27

Es war weit nach Mitternacht, als die beiden Detectives vor Strikers Haus auf der Camosun Street anhielten: ein älterer Bungalow, klein, mit einem winzigen Vorgarten, in dem ein Walnussbaum stand. Drinnen brannte kein Licht.

Striker betrachtete es müde. Das Haus steckte voller Erinnerungen an Courtney und Amanda. Nach ihrem Suizid wollte er eigentlich ausziehen, Courtney hatte sich jedoch vehement dagegen gesträubt, weshalb er letztlich nachgegeben hatte. Es hatte gute und schlechte Zeiten gegeben, schöne und weniger schöne – irgendwie hing auch er emotional an dem alten Kasten. Jedenfalls war er froh, dass er zu Hause war.

Dass er ein Zuhause hatte.

Der Tag war vorbei. Und er war fertig. Verdammt fertig. Er brauchte dringend eine Mütze Schlaf, denn der morgige Tag würde bestimmt hart werden. Er stellte den Motor ab und öffnete die Fahrertür. Wollte aussteigen, doch Felicia fasste ihn am Arm.

»Hey«, sagte sie. »Was ist mit den Wagenschlüsseln?«

Er ließ sich in den Sitz zurückfallen und drehte sich zu ihr. Eine Woge der Enttäuschung erfasste ihn. »Du kommst nicht mit rein, mmh?«

Als sie nicht antwortete, betrachtete er versonnen ihr Gesicht – ihre dunklen Augen, die warmen weichen Lippen – und wünschte sich sehnsüchtig, dass sie mitkäme. Er wollte sich im Bett an sie kuscheln, ihre warme Haut fühlen. Sein Gesicht in ihren langen Haaren vergraben und ihren Duft einatmen. Sie in den Armen halten … Inzwischen war das Vergangenheit, eine schmerzlich schöne Erinnerung.

»Ich muss jetzt wirklich los«, sagte sie.

»Du weißt, die Tür steht dir immer offen.«

»Jacob …«

»Wenn du willst, kannst du auf der Couch schlafen.«

Sie senkte ihren Blick in seinen. »Auf der Couch? Also wirklich, Jacob, das ist nicht dein Ernst, oder? Dabei bleibt es nicht, und das weißt du genauso gut wie ich.«

»Und, ist das so schlimm?«

»Nein. Ja. Du weißt, was ich meine.«

»Feleesh …«

»Ich pack das nicht mehr, Jacob. Courtney kann mich nicht ausstehen. Bei ihr dreht sich alles um Amanda. Tut mir leid, ich kann es nun mal nicht mit einer Erinnerung aufnehmen.«

»Das hab ich auch nie von dir verlangt.«

»Trotzdem ist sie immer da, Amanda steht immer zwischen uns. Und daran wird sich so bald auch nichts ändern.«

Er zuckte unschlüssig mit den Schultern.

»Es funktioniert ganz einfach nicht«, fuhr sie fort. »Unsere Beziehung … würde zu vieles ändern. Besonders im Job. Das hat unsere gesamte Zusammenarbeit verändert. Wir sind gute Partner, Jacob, und gute Freunde. Ich möchte das nicht verlieren.«

»Und wenn du unsere Arbeit mal außen vor lässt?«

Sie lachte. »Sag du mir mal, wann arbeiten wir eigentlich nicht?«

Darauf fiel ihm nichts Passendes ein. Er war im Grunde auch zu müde, um mit ihr zu diskutieren. Es drehte sich immer wieder um das alte Thema, und die Diskussion brachte sie ohnehin nicht weiter, das wusste er aus langer, bitterer Erfahrung. Folglich schwieg er.

Sein Blick versank in Felicias Gesicht, und er kämpfte mit seinen tiefen Gefühlen. Er hätte ihr gern gesagt, wie sehr er sie vermisste. Wie sehr er sie brauchte. Dass er mit ihr zusammenbleiben wollte und dass die kleinen Probleme unwichtig waren.

Stattdessen blieb er stumm wie ein Fisch. Er saß bloß da und drückte ihr schweigend die Autoschlüssel in die Hand. Dann stieg er aus.

Felicia sah ihn lange an, und ihre Züge wurden weicher. »Ich liebe dich immer noch, Jacob, wenn dir das noch irgendwas bedeutet.«

»Es bedeutet mir alles«, sagte er. »Deshalb macht es ja keinen Sinn.«

Felicia gab ihm keine Antwort. Sie rutschte auf den Fahrersitz und schloss die Tür. Der Motor sprang leise schnurrend an, dann war sie weg. Die Rücklichter verschmolzen mit der Dunkelheit.

Striker stand in der eisigen Nacht und starrte auf die menschenleere Straße. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Sein Kopf dröhnte wie ein Eisenwalzwerk. Unerträglich. Er schwenkte herum und lief die ausgetretenen Verandastufen hinauf.

Allein.

Im Haus war es dunkel und still. Courtneys Zimmer befand sich am Ende des Flurs, die Tür war nur angelehnt. Bei ihr brannte noch Licht. Sie hatte Probleme mit der Dunkelheit. Und mit geschlossenen Räumen. Wer konnte ihr das verdenken nach dem Horror im vergangenen Jahr? Sollte sie ruhig bei Licht schlafen. Sie hatte mit der Therapie schon genug am Hals; da mochte er nicht auch noch in offenen Wunden bohren.

Er schlich sich leise zu ihrem Zimmer und spähte hinein. Courtney lag lang ausgestreckt auf dem Bett, schlief tief und fest. Wild verwuschelte kupferrote Locken ringelten sich um ihre hellen Wangen. Striker, der sie eine lange Weile betrachtete, beobachtete, wie sich ihre Brust bei jedem Atemzug hob und senkte. Dann blickte er zu den Krücken, die an der Wand lehnten.

Noch mehr schlimme Erinnerungen.

Er schloss die Tür und ließ sie schlafen. In der Küche nahm er sich ein Bier – ein Miller Genuine Draft – aus dem Kühlschrank und ging damit ins Wohnzimmer. Es war dunkel und ungemütlich, also schaltete er den Gaskamin an. Er sank auf das Sofa, spürte das kalte, schwere Leder. Während die Temperatur im Raum langsam stieg, hing er seinen Gedanken nach.

Es war ein langer, harter Tag gewesen. Eine Frau, die er gekannt hatte, war gestorben. Eine nette, junge Frau. Und eine andere war verschwunden. Das hatte ihn psychisch aus der Bahn geworfen. Zweimal an einem Tag.

»Verdammt nochmal, wo sind Sie, Larisa?«, fragte er laut.

Die Worte verhallten ungehört im Raum. Fakt war, Larisa Logan war verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Die Vermisstenanzeige war bereits an alle Einheiten rausgegangen.

Es machte keinen Sinn.

Er konnte kaum noch die Augen offen halten. Höchste Zeit für eine Mütze Schlaf.

Striker checkte noch einmal sein iPhone. Vielleicht hatte Larisa sich ja doch noch gemeldet, und er hatte den Anruf irgendwie verpasst. Es gab keine entgangenen Anrufe, nur eine fette, rote 1 unter E-Mail-Benachrichtigungen. Er rief seine E-Mails auf, woraufhin eine Botschaft im Display erschien:

Von: Unbekannt

Betreff: Schlangen & Leitern

Striker wollte den Eintrag reflexartig löschen, überlegte es sich im letzten Moment aber anders. Er stellte die Bierflasche ab, rutschte aus dem Sofapolster nach vorn. Dann öffnete er die Message.

Sie war kurz, kryptisch und alles in allem eine verklausulierte Drohung:

Sie haben heute gewonnen, Detective Striker. Sie hatten echt eine Glückssträhne, und ich musste passen. Aber morgen bin ich dran mit dem Würfeln, da ist es nur fair, Sie zu warnen. Die Natter kriegt immer einen Einser-Pasch.

;o)

Das Spiel beginnt erst.

Mit besten Grüßen,

Die Natter

Zornesblind
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