84

Die beiden Detectives verließen den Parkplatz der Mapleview-Klinik und fuhren in Richtung Boundary Road. Hinter der Esso-Tankstelle an der Ecke Hastings Street war der On The Run Coffeeshop, wo die Cops für gewöhnlich nach den Morgenbriefings ihren Kaffee holten.

»Wie wär’s mit einer Koffeindröhnung?«, fragte Felicia.

Striker nickte. »Ich kann eine brauchen. Hilft mir beim Denken.«

Sie sprangen aus dem Wagen, holten sich zwei Americanos und tranken den Kaffee draußen in der Kälte, weil Striker unbedingt an die frische Luft wollte.

»Diese Lexa Ostermann hat uns die ganze Zeit etwas vorgemacht«, bekannte Striker. »Angefangen in der Villa, wo sie sich als eingeschüchtertes Frauchen aufgeführt hat, bis hin zu der Rolle, die sie in der Klinik spielt.«

Felicia nippte an ihrem Kaffee. »Hey, eins muss man dieser Psychopathin lassen, sie hat ihre Rolle gut gespielt. Es ist ihr überzeugend geglückt, Ostermann so dastehen zu lassen, als wäre er zu Hause ein Despot, dabei war es genau andersherum.« Um ihre Mundwinkel herum zuckte es angewidert. »Meine Güte, ich darf gar nicht daran denken, wie sie den armen Kerl ausgepeitscht und wie er geschrien hat. ›Red. Red! Red!‹ Da dreht sich mir der Magen um.«

»Also, ich persönlich hätte Stopp als Codewort genommen. Damit erst gar keine Verwirrung aufkommt.«

Felicia prustete los, und Striker fuhr fort.

»Der Punkt ist, wir dachten, wir kennen die Frau, aber sie hat uns die ganze Zeit auf die Rolle genommen. Ich frag mich, welche Lügen sie uns sonst noch aufgetischt hat. Angefangen mit ihren persönlichen Angaben.«

»Ihr Name beispielsweise«, meinte Felicia.

»Exakt. Name, Geburtsdatum und -ort und so weiter.«

Felicia klappte ihr Handy auf. »Ich hab einen Kontakt in Victoria«, sagte sie. »Ich erkundige mich mal nach ihrem Mädchennamen.«

Striker schnalzte mit der Zunge. In Victoria war die Vital Statistics Agency für British Columbia, wo Namensänderungen und Eheschließungen archiviert wurden.

»Frag mal nach, wann sie Ostermann geheiratet hat«, schlug er vor.

Sie torpedierte ihn mit einem ihrer Bin-doch-nicht-blöd-Blicke und wartete, bis sie durchgestellt wurde.

In der Zwischenzeit wählte Striker die Zentrale an. Ihn interessierte brennend, ob Hinweise zu der Familie Ostermann eingegangen waren.

Sue gab ihm die typische Sue-Antwort. »Hab ich dich angerufen?«

»Nein.«

»Da hast du deine Antwort.«

»Sorry, Sue, dass ich dich nerve. Mensch, Mädchen, ich bin am Verzweifeln, kannst du das verstehen?«

»Okay, aber das nächste Mal spendierst du mir eine Cola.«

»Mit extra viel Eis«, versprach er.

Er blickte zu Felicia. Sie telefonierte noch mit ihrem Kontakt in Victoria, und er sah ihrem Gesicht an, dass das Gespräch ein voller Erfolg war. Als sie sich Informationen in ihr Notizbuch schrieb, sah Striker einen Hoffnungsstreif am Horizont. Nach dem Telefonat strahlte sie ihn triumphierend an.

»Und?«, fragte er.

»Wenn du Infos brauchst, wend dich einfach an Mommy, Baby.«

Striker lachte. »Das hab ich schon mal irgendwo gehört. Leg los, Feleesh.«

»Okay, okay. Zuerst einmal: Lexa heiratete Dr. Ostermann vor exakt zehn Jahren. Auf den Monat genau.«

»Vor zehn Jahren? Dann war Gabriel bei der Hochzeit schon acht und Dalia fünf. Dann sind die Kinder entweder unehelich oder …«

»Sie sind gar keine Geschwister«, fiel Felicia ihm ins Wort. »Das hab ich eben auch erfahren. Gabriel wurde als einziges Kind von Wilma und Erich Ostermann vor achtzehn Jahren geboren. Wilma starb sechs Jahre nach der Geburt an Krebs, und nicht mal zwei Jahre später heiratete Erich Lexa.«

»Wie hieß Lexa vor der Eheschließung mit Nachnamen?«

»Smith.«

Striker war kein bisschen überrascht. Nach Lee war Smith der gebräuchlichste Nachname in Nordamerika und Kanada – jedenfalls bei Menschen mit weißer Hautfarbe. Das machte es umso schwieriger, Informationen über die Frau einzuholen, zumal er bezweifelte, dass der Name stimmte.

»Ist das der einzige?«, fragte er.

Felicia schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich eher nicht. Vor fünfzehn Jahren war sie schon mal verheiratet, mit einem Gerald Jarvis. Die Ehe hielt bloß drei Jahre.«

»Fünfzehn Jahre? Das kommt mit Dalias Alter hin.«

Felicia nickte. »Lexa hatte noch andere Namen. Als sie seinerzeit über Toronto nach Kanada einwanderte, bat sie um eine Namensänderung. Ihr Immigrantenname war Novak.«

»Novak?« Striker zog sein iPhone aus der Tasche. »Ich kenn bestimmt nicht viele tschechische Namen, aber Novak ist mir ein Begriff.« Er tippte den Namen bei Google ein und pfiff leise, als er das Resultat sah. »Überraschung! Smith ist der populärste Name in Kanada, Novak der gebräuchlichste in Tschechien. Von wo ist sie ausgewandert?«

»Berlin«, antwortete Felicia.

»Die Schwester im Mapleview meinte aber, Lexa stamme aus Prag.«

»Und Lexa war gar nicht glücklich darüber, dass die Schwester das aufgeschnappt hatte.«

Striker googelte Karls-Universität und tippte die angegebene Telefonnummer in sein Handy ein. In Vancouver war es fast Mittag, dann war es in Prag ungefähr acht Uhr abends.

Er wurde mit der Universitätsverwaltung verbunden und war erleichtert, als sein Ansprechpartner fließend Englisch sprach. Knapp zehn Minuten später war das Gespräch beendet, und seine Augen wurden schmal.

»Sie war tatsächlich an der Uni eingeschrieben, unter dem Namen Novak. Acht Jahre lang.«

»So lange? Hat sie ihr Studienfach gewechselt?«

Striker zuckte mit den Schultern. »Krankenschwester ist sie jedenfalls nicht. Sie hat Medizin studiert und sich auf psychiatrische Medizin spezialisiert.«

Felicia machte große Augen und nickte. »Alles in allem klingt es voll logisch. Lexa macht in Prag ihren Doktor in Medizin und kommt nach Kanada.«

»Aber ihr Abschluss wird nicht anerkannt«, betonte Striker, »und sie muss als Psychiatrieschwester arbeiten.«

»Folglich sucht sie sich einen Mann, der ebenfalls Psychiater ist.«

»Erich Ostermann. Der ganz zufällig eine eigene Klinik hat.«

»Wo sie Zugriff auf die Patienten ihrer Wahl hat.«

»Nicht Patienten«, warf Striker ein. »Opfer.«

Felicia ließ seine Worte auf sich wirken und schüttelte den Kopf. »Da gibt es bloß ein kleines Problem: Wieso wiederholte sie nicht die erforderlichen Examen, damit ihr Abschluss in Kanada anerkannt wird? Immerhin hatte sie acht Jahre lang Medizin studiert. Sie investierte viel Zeit, um dann anschließend als Krankenschwester schuften zu müssen?«

»Dafür fallen mir auf Anhieb zwei Motive ein«, gab Striker zu bedenken. »Erstens ist es einfacher, sich im Hintergrund zu halten, wenn die Polizei auftaucht, weil jeder denkt, es war der Doktor und nicht die Schwester.«

»Und zweitens?«

»Es war zu riskant, das Examen zu wiederholen – weil Lexa Novak mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon polizeilich gesucht wurde.«

Zornesblind
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