Kapitel 15
Herr Vonderbrück war ein hochgewachsener Mann um die Fünfzig. Sein weißes, mähnenartiges Haar ließ ihn jedoch älter erscheinen. Seine gemeißelten Züge dominierte eine große Hakennase, die ihn sehr viel gestrenger wirken ließ, als man ihn bei einem Gespräch einschätzte. Er war ein ernster Mann, und nur manchmal, wenn ein winziges, schiefes Lächeln über seine Züge glitt, wurde seine Miene etwas zugänglicher, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
Leutnant Asko von Orven fühlte sich unwohl. Er mochte den Magier nicht besonders, obgleich er dem älteren Mann ohne Zögern die größere Erfahrung und zudem noch ein erstaunliches Wissen, was die arkanen Künste betraf, zugestand. Es war ja nicht so, als hätte man ständig wirkliche Magier treffen können. Sie waren selten und ganz und gar nicht alltäglich. Die meisten Experten der sogenannten arkanen Künste waren nichts weiter als Trickbetrüger und Zirkuszauberkünstler. Sie lebten in der wunderbaren, hübsch bequemen Welt halbwissenschaftlicher Salons und Einladungen zum Souper. Sie führten ihre Kunststückchen gelangweilten Damen eines gewissen Alters vor. Sie riefen verstorbene Verwandte herbei und sandten Grüße von verblichenen Gemahlen. Sie lebten dabei in Saus und Braus und erlangten oft genug ein so tiefes Vertrauen bei ihren Kunden und Kundinnen, daß sie die arglosen Menschen wie Schachfiguren auf ihrem Brett herumschoben.
Asko hatte Grund genug, die gesamte Sippschaft zu hassen. Seine Mutter hatte ohne jeden Zweifel an einen Abkömmling dieser Zunft geglaubt. Sie hatte nach dem Ableben von Askos Vater nicht nur die Familie finanziell fast in den Ruin getrieben, sondern zudem auch noch ihre Gesundheit zugrunde gerichtet. Alles, was der skrupellose Mensch von ihr verlangt hatte, hatte sie getan, und Asko war der festen Überzeugung, daß die magischen Heilwässerchen, die sie in großen Mengen für ihre Gesundheit und ihre Schönheit zu sich genommen hatte sowie auch die wiederkehrenden Magnetismus- und Hypnosesitzungen daran Schuld waren, daß sie jetzt so gebrechlich war.
Als Asko volljährig geworden und die Verwaltung des angeschlagenen Familienvermögens in seine Hände übergegangen war, war der Mann ohne ein weiteres Wort verschwunden. Es war eine schwere Zeit für Asko gewesen. Sein Studium der Physik und des Ingenieurwesens hatte er abbrechen müssen. Statt dessen war er zum Militär gegangen, wo er rasch ein seinem Rang angemessenes Salär verdiente.
Offizier zu werden war nicht sein Herzenswunsch gewesen. Er interessierte sich mehr für Technik als für Kriegsführung. Er hatte davon geträumt, die schöne, neue Welt des technischen Fortschritts mit zu formen. Er liebte die Physik, weil sie eine exakte Wissenschaft war. Was nicht zu beweisen war, gab es nicht. Jede Ursache hatte eine Wirkung, und wenn man tief genug bohrte, konnte man jede Wirkung auf ihre Ursache zurückführen. Es war eine akkurate Welt. Auf schwammigen Halbweisheiten ließen sich keine Maschinen bauen. Maschinen funktionierten oder sie funktionierten nicht. Es war kein persönliches Element in der Sache enthalten; sie liefen, weil sie liefen – oder eben nicht.
Er war ein ausgezeichneter Student gewesen. Doch sein angeborener Sinn für Verantwortung hatte ihm nicht erlaubt, seinen Träumen nachzuhängen, während seine Familie in einer Krise steckte. Seine Schwester brauchte eine anständige Mitgift, um eine gute Partie zu sein. Dafür hatte er zu sorgen gehabt – und für seine Mutter, deren schwindender gesunder Menschenverstand sie in einer Welt voller Wölfe immer mehr zu einem hilflosen Opfer machte.
Freilich war Asko nicht so naiv oder borniert, die tatsächliche Existenz von übernatürlichen Dingen zu leugnen. Er hatte schon wirkliche Magie gesehen. Er fand es allerdings sehr beklagenswert, daß die Motive jener, denen eine solche Macht zur Verfügung stand, so wenig transparent waren. Sie waren ein undurchsichtiger Haufen, und ihre so gänzlich individuelle Kunst war genauso opak. Nicht, daß sie keine Gesetze hatten, doch es schien, als habe jede Loge andere. Sie spielten viel zu leichtsinnig mit Ursache und Wirkung. So durfte es nicht sein. Sicher konnte Magie in einigen Dingen vielleicht von Nutzen sein, aber er mochte sie dennoch nicht. Die Welt, dachte er, wäre ohne sie reiner und redlicher gewesen. Eine Welt, die nur nach rein logischen, physikalischen Gesetzmäßigkeiten ablief, hätte er leichter akzeptieren können.
Deshalb mochte er Dampf. Ein Fest von Ursache und Wirkung. Eine Lokomotive in Aktion zu sehen war, als sähe man ein Kunstwerk auf Rädern. Es war keine Kraft, die man anzweifeln konnte, weder physisch noch metaphysisch. Dampf hatte die Welt in unglaublich kurzer Zeit verändert, viel mehr, als das den arkanen Geheimlogen über Jahrhunderte gelungen war.
Teil dieser Fortschrittswelt zu sein hätte ihm viel bedeutet. Zukunftsweisende Pläne zu schmieden, kühne Entwürfe zu formulieren, technische Träume zu realisieren. Viadukte zu bauen, die sich über weite Täler spannten. Stollen, die ganze Berge durchhöhlten, Maschinen, die den Menschen harte oder gefährliche Arbeit abnahmen.
All das gehörte der Vergangenheit an. Er war jetzt Offizier. Seinen Vater hätte das gefreut. Er war ein strenger Mann gewesen, selbst Offizier, wie auch sein Großvater vor ihm, welcher es noch erlebt hatte, wie Bayern vom Herzogtum zum Königreich wurde.
Von Orven war nicht unglücklich. Er hatte seine Nische in der Welt gefunden, und er war in ihr durchaus erfolgreich. Der finanzielle Engpaß seiner Familie war überwunden. Seine Mutter war versorgt; eine zuverlässige und gänzlich unromantische Gesellschafterin betreute sie. Seine Schwester hatte einen königlich-bayerischen Richter geehelicht, der in der Lage war, sie gut zu versorgen, und ihm selbst ging es auch nicht schlecht. Seine neuen Aufträge außerhalb des normalen Kasernendiensts waren durchaus lukrativ und trugen ihm mehr ein, als er gedacht hatte. Er lebte mit aller Muße und hatte sich sogar ein robustes altes Haus mit einem kleinen Grundstück ringsherum kaufen können. Dort konnte er nach Herzenslust seinen Privatforschungen nachgehen und experimentieren. Wenn er Zeit hatte – was selten der Fall war.
Dennoch. Er war in gewisser Weise freier als je zuvor, frei genug, um langfristig über sein Leben nachzudenken und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Zu heiraten zum Beispiel. Der Gedanke kam ganz plötzlich, und er sah verunsichert auf, als Vonderbrück genau in diesem Moment einen Namen aussprach.
„... Miss Jarrencourt.“ Der Magier sah ihn an und grinste schief. „Haben Sie überhaupt zugehört, Herr Leutnant? Es hat nicht den Anschein. Nun, Sie sind höchstwahrscheinlich sehr müde. Wir sind – alle – müde. Ich habe auch kaum geschlafen. Den Bann um das Hotel so lange aufrechtzuerhalten ist keine leichte Aufgabe. Geradezu monumental. Ich schlug gerade vor, daß Sie mich Miss Jarrencourt einmal vorstellen. Ich sollte mit ihr reden. Unsere Erfolgsaussichten wären weitaus größer, wenn sie sich entschlösse, uns zu unterstützen. Allerdings darf man die Gefahr nicht außer acht lassen.“
Asko schluckte ein ärgerliches Widerwort. Nur mit Mühe antwortete er mit der angemessenen Ruhe.
„Ich denke, wir haben kein Recht, ihr eine solche Bürde aufzuerlegen. Warum sollte man sie in einer Angelegenheit um Hilfe bitten, die offensichtlich die unsere und keinesfalls die ihre ist? Wir sind besser darauf vorbereitet, einer Gefahr entgegenzutreten als so ein junges Mädchen, und wir wissen bereits, daß sie in der Gegenwart der Spukerscheinung extrem leidet.“ Asko von Orven versuchte, nicht ärgerlich zu klingen, doch es gelang ihm nicht besonders gut.
„Ah, ich sehe“, antwortete der Magier und lächelte dünn. „Sie bedauern inzwischen, mir überhaupt davon erzählt zu haben. Aber glauben Sie mir, ich habe nicht die Absicht, der Dame ein Leid anzutun. Vielleicht sollte sie das Hotel besser verlassen.“
„Das ist ganz genau, was ich ihr raten werde“, sagte Asko.
„Trotzdem, mein lieber junger Freund“, fuhr Vonderbrück fort und merkte offenbar nicht, daß dem lieben jungen Freund diese unverdiente Vertraulichkeit zuwider war, „Sie haben ganz richtig daran getan, mir davon zu berichten. Schließlich sind wir ein ‚Team‘. Eine Einheit. Eine gemeinsame Einsatztruppe gegen das Böse. Wir müssen offen miteinander umgehen.“
„Was das angeht“, antwortete von Orven kaum noch in der Lage, seinen aufkeimenden Ärger zu unterdrücken, „so wollte ich Sie doch gerne fragen, warum Sie uns vor dem gefährlichen Talent unseres ,Jagdwildes‘ – nämlich sich in den Leib eines Verfolgers zu winden – nicht gewarnt haben. Colonel Delacroix hätte sterben können. Wir hätten alle sterben können, und ich will gar nicht von einem Hotel voller Gäste sprechen, die noch nicht einmal wissen, in welcher Gefahr sie schweben.“
Der Zauberer schenkte ihm einen müden Blick, der zu undurchschaubar war, als daß man ihn hätte deuten können.
„Ich versichere Ihnen, Herr Leutnant, hätte ich von dieser Fähigkeit der Kreatur gewußt, hätte ich Sie davor gewarnt. Allerdings sehen Sie mich genauso erstaunt und schockiert, wie Sie es selbst sind. Was immer es ist, es sollte so etwas nicht können. Diese Fähigkeit beunruhigt mich zutiefst. Ich habe bisher nur von einem einzigen Wesen gehört, dem man eine solche Fähigkeit zuschreibt, und das ist nicht mehr als ein Mythos. Ein altes Märchen. Bis heute hätte ich jeden Eid geschworen, daß kein einziges Lebewesen auf Erden zu einem solchen Angriff fähig ist.“
„Nun, in diesem Fall hätten Sie einen Meineid geleistet. Wir müssen also dankbar sein, daß Sie Ihre unsterbliche Seele nicht mit einem Schwur belastet haben.“ Asko merkte, daß er den älteren Mann nicht mit dem nötigen Respekt behandelte. Tatsächlich stellte er zu seinem Erschaudern fest, daß er klang wie Delacroix.
Er verbeugte sich leicht und entschuldigte sich.
„Bitte verzeihen Sie meine unüberlegten Worte. Ich möchte Sie bitten, sie meiner Müdigkeit zuzuschreiben. Dieser ganze Fall beunruhigt mich zutiefst, und ich muß sagen, wenn ich alle Fakten betrachte, bin ich immer weniger der Meinung, daß wir in der Lage sein werden, die Kreatur zu fangen. In der Tat, ginge es nicht auch um die Sicherheit jedes Einzelnen in diesem Gebäude, so würde ich dazu neigen, unser Vorgehen grundsätzlich noch einmal zu überdenken. Was wir tun, mag gänzlich unlogisch sein! Unsere Hauptaufgabe besteht, wenn ich mich recht erinnere, darin, ein verlorenes Manuskript sicherzustellen. Bis jetzt hat mir niemand gesagt, was dieses Manuskript genau für eine Gefahr birgt, aber die Notwendigkeit, es nicht in falsche Hände fallen zu lassen, hat man uns doch sehr, sehr deutlich gemacht.“
Der Zauberer nickte kurz.
„Das Manuskript muß unser Primärziel sein, da haben Sie recht. Aber wie ich durchaus bereits ausgeführt habe, scheint die Erscheinung meinen arkanen Messungen nach in der Lage gewesen zu sein, es magisch zu verbergen. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, daß es längst aus dem Gebäude verschwunden ist. Sollte das der Fall sein, so wäre das sehr schlimm, denn wir hätten keinen Anhaltspunkt, wo wir danach suchen sollten. Höchstwahrscheinlich müßten wir es verloren geben. So ist meines Erachtens nach das Finden und Fangen der Kreatur die einzige Chance, das Schriftstück zu finden, wiederzuerlangen und an seinen angestammten Platz zurückzubringen.“
Asko runzelte die Stirn. Die Chancen auf Erfolg schienen ihm allzu gering, fast nicht existent.
„Selbst wenn wir es fangen sollten, vorausgesetzt, das ist überhaupt möglich, wie wollen Sie einen eingesperrten Schatten in einer Schachtel befragen? Vielmehr noch ihn dazu bringen, Ihnen etwas zu geben, das er Ihnen gewiß nicht geben will? Ich mag nicht die arkane Erfahrung haben zu begreifen, was das Biest letztlich will oder plant – schließlich weiß ich ja auch nichts über den Inhalt der Schriftrolle, außer daß sie auf irgendeine Weise gefährlich ist –, aber ich muß schon sagen, daß ich mir rein gar nicht vorstellen kann, wie so eine Schattenschlange überhaupt befragt oder zur Kooperation gezwungen werden kann.“
Asko wußte nicht, was er von alledem halten sollte. Die Angelegenheit ging seinem geradlinig-logischen Verstand gegen den Strich. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich die völlige Nichtexistenz aller Magie. Doch die Realität war anders. Gleichwohl war er nicht überzeugt, daß es ihnen half, wenn sie weiter nutzlos hinter einem gefährlichen Spuk herliefen. Allerdings konnte er auch mit keiner Alternative aufwarten.
Es klopfte.
„Ah. Das ist unsere schöne Mlle. Denglot“, wußte der Magier und antwortete ohne Zögern: „Herein!“
Cérise Denglot trat ein und trug eines ihrer besten und zweckdienlichsten Lächeln zur Schau.
„Mon Dieu“, sagte sie, „was für ein ausgesucht abscheuliches Frühstück! Die Feigen waren ungenießbar, und die Orange war sauer. Ich weiß nicht, warum man in diesem Land kein anständiges Obst anbauen kann! Das kann doch nicht so schwierig sein. Schließlich haben sie ja dieses riesige Glashaus mitten in der Stadt.“
Sie setzte sich adrett hin und glättete den Seidenrock ihres Kleides.
Die beiden Männer starrten sie erwartungsvoll an.
„Ja und?“ fragte Asko schließlich, um herauszufinden, was geschehen war.
„Das heißt“, fuhr sie fort, „daß ich jetzt auf nüchternen Magen zu meiner Probe gehen muß. Sie können sich gewiß kaum vorstellen, wie es ist, auf nüchternen Magen singen zu müssen, und Sie haben nicht die entfernteste Vorstellung davon, wie es ist, auf nüchternen Magen Wagner singen zu müssen. Es ist vraiment quasi unmöglich. Ich bin sicher, Herr Wagner schreibt seine Arien ausschließlich für volle Mägen. Sie haben alle so ein Knödel-und-Sauerkraut-Timbre. Viel zu schwer, viel zu sauer. Aber Seine Majestät scheint diesen Stil zu schätzen, und er ist ein ganz entzückender Herrscher. Ich meine, wie viele Monarchen gibt es in Europa schon, die so gut aussehen und so charmant sind – und so jung? Also singen wir Wagner ...“
In Asko stieg das uncharmante Verlangen auf, der Sängerin den Hals umzudrehen. Gott sei Dank war Mlle. Denglot nicht empfänglich für seine momentanen Schwingungen, sonst wäre sie ob der unerwarteten Heftigkeit seiner Gefühle sicherlich erstaunt gewesen.
„Mademoiselle! Die Damen! Miss Jarrencourt! Sie hatten versprochen, mit ihnen zu reden!“
„Das habe ich“, erwiderte Cérise, „natürlich habe ich das. Wir haben gemeinsam gefrühstückt, und ihnen hat es offensichtlich auch nicht besonders geschmeckt. Dabei hatten sie nicht einmal Südfrüchte, was wahrscheinlich eine gute Entscheidung war.“
„Ja und?“
„Jetzt sind sie vermutlich auch noch hungrig.“ Sie lächelte Asko an, als dessen Verärgerung sie nun doch erreichte. „Aber sie können ja ein zweites Frühstück in der ,Sonne‘ zu sich nehmen. Dahin wollten sie, als ich sie verließ. Machten auf dem Absatz kehrt und rannten davon wie die Hasen. Oder wie ein Häschen und ein Hütehund. Sie haben nicht mal mehr gepackt, sondern nur ihre Zofe angewiesen, ihnen Hüte und Mäntel zu bringen. Als ich nach oben ging, standen sie im Foyer und warteten darauf. Wenn Sie noch förmlich Abschied nehmen wollen, sollten Sie sich beeilen. Obwohl sie vermutlich längst weg sind. Ich habe mich etwas vertrödelt. Da war dieser zauberhafte junge Mann an der Treppe, der mich an der Scala gehört hatte. Ein netter, zuvorkommender Herr.“
„Sie reisen also ab?“ fragte Asko und mußte an sich halten, um nicht aus der Tür und die Treppe hinunterzustürzen.
„Habe ich das nicht gesagt? Natürlich habe ich das gesagt. Warum hört mir eigentlich nie jemand zu? Es kann ja wohl nicht an meinem mangelnden Stimmvolumen liegen. In der Oper trägt meine Stimme ja auch bis zu den hintersten Rängen. Also: Ich habe das kleine Häschen zu überreden versucht, dazubleiben und einmal ein richtiges Abenteuer zu erleben. Nur so zum Zeitvertreib. Doch sie sagte, sie sei nicht der Typ für Abenteuer. Das mag stimmen. Muß aber nicht. Ergründen werden wir das jetzt leider nicht mehr.“
Von Orven war ärgerlich. Er war in der Tat so wütend, daß man es ihm durch die höfliche Fassade hindurch beinahe ansehen konnte.
„Mlle. Denglot, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung in der Angelegenheit“, preßte er durch ein eingefrorenes Lächeln hervor. „Sie hatten allerdings absolut kein Recht, Miss Jarrencourt aufzufordern zu bleiben und sich einer Gefahr auszusetzen. Ich meine mich deutlich zu erinnern, Sie gebeten zu haben, darauf hinzuwirken, daß die Damen abreisen.“
„Natürlich haben Sie das, lieber Herr Leutnant. Aber sehen Sie, ich hielt sie für kühner. Ich glaube nicht an diese großäugige, unschuldige Porzellanpuppenmanier. Sie ist zu parfait, um wahr zu sein. Ich weiß nicht, was ich von der kleinen Miss halten soll. Sie ist so ein perfektes Klischee. Glauben Sie mir, ich kenne mich aus mit Frauen.“
Asko schluckte die Antwort hinunter, daß selbst im biblischen Sinne ihre Erkenntnisse das männliche Geschlecht betreffend vermutlich ihr Wissen über Frauen weit übersteigen mochten. Er kaute auf der Antwort. Sie schien unverdaulich. Doch seine gute Erziehung obsiegte. Eine ganze Weile sagte er nichts, versuchte nur, die schöne, blonde Frau nicht anzusehen, die im Zimmer saß, als sei es ihr Audienzraum. Statt dessen blickte er den Meister des Arkanen an, doch dieser drehte Asko den Rücken zu, und der Offizier war sich nicht sicher, ob er das aus Ungeduld tat oder um seine Erheiterung zu verbergen. Asko entschloß sich, es nicht wissen zu wollen.
„Mademoiselle Denglot, ich bitte Sie, Miss Jarrencourt nicht als ,Häschen‘ oder ,Porzellanpuppe‘ zu bezeichnen. Sie ist kein Spielzeug“, sagte er, sobald er seine Stimme wieder in seiner Gewalt hatte.
„Schade, n’est-ce pas?“ Die unmögliche Frau hatte die Frechheit, ihm zuzuzwinkern. Asko von Orven konnte mit einem Mal nicht mehr verstehen, daß er die Dame jemals auch nur im entferntesten attraktiv gefunden hatte. Sie war ganz offensichtlich eine Xanthippe der übelsten Art.
Herr Vonderbrück wandte sich ihnen zu und blickte doch ernster drein, als der Leutnant befürchtet hatte.
„Das bringt uns nicht weiter“, sagte er. „Wir sollten alle etwas ruhen. Wenn meine Berechnungen stimmen, so wird sich der Spuk in circa dreieinhalb Stunden wieder zeigen. Wahrscheinlich auf dieser Etage. Vielleicht auch direkt darunter. Wir sollten auf die Auseinandersetzung vorbereitet sein. Leider kann ich diesen Raum nicht verlassen, da ich ihn zum Zentrum meiner Magie gemacht habe. Vielleicht sind Sie so nett, Colonel Delacroix auszurichten, er sei willkommen, bei mir vorbeizuschauen, falls seine Wunden einer magischen Behandlung bedürfen. Allerdings nicht innerhalb der nächsten Stunde, denn da werde ich absolute, vollkommene Ruhe brauchen, um mich zu konzentrieren.“
Cérise erhob sich anmutig.
„Du lieber Himmel“, klagte sie. „In der Zeit werde ich leider auf der Probe in der Oper sein. Welch ein Pech. Ich werde die ganze Aufregung verpassen. Si triste.“
Sie lächelte.
Asko verneigte sich erst vor der Sängerin, dann vor dem Magier.
„Wenn Sie mich bitte entschuldigen“, sagte er und fühlte, wie sein höfliches Lächeln ein grimassenhaftes Eigenleben annahm, „ich werde Leutnant von Görenczy und Colonel Delacroix entsprechend informieren.“