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Selbstmord, ein verdammter Selbstmord. Striker konnte es nicht glauben, dass es so endete.

Er las die Notiz dreimal und wurde mit jedem Mal frustrierter. Es war der Ausweg eines Feiglings, und der Detective empfand ein Gefühl der Leere, als wäre ihm etwas Wichtiges abhandengekommen.

Zudem fehlte von Larisa weiter jede Spur.

Er faltete das Papier zusammen und legte es wieder dorthin, wo er es gefunden hatte. Neben dem Brief lag ein Schlüssel zu Ostermanns Arbeitszimmer. Striker nahm ihn und kehrte zu Felicia in das große Schlafzimmer zurück.

»Abschiedsbrief?«, sagte sie.

Er nickte knapp.

»Dumm gelaufen«, knirschte er. »Komm, überprüfen wir die übrigen Zimmer. Ich will wissen, wo der Rest der Familie ist.« In seiner Stimme schwang ein Hauch von Besorgnis.

Je eher sie die anderen fanden, desto besser.

Sie verließen das Schlafzimmer und liefen die Treppe ins oberste Stockwerk hoch. Oben führten zwei Flure in den Ost- und Westflügel, ein dritter, kurzer Gang ging nach Norden.

Am Ende des einen Flurs befand sich ein weiteres Schlafzimmer, die Tür stand weit offen. Die beiden Detectives gingen hinein. Der Raum war sauber und aufgeräumt, die Kleider hingen ordentlich im Schrank. Das Einzelbett hatte Standardmaße. Striker tippte, dass es Gabriel Ostermanns Zimmer war.

Vom Schlafzimmer aus gesehen westlich schloss sich ein Loft an. Das große, lang gestreckte Zimmer wirkte wie ein privater Kinosaal, mit Overheadprojektor, Kinosesseln mit Getränkehaltern und einem Surround-Soundsystem, das in die Wände integriert war. Das Heimkino war beeindruckend, und Striker fragte sich, ob Ostermann seine Videos hier angeschaut hatte.

»Nichts Auffälliges«, meinte Felicia.

»Nichts Auffälliges«, wiederholte ihr Partner.

Sein Blick glitt durch den Gang. Inzwischen hatten sie sämtliche Räume überprüft. Alle, bis auf einen.

Das private Arbeitszimmer des Doktors.

Sie bogen in den kurzen Flur Richtung Nordseite, der offenbar in einen nachträglichen Anbau führte, und standen nach knapp fünf Metern vor einer verschlossenen Tür. Striker untersuchte das Türblatt. Schwere, massive Eiche.

Der Detective zögerte und schaute sich unschlüssig nach versteckt verlegten Kabeln und Schaltern um. Dr. Ostermann war offensichtlich ein Psychopath gewesen. Er konnte noch so viel über sein Renommee, sein Vermächtnis und das Wohlergehen seiner Patienten schwafeln, Striker glaubte ihm kein Wort. Er vertraute dem Mann keine Sekunde lang, denn für einen Psychopathen gab es nichts Schöneres, als ein paar Cops mit draufgehen zu lassen.

Als ihm nichts Verdächtiges auffiel, meinte er zu Felicia: »Pass auf dich auf, nicht dass das hier eine Falle ist.«

Er drehte vorsichtig am Türknauf. Nichts. Daraufhin versuchte er es mit dem Schlüssel. Das Schloss klickte auf, der Knauf ließ sich bewegen, und die Tür sprang auf.

Dann sondierte Striker den Raum. Was er sah, überraschte ihn. Er hatte ein weiteres Büro erwartet, so ähnlich wie das unten. Mit Schreibtisch, Sitzgelegenheiten und Aktenschränken.

Nichts dergleichen. In einer Ecke stand ein Highboard aus poliertem Redwood mit glänzenden Messingbeschlägen. Die Türen waren verschlossen.

Mitten im Zimmer stand ein großer Holztisch, ebenfalls aus Redwoodholz, die polierte Platte voller Kratzer und Schrammen. An der Wand gegenüber hing ein brandneuer LCD-Bildschirm mit eingebautem Blue-Ray-Player.

Striker inspizierte den Tisch genauer, die Seiten waren mit Eisenklammern, Handschellen und schweren Ketten versehen. An einer Handschelle klebte Blut. Auf dem Boden waren ebenfalls Blutflecke.

»Hier ist überall Blut«, stellte er fest.

Felicia zeigte angeekelt unter den Tisch. »Heilige Scheiße, sieh dir das an. Jede Menge Folterwerkzeug. Peitschen. Messer. Zangen. Der Kerl war bestimmt ein brutaler Sadist.«

Striker sagte nichts. Er inspizierte Handschellen und Folterwerkzeuge. Nachdenklich ging er zu dem Highboard. Er öffnete die Schranktüren und sah hinein.

Eine schwarze Ledermaske starrte ihn an – exakt das gleiche Modell wie das, das der Verdächtige in Mandy Gills Apartment getragen hatte. Strikers Blick fiel auf zwei Reihen mit DVDs. Eine externe Festplatte. Und Kameras: High Definition, Mini-Disk und Digital. Sein Magen krampfte sich zusammen.

»Bingo«, meinte Felicia.

Striker versagte sich eine Antwort. Sein Verstand raste. Er nahm wahllos eine der DVDs aus dem Schrank, steckte sie in den Blue-Ray-Player und drückte auf »Play«.

Der bombastische Flachbildfernseher leuchtete auf.

Die beiden Ermittler sahen einen Käfig, in den ein Mann eingesperrt war. Er kauerte auf der Seite, das Bild von der Kamera abgewandt. Der Rücken und seine Beine waren blutüberströmt, und er stöhnte.

»Bitte«, wimmerte er schwach. »Bitte.«

Hinter ihm, halb verschattet, stand jemand. In einen langen, dunklen Umhang gehüllt. Das Gesicht dieser Person war unkenntlich gemacht, sie hielt eine lange, dünne Stahlpeitsche in der Hand. Das Ende schimmerte feucht.

»Jesus Christus«, murmelte Felicia, »ist das krank.«

Währenddessen inspizierte Striker die anderen DVDs. Eine war mit dem aktuellen Datum beschriftet. Mandy und Sarah, schoss es ihm durch den Kopf … und Larisa.

Ihm wurde übel.

Er steckte die DVD in den Player, doch das Gerät konnte die Daten nicht lesen. Fluchend nahm er die Disk heraus, wischte sie vorsichtig ab und versuchte es erneut.

Unlesbares Format, signalisierte das Display.

»Verfluchte Scheiße.«

»Probier es mal mit dem Computer«, meinte Felicia. »In Ostermanns Büro stand einer.«

Striker nickte. Er nahm die DVD und lief die zwei Treppen hinunter. Im Parterre hörte er bereits das Heulen der Polizeisirenen, das irgendwo in der Ferne die Nacht durchschnitt. Er atmete halb erleichtert auf.

In Ostermanns Büro fuhr Felicia den Computer hoch. Merkwürdig, sann Striker, nach einem Blick auf den Teppich. Vorhin hatte das Teil mitten im Zimmer gelegen, inzwischen war es auffallend weit nach rechts gerutscht.

Warum hatte der Mediziner den Teppich beiseitegeschoben?

Neugierig tastete er mit einer Fußspitze den weichen Flor ab, bis er eine kleine Erhebung fühlte. Er trat zurück, fasste eine Ecke des Teppichs und zog ihn beiseite.

Darunter war eine Falltür.

»Hey, Feleesh, schau dir das mal an.«

Sie lief zu ihm. »Hatte unser feiner Psychiater womöglich einen Weinkeller?«

»Das werden wir gleich sehen.«

Er packte den Eisengriff und zog daran, bis die Falltür mit einem metallischen Ächzen nachgab. Striker riss sie ganz auf. Dann starrte er die Leiter hinunter. Von wegen Weinkeller, das sah verdächtig nach einem Betonbunker aus.

Er kniff die Augen zusammen, blinzelte nach unten. Im flackernden Lichtschein einer schwachen Neonröhre zeichneten sich mehrere Gegenstände ab.

Eine Packung Batterien für einen Akkuschrauber.

Eine Schachtel Latexhandschuhe.

Mehrere Kamerabatterien.

Striker zog seine Pistole und nickte zu Felicia.

»Die Natter«, japste seine Kollegin.

»Gib mir Deckung«, raunte er. »Ich geh jetzt runter.«

Zornesblind
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