Kapitel 83
Die Offiziere wußten nicht, wie sie eingreifen sollten. Die Ener-giewolke, die die beiden Gegner einschloß, wirkte beinahe wie eine Barriere, wobei Corrisande nicht wußte, ob die Barriere ihren Angriff oder ihre Entschlossenheit bremste. Die Kalteisendolche sahen plötzlich sehr harmlos aus, wie Spielzeugwaffen gegen einen übermächtigen Feind. Zweckloser Tand. Unwillkürlich erinnerte sie sich an das Tennyson-Gedicht vom Angriff der leichten Brigade. Wieder eine Truppe, die sinnlos ihre kleinen Säbel gegen eine mächtige Artillerie schwang. Sie spürte die Furcht der Männer, konnte sie fast riechen, so als seien ihre eigenen Sinne durch ihre Panik geschärft. Die Soldaten hatten keine Chance. Sie würden sterben, so wie Eliza gestorben war, zu Asche verbrennen. Sie wußte das jetzt, und sie würde zusehen müssen, wie sie fielen und verkohlten.
Sie stöhnte bei dem Bild, das sich deutlich vor ihrem geistigen Auge aufbaute. Wie in einer Vision sah sie, wie von Görenczys dunkles Haar in Flammen aufging und Delacroix’ starke Hände zu verbrannter Holzkohle zerbröckelten. Arpad stand neben ihr. Sie spürte seine Präsenz, ohne zu ihm aufzublicken.
„Sie werden sterben“, murmelte sie. „Tun Sie etwas. Bitte!“
Er zog sie hoch.
„Steinberg wird verlieren“, flüsterte er so leise, daß ihr war, als erreichten seine Worte sie ohne den Umweg über die Ohren. „Letztlich wird er verlieren. Aber solange sie so kämpfen, sind sie verbunden. Wir müßten ihre gemeinsame Kraft überbieten, wenn wir sie angreifen. Im Moment habe ich nicht einmal annähernd genug Macht, sie aufzuhalten.“
„Dann müssen Sie das den Männern sagen“, bettelte sie. „Sie gehen nutzlos in den Tod.“
Er hielt sie mit einem Arm fest.
„Nicht nutzlos. Wann immer sie gemeinsam angreifen, werden die beiden Kraft verlieren. Vielleicht kann ich sie angehen, wenn sie schwächer sind.“
Sie starrte den attraktiven Mann an, der so außerordentlich zärtlich und liebevoll zu ihr gewesen war, der selbst so voller Liebe zu sein schien.
„Sie meinen, Sie lassen die Offiziere für diese Chance in den Tod gehen?“ fragte sie entsetzt und begann zu verstehen, was sein Plan war.
Er blickte zu ihr hinunter.
„Das mag der einzige Ausweg sein“, sagte er sanft. „Sie sind Soldaten. Sie kennen das Risiko. Töten und sterben ist das, was sie gelernt haben. Sie haben es freiwillig zu ihrem Lebensinhalt gewählt. Ich muß derjenige sein, der zum Schluß versucht, das hier zu Ende zu bringen, und ihnen fällt die Aufgabe der Vorhut beim Erstürmen der feindlichen Linien zu. Das ist grausam. Aber so ist es nun mal. Vielleicht solltest du nicht zusehen. Es wird unangenehm werden.“
Sie krallte sich in seinen Arm.
„Es muß einen anderen Weg geben“, flehte sie. „Es gibt immer Alternativen, sagt mein Vater. Es muß irgendwie noch anders gehen.“
Er sah sie an, sein Gesicht einen Augenblick lang voller Sorge und Mitgefühl.
„Es gibt eine andere Möglichkeit. Doch besser ist sie nicht.“
Die Art, wie er sie ansah, machte ihr klar, daß diese Möglichkeit eine Rolle für sie vorsah. Sie begann zu beben, und er legte die Arme fester um sie.
„Du kannst zum Schatten gehen und ihn ablenken. Seine Gier nach dir ist so groß, daß es seine Konzentration vielleicht bricht, wenn du aus eigenem Antrieb zu ihm kommst. Aber ...“
Er verstumme, hielt sie nur fest, als ihr die Knie weich wurden bei dem Gedanken an das, was er nicht aussprach.
„Was muß ich tun?“ fragte sie, sah von ihm fort, konnte ihm nicht in die anteilnehmenden Augen sehen.
„Geh zu ihm und berühre ihn. Paß auf, daß die Männer dich nicht aufhalten.“
Wird es sehr weh tun, wollte sie fragen. Sie fragte nicht. Sie wußte, wie es sein würde. Sie blickte zu den Offizieren, die sich Zoll für Zoll den Feinden näherten.
Dann ging sie los. Schnell, hatte er gesagt. Sie würde sich beeilen müssen, ehe ihr persönlicher Schutzengel von Orven sich einmischen konnte. Oder Delacroix. Oder vielleicht gar von Görenczy. Oder ehe der Mut sie wieder verließ. Sie betete wieder. Bitte, lieber Gott, hilf mir. Mach ein Ende, mach, daß es vorbei ist.
Es waren nur wenige Schritte notwendig, und schon war sie an den Soldaten vorbei, zu überraschend, als daß sie sie hätten aufhalten können. Sie hörte ihre Stimmen.
„Corrisande!“
„Bleiben Sie zurück!“
„Lassen Sie mich los!“
Sie ignorierte sie, eilte weiter. Fast fühlte sie die Präsenz des Schattens jetzt in ihrem Körper. Noch war er nicht da, doch sein Geist hatte sie erfaßt, hielt sie und holte sie zu sich. Sie spürte die Hitze der brennenden Kleidung und der brennenden Frau, die sie als Eliza gekannt hatte, und sie fühlte die Hitze von Gier und Lust auf sich gerichtet, so bedrohlich wie die blauen Flammen und genauso zerstörerisch und tödlich.
Einen Augenblick lang fragte sie sich, warum keiner der Männer ihr gefolgt war. Halb hatte sie erwartet, aufgehalten zu werden. Trauer zerriß sie beinahe, als sie nach dem verkohlten Stummel von Elizas Hand griff. Sie berührte ihn und verbrannte sich die Finger dabei. Der Rest von Elizas Hand zerkrümelte bei der Berührung zu Asche. Die Frau oder das, was noch von ihr übrig war, wandte sich ihr zu, lächelte immer noch ihr grauenhaftes lippenloses Lächeln; eine breite Reihe schwarzer Zähne, die aus verkohlten Kiefern ragten.
Die Zeit stand still. Sie fühlte das Knistern der arkanen Energie auf der Haut. Es war, als öffne sich jede einzelne Pore, als richte sich jedes Haar einzeln auf. Ihr Kopf dröhnte und hämmerte, machte jede weitere Handlung unmöglich. Sie konnte nicht zurück, aber auch nicht weiter. Sie konnte nicht einmal den Blick von dem grausigen Anblick wenden. Sie stand reglos, unfähig zu schreien, fühlte, wie obsidianschwarzes Dunkel in sie einbrach, sie eroberte und in sie vorstieß. Immer dunkler, immer noch dunkler. Sie wußte nicht mehr, warum sie das tat. Warum nur? Es hatte einst einen Grund gegeben. Sie erinnerte sich nicht mehr an ihn, ihr Verstand erlag der Übermacht einer feindlichen Attacke.
Elizas zerschmolzene Augen schienen sie anzusehen, doch es war das Wesen in ihr, das sie erkannte. Es streckte sich nach ihr aus, schwoll ihr entgegen. Sie spürte, wie es sie gegen das Gemetzel schützte, in das sie hineingelaufen war. Es hatte seine eigenen Pläne mit ihr, und diese Pläne beinhalteten nicht ihren Tod durch Steinbergs Attacke.
Steinberg erneuerte seinen Angriff. Sie fühlte seinen Haß und seine Verwirrung. Sie spürte, wie ihre Haut immer heißer brannte. Ihre feuchten Kleider dampften. Sie würde in Flammen aufgehen – es konnte nur noch Sekunden dauern. Sie würde sehen, wie sie zu Asche verbrannte, konnte bereits vorausahnen, wie sie zu schmutzigem Staub wurde. Warum war sie hier?
„Jetzt“, befahl eine Stimme, und ein Schuß fiel.
Aus dem Augenwinkel sah sie Steinberg fallen, nicht länger der strahlende Engel. Dann umfaßte sie ein Paar Arme und zog sie rückwärts fort. Sie wußte nicht, wem sie gehörten. Nicht Delacroix. Der sprang gerade vor, direkt auf den flammenden Feind zu, ein Messer in der Hand. Sein Blick loderte fast vor Haß und wilder Entschlossenheit, und sie wußte wieder, warum sie es getan hatte.
„Ins Hirn“, sagte eine Stimme unmittelbar an ihrem Ohr. „Sie müssen ihn treffen, solange er noch in ihr ist!“
Das Messer schoß vor, so schnell und sicher wie zuvor, als er auf ihr Herz gezielt hatte. Doch diesmal griff niemand ein. Er stieß es mit großer Wucht in Mrs. Parslows Gesicht, und die Klinge drang tief in ihre Augenhöhle ein. Eliza schrie schmerzverzerrt auf und brach vor dem Colonel zusammen, sank nieder wie die Karikatur einer hilflosen Dame. Das Messer ragte aus ihrem verstümmelten Gesicht, wo es bis zum Anschlag feststeckte.
Der Schrei hallte lange nach, und die Stimme bohrte sich in Corrisandes Seele. Sie versuchte, sich die Ohren zuzuhalten, doch sie hörte sie trotzdem, laut, schmerzerfüllt und sterbend. „Das ist sie nicht“, sagte sie sich, „das ist der Schatten. Er schreit, nicht Eliza. Sie ist schon lange tot.“
Doch die Erinnerung an die Stimme war zu genau. Corrisande schluchzte. Ganz genau so hätte Eliza geschrien, hätte jemand sie erstochen. Sie lag zusammengekrümmt auf dem Boden, die Flammen ihres Kleides änderten die Farbe, von blau zu rot und gelb. Sie starb. Schwarzes Öl kochte aus ihrem Kopf, strömte aus Augen, Nase, Mund und Ohren. Es sammelte sich träge in einer Pfütze um den verstümmelten Kopf wie ein schwarzer Heiligenschein. Corrisande sah, wie von Görenczy vortrat und sich mit seiner Schachtel neben sie kniete.
„Wie soll ich das verdammt noch mal anstellen?“ fragte er und schluckte seinen Ekel herunter. Offenbar war es ihm zuwider, die Substanz mit bloßen Händen anzufassen. Verständlicher Argwohn. Delacroix kniete sich neben ihn. Er hatte ein neues Messer in der Hand, mit dem er die dickflüssige Masse in die Schachtel schob. Seine Muskeln waren angespannt, bereit zu reagieren, abwehrbereit, wenn es nötig werden würde.
„Er ist tot“, sagte Arpad dicht an ihrem Ohr. Sie spürte seine Lippenbewegungen auf der Haut. „Er ist nicht mehr. Mit Kalteisen vernichtet.“ Seine Stimme klang angespannt.
„Dennoch“, sagte McMullen, der nun auch bei den Toten stand. Er hielt sich ein blutiges Taschentuch vors Gesicht und sah erschöpft aus. „Wir werden es entfernen, und ich gebe zu, ich fühle mich sicherer, wenn es wieder in der Schachtel ist.“
„Tun Sie, was Sie tun müssen“, kommentierte Graf Arpad zynisch. Er hielt Corrisande immer noch von hinten in den Armen, hatte sie dicht an seinen Körper gezogen, als könne seine Nähe ihr etwas von seiner Kraft abgeben. Oder vielleicht hielt er sie ganz einfach gerne so. Sie lehnte sich an ihn, energielos und dankbar für die Stütze. Sie fragte sich, wann Cérise einschreiten würde. Sie war sicher, daß es der Sängerin ein Anliegen war, andere Frauen aus den Armen ihres Liebhabers fernzuhalten, selbst in Extremsituationen.
Doch die Intervention kam aus anderer Quelle.
„Lassen Sie Miss Jarrencourt sofort los!“ befahl von Orven eisig.
Er trat vor sie, sein kleines, glühendes Messer in der Hand.
„Nehmen Sie Ihre Hände von ihr, oder ich bringe Sie um!“
Sie versuchte, seinen Blick zu erhaschen, doch er sah sie gar nicht an, nur den Mann, der sie hielt.
„Asko, beruhigen Sie sich. Graf Arpad hat mich nur aus der Gefahrenzone gezogen“, bat sie ihn und hoffte, daß er mit seinem Messer weggehen würde. Er wußte es nicht, doch sie konnte dessen Nähe so wenig ertragen wie der Sí, und im Augenblick diente sie dem Mann hinter ihr faktisch als Deckung, so wie sie direkt vor ihm stand.
„Nachdem er Sie zuvor in die Gefahrenzone geschickt hatte“, antwortete der Offizier, ohne sie dabei anzusehen. „Er hat mich festgehalten, als ich versuchte, Sie zurückzuziehen. Er war bereit, Sie dem Ding zu opfern.“
Nein, dachte sie, er war bereit, die Offiziere zu opfern. Doch er hatte ihr die Wahl gelassen. Nur gab es keine Möglichkeit, dem erbosten Mann das zu erklären.
„Sie auch, als Sie mich auf der Jagd einsetzten“, erwiderte sie, selbst wütend, daß er ihr wieder nicht die Möglichkeit ließ, sich von einem Erlebnis zu erholen, das sie bis ins Mark erschüttert hatte. Er meinte es gut, aber es nur gut zu meinen, reichte bisweilen nicht aus.
Sie spürte Graf Arpads Hände an ihrer Taille. Er schob sie beiseite. Wahrscheinlich konnte er sich besser verteidigen, wenn sie nicht im Weg stand. Sie machte sich keine Sorgen um ihn. Askos Tapferkeit und Standhaftigkeit mochten vielleicht nicht ausreichen, es mit dem gewandten, dunklen Mann aufzunehmen.
Doch höchstwahrscheinlich mußte er mit seiner Waffe nur nahe genug kommen, um den Sí kampfunfähig zu machen. Sie wußte es nicht. Bei ihr hätte es ausgereicht.
„Es tut mir leid“, sprach der Leutnant nun ärgerlich zu ihr, ohne dabei den Blick von seinem eigentlichen Widersacher zu nehmen. „Aber ich habe geschworen, Sie zu verteidigen, und Sie haben mir zu verstehen gegeben, daß Sie meinen Schutz annehmen – und ich möchte die Frau, die ich heimführen will, nicht in den Armen einer solchen Kreatur sehen. Egal aus was für Gründen.“
Seine hellen Augen waren nur noch schmale Schlitze, und er war rot angelaufen vor Zorn. Oder war das noch die Reaktion auf die flammende magische Attacke? Sein blondes Haar sah angesengt aus.
Er streckte die Hand mit der Waffe aus.
„Treten Sie zurück!“ befahl er. Sie traten beide zurück, Corrisande mit mehr Angst als der Mann an ihrer Seite, der auch jetzt noch an ihrer Seite war, denn sie hatten sich beide in die gleiche Richtung bewegt.
Leutnant von Orven tat einen Schritt nach vorne und schwang sein Messer, nicht um zu töten, dessen war sie sich sicher, doch um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, um klarzumachen, daß es ihm ernst war.
Die Klinge kam nicht einmal in ihre Nähe, aber die Panik ging mit ihr durch, und sie wich zurück und rang nach Atem.
Er wandte sich verwirrt ihr zu, merkte zum ersten Mal, daß er ihr Angst gemacht hatte. Damen Angst einzujagen war etwas, das ganz gegen seine Art war. Es gehörte sich nicht. Sein Ausdruck wurde reuig. Es tat ihm leid.
„Bitte verzeihen Sie, wenn ich Sie geängstigt habe“, bat er und kam ihr nach, das Messer immer noch in der Hand. Sie wich weiter zurück, bis ihr Rücken an die Gangwand stieß. Er konnte die Furcht in ihrem Antlitz erkennen und vergaß für den Augenblick den Mann, den er bedroht hatte. Sie fürchtete sich vor ihm, und das hatte er nicht gewollt.
„Miss Jarrencourt, ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Haben Sie keine Angst. Es tut mir leid, wenn ich ...“ Sie hörte den Rest des Satzes nicht, denn ihre Angst schlug wie Wellen über ihrem Kopf zusammen. Er war fast bei ihr, und sie konnte nichts sehen als die glühende Klinge in seiner Hand, die er in seinen Bemühungen, sie zu beruhigen, einfach vergessen hatte.
Die Luft wurde sandig, und sie begann zu kämpfen. Sie hörte seine eindringliche Stimme.
„Es tut mir leid. Ängstigen Sie sich nicht. Ich tue Ihnen nichts, und ihm auch nicht. Ich verspreche es. Nehmen Sie das Messer, wenn Sie sich dann sicherer fühlen.“
Er streckte ihr die Waffe hin, kam noch näher, und fast konnte sie fühlen, was nun kommen würde, das Brennen, der Schmerz, das Ersticken. Eine Hand ergriff sein Handgelenk. Delacroix.
„Nehmen Sie sofort das Ding von ihr weg!“
Delacroix zerrte Asko mit brutaler Kraft von ihr fort. Sie atmete aus, das erste Mal seit Minuten, wie es ihr schien. Sie bebte am ganzen Körper.
Asko versuchte, den Griff des größeren Mannes zu brechen.
„Ich wollte ihr doch gar nichts tun“, versicherte er seinem Angreifer. „Ich würde doch nie ...“ Er hielt inne, blickte sie an, suchte ihre Augen, und dann konnte sie sehen, wie seine mit einem Mal groß vor Schock wurden. Sein Ausdruck änderte sich langsam, zeigte Verwirrung, dann Bedenken, dann Begreifen, dann Ekel. Er trat einen Schritt zurück, dann noch einen. Delacroix ließ ihn los.
„Großer Gott“, zischte er und sah angeekelt aus.
Ich bin keine Sí, wollte sie ihm sagen. Nicht richtig. Ich bin ein Mensch. Fast ganz ein Mensch.
Doch sie konnte nichts sagen, konnte nur zusehen, wie Ekel und Entsetzen sich in seinem Gesicht breitmachten. Ihm kam zu Bewußtsein, was er getan hatte. Er hatte etwas, mit dem er nicht einmal die Welt teilen wollte, gebeten, sein Leben mit ihm zu teilen. Ihm wurde klar, daß er seine Ehre verlor, egal, ob er eine nicht-menschliche Kreatur heiratete, die er nur verabscheuen konnte, oder ob er sein Wort brach, etwas, das er nie tun würde.
Einige Sekunden lang herrschte Stille. Der Korridor war voller Rauch und stank nach verbranntem Fleisch. Auch nach Blut. Corrisande roch es, genau wie den scharfen Duft magischer Energie. Sie sah von einem zum nächsten. Delacroix wirkte wütend, von Görenczy verblüfft, Graf Arpad zynisch, McMullen resigniert und Cérise Denglot, die noch bei der Treppe stand, ärgerlich.
Von Orven sah aus, als würde ihm im nächsten Moment schlecht werden. Sie rang nach Fassung. Es war zu spät. Sie konnte nichts anderes sein, als sie eben war.
„Leutnant von Orven“, begann sie und versuchte, seinem Blick zu begegnen, doch er sah fort. „Sie haben mir die Ehre erwiesen, mir den Schutz Ihres Arms und, wie ich glaube, auch den Ihres Namens anzubieten. Ich fürchte aber, wir passen nicht zusammen. Ich bitte um Verständnis, daß ich nicht das für Sie sein kann, was Sie gerne hätten. Ich entlasse Sie aus aller Verpflichtung mir gegenüber und entbinde Sie von jeglichem Versprechen, das Sie glauben gemacht zu haben. Ich übernehme die Verantwortung für die Lösung dieser Verbindung. Sie tragen keine Schuld. Bitte akzeptieren Sie meine Entscheidung. Ich habe Verständnis dafür, wenn Sie mich nicht mehr sehen möchten.“
Sie spürte jeden einzelnen Blick auf sich gerichtet. Viel zuviel Interesse. Sie drehte sich um und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ihr war nach rennen, doch sie zwang sich zu einem ruhigen Schritt und hielt ihren Kopf hocherhoben. Nicht rennen, Corrisande, eine Dame rennt nicht, sie geht. Zurück in ihr Zimmer. Zurück in ein Alleinsein, wo sie zusammenbrechen konnte, ohne daß es jemand sah.
Sie erreichte die Treppe. Cérise stand dort, Mitleid im Gesicht. Die Sängerin sprach sie nicht an, und Corrisande wollte auch nicht angesprochen werden. Sie wollte auch kein Mitleid. Also ging sie einfach an ihr vorbei, ohne Cérise ins Gesicht zu sehen. Die Bedienstetentreppe war genausogut. Sie sah, daß die Tür am Ende des Korridors ein Stück offen war. Es war einfacher, ungesehen in ihr Zimmer zu kommen, ohne den Blicken irgendwelcher noch übrigen Hotelgäste ausgesetzt zu sein, denen sie auf der Haupttreppe vielleicht doch noch begegnen mochte.