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Um viertel nach neun verließen die beiden Detectives die Ostermann-Villa wieder. Sie nahmen drei Pappkartons mit, vollgepackt mit Aktenordnern.
Sämtliche Personen mögliche Opfer von Identitätsbetrug.
Felicia schloss den Kofferraum auf, Striker hievte die Kisten hinein. Er drückte den Kofferraum zu, dann versuchte er Courtney anzurufen. Um seine Tochter daran zu erinnern, dass sie heute Morgen einen Termin bei ihrer Physiotherapeutin hatte.
Es klingelte dreimal, dann meldete sich der Anrufbeantworter.
»Steh auf, Kleines«, sagte er. »Ich bin schon im Dienst, und du hast heute Morgen einen Termin mit Annalisa. Um zehn Uhr, sei pünktlich. Ich liebe dich.«
Als er sein Handy wegstecken wollte, vibrierte es in seiner Hand. Rief Courtney ihn so schnell zurück? Er sah auf das Display, doch da stand eine rote Eins.
Ein entgangener Anruf.
Es war Kirstin Dunsmuirs Nummer, stellte er fest. Das machte ihn neugierig. Die Frau mochte eine blöde Schnepfe sein und kalt wie ein Eisblock, auf ihre Arbeit ließ der Detective jedoch nichts kommen. Wahrscheinlich war sie die ganze Nacht im Labor gewesen.
Es hätte zu der Todesgöttin gepasst.
»Das eben war ein Anruf von der Gerichtsmedizinerin«, meinte er.
»Grrr«, machte Felicia. »Die Dunsmuir kann ich vorm Mittagessen nicht ab.«
»Womöglich hat sie was für uns.«
Felicia zog die Mundwinkel nach unten und schwieg.
Striker ignorierte seine Kollegin und hörte den Anrufbeantworter ab. Dunsmuir hatte keine Nachricht hinterlassen, also rief er sie zurück.
»Dunsmuir«, meldete sie sich kurz angebunden, ihre Stimme kalt wie Eisnadeln.
»Hier ist Striker. Sie haben bei mir angerufen?«
Sie hielt sich nicht mit Smalltalk auf. »Ich hab die Ergebnisse der Autopsien. Bei Mandy Gill wurde ein Nadeleinstich lokalisiert. Einstichwinkel medial und inferior, direkt posterior zur Clavicula.«
»Linke Seite?«, hakte Striker nach.
»Ja.«
»Wurden bei Sarah Rose ebenfalls Einstiche lokalisiert?«
»Aufgrund der Schwere der Verbrennungen war da nicht mehr viel zu lokalisieren. Tut auch nichts zur Sache. Scheint jedenfalls so, dass er seinen Opfern etwas injiziert.«
»Und was?«
Dunsmuir räusperte sich unschlüssig. »Ich bin mir noch nicht sicher. Beide Opfer hatten mehrere Substanzen im Blut. Eine dieser Substanzen konnten wir isolieren, ein starkes Muskelrelaxans. Die Konzentration war bei Mandy Gill so hoch, dass es möglicherweise zu einem Herzstillstand führte. Wir warten allerdings auf weitere Testergebnisse für eine exakte Bestimmung.«
Striker rekapitulierte mental. Beide Opfer hatten in Richtung Fenster geschaut, in die Kamera. Bewegungsunfähig. Nicht in der Lage, um Hilfe zu rufen. Kaum fähig zu atmen. Ob sie geahnt hatten, dass sie sterben würden? Nein, vermutlich nicht.
»Eine Idee, um was für ein Relaxans es sich da handeln könnte?«, hakte er nach.
»Das braucht Zeit, Detective«, versetzte die Gerichtsmedizinerin schnippisch. »Wir sind schließlich nicht im Kino, das hier ist Realität.«
»Ich weiß. Sonst hätten wir nämlich ein Happy End.«
Dunsmuir lachte aufgesetzt. »In unserem Job gibt es kein Happy End.«
Striker hatte die Nase gestrichen voll. Er bat Dunsmuir, ihn wegen der Resultate zurückzurufen. Dann schaltete er das Gespräch weg.
Felicia stand neben der Beifahrertür. »Und? Gibt’s was Neues von der Todesgöttin?«
»Ist Gabriel Linkshänder?«
»Wieso?«
»War nur so ein Gedanke. Wegen der Injektionen. Einstichstelle: linke Seite, direkt posterior zur Clavicula. Einstichwinkel – medialer Winkel. Wenn der Verdächtige seine Opfer hinterrücks überwältigte, wäre es schwierig gewesen, das mit der rechten Hand so hinzukriegen.«
»Wie kommst du darauf, dass er sich von hinten anschlich?«
»Keine Abwehrverletzungen. Depressiv oder nicht, sie hätten irgendwie reagiert. War aber nicht. Deshalb kam ich darauf, dass sie überrascht wurden.«
Felicia nickte schweigend. Sie setzten sich in den Wagen. Nach dem Telefonat mit Dunsmuir sank Strikers Laune in den Keller. Er hätte die Todesgöttin auf den Mond schießen können.
Er schob die Automatik auf D und fuhr los. Vor ihnen lag die Auswertung von zig Tonnen Papierkram und Polizeiberichten. Sie hatten schon über drei Stunden hinter sich und nicht viel erreicht. Außerdem hatten sie in den letzten Tagen zu wenig Schlaf bekommen, und das machte sich zunehmend bemerkbar.
Es würde wie üblich ein langer, stressiger Tag werden.