Kapitel 51
Cérise Denglot musterte den schlanken, eleganten jungen Mann, der auf ihrem Sofa saß. Nach der Begebenheit im Keller war er mit ihr die Treppen hochgestiegen, als gehöre er zu ihr. Er hatte sie bis zu ihrem Zimmer geleitet, und dort hatte er nicht etwa von ihr Abschied genommen, sondern war hinter ihr eingetreten, als wären dies seine eigenen Räume.
Sie wußte, wer er war. Ihre Erinnerung an seine bisherigen Stippvisiten kam langsam zurück. Als er sich zwischen sie und die angreifende Kreatur gestellt hatte, um sie zu beschützen, hatte sie fast sofort gewußt, daß er ihr geheimnisvoller Bewunderer war. Es war ihr dann klargeworden, daß ein Sí ihr Verehrer war, ein Feyon, an dessen Existenz sie vor einem Jahr noch nicht einmal geglaubt hätte. Es hatte sie damals einiges an Überwindung gekostet einzusehen, daß Mythen mehr waren als Kindermärchen. Sie zweifelte die Existenz mythischer Wesen nicht mehr an, doch mit einem zusammenzusein war noch einmal anders. Sie sollte Angst haben. In der Tat war sie nervös.
Sie hätte ihn fortschicken sollen, doch er bat sie höflich um eine Unterredung, und schließlich hatte er sie gerettet. Also konnte sie nicht so unhöflich sein, ihm diese Bitte abzuschlagen.
Er sah viel zu gut aus. Sie erinnerte sich, daß er sie geküßt hatte. Die Erinnerung sagte ihr auch, daß sie es weitaus mehr genossen hatte, als sie sich eingestehen wollte.
„Das waren Sie, gestern nacht und heute nachmittag“, bemerkte sie etwas feindselig.
„Ja, das war ich“, antwortete er lächelnd.
Das Amulett brannte plötzlich auf ihrer Haut. Sie schrie auf.
„Hören Sie auf!“ rief sie und sah ihn strafend an. „Das tut weh!“
„Womit soll ich aufhören?“ fragte er und streckte die Hände nach ihr aus.
„Was immer Sie da tun. Hören Sie auf!“
Sie versuchte, den Anhänger von ihrer Haut wegzuziehen, was schwierig war, denn er hing unter ihrem Kleid.
„Du trägst ein Schutzamulett. Das hätte ich merken sollen.“ Er lächelte sie etwas bekümmert an. „Hat Delacroix es dir gegeben?“
Sie starrte ihn böse an.
„Was wissen Sie über Delacroix?“ fragte sie.
„Alles, was du mir über ihn erzählt hast, Cérise. Alles, was ich dich gefragt habe.“
Sie erinnerte sich.
Sie hatte ihm viel erzählt, über ihr Leben, ihre Liebhaber und ihren Auftrag. Sie hatte ihm alles erzählt, was sie noch nie einem Menschen erzählt hatte, was sie weitaus lieber für immer für sich behalten hätte. Alle ihre Geheimnisse hatte er ihr genommen, hatte sie geöffnet wie ein Buch.
Sie kochte vor Wut.
„Sie haben mich ausspioniert!“ fuhr sie ihn an.
„Genaugenommen nicht“, entgegnete er. „Du wolltest immer schon mit jemandem über all das reden. Ich habe dir nur die Hemmungen genommen.“
Er beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie. Seine langen, schmalen Hände waren ordentlich gefaltet. Sie erinnerte sich an diese Hände. Ihre Berührung fuhr einem bis ins Innerste. Sie blickte auf die schmalen, langen Nägel.
„So nennen Sie das?“ antwortete sie giftig. „Sie haben mich gezwungen, Dinge zu tun ...“
„Nein.“ Er hielt ihren Blick mit seinen schwarzen Augen fest. „Ich hätte dich Dinge tun lassen können. Leicht, aber unnötig. Ich habe dir nur die Hemmungen genommen.“
Sie sprang auf und lief ärgerlich auf und ab.
„Dazu hatten Sie kein Recht“, schimpfte sie.
„Stimmt, überhaupt keines. Aber ihr Menschen habt ein Sprichwort: ,In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt‘. Ich liebe dich. Ich habe deine Triumphe verfolgt, dich unerkannt geleitet. Nicht erst seit gestern. Das weißt du.“
Sie nickte.
„Die Orchideen.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Haben Sie ... äh ... mir meine Hemmungen schon einmal genommen? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?“
Er lächelte beschämt.
„Nein, ich habe dir nur Orchideen gebracht. Manchmal habe ich dich beobachtet, ohne daß du es bemerkt hast. Erst gestern habe ich dich direkt angesprochen.“
„Warum?“
„Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.“
„Ich bin neugierig. Seien Sie so nett und erleuchten Sie mich.“
Er sah etwas peinlich berührt aus und sprach nicht gleich.
„Sollten wir nicht besser ...“
„Nein“, unterbrach sie ihn. „Ich will eine Antwort, und es sollte besser eine ehrliche sein. Dieses Amulett brennt auf meiner Haut, aber wenigstens können Sie mich nicht anlügen.“
Er lehnte sich zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf.
„Natürlich kann ich dich anlügen. Lügen ist einfach und absolut nicht magisch. Ich kann dich nicht magisch manipulieren. Dein Amulett schützt dich vor Magie, mehr nicht.“
„Dann bitte ich Sie dringend, mich nicht anzulügen. Sagen Sie mir einfach und geradeheraus die Wahrheit.“
Er lachte.
„Wann wäre die Wahrheit je einfach und geradeheraus gewesen, meine Schöne? Die Wahrheit ist vielschichtig.“
„Wissen Sie“, erwiderte Cérise und ließ sich in dem Sessel am anderen Ende des Zimmers nieder, „Sie haben eine wundervolle, wohlklingende Stimme, und ich könnte Ihnen stundenlang einfach nur zuhören. Mais vraiment, ich werde mir dieses Vergnügen versagen, wenn Sie nicht damit aufhören, nutzlos herumzuphilosophieren und mir statt dessen meine Fragen beantworten.“
„Aber was ist, wenn meine Antworten nicht das sein können, was du gern hättest: einfach und geradeheraus? Hast du dir schon überlegt, was du gerne hören möchtest?“
„Ich glaube, Graf Arpad, es ist höchste Zeit, daß Sie Ihre eigenen Räumlichkeiten aufsuchen“, sagte sie mit unverbindlicher Freundlichkeit. „Es ist spät. Ich hatte einen anstrengenden Abend, und Ihr Zauber funktioniert heute auch nicht. So ein Pech. Gute Nacht und herzlichen Dank noch dafür, daß Sie mich gerettet haben. Adieu.“
Er stand auf. Dann, schneller als sie es mit den Augen erfassen konnte, war er vor ihr, ließ sich auf ein Knie nieder.
„Bitte schick mich nicht fort! Nicht so.“
Er sah so anrührend aus, daß sie annahm, er wirke wieder einen Zauber. Doch ihr Amulett blieb kalt.
Sie mußte sich zusammennehmen, ihn nicht zu berühren.
„Die Wahrheit“, fuhr er seufzend fort, „lautet: Ich habe dir nicht das Leben gerettet. Das Amulett, das du trägst, hätte dich wohl auch geschützt. Ich hätte merken müssen, daß du es trägst, aber ich habe nicht richtig zugehört. Meine Konzentration galt anderen Dingen.“
„Zugehört? Macht es ein Geräusch?“
„Nein, aber Menschen verfügen nicht über den besonderen Sinn, den ich – den wir haben. Deshalb habt ihr kein Wort dafür. Vermutlich hätte ich ,zugespürt‘ sagen sollen. Wie auch immer, ich kann mir deine Rettung nicht auf die Fahnen schreiben. Ich wollte dir gerne das Leben retten, denn es ist mir über alle Maßen wertvoll. Der Kleinen habe ich allerdings tatsächlich diesen Dienst erwiesen. Delacroix war dabei, sie umzubringen. Mit Kalteisen.“ Seine Stimme klang hart. „Aber du willst mehr wissen. Ich habe dich heute nachmittag und gestern abend besucht, weil meine Begierde größer war als meine Vernunft und weil ich auch mehr darüber wissen wollte, was hier vor sich ging.“
„Sie haben also das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Wie eminent praktisch“, gab sie zurück.
„Das ist die Wahrheit, schwierig und ungerade“, sagte er. „Bleibt zu sagen, daß ich dich liebe. Zählt das?“
Sie sah ihn an. Es ging ihr durch den Kopf, daß er wahrscheinlich enorm gefährlich war. Er hatte Delacroix mitten in der Bewegung gestoppt. Das hieß, er war stärker als der Brite. Nicht viele Menschen konnten das von sich sagen. Er sah gar nicht stärker aus. Doch er war auch kein Mensch. Er konnte Dinge, von denen sie keine Ahnung hatte. Allein sein Tempo war atemberaubend. Wenn er ihr weh tun wollte, würde sie sich nicht einmal wehren können.
„Ich weiß nicht“, antwortet sie. „Sollte es denn zählen? Ich weiß fast nichts über Ihre Art und gar nichts über Sie selbst. Woher soll ich wissen, ob Sie überhaupt lieben können?“
Er erhob sich und trat einen Schritt zurück.
„Oh, natürlich können wir lieben. Wir haben Empfindungen wie ihr. Wir besitzen Verstand wie ihr. Wir sind uns aber in vielem auch unähnlich. Unsere Lebensdauer ist länger als eure. Ich habe mehr Sinne als du. Ich spüre deutlich, daß du Angst vor mir hast. Hab keine Angst! Ich habe nicht vor, dir etwas zu tun.“
„Das ist die Wahrheit – schwierig und ungerade?“
Er lachte.
„Das ist die Wahrheit. Wenn ich dich ermorden wollte, dann wärst du schon tot, und das ist die Wahrheit, einfach und geradeheraus.“
„Sie vergessen das Amulett“, sagte sie selbstsicher.
„Nein. Das Amulett schützt dich vor den Kräften, die ihr Magie nennt, aber nicht vor physischer Gewalt. Wenn man bedenkt, wie wenig du mir traust – und du hast letztlich auch keinen Grund dazu –, dann muß ich sagen, du bist sehr unvorsichtig. Ich wünschte, du würdest besser auf dich aufpassen.“
„Sie raten mir also, Sie fortzuschicken?“
„Nein, ich hoffe, du wirst mir erlauben zu bleiben.“
Er sah ihr in die Augen, und sie wußte, daß sie sich in dem dunklen Blick vollständig verlieren konnte. Sie erinnerte sich, wie er sie aus ihrem Kleid geschält und wie sie seine zärtliche Berührung ihrer Haut genossen hatte.
„Warum sollte ich das tun?“ fragte sie leichthin.
Er stand neben ihrem Sessel, nahm ihre Hand und küßte sie.
„Du hast viele himmlische Charakterzüge. Naivität gehört nicht dazu.“
Sie merkte, wie sie errötete. Das war ihr lange nicht mehr passiert.
Eine Nacht mit einem Feyon. Das klang verboten, beklemmend und aufregend. Viel zu aufregend vielleicht.
Seine Lippen auf ihrer Haut beschworen eine weitere Erinnerung herauf. Sie atmete erschrocken ein und entzog ihm die Hand.
„Sie haben mich gebissen!“ Sie schrie es fast. „Sie ...“
Er sah einen Atemzug lang beunruhigt und verletzt aus. Dann lächelte er reuig.
„Ja“, bekannte er, „ich habe dich gebissen und dein Blut getrunken. Nur ein kleines bißchen, nicht mehr, als du problemlos ertragen konntest, und ich liebe den Geschmack deines Blutes. Du bist exquisit – in jeder Hinsicht.“
Sie wollte aufspringen und zurückweichen, doch er stand jetzt genau vor ihrem Sessel und lehnte sich über sie.
Sie wich in ihren Sitz zurück. Er war ein Vampir. Sie hatte von solchen Geschöpfen gehört. Was tat man gegen Vampire? Sie versuchte, sich daran zu erinnern. Knoblauch – aber sie hatte keinen. Sie mochte Knoblauch nicht einmal, aß keinen, wenn es sich verhindern ließ. Kreuze? Sie hatte eines in ihrem Schmuckkästchen. Zu weit weg. Was sonst? Tageslicht? Er hatte sie am Nachmittag besucht. Sie erinnerte sich an seine dunkle Brille.
„Fürchtest du dich? Das mußt du nicht. Die meisten Dinge, die man sich über meinesgleichen erzählt, sind falsch.“
„Ihresgleichen“, wiederholte sie und versuchte, noch weiter in ihrem Sitz zu verschwinden. „Sie sind ein Vampir, nicht wahr?“
„Ja, das ist der Name, den ihr meinesgleichen gabt.“ Er beugte sich noch weiter zu ihr, stützte die Hände auf den Armlehnen ihres Sessels ab. Damit hatte er ihr jede Fluchtmöglichkeit genommen. „Er bedeutet nicht viel, ist so platt wie der ganze Aberglaube, mit dem ihr mich aufladet. Ich lebe. Das solltest du wissen. Ich pflege nicht Nacht für Nacht aus einem muffigen Grab aufzuerstehen. Ich reise auch nicht mit einer höchsteigenen Rattenhorde. Ich lebe, sogar sehr, und ich liebe, sogar sehr, nämlich dich, und obwohl ich den Geschmack deines Blutes außerordentlich mag, liebe ich den Duft deines Lebens noch viel mehr. Du bist so voller wunderbaren Lebens, und ich liebe dich dafür. Ich würde es nie nehmen, es dir nie nehmen, und“, er sah, wie sie ihr Amulett hilfesuchend umklammerte, „dein magisches Kleinod wird dich auch nicht vor dem beschützen, was ich bin. Du mußt mir vertrauen, mußt mir glauben, daß ich dich nicht töten will. Kannst du das?“
Sie überlegte, ob ihr jemand zu Hilfe kommen würde, wenn sie jetzt anfinge, laut zu schreien. Doch niemand würde sie schnell genug erreichen.
„Sie morden Menschen!“ flüsterte sie nach einer Weile.
„Selten. Nur wenn ich muß“, antwortete er. „Wenn ich jede Nacht ein paar meiner Opfer tot zurückließe, dann würdet ihr mich – oder meinesgleichen – schon seit Jahrhunderten mit allem jagen, was ihr hättet. Halte dir einfach die Logik der Angelegenheit vor Augen. Wenn euer Vampirmythos recht hätte, hätten wir euch längst ausgerottet. Wenn jedes unserer Opfer zum Vampir würde, gäbe es schon keine Menschen mehr.“
„Aber Sie haben schon Menschen getötet!“ sagte sie, wußte es auf einmal mit absoluter Sicherheit.
„Ja, genau wie dein Delacroix. Cérise, ihr Menschen seid viel versierter in der Kunst des Tötens als wir. Ihr könnt es besser als wir Sí. Ihr habt es durchorganisiert und strukturiert. Ihr habt Heere ausgehoben und das Töten zur Kunstform erhoben. Die Kunst des Krieges. Ich bin nur ein Mann, der Blut braucht, um zu überleben, und wenn ich die Wahl habe, und meist habe ich die, dann morde ich nicht.“
Er entfernte sich unerheblich von ihr.
„Hier geht es nicht ums Töten, Cérise“, sagte er. „Hier geht es um Mut. Liebe verlangt Mut. Wenn du in dir die gleiche Liebe für mich finden könntest, die ich für dich empfinde, dann wärst du mutiger als je zuvor, und ich glaube, du besitzt diesen Mut.“
Beide schwiegen. Cérise wußte nichts zu sagen. Sie wußte nicht einmal, was sie denken sollte, und das machte es schwer, überhaupt etwas zu sagen. Ihr Detektivhobby war ein Nebenprodukt ihrer Affäre mit Delacroix. Seit sie diesem Hobby nachging, waren ihr die Gefahren, die sie allenthalben umgaben, um einiges bewußter. Doch auch ihr Bewußtsein, Gefahren allein meistern zu können, war entsprechend gewachsen.
Nur – dies war anders. Sie wußte nicht genug, um sich über das Risiko eine Meinung bilden zu können. Sie wußte nichts über seine Ziele, seine Begabungen oder seine Aufrichtigkeit. Sie wußte, daß sie Männer gut einschätzen konnte. Doch war er ein Mann?
„Mut“, flüsterte sie nach einer Weile. „Ich weiß so wenig über Sie. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Sie sind ausnehmend attraktiv und verführerisch – das wissen Sie. Sie sagen, Sie lieben mich. Aber Sie könnten mich einfach töten.“
„Das stimmt“, antwortete er. „Doch das könnte jeder. Jeder Mann, der dich – den du geliebt hast, hätte das tun können. Immer. Ich weiß, du kannst gut mit deiner Pistole umgehen. Aber hattest du sie griffbereit, wenn du mit anderen Männern zusammen warst? Wohl nicht. Jeder einzelne von ihnen hätte deinen wunderschönen, einladenden, weißen Hals nehmen und zudrücken können, wenn er es gewollt hätte – und versuch nicht, mir zu erzählen, du hättest etwas dagegen ausrichten oder den Angreifer besiegen können. Es ist unerheblich. Sie wollten dich nicht töten, und ich will es auch nicht.“
Einen halben Augenblick später stand er neben der Kommode, in der sie ihre Pistole aufhob, und holte sie hervor. Ihr fiel plötzlich ein, daß sie ihm erzählt hatte, wo die Waffe war. Er schmunzelte. Es war ein sehr eigentümlicher Gesichtsausdruck, und sie mußte sich zusammennehmen, sich nicht vollends in den Ritzen ihres Sessels zu verkriechen, als er wieder zu ihr zurückkam und die Waffe, die er so leicht gefunden hatte, in der Hand hielt.
Er gab sie ihr mit dem Griff voran. Sie nahm sie.
„So, nun bist du bewaffnet. Gegen eine Flut von Übeln.“ Er lachte und klang fast ein wenig nervös. „Fühlst du dich jetzt sicherer?“
Sie fühlte sich wirklich sicherer. Er stand vor ihr, und es war schwierig, nicht auf ihn zu zielen.
„Höchstwahrscheinlich kann man Sie damit nicht einmal verwunden“, sagte sie mißtrauisch.
„Doch, kann man“, versicherte er ihr. „Es wird mich nicht umbringen. Aber du kannst mir schwere Verletzungen damit beibringen. Meine Selbstheilungsfähigkeit ist weitaus besser ausgeprägt als die der Menschen, doch eine Kugel durch die Lunge würde meinen Annäherungsversuchen zunächst mal ein häßliches Ende bereiten.“
Er stand nun neben ihrem Sessel, ein liebenswertes Lächeln auf den Lippen.
„Weißt du, wir werden deinen und meinen Mut gemeinsam testen“, sagte er und setzte sich ihr zugewandt seitlich auf die Armlehne ihres Sessels, balancierte seinen schlanken Körper elegant darauf. Seine Rechte stützte er auf der gegenüberliegenden Lehne ab. Er war zu nah.
Er nahm ihre rechte Hand, die immer noch die Waffe umklammerte, und führte sie an seine Schläfe.
„Wenn du jetzt mein Hirn gleichmäßig über den Teppich verteilst, wird das meinem Wohlbefinden abträglich sein. Aber die Chance biete ich dir. Es ist an dir zu entscheiden, ob du davon Gebrauch machen möchtest. Denn“, sein Gesicht näherte sich ihrem, während er mit einer Hand immer noch ihre Rechte mit der Schußwaffe an seine Schläfe drückte, „ich werde dich jetzt küssen.“
Er ließ ihre Hand los, hob ihr Kinn an und folgte seiner Ankündigung. Seine Lippen waren behutsam, fast vorsichtig, doch sie spürte seine Intensität und seine wachsende Erregung. Mit jeder Sekunde, die verging, wurde der Kuß ein klein wenig fordernder, intensiver, süßer. Sie spürte, wie ihr Widerstand schmolz. Sein feines, seidiges Haar kitzelte ihr Gesicht. Sein Mund glitt ihre Wange entlang, dann küßte er ihre Augen und Brauen.
Der laute Knall eines Schusses zerriß die Stille. Sie ließ die Waffe fallen und begann zu schreien.