57
Die Natter zitterte. Er zitterte so schlimm, dass er kaum die Leiter halten konnte, als er nach unten kletterte, in sein Refugium. Kaum trafen seine Füße auf dem Betonboden auf, stürmte er durch das Zimmer und rammte die Disk in den Player, dass er fast das Gerät zerstört hätte.
Die DVD lief, der Bildschirm erwachte zum Leben.
Er sah die Polizistin. Sie stand auf dem Parkplatz. Und beobachtete, wie der hoch aufgeschossene Detective die Stufen nahm. Sie war attraktiv – das registrierte sein analytischer, autistischer Verstand: lange, schwarzbraune Haare bauschten sich um ihr Gesicht. Zweifellos eine Beauty im besten Alter, sprühend vor Schönheit und Energie. Schön wie eine strahlende Supernova, die hell aufleuchtet, bevor sie am Himmel verglüht.
Die Natter beobachtete, wie sie dort stand, völlig unvorbereitet auf die lauernde Gefahr. Dann kamen die Schüsse.
Die erste Kugel verfehlte ihr Ziel.
Die zweite ebenfalls.
Und dann detonierte die dritte – es war der perfekteste, wundervollste Schuss, den er je abgegeben hatte. Ein Lichtblitz wie die Aureole eines Engels. Unvermittelt schwankte Detective Felicia Santos. Sie stolperte zurück, landete hart auf dem Pflaster und lag da, ein verwunderter Ausdruck in ihren schönen Augen.
Wegen der schlechten Aufnahmequalität musste die Natter zoomen, um ihren Gesichtsausdruck besser einfangen zu können. In diesem Moment begriff er, was Sache war. Verdammte Hacke. Sie klappte die Lider auf und betastete ihre Brust …
Die Weste.
Die gottverfluchte kugelsichere Weste.
»NEIN!«, ächzte er. »NEEIIN!«
Unkontrolliert zitternd nahm er die DVD aus dem Gerät und zerbrach sie, schnitt sich dabei in die Hand. Dann trat er unbeherrscht gegen die Anrichte. Hart. Das Teil wackelte, als würde es jeden Moment zusammenkrachen.
Das war ihm völlig egal.
Sein Moment reiner, unverfälschter Schönheit – war ihm innerhalb von Sekundenbruchteilen gestohlen worden.
»Nein«, stammelte er weich. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Große, salzige Tropfen liefen über seine Wangen.
Es war unfair.
So wahnsinnig unfair.
Dann setzten die Kopfschmerzen ein. Als bohrte sich ein hungriges Insekt in seinen Schädel, um das Gehirn auszusaugen. Und dann kehrten die Stimmen zurück, fluteten sein Gedächtnis, schlugen über ihm zusammen, ertränkten ihn in gewaltigen, grausigen Wellen.
Das Lachen.
Dann das Knacken und Krachen.
Und dann die Stille. Die entsetzliche, horrende Stille.
Mit zitternden Händen angelte die Natter nach dem iPod. Knallte sich die Headphones auf die Ohren. Drückte auf »Play«. Und lauschte auf das weiße Rauschen. Drehte es auf volle Lautstärke.
Aber dieses Mal war es keine Erlösung.
Die Außenwelt war ausgeblendet, überwältigt von den Klängen in seinem Kopf. Er gewahrte das laute Krachen von Eis und die Kälte, die über ihn hinwegfegte.
Relax, redete er sich zu. Du musst relaxen.
Doch es klappte nicht.
Er war zu aufgelöst.