel die Suite der Damen rasch verlassen. Es war an der Zeit, das fünfte Mitglied des Teams zu konsultieren, das sein Zimmer gegenüber dem Mlle. Denglots hatte.

Noch ehe sie die Zimmertür von Herrn Vonderbrück erreichten, war bereits eine hitzige Debatte zwischen Asko und Delacroix darüber im Gang, wie man sich Damen gegenüber zu benehmen hatte und welche grundlegenden Anstandsregeln selbst in Ausnahmesituationen einzuhalten seien. Der Colonel zeigte wenig Verständnis für die Vorwürfe des jüngeren Kameraden und ging taktloserweise sogar so weit, ihn einen treuherzigen jungen Tor zu nennen, obgleich er vermutlich nicht viel älter war als zehn oder bestenfalls fünfzehn Jahre. Seltsamerweise war es ausgerechnet Udolf, der sie daran erinnerte, daß sie zu so später Stunde mit ihrem Streit die Hotelgäste aus dem Schlaf reißen würden. Tatsächlich fand der Disput jedoch erst ein Ende, als sie Herrn Vonderbrücks Räumlichkeiten betraten und dieser sich verbat, Zwietracht in seine Sphäre zu tragen.

Die Situation war heikel. Die beiden bayerischen Offiziere waren zum Sondereinsatz abgestellt, und man hatte ihnen befohlen, den Colonel zu unterstützen. Dieser war seit Jahren als Agent und Ermittler tätig und hatte auf dem Gebiet größere Erfahrung als die beiden jüngeren Männer. Dennoch befand er sich nicht auf britischem Terrain und unterstand somit formell den bayerischen Offizieren, obgleich sein Rang weit höher war. Cérise wiederum, die es schick fand, von Zeit zu Zeit, wenn es ihre Sängerkarriere zuließ, als elegante Hilfsdetektivin zu fungieren, sah sich selbst als Zentrum und Scheitelpunkt der Aktion. Die Männer waren einhellig nicht dieser Meinung, auch wenn es Seine Majestät König Ludwig II. von Bayern persönlich gewesen war, der sie mit dieser Aufgabe betraut hatte. Die Tatsache, daß es sowohl zwischen ihr und Udolf als auch zwischen ihr und Delacroix Spannungen gab, machte die Angelegenheit nicht einfacher, und Asko war sich sicher, daß er ganz und gar nicht wissen wollte, was genau zwischen ihr und den beiden Offizieren vorgefallen war.

Alexander Vonderbrück war Meister der arkanen Künste. Er arbeitete als freier Berater auf diesem Gebiet, und man zog ihn, so hatte er ihnen offenbart, nur selten zu offiziellen Aufgaben heran. Keiner der vier anderen hatte ihn je zuvor gesehen. Er war nach dem Mord zu der Gruppe gestoßen, um deren magisches Defizit abzudecken. Von Anfang an hatte er sich in seinem Zimmer verschanzt, um von dort aus einen Zauberbann auf das Gebäude zu wirken, der alles Magische und jeden Feyon darin festhielt. Alle paar Stunden mußte er diese Magie auffrischen, und ansonsten beschäftigte er sich damit, Ort und Zeitpunkt des Erscheinens des Spukphänomens zu berechnen. Man nahm an, das Wesen erscheine in gewissen Abständen aus dem Nichts, um aus dem Hotel zu entkommen, sobald es eine Möglichkeit sah, den Bann zu durchbrechen.

Dann begannen die Männer, es zu jagen. Sie hofften entgegen jede Vernunft, es werde ihnen gelingen, es zu fangen oder es werde sie zumindest zu dem verlorenen Manuskript führen, das der ermordete Gast Delacroix hätte aushändigen sollen und das, wie man ihnen eingeschärft hatte, eine Gefahr für die ganze Welt bedeutete. Eigentlich jagten sie das Manuskript. Der Spuk war laut Vonderbrück nur ihr unfreiwilliger Führer zu dessen Versteck. Sie mußten das Manuskript finden und wieder in Sicherheit bringen.

Bisher hatten sie allerdings keine Spur davon gefunden. Sie waren dem Spuk durch das ganze Haus hinterhergestürmt, in der vagen Hoffnung, es möge sich um einen Trick eines weiteren Magiers handeln, der dieses nebelhafte Gedankengebilde benutzte, um seine eigene Suche oder Flucht zu bewerkstelligen. Ein Mensch, selbst einer mit außergewöhnlichen arkanen Kenntnissen, würde schließlich doch gezwungen sein, diese besondere Hilfserscheinung aufzugeben, und sei es nur aus reiner Erschöpfung.

Doch sie jagten keinen Menschen. Corrisande hatte diese Möglichkeit unwahrscheinlich werden lassen, und es kam ihnen nicht in den Sinn, ihr Wort anzuzweifeln. Sie hatte äußerst sicher gewirkt. Sie jagten einem Feyon hinterher, wußten nicht einmal, was für einem, und was die Erschöpfung anging, so war es weitaus wahrscheinlicher, daß das Team mitsamt Meister lange vor dem gejagten Wesen zusammenbrechen würde.

In den vergangenen vierundzwanzig Stunden hatten sie so gut wie gar nicht geschlafen. Statt dessen hatten sie nur abwechselnd ein wenig geruht. Sie hatten versucht, in den Intervallen, in denen die Erscheinung laut Vonderbrück inaktiv war, so viele Nachforschungen wie möglich anzustellen.

Asko von Orven knabberte lustlos an seinem Frühstückstoast. Er war zu müde, um hungrig zu sein. Er sah Udolf zu, wie dieser mit Gusto in die neueste Errungenschaft bajuwarischer Cuisine biß, eine Weißwurst mit süßem Senf, und schloß daraus einmal mehr, daß Chevaulegers ein sehr eigener Menschenschlag waren.

„Wir sollten alle Zimmer noch mal kontrollieren. Vielleicht ist er ganz normal als Gast abgestiegen. Er sitzt möglicherweise ganz ruhig in der Wand über seinem Gepäck, und wir schlagen uns die verdammten Nächte mit überflüssigem Gerenne um die Ohren“, beschwerte sich Udolf.

„Vonderbrück hält das für ausgeschlossen. Zudem hat man uns gebeten, kein Aufsehen zu erregen. Die Hotelgäste würden sich sehr zu Recht beschweren, wenn zwei bayerische Offiziere, ein ungehobelter Ausländer, eine Operndiva und ein zweitklassiger Zauberkünstler, der eine solche Aktion überdies für sinnlos hält, einfach jedermanns Gepäck durchwühlten. Außerdem hat die Polizei die Gäste schon überprüft. Sie hat nichts Verdächtiges gefunden.“

„Die Polizei weiß nicht, worum es geht. Das ist doch absurd!“

„Nicht unbedingt. Die Polizei hat ihre Aufgaben und Möglichkeiten, und unsere Aufgabe ist eine andere.“ Von Orven trank ein paar Schlucke Tee. „Gott, bin ich todmüde. Ich glaube, ich könnte eine Woche lang schlafen.“

Von Görenczy feixte.

„Darauf wette ich, und ich weiß auch, von wem du träumen würdest.“

Asko wurde rot vor Ärger.

„Meine Träume sind hier nicht Diskussionsgegenstand. Sie sind, wenn ich das mal so sagen darf, weit weniger auffällig als deine.“

Udolf lehnte sich zurück.

„Was soll’s? Diese französische Zofe ist wahrscheinlich das hübscheste Mädchen, das mir je unter die Augen gekommen ist – und so gar nicht schüchtern.“

„Offenbar nicht. Wahrscheinlich säumen gebrochene Herzen ihren Pfad von hier bis Paris. Oder glaubst du, sie hat ihr ganzes Leben darauf gewartet, von einem bayerischen Chevauleger geküßt zu werden?“

„Was soll’s – ich habe sie nochmals auf dem Gang getroffen, als sie zu Bett ging. Frisch, unternehmungslustig und kein bißchen ängstlich bezüglich der Vorkommnisse. Ein erstaunliches Mädchen. Sie hat mir alles über Corrisande erzählt.“

„Ach?“ bemerkte Asko in entmutigendem Tonfall.

„Ja“, antwortete Udolf leichthin, biß herzhaft in die nächste Weißwurst und wischte sich seinen Zwirbelschnurrbart an der steif gestärkten Serviette ab.

Einen Moment lang war es still.

„Was hat sie dir denn erzählt?“ fragte Asko schließlich und schalt sich zugleich für seine Neugier.

Udolf feixte. Er erfreute sich an dem moralischen Zwiespalt, in dem sich sein wohlanständiger Freund befand. Asko nahm immer alles viel zu ernst.

„Die ehrenwerte Miss Corrisande Anthea Jarrencourt ist die einzige Tochter Sir Desmond Jarrencourts von Jarrencourt Hall. Das liegt in Kent, einer Grafschaft in der Nähe von London. Der edle Herr ist kränklich und lebt deshalb zurückgezogen in Nordfrankreich, auf den Gütern seiner verstorbenen Gattin in der Normandie. Er geht nie aus. Wie es scheint, ist die Familie ziemlich betucht. Die entzückende Miss Jarrencourt bereist Bayern, um eine alte Tante in Possenhofen zu besuchen, eine gute Bekannte der Wittelsbacher. Der Possenhofener Wittelsbacher. Die süße Miss Jarrencourt wird dabei argwöhnisch von ihrer Tante oder älteren Cousine oder so was, Mrs. Parslow, bewacht, die gut darauf achtgibt, daß die kleine Unschuld nicht etwa irgendwelche Bekanntschaften der unerwünschten Art macht.“

„Da war sie gestern nicht sehr erfolgreich“, brummte Asko unglücklich.

„Aber sie hat sich wacker geschlagen.“

Ein Klopfzeichen ertönte von der Tür her, und Delacroix trat ein. Er wirkte abgespannt, sein wirres Haar hätte einen Kamm vertragen können, sein Kragen stand halb offen, und seine Krawatte saß schon wieder schief. Er trug immer noch den schmutzigen Rock.

„Ich freue mich zu sehen, daß Sie es so gemütlich haben, meine Herren“, bemerkte er mit sanftem Sarkasmus. Die beiden sprangen auf und vergaßen für einen Moment, daß er nicht ihr Vorgesetzter war. „Wenn ich Ihre Aufmerksamkeit von den Feinheiten der lokalen Küche auf dringendere Aufgaben lenken darf: Die Jagd geht weiter. Vonderbrück glaubt, der Spuk werde sich in Kürze auf dem Dachboden materialisieren. Wir sollten los.“

„Wird Cérise mitkommen?“ fragte Udolf und benutzte den Vornamen der Sängerin ein wenig ostentativ.

„Mlle. Denglot pflegt nie so früh aufzustehen. Frühes Aufstehen ist schlecht für ihre Stimme und noch schlechter für ihre Laune“, gab Delacroix allzu wissend zurück. Von Görenczy warf ihm einen sauren Blick zu, weil er es wußte, Leutnant Asko von Orven einen ebenso sauren dafür, daß er dies Wissen offenbarte.

Die beiden Offiziere überprüften ihre Pistolen und steckten sie dann in ihre Uniformröcke. Von Görenczy holte einen Rosenkranz hervor und küßte ihn. Von Orven griff nach dem kleinen Weihwassergefäß neben der Tür und bekreuzigte sich.

Delacroix schob einen eisernen Dolch in seinen linken Ärmel, nahm ein ebensolches Kästchen auf, das auf der Kommode neben der Tür stand, und reichte es von Görenczy.

„Fertig und bereit?“ fragte Asko.

„Waren wir das je?“ gab Udolf zurück.

„Dann los. Finden wir’s, fangen wir’s!“ sagte Delacroix.

Die Chancen darauf waren verschwindend gering, dachte von Orven bei sich und fing einen entsprechenden Blick von seinem Kameraden auf.

Sie liefen den Flur entlang auf die große Haupttreppe zu und von dort aus nach oben. Im Dachgeschoß reihte sich eine Tür an die andere. Sie führten zu den winzigen Stuben des Gesindes und der Bediensteten der Gäste. Delacroix holte einen Schlüssel aus der Tasche und schloß die Tür zum Speicher auf.

„Dann mal los“, murmelte er und ging voraus. Sie hasteten die enge Holztreppe empor und befanden sich alsbald direkt unter dem Dach. Der Raum war sehr lang, erstreckte sich über die gesamte Gebäudelänge, war jedoch verhältnismäßig eng. Außerdem war er niedrig. Die drei Männer konnten nur in der Mitte, direkt unter dem Giebel, aufrecht stehen.

Delacroix drehte sich um und stieß sich heftig den Kopf. Er fluchte in einer fremden Sprache, die in den Ohren seiner Begleiter unerklärlich italienisch und äußerst eindrucksvoll klang.

Mitten in seiner Tirade erblühte ein Schatten direkt vor den Männern und breitete sich innerhalb weniger Sekunden von einem winzigen Fleck zu einer riesigen, dunklen Gestalt aus. Diese hatte kein erkennbares Gesicht, doch schien sie sie direkt anzublicken. Anders als bei früheren Begegnungen suchte sie nicht das Weite, sondern stand den Männern still gegenüber. Passiv. Lauernd.

„Oh-oh“, bemerkte Udolf und fand somit das einzige Wort, das die Situation treffend beschrieb.

Die drei Männer hoben die Waffen. Die Kreatur zog sich auseinander, wurde dünn, durchsichtig, durchlässig, bis sie nicht mehr sicher sein konnten, daß sie tatsächlich noch da war. Sie blickten sich wild um. Wo war sie? Noch da? Oder waren die geheimnisvollen Zwischenräume zwischen dem ausgelagerten Gerümpel ganz normale Schatten? Die Männer blieben reglos stehen, ließen ihre Blicke über alte Koffer, Zinkbadewannen, unreparierte Möbelstücke und allerlei nutzlosen Kram wandern.

Delacroix trat einen Schritt nach vorne. Von Görenczy hielt sich auf seiner Höhe. Asko blieb zurück, ließ ihre Position somit zu einer Art strategischem Dreieck werden.

„Vielleicht sollten wir uns verteilen, um es zu suchen“, flüsterte Asko.

„Verteilen. Wie verteilen?“ flüsterte Udolf zurück. „Es hat sich selbst schon besser verteilt, als wir das je könnten. Es ist wahrscheinlich längst durch den Boden in den Keller gesunken und spielt dort Fangen mit den Mäusen, und wir stehen hier dumm herum.“

„Wir brauchen die süße, kleine Miss, um das Wesen auszumachen“, konstatierte Delacroix, während er vorsichtig mit seinem grauen Messer in den Schatten herumstocherte.

„Zum Teufel, nein! Das nächste Mal bringt es sie vielleicht um“, widersprach Asko aufgebracht. Er hatte nicht vor, das zuzulassen. Er hatte sein Ehrenwort gegeben.

„Unsinn.“

„Wie können Sie nur so gänzlich ohne jedes menschliche Mitgefühl sein?“

„Wie können Sie nur wegen eines Paares hübscher blauer Augen und einer gekonnten Theatervorstellung modischer Hilflosigkeit jeden Sinn für das Notwendige verlieren?“

„Wie können Sie es wagen ...“

„Meine Herren, könnten Sie bitte mitten in einem Einsatz aufhören zu streiten?“ unterbrach von Görenczy die Diskussion. „Ich bin hier der Chevauleger. Es steht somit traditionell einzig und allein mir zu, mitten in der größten Gefahr unpassende Risiken einzugehen.“

Die beiden anderen fixierten einander zornig.

„Holen Sie sie her!“ befahl Delacroix Leutnant von Görenczy nach einer Weile.

„Wage es ja nicht, Miss Jarrencourt hier mit hineinzuziehen!“ rief Leutnant von Orven.

„Werde ich nicht“, antwortete Udolf. „Das Wagnis überlasse ich gerne Delacroix. Ich habe keine Lust, mich von ihrer Anstandsdame zum Frühstück verspeisen zu lassen.“

Die drei Männer starrten einander an.

Direkt hinter Delacroix zog sich ein Schatten zusammen, wurde zur langen, dünnen Linie, wand sich, schlängelte sich lautlos zwischen dem staubigen Gerümpel hindurch. Dann bäumte er sich auf wie eine Schlange.

„Passen Sie auf!“ rief von Orven. Delacroix drehte sich um.

Eine Schattenlanze stach zu, tauchte in seinen linken Unterarm, wand sich mit einem ekelhaften Geräusch in sein Fleisch. Er schrie. Ein runder Blutfleck erschien auf seinem Ärmel und wurde schnell größer.

Er sank auf die Knie. In der Rechten hielt er noch immer seinen Dolch. Er drehte ihn mit fliegenden Fingern um und rammte ihn blitzschnell in seine eigene linke Schulter, ehe die beiden Offiziere noch gänzlich begriffen hatten, was geschah.

Sein Schrei verdoppelte sich, teilte sich in zwei Stimmen, die aus seinem Mund erklangen. Blut spritzte, floß aus seiner Schulter und aus seinem Unterarm, und schwarzer Schatten troff aus ihm heraus wie heißer Morast.

Udolf schlug mit dem Rosenkranz danach, und die Masse waberte von dem blutenden Mann fort. Wieder streckte sie sich, wurde dünn, gab ein zischendes Geräusch von sich und verschmolz mit den Schatten des Dachbodens. Für einen Moment sah es so aus, als sinke etwas durch den Boden.

„Hinterher!“ schnappte Delacroix. „Es ist erschöpft. Jetzt ist die Gelegenheit!“

Dann kippte er seitwärts um und biß sich auf die Lippen. Sein Atem ging stoßweise

„Zur Hölle mit der Gelegenheit!“ fluchte von Görenczy. „Wo sollen wir es denn suchen? Es kann genausogut hier sein wie anderswo.“

Er kniete sich neben Delacroix und untersuchte die Verletzung. Der Dolch stak noch in der Schulter des Colonels. Er war nicht ganz bis zum Griff eingedrungen, aber doch weit genug, um höllisch weh zu tun.

„Wir müssen Sie hier rausbringen und etwas gegen die Blutung tun.“ Er griff nach dem Heft des Messers.

„Nicht!“ intervenierte Asko. „Wir ziehen es erst heraus, wenn wir etwas zum Verbinden haben. Kommen Sie, wir helfen Ihnen auf.“

Die beiden Offiziere stellten Delacroix auf die Füße. Er zischte und klang dabei selbst fast wie ein Reptil. Asko legte sich Delacroix’ rechten Arm um die Schultern und versuchte, ihn so gut wie möglich zu stabilisieren. Udolf stützte ihn von links und hielt zugleich den verletzten Arm.

Zu dritt schritten sie zur Treppe, und von dort an wurde es schwierig. Schritt für Schritt bewegten die beiden jüngeren Männer den großen, massigen Briten voran. Weder sie noch er selbst konnten dabei auf seine Schmerzen Rücksicht nehmen, und so kämpften sie sich mit sturer Entschlossenheit weiter. Am Fuße der Treppe wäre Delacroix beinahe gefallen, als ihm plötzlich die Knie weich wurden. Doch er focht mit eisernem Willen gegen das Schwindelgefühl an und gegen die Versuchung, sich einfach in die verführerische Schwärze sinken zu lassen.

Eine Blutspur markierte seinen Weg.

„Wir müssen ihn schnell versorgen. Er verliert zuviel Blut“, drängte Asko und rang nach Atem.

„Dann sollten wir ihn nicht vier Etagen nach unten ins Büro bringen. Vielleicht kann Vonderbrück etwas tun.“

„Er braucht einen Mediziner und keinen Zauberer.“

„Bist du dir da sicher?“

Delacroix’ Stimme klang seltsam gepreßt, als er sie unterbrach.

„Bringen Sie mich in eines der Gesindezimmer. Ich habe einen Passepartout. Der sollte jede Tür aufschließen – und reden sie nicht über mich, als sei ich nicht da. Ich bin noch nicht tot.“

„Halt ihn einen Moment!“ bat Udolf und begann, Delacroix’ Taschen zu durchsuchen, während Asko seine Stiefel in den Boden rammte, um den Verwundeten zu stützen, der mit über einem Meter neunzig gut einen halben Kopf größer war als er selbst und mit jeder Sekunde schwerer zu werden schien.

„Hier ist er“, rief Udolf und hastete zur nächstgelegenen Tür, um sie aufzuschließen.

„Klopf wenigstens an!“ mahnte Asko, doch es war schon wieder zu spät. Der Chevauleger hatte die Tür weit aufgestoßen, und sie blickten in einen kleinen, düsteren Raum mit einem schmalen Bett, neben dem eine verdutzte, aber dennoch unglaublich schöne, französische Zofe stand, nur in rüschenbesetzter Unterwäsche, einen schwarzen Strumpf halb über ihr nacktes Bein gezogen.

„Hübsch“, bemerkte Delacroix.

Dann verlor er das Bewußtsein.

Das Obsidianherz
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