87

Nach diesem Telefonat lehnte Striker sich seufzend in seinem Bürostuhl zurück. Er dachte an die Familie Ostermann.

Dr. Erich Ostermann war von Anfang an distanziert und ausweichend gewesen. Inzwischen wussten sie von seinen sexuellen Perversionen, und sein Verhalten wurde nachvollziehbar. Im Großen und Ganzen war man toleranter geworden, was sexuelle Spielarten betraf, im Kollegen- und Freundeskreis wäre Ostermann jedoch möglicherweise stigmatisiert worden, wenn seine sadomasochistischen Neigungen ans Licht gekommen wären.

Dalia und Gabriel waren zwei merkwürdige Typen. Lexa war jedoch diejenige, die Striker am meisten verblüffte. Bei ihrer ersten Begegnung war sie als die schöne unterdrückte Gattin eines einflussreichen, ehrgeizigen Mannes rübergekommen. Hingerissen von ihrem Charme, hatte bei Striker spontan das Helfersyndrom eingesetzt. Ich könnte mich im Nachhinein dafür ohrfeigen, dass ich auf ihre Spielchen reingefallen bin, knirschte er.

Schon deshalb war es ihm ein ganz persönliches Anliegen, die Dame zu schnappen.

Er war tief in Gedanken versunken, als sein Handy eine Textmitteilung ankündigte. Er fixierte das Display, und sein Herz krampfte sich zusammen. Die eingehende Mitteilung war von Larisa.

Von: Logan, Larisa

Thema: Verloren

Die Mitteilung war kurz und ein bisschen wirr, die unterschwellige Panik unmissverständlich:

Ich gehe nicht wieder ins Krankenhaus. Nie mehr. Ich habe Angst, Jacob. Ich glaube, ich werde beobachtet. Heute Morgen. Von einer Frau mit dunklen Augen. Ich konnte sie nicht abschütteln. Sie hat mich beschattet, egal wohin ich ging. Ich fürchte mich so. Ein Teil von mir möchte das alles beenden. Ich weiß nicht, was ich machen soll … Ich möchte Ihnen vertrauen, aber …

Hier endete die Mitteilung, und es zerriss Striker fast das Herz. Larisa hatte ihm durch seine dunkelsten Stunden hindurchgeholfen, er wiederum hatte ihr kein bisschen zur Seite gestanden, als es ihr dreckig ging. Die Mitteilung war vor zwei Minuten abgeschickt worden, stellte er fest.

Hastig tippte er zurück:

Larisa, warten Sie! Wo sind Sie?

Er wartete nervös, bekam aber keine Antwort. Mittlerweile rechnete er mit dem Schlimmsten.

Eine Frau. Mit dunklen Augen.

Dalia?

Oder Lexa?

Striker rief bei Bell an, seinem Serviceprovider. Er nannte Dienstnummer und -grad und bat darum, den Absender zu ermitteln. Als der Techniker sich zunächst sträubte, rastete Striker aus.

»Hier geht es um Leben und Tod«, polterte er los. »Ich kenne Ihre Unternehmenspolitik – ich hab das schon zig Mal gemacht. Und jetzt verfolgen Sie verdammt nochmal diesen Anruf und sagen mir, woher er kommt. Wenn dieser Frau irgendwas passiert, mache ich Sie dafür verantwortlich. Nicht Ihr verfluchtes Unternehmen, sondern Sie persönlich!«

Der Angestellte hüstelte unbehaglich und bat ihn, in der Leitung zu bleiben. Sekunden später war er wieder am Apparat. »Der Text kommt aus der Gegend um Whistler Blackcomb, mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.«

»Können oder wollen Sie nicht?«

»Sorry, aber genauer kann ich leider nicht werden.«

Striker fluchte. Er legte grußlos auf und ging seine Optionen durch. Whistler Blackcomb war ein Skigebiet in den Bergen, ungefähr zwei Stunden Fahrzeit von der Stadt entfernt.

Eine Stunde fünfzehn, wenn es sein musste.

Das Resort war eines der größten Skigebiete in Nordamerika. Normalerweise lebten in der Gegend zehn- bis fünfzehntausend Menschen, aber anlässlich der Wintersaison war die Zahl locker dreimal so hoch. Hinzu kamen die vielen kleinen Dörfer, die rings um Lifte und Pisten entstanden waren. Larisa dort zu suchen wäre so wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen.

Er fluchte inbrünstig. Er verwarf den Gedanken, Verstärkung anzufordern. Das letzte Fiasko mit Bernard Hamilton von Wagen 87 in der Kaffeebar im Metrotown war ihm noch zu frisch in Erinnerung. Nachher glaubte Larisa wieder, sie sollte ausgetrickst werden, und dann würde sie logischerweise in der Versenkung verschwinden. Dieses Risiko durfte er nicht eingehen.

Er hatte keine andere Wahl.

Er wählte die Nummer von Felicia. Sie nahm beim ersten Klingeln ab.

Er meldete sich mit »Hotline Er sucht Sie«.

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er sie damit zum Lachen gebracht. Heute jedoch nicht. »Wo bist du?«, wollte er wissen.

»Auf der Rückfahrt von Burnaby. An der Powell und Nanaimo. Ich bin in fünf Minuten da. Ich hab den Bericht über Gabriel.«

»Gut. Du kannst ihn dir unterwegs durchlesen und mir dann auf unserer kleinen Spritztour das Wesentliche erzählen.«

»Auf unserer kleinen Spritztour? Wohin?«

»In die Whistler Mountains«, erklärte er. »Da suchen wir nach Larisa.«

Zornesblind
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