64

Die beiden Ermittler fuhren ins Labor zu Noodles, 312 Main Street. Wie üblich fanden sie keinen Parkplatz, also stellte Striker den Wagen kurzerhand auf der Cordova Street ab, in den Parkbuchten für die Streifenfahrzeuge. Damit machte er die Kollegen jedes Mal rasend.

Macht nix, grinste er stumm in sich hinein. Seine Ermittlungen gingen vor.

Sie liefen den kurzen Weg hinunter, der vom Hauptgebäude zu einem Anbau führte. Im Gebäude gingen sie direkt zu der Abteilung Spurensicherung. Der Trakt war alt und heruntergekommen und schrie nach einer Renovierung. Links im Gang befand sich das Labor für Blut- und andere Flüssigkeitstests, wo sämtliche Proben vor der Untersuchung gekennzeichnet wurden. Vor ihnen war das chemische Labor, wo Noodles Fingerabdrücke untersuchte.

Rechts davon war das eigentliche Büro der Spurensicherung, wo der Verwaltungskram erledigt wurde. Dort sah es nicht anders aus als im Morddezernat. Ein Großraumbüro mit zig Schreibtischen, auf denen sich Papierberge türmten.

Im letzten dieser kleinen Büromodule saß Noodles.

Der massige Spurentechniker fläzte sich entspannt in seinem Bürostuhl, die Beine auf seinem Schreibtisch, ein Coolpack auf der Augenpartie. Als er nahe genug heran war, verpasste Striker dem Stuhl einen Tritt.

»Hey, du Schönling, versuchst wohl deine Falten loszuwerden, was?«

Felicia kicherte los. »Kleiner Tipp: Mit Botox funktioniert es besser.«

Noodles nahm das Kühlpäckchen vom Gesicht und blinzelte ein paarmal ins Licht. Dann rutschte er in dem Rollenstuhl nach vorn und rieb sich die Augen.

»Hab den ganzen verdammten Tag lang Fingerabdrücke abgeglichen«, grummelte er. »Ich seh bloß noch Sterne.«

»Irgendwas Neues von den Fingerabdrücken, die auf dem Kanister mit dem Holzlack waren?«

»Laufen in diesem Augenblick durch die Datenbank. Ich meld mich bei euch, wenn ich das Ergebnis hab.«

»Und die DNA

»Wurde von der Waffe genommen, dem Kanister, den Pillenröhrchen, den Fenstern – Gott, das kann ein paar Wochen dauern, aber das wisst ihr ja. Was die Handabdrücke angeht, da werft ihr am besten selbst einen Blick drauf.«

Noodles schob seinen Stuhl zurück und zeigte Striker die beiden Muster. Beides waren Abdrücke der Handflächen, besser gesagt Teile davon. Einer stammte aus dem Apartment von Mandy Gill, der andere aus dem Apartment gegenüber von Sarah Roses Wohnung.

Der erste Abdruck war ziemlich aufschlussreich, die Linien und Verästelungen auf der Haut gut erkennbar. Der zweite war verwischt, als wäre die Hand vom Fenster weggerissen worden.

Striker trat zurück und wechselte das Thema. »Irgendwas Neues von der Knarre?«

»Eine Browning, Kaliber neun Millimeter.«

Striker klappte förmlich der Kiefer nach unten. So eine Browning gehörte in der Army zur Standardausstattung. Gut für den Nahkampf, leicht und schnell zu ziehen. Zudem hatten die Magazine dreizehn Schuss.

Verdammt, wieder eine Sackgasse.

Felicia, die seine Niedergeschlagenheit bemerkte, fragte: »Und? Was sagt uns das?«

»Dass Billy Mercury die Knarre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von seiner Einheit mitgehen ließ, als er entlassen wurde – und das wiederum bedeutet, dass wir auf der Stelle treten. Eine gestohlene Armypistole bringt uns keinen Schritt weiter.«

»Ich schau sie mir nochmal an. Wenn ich was finde, meld ich mich«, erbot sich Noodles.

Striker war einverstanden.

Plötzlich vibrierte sein Handy. Er nahm es aus seiner Brusttasche und checkte das Display. Sicher wieder dieser unsägliche Laroche oder vielleicht auch Courtney. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Er hatte eine E-Mail von Larisa bekommen. Er öffnete das Dokument und las die Message.

Ich habe Ihnen vertraut und Sie hetzen mir das Mental Health Team auf den Hals.

»Oh Scheiße«, knirschte Striker.

Er tippte spontan auf Bernard Hamilton vom Wagen 87 und kochte vor Zorn, als er Felicia die Nachricht zeigte. »Hab ich es dir nicht gesagt? Sie denkt, wir hätten das Mental Health Team auf sie angesetzt.«

Er schrieb zurück:

Das stimmt nicht. Die waren aus eigenen Erwägungen da. Wir wussten das nicht.

Er schickte die E-Mail ab und wartete. Als keine Antwort einging, fügte er hinzu:

Wo sind Sie? Wir müssen reden.

Er drückte auf »Senden«. Abermals keine Antwort. Das Warten kam ihm ewig vor. Als er drauf und dran war, das E-Mail-Programm zu beenden und das iPhone zurück in die Tasche zu stecken, vibrierte es wieder. Endlich. Er öffnete die Mail, las das Display und war erschüttert.

Ich vertraute Ihnen, Jacob.

Das war alles. Als nicht mehr kam, wusste Striker, dass die Diskussion vorüber war. Er beendete sein E-Mail-Programm und steckte das Handy weg. Er hätte schreien mögen. Zum einen, weil er frustriert war, zum anderen, weil er Schuldgefühle empfand.

Was Larisa geschrieben hatte, war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Sie hatte ihm vertraut, ihn kontaktiert, und er hatte sie enttäuscht.

»Es ist zwecklos«, seufzte er. »Sie vertraut mir nicht mehr.«

Felicia nickte. »Das erstaunt mich nicht wirklich. Vergiss nicht, Jacob, dass sie traumatisiert ist. Sie denkt, wir hätten es alle auf sie abgesehen. Wir müssen anhand ihrer Nummer orten, wo sie sich aufhält.«

»Das ist das Problem. Sie hat die E-Mail nicht über Handy geschickt, sondern von irgendeinem Computerterminal. Das kann überall gewesen sein.«

»Ich hab einen Kontakt bei Shaw und bei ein paar anderen Providern. Ich guck mal, ob wir eine IP-Adresse bekommen können. Dann kriegen wir möglicherweise auch raus, wo das Terminal steht.« Felicia hielt ihm lächelnd ihre Hand hin. »Komm, Schätzchen. Sei brav und gib Mommy dein Handy.«

Striker zögerte unschlüssig, bevor er mit dem Teil herausrückte. Felicia öffnete das E-Mail-Programm, drückte den Details-Button und konzentrierte sich auf den Absender der Mail:

L.Logan@gmail.com

»Es ist ein G-Mail Account«, sagte sie. »Super, bei denen kenn ich jemanden ganz gut.«

Bevor Striker reagieren konnte, telefonierte sie mit ihrem Kontakt. Der Ermittler und Noodles schauten sich in der Zwischenzeit die Abdrücke noch einmal genau an, um sicherzugehen, dass sie nichts übersehen hatten. Zehn Minuten später beendete Felicia ihr Gespräch und strahlte ihn triumphierend an. Sie sagte nichts.

»Und?«, erkundigte er sich.

»Wenn du was brauchst, wend dich einfach an Mommy, Baby.«

Noodles lachte darüber, Striker nicht.

»Mach’s nicht so spannend, Feleesh. Wo ist sie?«

»In einer Kaffeebar in der Metrotown Mall. Das Café heißt Arabic Beans.«

Striker fluchte. Das war in Burnaby. »Um diese Uhrzeit brauchen wir ewig, um dorthin zu kommen.«

Felicia nickte. »Wir müssen eine andere Einheit hinschicken.«

»Um Himmels willen, bloß nicht! Wenn Larisa einen Streifenwagen sieht, flippt sie aus.«

Felicia sah ihn eindringlich an. »Wir haben keine Alternative, Jacob. Larisa mag traumatisiert sein, trotzdem weiß sie irgendwas. Das hast du selbst gesagt. Und wenn du Recht hast und es ist mehr als eine Person beteiligt, dann schwebt sie in großer Gefahr. Wir dürfen nicht riskieren, dass sie das nächste Opfer wird.«

Striker überlegte und schwieg.

»Ich stimme Felicia zu«, bekannte Noodles. »Los, sag was, Alter. Eure Larisa sitzt bestimmt nicht ewig in dieser Kaffeebude rum.«

Striker lenkte ein. »Okay, aber es muss ein Cop in Zivil sein. Bloß keine Uniform. Verdammt, ganz ohne Scheiß. Wenn die einen Cop sieht, ist es aus. Dann weiß sie, dass wir den geschickt haben, und dann vertraut sie mir erst recht nicht mehr.«

Felicia schnappte sich Noodles’ tragbares Funkgerät und erkundigte sich in der Zentrale, ob östlich der Boundary Zivilpolizisten im Einsatz seien. Als die Antwort negativ ausfiel, ging sie auf Infochannel und fragte nach, ob in Burnaby South im Bereich der Metrotown Mall eine Zivilstreife unterwegs sei. Das war glücklicherweise der Fall, und Felicia gab die Message an die Kollegen weiter.

»Seid diskret«, sagte sie. »Die Frau ist hypersensibel.«

»Bilder?«, erwiderte der Beamte.

Striker schaltete sich zu. »Gebt mir eure Handynummer, dann schick ich euch ein Foto der Zielperson.«

Der Cop gab ihm seine Nummer, und Striker scrollte sich durch seine iPhone-Fotos, bis er eins von Larisa fand. Es war das Foto, das der Sarj ihm hochgeladen hatte. Er mailte es den betreffenden Kollegen.

»Und, hat es geklappt?« Felicia lächelte.

Ihm war das Lachen vergangen, stattdessen empfand er bohrende Schuldgefühle. Wenn Larisa davon irgendwas mitbekommt, dachte er, bringt sie mich um.

Er stand auf und angelte die Wagenschlüssel aus seiner Jackentasche.

»Komm«, sagte er zu Felicia. »Wir fahren auch hin. Code 3

Zornesblind
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