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Die Natter hatte keine Ahnung, wie spät es war. Es hätte acht Uhr abends, aber auch frühmorgens sein können. Hauptsache, das mit der Installation hatte geklappt. Super geklappt. Das war seine Mission, Zeit interessierte ihn nicht.
Der Kamerakorpus stand auf dem Stahlgestell, das er an zwei Holzverstrebungen in dem Speisenaufzug festgeschraubt hatte. Die Linse war durch ein kleines Loch in der Wand auf das Privatzimmer des Doktors fokussiert.
Das verbotene Zimmer.
Die Nattter schaltete die Kamera ein und checkte das Display. Die Kamera erfasste Eichenschreibtisch, Himmelbett und den verschlossenen Barschrank in der hinteren Ecke.
Die Kamera erfasste alles.
Wie auf eine geheime Drehbuchanweisung hin kehrte der Doktor zurück, und er war nicht allein. Die Natter überlegte, ob er hastig den Rückzug durch den engen Aufzug antreten sollte, entschied sich dann aber anders.
Er wartete, von einer dunklen Neugier getrieben.
Er starrte auf das Kameradisplay. Der Bewegungssensor reagierte, und die Aufzeichnung hatte bereits begonnen. Die beiden Leute im Zimmer fingen an. Die Natter hatte den Akt schon gehört. Er hatte die Ergebnisse gesehen. Er wusste, dass es passierte.
Er hatte es jedoch noch nie wirklich gesehen.
Er verharrte in seinem engen, dunklen Versteck und verfolgte mit gemischten Gefühlen, wie der Doktor den Barschrank öffnete und was er herausnahm.
Er hätte Ekel empfinden müssen. Angst. Aber der Schock blieb aus. Stattdessen spürte er die Spannung, die sich in ihm aufbaute und sämtliche Nervenenden erfasste, während er halb ungläubig auf das Display starrte.
Als die Schreie einsetzten und Blut spritzte, wäre die Natter am liebsten geflüchtet, doch es ging nicht. Er blieb da, fasziniert, paralysiert. Eine Statue in der Dunkelheit.
Er konnte den Blick nicht losreißen.