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Felicia legte auf. »Nichts«, seufzte sie.
Striker fluchte. »Nichts?«
»Du hast es erfasst. Das Einwohnermeldeamt hat lediglich ihre Adresse in Belmont gespeichert.«
Striker dachte nach. »Versuch es mal mit EvenHealth als Stichwort, von wegen Privatklinik oder so.«
»Hab ich schon. EvenHealth steht für jede Klinik, die das Programm durchführt, und das sind in Vancouver über ein Dutzend. Hinzu kommen die im Lower Mainland. Keine Ahnung, wie viele Kliniken das im Einzelnen sind.«
Striker zog ärgerlich die Brauen zusammen. Wieder traten sie auf der Stelle. Alles, was sie hatten, war eine Villa, aus der Lexa und ihre Kinder geflohen waren, und ein paar Strafzettel aus der Gegend um Whistler Village.
Er fing Felicias Blick auf. »Angenommen, du wärest Lexa Ostermann und müsstest irgendwo Extrakohle und Ausweispapiere horten: Wo würdest du das machen?«
»In einem Bankfach.«
»Stimmt. An ein Bankfach kommt man aber nur während der Geschäftszeiten. Normalos wie du und ich können natürlich bis zum nächsten Arbeitstag warten, aber was macht jemand, der Dreck am Stecken hat und von einem auf den anderen Augenblick seinen Arsch retten muss? Was würdest du da als Versteck nehmen?«
Felicia schwieg einen Moment und warf ihre Mähne zurück. »Da weiß ich bloß eins: die Klinik, wo sie arbeitet und die ihrem Mann sooo waaahnsinnig am Herzen lag.«
»Korrekt«, bestätigte er. »Höchste Zeit, dem Mapleview mal wieder einen kleinen Besuch abzustatten.«
Um genau zehn Uhr dreißig parkte Striker den Zivilwagen vor dem Rondell und stieg aus. Bei strahlendem Winterwetter sah die Mapleview-Klinik richtig einladend aus. Striker hatte dafür keinen Blick. Ihm ging wie eine Endlosschleife durch den Kopf, dass sie hier gewesen waren, um sich Dr. Ostermann zu schnappen und Billy Mercury aufzuhalten. Das war erst gestern Nachmittag gewesen.
Es war eine gefühlte Ewigkeit.
»Allmählich hasse ich dieses Krankenhaus«, muffelte er.
»Wem sagst du das?«, gab Felicia zurück. Sie lief die alte Betontreppe hoch, Striker dicht neben ihr. Als sie durch die Panzerglasdoppeltüren das Foyer betraten, blickte die Rezeptionistin hinter ihrem Tresen auf. Ihre Miene entspannte sich, und sie lächelte.
»Detectives«, sagte sie. »Guten Morgen.«
Striker grinste. Offenbar hatte sie noch nicht von Dr. Ostermanns Tod und der abgetauchten Familie erfahren.
»Guten Morgen«, entgegnete er. Er trat an den Schreibtisch und ergriff lächelnd ihre Hand. »Wissen Sie was, in dem gestrigen Chaos hab ich ganz vergessen, Sie nach Ihrem Namen zu fragen.«
»Pam«, strahlte sie. »Also eigentlich heiße ich Pamela. Pamela O’Malley.«
»Ehrlich gesagt überrascht es mich, dass Sie heute wieder hier sitzen.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Meine Kolleginnen haben sich krankgemeldet, und einer muss den Job schließlich machen.«
»Sie Ärmste«, meinte Felicia.
Striker sah die Frau eindringlich an. »Wie kommen Sie damit klar, Pam? Wenn Sie sich überfordert fühlen oder so, kann ich Ihnen eine Karte der Opferhilfe dalassen.« Er sah sich im Foyer um, als registrierte er mit einem Mal, dass er im Krankenhaus war, und grinste. »Wenn Sie eine Therapie brauchen, sitzen Sie hier wahrscheinlich an der Quelle.«
Die Rezeptionistin kicherte.
»Ich muss mit einem Ihrer Vorgesetzten sprechen«, wechselte er das Thema.
»Herr Dr. Ostermann ist noch nicht im Haus.«
»Eigentlich suche ich Lexa Ostermann.«
Das Lächeln auf dem Gesicht der Frau verlor sich. »Mrs. Ostermann ist auch noch nicht da. Sie praktiziert für gewöhnlich erst nachmittags.«
»So, wie Sie das sagen, klingt das fast erleichtert«, tippte Striker. Als die Frau ertappt schwieg, fuhr er mit gesenkter Stimme fort: »Ist schon okay. Ich hab zweimal mit ihr zu tun gehabt – und das war für mein Empfinden einmal zu viel. Aber Dienst ist Dienst.«
Die Rezeptionistin lachte weich. »Ja, Mrs. Ostermann kann schon mal ein bisschen … anstrengend sein.«
»Mrs. Ostermann ist zum Abgewöhnen«, versetzte Felicia brüsk.
Die Rezeptionistin lachte wieder.
»Demnach war sie heute noch nicht hier?«, hakte Striker nach.
»Nein. Sie kommt um Punkt eins. Danach können Sie die Uhr stellen. Mrs. Ostermann legt großen Wert auf Pünktlichkeit. Auch bei den Gruppentherapien. Wenn da einer bloß eine Minute zu spät kommt, wirft sie ihn eiskalt raus.«
»Welche Therapien betreut sie?«, wollte Felicia wissen.
»Oh, eigentlich alle. Aber meistens die SILC-Gruppen – kennen Sie das Programm?«
»Ja«, antwortete Striker. »Spricht sie das vorher mit Dr. Ostermann ab, wenn sie seine Patienten nach Hause schickt? Ich meine, es sind immerhin seine Sitzungen, oder?«
»Das stimmt, aber Mrs. Ostermann springt öfter für ihn ein.«
Striker merkte auf. »Sie springt öfter für ihn ein? Eine Krankenschwester übernimmt die Therapien eines qualifizierten Psychotherapeuten?«
Ein Ausdruck von Bestürzung schlich sich in die Miene der Frau, als hätte sie Angst, zu viel gesagt zu haben. »Vielleicht sollte ich nicht …«
»Hey, ist okay«, beruhigte Striker sie. »Das bleibt selbstverständlich alles unter uns, versprochen. Ich finde es bloß ungewöhnlich.«
»Wie gesagt, Mrs. Ostermann ist sehr kompetent. Sie hat dafür wohl die entsprechende Ausbildung.«
»Was denn für eine Ausbildung?«, hakte Felicia nach.
»Da bin ich überfragt. Ich weiß bloß, dass sie ihren Abschluss irgendwo in Europa gemacht hat. Sie spricht nie darüber. Sie ist sowieso nicht der Typ, der viel erzählt. Schon gar nicht kleinen Angestellten wie mir.«
»Wo in Europa?«, bohrte Striker.
»In Tschechien.«
Er nickte. »Woher wissen Sie das so genau, wenn sie nie darüber gesprochen hat?«
»Herr Dr. Ostermann erwähnte es einmal. Ist schon länger her. Vor einem Jahr oder so.«
Striker stützte sich betont lässig mit dem Arm auf den Empfangstresen. »Interessant. Und Sie haben sich das gemerkt?«
Die Frau nickte versonnen. »Ja, so was behält man einfach. Dr. Ostermann diskutierte mit Dr. Richter darüber, welche Therapien aus Europa übernommen werden könnten. Im Verlauf des Gesprächs erwähnte er, dass Mrs. Ostermann in Tschechien aufgewachsen sei und Probleme hätte, ihren Universitätsabschluss anerkannt zu bekommen.«
»An welcher Universität?«
»Karls-Universität, glaube ich. Ich kann Ihnen aber nicht mehr sagen, wo die ist.«
»In Prag«, erklärte Striker.
»Was war dann?«, drängte seine Kollegin.
Die Frau wurde rot. »Oh, Mrs. Ostermann ist ausgerastet. Sie war sehr wütend. Ich hatte sie noch nie so … wütend erlebt – sie ist sonst eine sehr zurückhaltende Person, na, Sie wissen schon.«
Striker nickte.
Zurückhaltend, dachte er für sich. Und voller Geheimnisse.
Er nahm eine seiner Visitenkarten und notierte seine Handynummer auf der Rückseite. Er schob die Karte über den Tresen und sah die Empfangsschwester dabei eindringlich an. »Sollten Lexa oder ihre Kinder hier auftauchen, müssen Sie das Gebäude sofort verlassen. Haben Sie mich verstanden, Pam?«
»Ich? Das Gebäude verlassen?«, stammelte die Frau etwas verstört.
»Sofort«, wiederholte er. »Lassen Sie sich irgendeinen Vorwand einfallen. Dass Sie nach einem Patienten schauen müssen oder so. Und dann verlassen Sie so schnell wie möglich das Gebäude und rufen mich dann sofort auf dem Handy an. Haben wir uns verstanden?«
Die Frau nickte langsam.
»Und wenn Dr. Ostermann herkommt?«
Striker grinste schmal.
»Dann kann Ihnen meine Nummer auch nicht mehr helfen.«