Kapitel 47

„Ich kann Sie hochtragen, wenn Sie mir das gestatten“, schlug von Orven vor.

Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte selbst gehen. Sie wollte nichts, das ihre Bewegungsfreiheit einengte oder ihr Kontrolle entzog. Kontrolle war das, was sie jetzt am meisten brauchte. Dinge entwickelten sich um sie herum, trieben sie von einem Desaster zum nächsten, und alles, was ihr stets zu tun blieb, war darauf zu reagieren und auf die nächste Katastrophe zu warten. So mochte sie ihr Leben nicht. Sie war gewohnt zu planen und zu bestimmen, sicherzustellen, daß was immer auch geschah von ihr selbst gesteuert war.

Dieser Tag hatte nichts von alldem. Er war einfach schrecklich gewesen.

„Ich kann allein gehen, denke ich“, erwiderte sie. „Wenn Sie mir nur Ihren Arm reichen wollen, Herr Leutnant, das ist Hilfe genug.“

Sie sah, daß die Sängerin und der Feyon den Raum bereits verlassen hatten und wunderte sich, daß niemand sie zu vermissen schien.

Sie nahmen die Hintertreppe. Corrisandes ganzes Wollen war seltsam gespalten. Auf der einen Seite wünschte sie sich nichts so sehr, wie allein zu sein. Auf der anderen war sie froh, daß jemand bei ihr war und auf sie achtgab, falls sie stürzen sollte. Der Offizier erklomm halb hinter ihr die Stufen, damit sie nicht rückwärts fallen konnte. Die Treppe schien unendlich lang und steil, aber ihr war, als erhole sie sich von dieser Attacke schneller als von der vorigen. Sie fragte sich, warum das so war. Konnte man sich an solche Greuel gewöhnen? Oder hatte sie sich verändert? Hatte die Erkenntnis, daß sie kein Mensch war, irgend etwas in ihr ausgelöst? Oder hatte das eklige Ding, das sie zweimal überwältigt hatte, etwas mit ihr angestellt, sie verändert?

Keine der Möglichkeiten war sonderlich beruhigend. Sie wollte nicht darüber nachdenken, doch ihre Erinnerung kehrte immerfort zurück zu dem Grauen, das sie durchlebt hatte. Sie versuchte, sich zu sagen, sie sei nun sicher, doch obgleich die Gefahr zunächst beigelegt zu sein schien, kündigten sich die Vorboten weiterer Unbill bereits im Vorfeld an. Sie konnte sich nicht beruhigen. Viele Dinge schossen ihr durch den Kopf und kumulierten in einer Welle nagender, peinigender Gedanken.

Da war einmal das brachiale Lustgefühl, das sie von der schrecklichen Kreatur wahrgenommen hatte. Man hatte sie, was intime Dinge anging, zu einem braven, sittsamen Mädchen erzogen, und ihr höchsteigener Erfahrungshorizont, was fleischliche Angelegenheiten betraf, ging nicht über den einen Kuß Hugos hinaus, mit dem sie ihre heimliche Verlobung besiegelt hatten. Diesen Kuß hatte sie als angenehm empfunden. Dagegen war die heutige Begegnung auf einer ganz anderen Skala zu bewerten.

Sie sann darüber nach, ob Körperkontakt immer so widerlich und ekelerregend war. Sie konnte nicht gut jemanden fragen. Nun, vielleicht würde sie Eliza fragen können, wenn sie wieder wach war. Vorausgesetzt, die Dame sprach dann noch mit ihr. Es konnte sein, daß sie das zumindest für eine gewisse Zeit nicht mehr tun würde. Es würde Eliza nicht gefallen, daß man sie betäubt und mißachtet hatte. Sie würde entsprechend erbost sein.

Das hieß, wenn Corrisande Glück hatte, würde Eliza erbost sein. Erbost, aber lebendig. Sie konnte nur hoffen, daß es ihr gutging. Der Gedanke, zurück in ihr Zimmer zu kommen und ihre Anstandsdame – durch ihre Hand – tot aufzufinden, versetzte sie in Panik. Sie hätte das Gift nie verwenden dürfen. Sie fragte sich, warum Eliza es überhaupt überallhin mitschleppte. Sie hatte einen gesunden Schlaf und nahm nie irgendwelche Mittelchen.

„Geht es Ihnen nicht gut?“ fragte von Orven. Sie bemerkte, wie er sie beobachtete. Ihre ängstliche Miene hatte ihn beunruhigt.

Sie schüttelte den Kopf.

„Danke, Herr Leutnant. Sie machen sich zu viele Gedanken um mich. Ich bin nur müde. Etwas ungestörte Nachtruhe ist alles, was ich brauche“, sagte sie und hoffte, ihn davon zu überzeugen, nicht allzusehr in eine Beschützerrolle zu fallen.

Doch ihr Einwand erwies sich als nutzlos.

„Ich mache mir keineswegs ,zu viele Gedanken um Sie. Andere Leute machen sich zu wenige Gedanken um Sie. Etwas so Grauenhaftes hätte man Ihnen nie aufbürden dürfen. Ich gebe mir die Schuld, daß ich Sie nicht sofort aus dem Hotel gebracht habe, als die Idee, Sie in die Jagd einzubringen, zum ersten Mal aufkam. Ich hoffe sehr, Sie können mir meine Pflichtvergessenheit vergeben.“

Er klang zerknirscht, ehrlich und wahrhaftig voller Reue. Er war die Art Mann, die immer alle Sorgen von einer Frau fernhielt. Ein Mann, bei dem man es bequem und sicher haben konnte, denn er war freundlich und beschützte einen. Es war leicht, ihn zu mögen, dachte sie. Einen Augenblick lang überlegte sie sich, wie schön es sein mußte, einen solchen Beschützer zu haben. Wenn sie Zeit und Muße gehabt hätte, sich auf das zu konzentrieren, weswegen sie nach München gekommen war und all das anzuwenden, was ihr an Talenten und Möglichkeiten zur Verfügung stand, dann hätte sie ihn sogar dazu bringen können, sie um ihre Hand zu bitten. Eine leichte Aufgabe, wenn sie, Eliza und Marie-Jeannette ihre Kräfte auf dieses Ziel konzentrierten.

Dann wurde sie wieder unsicher. Er hatte sie in einer abscheulichen Situation gesehen. Wenn man die Gefahr, der sie ausgesetzt gewesen war, beiseite ließ, blieb nur noch der Fakt, daß die Kreatur sie in jedem Sinne des Wortes körperlich angegriffen hatte. Er konnte nicht wissen, wie weit dieser Angriff gegangen war, und sie konnte es ihm nicht sagen. Der Angriff mochte seine Haltung ihr gegenüber verändern. Männer mochten keine beschmutzte Ware, und sie fühlte sich schmutzig. Sie fühlte auch noch den brennenden Schmerz von der glühenden Nadel, die sie nur gespürt, aber nie gesehen hatte, auf ihrem Körper. Doch dieser Schmerz war nichts gegen die Scham, die sie empfand, wenn sie daran dachte, wie die Kreatur mit seinen Fangarmen ihre Brüste gestreichelt hatte.

Die Erinnerung daran ließ sie wanken, und seine Arme hielten sie sofort fest. Nett, dachte sie, ein Mann, der immer da war, wenn man stolperte, und einen auffing, wenn man fiel.

„Sind Sie sicher, daß Sie die Treppe allein bewältigen können, Miss Jarrencourt?“ fragte er.

„Gewiß“, gab sie zurück. „Ich bin dankbar für Ihre Unterstützung, aber Sie sollten mich nicht verwöhnen. Ich bin stärker, als Sie glauben.“

So etwas hatte sie noch keinem Mann gesagt, und sie wußte nicht, warum sie es jetzt tat. Ein noch nie dagewesener Fall von übertriebener Ehrlichkeit.

Er lächelte schüchtern.

„Aber ich würde Sie sehr gerne verwöhnen“, sagte er und wurde zart rot dabei. Es war kaum der richtige Moment für einen Flirt. Ein Weilchen schwieg er, dann fuhr er fort: „Ich weiß, wie furchtbar das alles für Sie ist. Sie mußten solch grauenhafte Dinge ertragen, und ich will keinesfalls zu Ihren Beschwerlichkeiten beitragen, doch ich hoffe sehr, daß Sie mir erlauben werden, zu einem opportuneren Zeitpunkt bei Ihnen vorzusprechen. München ist eine wundervolle Stadt, und ich würde mich freuen, wenn Sie mir gestatten würden, Sie und natürlich Mrs. Parslow ein wenig herumzuführen, sobald diese Geschichte hier vorbei ist.“

Sie nickte höflich lächelnd. Es war nur wenige Minuten her, da war er drauf und dran gewesen, ein Duell bis zum Tod für sie auszufechten, und jetzt wollte er ihr die Stadt zeigen. Männer waren schon sehr seltsame Kreaturen.

„Wir werden Ihr Geleit gerne annehmen, sobald wir uns erholt haben. Ich meine, sobald ich mich erholt habe. Aber eines müssen Sie mir versprechen!“

„Was immer Sie wünschen.“

„Kämpfen Sie nicht mit dem Colonel“, bat sie und sah, wie seine Miene sich veränderte. Er wurde hart und unnahbar, voll beleidigten Ehrgefühls. Es stand ihr nicht zu, diese Sache zu kommentieren. Das war Männersache, ganz allein abzumachen zwischen zwei beleidigten Herren der Schöpfung. Seltsam, dachte sie, bei mindestens der Hälfte aller Duelle ging es um eine Dame, aber diesen gestand man nicht das Recht zu, eine Meinung dazu zu äußern. Männer!

„Belasten Sie sich damit nicht, Miss Jarrencourt. Das ist nichts, worum sich eine Dame kümmern müßte. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Grund zur Sorge gegeben habe.“

Versprochen hatte er nichts, bemerkte sie. Sie mußte ihn aber daran hindern, seine Absicht auszuführen, auch wenn das nicht die damenhafte Art war, auf so etwas zu reagieren.

Sie hielt an. Sie hatten nun den dritten Stock erreicht und standen vor der Tür, die zu den Gästezimmern führte.

Sie wandte sich um.

„Leutnant von Orven. Sie haben natürlich recht, wenn Sie meinen, daß ich nichts über solche Dinge weiß“, sagte sie und fragte sich, wie er wohl reagieren würde, wenn er wüßte, daß sie einige der größten Gesetzesbrecher Europas beim Namen kannte. „Doch Sie tun dem Colonel unrecht. Bitte zwingen Sie mich nicht, deutlicher zu werden, aber es gibt Schicksale, die schlimmer sind als der Tod, und ich wollte keinesfalls ein solches erleiden.“

Diesmal brauchte sie sich keine Mühe zu geben, sie lief von allein rot an. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll, Herr Leutnant, aber Colonel Delacroix hat versucht, mich zu beschützen – auf die einzige Art und Weise, die ihm noch blieb.“

Sie schwiegen beide eine Weile.

„Großer Gott“, murmelte von Orven schließlich. Er war erbleicht. Seine Hand zuckte nach ihr, als wollte er nach ihr fassen, doch er hielt in der Bewegung inne.

Corrisande war sehr sicher, daß er sie verstanden hatte. Trotzdem wollte sie ihm die Sache noch deutlicher machen: „Wenn Sie in diesem Moment bei mir gewesen wären, hätte ich von Ihnen den gleichen Dienst erwartet.“

Er starrte sie an, und sie sah, daß er ihr glaubte. Sie sah auch, daß er froh war, nicht in der Position gewesen zu sein, einen solchen Dienst leisten zu müssen und wußte, daß er dazu nicht in der Lage gewesen wäre. Vor ihrem geistigen Auge sah sie wieder Delacroix’ Miene, als er das Messer gegen sie geführt hatte. Sie schluckte.

„Sie sind ein bemerkenswertes Mädchen, Miss Jarrencourt“, sagte von Orven schließlich. „Ihr Anstand und Ihr Mut würden die meisten Männer beschämen.“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, will ich nicht mehr davon sprechen. Ich habe überlebt. Ich bin unversehrt. Nur versprechen Sie mir, daß Sie sich deswegen nicht mit dem Colonel schlagen werden.“

Er nahm ihre Hand und preßte sie einen Augenblick lang an die Lippen, eine Geste, die für einen Mann seiner Zurückhaltung fast kühn und verwegen war.

„Ich verspreche es“, sagte er, „und ich verneige mich vor Ihrem Mut. Ich verspreche, daß ich Sie nicht noch einmal unterschätzen werde.“

„Danke“, sagte Corrisande.

Sie gingen weiter. Sie spürte, daß er sie gerne nach Details gefragt hätte, es aber aufgrund seines Anstandsgefühls nicht vermochte. Von allein würde sie ihm nichts sagen. Sollte er denken, was er wollte. Hauptsache, er duellierte sich nicht mit Delacroix.

Es wurde ihr klar, daß sie sich mehr Sorgen um das Leben des Colonels machte als um das des Leutnants, obwohl sie sich gleichzeitig sicher war, daß die Chancen des letzteren in einem solchen Kampf nicht besonders hoch waren.

Sie fragte sich, warum sich ihr Mitgefühl so eigentümlich gewichtete und fand, sie sei sehr ungerecht dem jungen Mann gegenüber, der ihr nichts als Freundlichkeit entgegengebracht hatte.

Sie erreichten ihr Zimmer, und sie trat ein. Er folgte ihr, obwohl sie ihn nicht dazu eingeladen hatte. Das war vermessen. Er mußte sich ihr sehr nahe fühlen, wenn er von den Regeln, die ihm der Anstand gebot, so stark abwich.

Der kleine Salon war nicht leer. Marie-Jeanette saß auf dem Sofa. Sie hielt sich ein Kissen vors Gesicht und weinte schluchzend dicke Tränen hinein.

„Was um Himmels ...“, hub Corrisande an, dann kam ihr ein Gedanke, und neue Bestürzung durchfuhr sie. Es konnte nur eines bedeuten. Sie hatte Eliza umgebracht.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte ins Schlafzimmer ihrer Gesellschafterin, flog förmlich zu deren Bett. Mrs. Parslow lag noch in der gleichen Stellung da, in der sie sie verlassen hatte. Sie hatte sich keinen Fingerbreit bewegt, war bleich und steif.

Corrisande fiel neben dem Bett auf die Knie. Vom anderen Zimmer her hörte sie noch immer das Schluchzen Marie-Jeanettes. Sie nahm Elizas Handgelenk und suchte fieberhaft nach einem Puls. Sie fand keinen. Sie drückte die bleischwere, leblose Hand linkisch, mit fliegenden Fingern, stöhnte leise vor Angst. Die Hand fühlte sich tot an.

Sie hatte sie getötet. Sie sah sich um. Von Orven war ihr nicht gefolgt. Das würde er auch nicht, solange sie ihn nicht rief. Sollte sie das tun?

Wenn man sie verhören würde, was würde sie sagen – und wo hatte sie das Gift gelassen? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie hatte nicht darauf geachtet, war vor dem Treffen zu fahrig gewesen. Sie mußte es finden und verschwinden lassen. Sie fragte sich, wieviel Zeit ihr blieb, ehe man sie verfolgte. Sie mußte sich sofort aus dem Staub machen. Ihr Vater konnte sie sicher irgendwo in den Kolonien unterbringen. Da versteckten sich Mörder gemeinhin gerne, wenn sie die nötigen Mittel dazu hatten – und das war sie jetzt: eine Mörderin.

In diesem Augenblick begann Eliza, leise zu schnarchen.

Corrisande fiel fast hintenüber. Sie krallte sich am Bettrahmen fest und rappelte sich dann mühevoll hoch. Ihre Knie zitterten.

All das war ihr zuviel. Es fühlte sich an, als stieße sie jemand systematisch näher an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Keine vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit sie auf dem Balkon gestanden und von Görenczy zum ersten Mal gesehen hatte. Da war ihr einziges Anliegen noch gewesen, einen reichen Gemahl zu finden.

Alles hatte sich in so kurzer Zeit verändert. Ihr Kopf schwirrte, und ihr war schwindlig vor lauter rasenden, wirren Gedanken. Sie fragte sich, wie es sein konnte, daß sie weitermachte, immer einfach weiterredete, weiterdachte, manchmal sogar etwas Sinnreiches von sich gab, während sie jedes Recht darauf hatte, vollends den Verstand zu verlieren. Ihr war nach Schreien. Vielleicht sollte sie das tun. Eventuell würde sie sich dann besser fühlen. Vielleicht sollte sie ihr Gesicht einfach in von Orvens bayerisch-blau uniformierter Schulter vergraben und in die Epauletten weinen, sich in seine sanfte Umarmung verkriechen und sich von ihm retten lassen. Die Aussicht, alle ihre Bürden und Ängste einfach ihm zu übergeben und sich so dieser schrecklichen Situation zu entziehen, hatte etwas Verführerisches. Er würde sie in die Arme nehmen, sie fortragen und dafür sorgen, daß ihr nichts mehr geschehen konnte.

Wenn allerdings der Bann noch auf dem Hotel lag, würde er mit ihr nicht durch die Tür kommen.

Marie-Jeannette weinte immer noch. Corrisande riß sich in einer fast körperlichen Anstrengung zusammen und versuchte, wenigstens ein Quentchen Vernunft und Ordnung in ihre Gedanken zu zwingen. Sie wischte sich etwas Staub vom Kleid. Sie deckte eine zweite Decke über Eliza. Sie öffnete das Fenster einen Spaltbreit, um frische Luft ins Zimmer zu lassen. Dann ging sie zurück in den Salon, ein frisch erzwungenes Lächeln auf den Lippen.

Von Orven sah sie fürsorglich an.

„Ist irgend etwas passiert?“

„Nein, alles in Ordnung.“ Gar nichts war in Ordnung. Überhaupt nichts. Das Lächeln kostete sie Mühe. „Ich mußte nur nach meiner Tante sehen. Ihr war nach dem Essen nicht gut. Aber es scheint alles in Ordnung zu sein.“ Schon wieder in Ordnung. Betäubt, beinahe vergiftet, aber in Ordnung. Alles war ja so in Ordnung ... und sie würde gleich in hysterische Schreie ausbrechen.

Statt dessen wandte sie sich ihrer Zofe zu.

„Was ist denn los?“ fragte sie und zog ihr dabei das Kissen vom Kopf. Ein großer blauer Fleck entstellte eine Seite des Gesichts.

„Was ist geschehen?“ fragte Corrisande erneut.

Marie-Jeannette weinte nur.

„Hat dir jemand weh getan?“ Sie setzte sich neben ihre Zofe. „Du mußt es mir sagen!“

Asko stand nun auch neben ihr und besah sich das Gesicht des Mädchens.

„Jemand hat sie geschlagen“, sagte er. „Man kann beinahe die Umrisse der Faust erkennen.“

„Wer war das?“ fragte Corrisande, doch Marie-Jeannette schüttelte nur den Kopf und schnüffelte unglücklich.

„Hat Sie jemand angegriffen?“ fragte Asko.

Marie-Jeannette blickte zu ihm auf.

„Ich weiß nicht mehr“, weinte sie. „Ich weiß es einfach nicht mehr. Ich war auf dem Weg nach unten zum Empfang, wegen Tee, und dann ...“ Sie schluchzte nochmals auf. „Weiß ich nichts mehr. Irgend etwas war. Aber ich erinnere mich überhaupt nicht, und die Zeit fehlt mir. Fast eine dreiviertel Stunde fehlt in meinem Kopf. Ich war auf dem Weg zum Empfang, und dann tat das auf einmal weh.“

„Das hört sich nicht gut an“, sagte Asko erzürnt. „Delacroix weiß über so etwas höchstwahrscheinlich mehr. Wir werden ihn befragen, und vielleicht auch unseren Magier. Sie sind jetzt ohnehin zusammen. Er hat das Zimmer am anderen Ende des Ganges. Herr Vonderbrück.“

„Vonderbrück“, wiederholte Corrisande. Der Name hatte sie schon beunruhigt, als sie ihn zum ersten Mal hörte. Irgend etwas war mit diesem Namen. Vonderbrück. Ein häufiger Name in diesem Land. ‚Von der Irgendwas gab es meist als Adelsnamen. Aber warum ausgerechnet Brücke?

Wie Dupont.

Mit einem Mal wußte sie, daß die anderen zu dem gefährlichsten Verbrecher Münchens gegangen waren, zu einem Mann, der den Auftrag erhalten hatte, Delacroix zu töten – und er war nicht nur ein Mörder. Er war auch noch Meister des Arkanen.

Sie sprang auf und wurde blaß.

„Er ist in großer Gefahr!“ flüsterte sie.

„Wer?“ fragte Asko aufgeregt.

„Delacroix. Ich muß ihn warnen.“ Ihr wurde klar, wie verrückt das klang und daß ihr junger Held eine bessere Erklärung für ihr bizarres Benehmen benötigte.

„Ich habe Grund zu der Annahme, daß Ihr Herr Vonderbrück sehr viel gefährlicher ist, als Sie annehmen“, sagte sie ungeduldig. „Wir müssen Ihre Freunde warnen.“

Sie wirbelte herum und lief los, hörte einen Überraschungslaut von Asko. Seine Schritte folgten ihr durch die Tür, den Flur entlang.

„Sie müssen sich irren“, rief er. „Er wurde uns von höchster Stelle gesandt. Miss Jarrencourt! Warten Sie! Das ist töricht!“

Er hatte sie eingeholt. Gemeinsam rannten Sie auf die Tür zu.

Während sie noch liefen, faßte er sie um die Taille und hob sie von der Tür weg, bevor sie sie öffnen konnte. In einem Schwung setzte er sie hinter sich ab.

„Ich versichere Ihnen, Miss Jarrencourt, daß Ihre Befürchtungen grundlos sind. Aber wenn Sie glauben, es könne gefährlich werden, dann bleiben Sie hinter mir.“

Er öffnete die Tür und lief ins Zimmer, und Corrisande folgte dicht hinter ihm.

Das Obsidianherz
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