56

Als Striker die alte Holztreppe hinuntersetzte zur Nordseite der Pender Street direkt hinter Billys Apartment, sah er, dass Wagen 10 eingetroffen war. Inspektor Laroche war kaum zu übersehen. Der Zwerg wuchs wie üblich über sich hinaus.

Striker blieb am Fuß der Treppe stehen und ließ das Szenario auf sich wirken. Der Wohnblock war großräumig mit gelbem Polizeiband abgesperrt, die Ü-Wagen von BCTV und CBC waren auch schon da – hartnäckig wie die Schmeißfliegen, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Wahrscheinlich waren sie gleich nach dem Brand hergekommen. Über ihm kreiste die Chopper-9-Nachrichtencrew am Himmel und zeichnete alles auf.

Striker hielt hartnäckig den Blick gesenkt.

Noodles war bereits eingetroffen und stand mitten in dem Drama neben dem toten Billy. Der Spurensicherer machte eifrig Fotos. Klick-klick-klick.

Striker ging zu seinem Kollegen, doch Inspektor Laroche trat dazwischen. Dessen für gewöhnlich blasses Gesicht war rot angelaufen, und er stemmte gereizt die Fäuste in die Hüften.

»Verdammt, Striker«, fuhr er den Beamten an. »Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht?«

Striker blinzelte. »Was? Was ich gedacht habe?«

»Ja, verdammt noch mal! Sie haben eben einen psychisch Kranken erschossen – und Sie sind offiziell krankgeschrieben!«

Striker traute seinen Ohren nicht. Seine Kinnmuskulatur zuckte. Billy Mercury hatte zwei Polizisten auf dem Gewissen. Und zwei Sanitäter. Er mochte psychisch krank gewesen sein, na und?

»Er war ein Cop-Killer

Laroches Miene blieb unbewegt. »Der Mann glaubte, er würde die Welt von Dämonen befreien.« Laroche warf die Hände in die Luft. »Himmel, es kommt alles im Radio, alle dreißig Sekunden: ein psychisch Kranker, der in unserem Gewahrsam war, ist jetzt tot, wie vier andere auch.« Laroche schüttelte fassungslos den Kopf. »Sie hätten auf Verstärkung warten müssen, Striker! Auf das SEK. Und einen Psychologen. Als Vermittler. Großer Gott, Sie hatten nicht mal eine nicht letale Waffe dabei!«

Nicht letal – vielleicht eine Schreckschusspistole oder einen Elektroschocker? Oder, wenn das SEK involviert war, ein Betäubungsgewehr.

Striker baute sich düster blickend vor dem Inspektor auf und senkte die Stimme. »Alle anderen Einheiten waren unabkömmlich. Das SEK war zu weit weg. Und als Vermittler hatten wir Dr. Ostermann bei uns«, sagte er. »Im Übrigen hatte ich einen Taser dabei. Außerdem war Verstärkung unterwegs. Die Jungs haben es nicht rechtzeitig geschafft. Er hat uns in eine Falle gelockt.«

Laroche blieb hart. »Klar. Hatten Sie etwas anderes erwartet? Sie prügeln einen Hund, und er beißt zurück, Striker. Ist doch logisch, oder?«

»Ich hab getan, was nötig war.«

»Nein, was Sie getan haben, mündete in einer prekären Situation für alle Beteiligten, bis jemand erschossen wurde. So was nennt man Provozierung einer Gefahrensituation durch Polizeigewalt. Und machen Sie sich nichts vor: So wird es auch in sämtlichen Medien rüberkommen. Jede verdammte Zeitung hat damit die Sensationsstory, und die Presse wird das Thema über Wochen, wenn nicht Monate ausschlachten. Machen Sie sich auf was gefasst, Striker.«

Striker juckte es in den Fingern, diesem Gnom von einem Vorgesetzten an die Gurgel zu gehen und kräftig zuzudrücken. »Die Medien interessieren mich einen Scheiß«, versetzte er. »Felicia kann froh sein, dass sie eine kugelsichere Weste trug, und Sie schwafeln von Sensationsreportagen!«

Laroche tippte Striker erregt mit dem Finger auf die Brust. »Es wäre niemand zu Schaden gekommen, wenn Sie den Anweisungen Folge geleistet hätten.«

»Die Situation geriet außer Kontrolle.«

»Weil Sie es so provozierten. Sie können von Glück sagen, dass Dr. Ostermann nichts passiert ist.« Laroche schüttelte ärgerlich den Kopf. Er atmete tief durch und schien sich ein wenig zu beruhigen. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Striker. Ich bin froh, dass Sie und Ihre Kollegin okay sind. Aber Sie haben es beide gründlich vermasselt. Und ich werde das in meinem Bericht an die Aufsichtsbehörde erwähnen.«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, versetzte Striker lapidar. »Erwähnen Sie aber auch, dass ich Sie nach der Geschichte am Hermon Drive gewarnt hab, als Sie Mercury nicht inhaftieren wollten. Dass Sie ihn in einem Krankenwagen transportieren ließen statt in einem Polizeifahrzeug, ungeachtet des Umstands, dass er gerade versucht hatte, zwei Cops abzufackeln. Lassen Sie nichts aus, denn ich werde meinen Bericht in Kopie der Polizeigewerkschaft zukommen lassen.«

Einen kurzen Moment lang schien Laroche in sich zu schrumpfen. Als er ein nicht akkreditiertes Kamerateam entdeckte, das am Tatort herumspionierte, plusterte er sich wichtigtuerisch auf und lief zu den Leuten. Striker gesellte sich zu Sergeant Mike Rothschild.

»Alle Achtung. Also mir wäre der Kragen geplatzt«, grinste der Sergeant.

»Wo ist Felicia?«

»Im Burnaby General. Los, fahr zu ihr. Ich übernehm das hier.«

»Danke, Mike. Ich revanchier mich mal wieder.«

»Verschwinde, bevor unser kleiner Diktator was mitkriegt.«

Striker drehte sich auf dem Absatz um und lief mit ausgreifenden Schritten zur Kootenay Street, wo sie geparkt hatten. Er schwang sich in den Wagen und bretterte über die Boundary zum Burnaby General. Wo Felicia und Dr. Ostermann eingeliefert worden waren.

Das Krankenhaus war keine zehn Minuten entfernt.

Zornesblind
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