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Striker legte ein derart halsbrecherisches Tempo vor, dass er auf der vereisten Fahrbahn fast die Kontrolle über den Wagen verlor. Die Old Mill war eine schmale, unbefestigte Straße, rechts und links standen hohe Zedern und Douglasfichten, die das bisschen Mondlicht fernhielten, das sich durch die dichte Nebeldecke kämpfte.
Folglich war es stockdunkel.
Das Haus stand am Ende der Straße. Im bleichen Licht der Autoscheinwerfer fand Striker, dass es mächtig baufällig aussah. Ein alter, dunkler Kasten. Die Haustür stand sperrangelweit offen.
Striker verlor keine Zeit. Er schnappte sich Waffe und Taschenlampe und setzte aus dem Wagen.
Er erreichte die Eingangstür, benutzte den Türsturz als Deckung und leuchtete mit der Taschenlampe in den Flur. Er drückte auf den Lichtschalter, aber es tat sich nichts. Er lauschte. Der Generator war abgeschaltet, stellte er fest.
»Larisa?«, rief er. »Ich bin’s, Jacob. Sind Sie da drin?«
Als er keine Antwort bekam, fasste er einen Entschluss. Sie durften keine Zeit verlieren. In einer Hand die Taschenlampe, in der anderen seine Waffe, trat Striker in den dunklen Flur. Er bewegte sich zielstrebig, inspizierte Küche, Wohnraum, Schlafzimmer und Bad.
Larisa war nicht da.
Dicht an die Wand gepresst stieg er die Stufen in den Keller hinunter. Sobald seine Füße den kalten Betonboden berührten, tastete er mit Blicken die Umgebung ab und entdeckte einen langen, schmalen Gang. Rechts befand sich eine Tür, am Ende eine weitere.
Die rechte Tür stand offen.
Striker schlich vorsichtig zu der ersten Türschwelle, leuchtete mit seiner Taschenlampe den Raum aus.
Dann sah er sie, ganz hinten im Zimmer.
Die Frau, die er seit drei Tagen wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen suchte, saß zusammengesunken in einem Sessel.
»Larisa!«, sagte er.
Er glitt durch die Dunkelheit zu ihr und blieb abrupt stehen. Ihr Kopf lehnte auf ihrer Brust, ihre Lider waren halb geschlossen. In ihrer halb geöffneten Hand hielt sie ein leeres Pillenröhrchen, vor ihr auf dem Boden lag eine DVD-Hülle mit der Beschriftung Sarah Rose. Striker legte behutsam zwei Finger auf ihre Halsschlagader. Ihre Haut war noch warm, aber er fühlte keinen Puls.
»Nein, bitte nicht, Larisa.« In seiner Stimme lag Panik und Verzweiflung. »Bitte, tun Sie mir das nicht an.«
Hoffentlich war er nicht wieder zu spät gekommen.