51

Eine ganze Weile später, es war schon fast halb drei am Nachmittag, lag Striker entspannt auf der Couch und beobachtete, wie Felicia aus dem Bad ins Wohnzimmer zurückkehrte. Dabei strich sie Bluse und Hose glatt. Im sanften Feuerschein sah sie begehrenswert hübsch aus. Ihre langen, schwarzen Haare fächerten sich um ihre Schultern, und ihre dunklen Augen waren warm und anziehend. Sie trat vor ihn, fing seinen Blick auf und seufzte.

»Ich kann es nicht fassen, dass wir wieder hier angekommen sind«, meinte sie.

Striker grinste. »Du meinst im Wohnzimmer?«

»Hör auf damit, Jacob. Du weißt genau, was ich meine.« Sie zeigte mit dem Finger auf sich und dann auf ihn. »Das hier. Wir. Ich wollte nicht, dass das nochmal passiert. Sie befestigte ihren Ohrring und schloss die Augen. »Oh Gott, wie konnte das bloß passieren?«

Striker setzte sich auf. »Mmh, also zuerst hast du meine Schulter gestreichelt, dann hast du mir tief in die Augen gesehen …«

»Stopp«, schnitt sie ihm mit einem harten Blick das Wort ab. »Vergiss es, Casanova.«

Er stand lachend auf. Drängte sich an sie. Als er die Arme um sie schlang, versteifte sie sich kaum merklich, und er ließ sie los. Sie blickte provozierend zu ihm hoch. Zärtlich, aber auch eigenwillig. Es hatte sich nichts geändert.

»Was?«, fragte er.

»Alles auf Anfang. Es geht also alles wieder von vorn los.«

»Schlimm?«

»Nein. Doch, ja. Ach, Scheiße.«

Striker schaute sie bloß an. Was sollte er auch dazu sagen? Ihre Beziehung war vom ersten Tag an schwierig gewesen. Wäre es bloß um sie beide gegangen, wäre alles super gelaufen. Aber es drehte sich nicht bloß um sie. Da war der Job. Und Courtney. Und alles mögliche andere.

Sie wussten beide, dass sich daran nichts ändern würde.

»Und was jetzt?«, fragte sie weich. »Was machen wir jetzt, Jacob?«

Er senkte seinen Blick in ihren, ihre Augen ernst, und antwortete ihr ehrlich, was ihm unter den Nägeln brannte:

»Wir kümmern uns wieder um unseren Fall.«

Fünfzehn Minuten später, nach einem weiteren vergeblichen Versuch, den ominösen Dr. Richter zu erreichen, bei dem sie auf der Mailbox gelandet waren, fuhr Striker sie nach Osten. Er wollte unbedingt Billy Mercury interviewen, aber dazu musste er den Mann entweder wegen versuchten Mordes verhaften oder die Erlaubnis des behandelnden Psychiaters einholen.

Und Billys Psychiater war der beliebte und ausgewiesene Gutmensch Dr. Erich Ostermann.

Der Kreis schloss sich.

Er fuhr zur Riverglen-Klinik, wohin Billy Mercury eingewiesen worden war. Als sie sich den östlichen Ausläufern von Vancouver näherten, seufzte Felicia vernehmlich.

»Inspektor Laroche flippt aus, wenn er mitkriegt, dass du nicht krankfeierst.«

Striker zog die Brauen hoch. »Laroche … Verflucht, wen interessiert, was der Idiot denkt?«

»Mich, wenn er uns vom Dienst suspendiert.«

Striker warf ihr einen flammenden Blick zu. »Okay, erstens hat Laroche mich nicht nach Hause geschickt. Ich bin freiwillig zum Arzt gegangen. Und zweitens hab ich kein Krankengeld beantragt.«

»Denkfehler: Du kannst erst wieder ermitteln, wenn einer der Ärzte von Medicore grünes Licht gibt.«

Was sollte er darauf erwidern? Felicia hatte völlig Recht – mit solchen Dingen kannte sie sich aus. Sie kannte die Dienstanweisungen und Vorschriften bei Weitem besser als er, zumal sie sich die verdammten Statuten sicher von vorn bis hinten durchgelesen hatte.

Er nicht.

Das Vancouver Police Department arbeitete eng mit dem Medicore Health Center zusammen. War ein Beamter wegen eines Dienstunfalls krankgeschrieben, konnte er seinen Dienst erst wieder aufnehmen, wenn er von Medicore das Okay bekam, selbst wenn er einen Spezialisten konsultiert hatte.

Es hing mit Ansprüchen gegenüber der Versicherung zusammen und folglich mit Geld. Wen überraschte das großartig?

»Ich bin mit dir einer Meinung, Feleesh, aber trotzdem – das ganze Medicore-Ding ist bloß Politik und nicht das Gesetz. Und es ist nicht mal unsere Politik, es hat was mit Krankengeld und so zu tun. Wenn ich die Verletzung schlimmer mache, als sie ist, streiten sie sich vor Gericht. Also häng ich die Sache nicht an die große Glocke. Wo kein Kläger, da kein Richter.«

»Du vereinfachst zu stark.«

»Ich wünschte, ich hätte es bei dir ein bisschen einfacher.«

Sie torpedierte ihn mit einem harten Blick und schwieg. Striker war froh darüber, denn er hatte wenig Lust, eine lange Debatte vom Zaum zu brechen.

An der Kreuzung Broadway und Nanaimo fuhr Striker an den Straßenrand.

»Ist was?«, wollte Felicia wissen.

»Was hat Ostermann noch gesagt, wie lange er im Riverglen arbeitet?«

Felicia warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte verblüfft fest, dass es schon kurz vor drei war. »Mist, stimmt. Der ist sicher schon weg. Vielleicht können wir ihn irgendwo unterwegs abfangen.«

»Vielleicht bleibt er ja auch heute länger wegen Mercury.«

Striker tippte die Nummer vom Riverglen in sein Handy ein. Er landete in der Zentrale und wurde mit Ostermanns Sekretärin verbunden, die ihn eiskalt abservieren wollte.

»Herr Dr. Ostermann praktiziert nur vormittags hier«, sagte sie knapp.

»Verstehe«, antwortete Striker. »Aber ich dachte, er wäre heute vielleicht länger da, nachdem Billy Mercury bei Ihnen eingeliefert wurde.«

Die Frau seufzte ungehalten. »Tut mir leid, aber Mr. Mercury ist nicht Dr. Ostermanns einziger Patient, obwohl er zweifellos die meiste Zeit beansprucht. Herr Dr. Ostermann konsultiert ihn in der Klinik.«

Striker schoss Felicia einen fassungslosen Blick zu. Als er sprach, hatte er Mühe, die Verärgerung in seiner Stimme zu unterdrücken.

»Moment mal. In welcher Klinik? Wollen Sie damit sagen, dass Mercury noch gar nicht im Riverglen ist? Ich dachte, er wäre da eingeliefert worden?«

»Ist er auch, und er kommt wieder her, sobald Herr Dr. Ostermann ihn begutachtet hat.«

»In einer Privatklinik? Das gefällt mir gar nicht.«

Die Frau atmete hörbar gereizt aus. »Wir haben bewaffnete Pfleger, Detective. Gewaltbereite Patienten sind für uns kein Thema. Damit haben wir fast ständig zu tun. Es gibt folglich nichts, weswegen Sie – oder jemand anders – sich Sorgen machen müsste.«

Striker merkte, wie er mit den Fingern das Lenkrad umkrampfte. »Sie würden vielleicht anders denken, wenn es Ihr Haus wäre, das er gerade abgefackelt hat. Also, in welcher Klinik ist Dr. Ostermann jetzt mit Billy?«

»Diese Information darf ich nicht weitergeben. Das ist streng vertraulich.«

Striker reichte es. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich ermittle gerade in einem wichtigen Fall und muss Dr. Ostermann dringend sprechen. Wenn Sie mir nicht augenblicklich sagen, wo er ist, krieg ich Sie wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungsarbeit dran. Es wird mir eine Freude sein, Sie persönlich festzunehmen. Merken Sie sich das. Also, wo zum Henker ist er?«

Die Sekretärin räusperte sich unschlüssig. »Herr Dr. Ostermann engagiert sich donnerstagsnachmittags für das Even-Health-Programm«, sagte sie gedehnt.

»Wo?«

»Ecke Boundary und Adanac.«

Striker beendete das Gespräch.

Felicia sah ihn fragend an. »Und«, bohrte sie. »Wo ist der Kerl?«

»Im Mapleview«, antwortete Striker. Er stellte die Automatik auf Drive, gab Gas und fuhr den Broadway hinunter.

Die Klinik war keine zwanzig Minuten entfernt.

Zornesblind
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