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Die Natter hockte auf dem grauen Betonboden in dem dämmrigen Raum und fühlte, wie die feuchte Kühle der Wände in seinen Körper kroch. Er fror immer. Da konnte er machen, was er wollte. Ob in diesem Raum oder sonstwo, ihm war überall kalt.
Kalt wie das Wasser in dem Brunnen.
Er starrte eine lange Weile ins Leere und horchte auf die Geräusche, die von oben zu ihm drangen. Der Doktor war da oben. In seinem Arbeitszimmer. Seine Schritte gefährlich nah an der Falltür.
Die Natter versuchte sich irgendwie abzulenken.
Er stand vom Boden auf und lief zu der Wand mit dem Sideboard. Dahinter waren seine geliebten DVDs und der Videorecorder versteckt. Er brannte darauf, sich seine Filme anzuschauen. Diesen faszinierenden Moment wieder zu erleben. Dieses kurze Wunder.
Schöne Fluchten.
Es gelang ihm nicht, seine Gedanken von dem Detective loszureißen. Der hatte eine Energie wie kein anderer. Und er hatte Probleme. So was erkannte die Natter mit einem Blick. Schlimme Dinge waren in dessen Leben passiert. Er hatte das gecheckt, hatte den Mann gecheckt. Die Natter war fest entschlossen, ihn von den schweren Ketten dieser Welt zu befreien. Ihn zu erlösen.
Und er wollte den Moment der Glückseligkeit in dessen Augen festhalten, wenn es passierte.
Bisweilen verstand er sich selbst nicht. Je größer die Herausforderung, desto bestrickender die Erlösung. Es war eigenartig. Allein die Vorstellung war so phänomenal, dass er mental wegdriftete. Eine Zeitlang. Als er schließlich aus seinem Tagtraum erwachte, war sein Gesicht blutig, und er begriff, dass er sich wieder die Haut aufgekratzt hatte.
Es war nicht wichtig.
Er glitt zu dem Sideboard und schaltete den Computer ein. Blassblaues Licht – kühl wie das Blut in seinen Arterien – verschattete den Raum. Die Natter neigte sich über die Tastatur.
Log-in: William
Passwort: Flyaway
Er drückte »Enter«, und das Windows-Logo blitzte auf. Es gab keinen Bildschirmschoner. Nur einen frostig weißen Bildschirm, und so ähnlich fühlte er sich auch. Frostig, kalt.
Er führte einen Doppelcheck seiner Internetoptionen aus für maximale Anwendersicherheit. Dann loggte er sich in einem zweiten Computer ein, der sonst immer offline war. Eine notwendige Taktik. Sollte die Polizei jemals seine IP-Adresse ermitteln – was fast unmöglich war, da er Proxyserver benutzte und seine Anfragen über fremde, ungeschützte Wi-Fi-User laufen ließ –, würde die 89-jährige Martha McCallum ihr blaues Wunder erleben. Die Ärmste bekäme bestimmt einen Schlag, wenn die Cops mitten in der Nacht bei ihr anrückten und ihr die Bude auseinandernähmen.
Auch das juckte ihn nicht. Der Computer war so eingestellt, dass der Browserverlauf jede Nacht mithilfe des KillDisk-Programms gelöscht wurde.
Als letzte Sicherheitsvorkehrung nutzte die Natter zudem einen Anonymen-Sender-Account, weil der Provider die Daten alle zwölf Stunden bereinigte. Selbst wenn die Cops einen Tipp bekämen – was höchst unwahrscheinlich war –, würde die Information ins Leere laufen.
Alles war hundertprozentig sicher.
Trotzdem konnte man nie vorsichtig genug sein. Nachlässigkeit hatte schon vielen vor ihm das Genick gebrochen. Folglich machte er dauernd an seiner IP-Adresse herum. Und änderte permanent seine Usergewohnheiten, damit kein Muster entstand. Damit ging er auf Nummer sicher, dass er im Netz keine verräterischen Spuren hinterließ.
Süffisant grinsend loggte er sich ein.
Sein Blick wanderte prüfend über die Falltreppe, denn er wusste, dass er den Doktor mit seiner Aktion wütend machen würde. Als er sich davon überzeugt hatte, dass die Falltür verschlossen und verriegelt war, tippte er seine E-Mail ein.
An: Mordermittler Jacob Striker
Betreff: Schlangen & Leitern