24

Striker startete den Motor. Wurde wieder ruhiger. Sie fuhren weiter zur Einsatzstelle von Wagen 87, um herauszufinden, ob die Klinik eine Akte über Dr. Erich Ostermann hatte.

Momentan konnte ihnen jede Information über diesen Mann weiterhelfen.

Ganz egal, dass es mittlerweile fast elf war. Die Einrichtung hatte rund um die Uhr geöffnet. Irgendeine Schwester, ein Therapeut oder ein Polizist war bestimmt dort.

Auf den Straßen war erstaunlich viel los um diese Uhrzeit, dachte er. Der Verkehr floss zäh.

Als sie vor einer roten Ampel halten mussten, kramte Striker sein Handy aus der Tasche. Er wollte Courtney kurz informieren, dass sie nicht auf ihn warten solle, und wurde direkt auf den Anrufbeantworter umgeleitet.

Sie telefonierte – mal wieder.

Das konnte mindestens eine halbe Stunde dauern, folglich hinterließ er eine kurze Mitteilung und legte auf. Felicia klappte ebenfalls ihr Handy zu. Als sie tief seufzte, fragte Striker alarmiert: »Ist irgendwas?«

»Ich hab versucht, in der Krankenhausverwaltung anzurufen. Ein paar Krankenschwestern haben Dienst, aber Wagen 87 ist heute Nacht schon weg. Folglich kommen wir erst morgen an die Unterlagen ran.«

Striker fluchte und dachte nach.

»Vergiss es. Wir fahren trotzdem hin. Mal sehen, ob uns nicht jemand anders weiterhelfen kann. Eine von den Schwestern hat vielleicht Zugang zu den Akten.«

Die Ampel schaltete auf Grün, und Striker trat aufs Gas. Keine zehn Minuten später bogen sie auf das Klinikgelände ein, wo Striker spontan ein bekanntes Gesicht wahrnahm.

Constable Bernard Hamilton lehnte im Eingangsportal.

Bernard war der einzige Cop, der pastellfarbene Oberhemden unter der Uniform trug, immer tipptopp mit passender Krawatte – man gönnte sich ja sonst nichts. Außerdem hatte er sich eine lange Matte wachsen lassen, die er im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammenband – vermutlich um von seiner Stirnglatze abzulenken, ätzte Striker insgeheim.

Er mochte den Mann nicht. Bernard Hamilton war ein Typ wie Inspektor Laroche, ein Cop wie aus dem Lehrbuch, aber nur, wenn es seinen eigenen Interessen diente. Er quatschte seinen Vorgesetzten nach dem Mund, statt sich mit harter, grundehrlicher Polizeiarbeit die Finger schmutzig zu machen, und war bloß scharf darauf, Cop des Jahres zu werden und die Medaille einzusacken.

Egal ob er sie verdient hatte oder nicht.

Striker hatte dem Mann in der Vergangenheit den einen oder anderen Gefallen getan und ihn gedeckt, wenn er aus persönlichen Gründen mal einen freien Tag brauchte. So was stand natürlich nicht im Lehrbuch. Dafür und für vieles andere war Bernard Hamilton ihm noch was schuldig. Es wurde höchste Zeit, dass der Bursche sich mal erkenntlich zeigte.

Striker drehte die Scheibe runter. Eisige Luft fegte in den Wagen. Striker ignorierte die Kälte und winkte den Mann zu sich. »Bernard! Hey, Bernard

Hamilton blickte auf. Als er seinen Kollegen erkannte, mischte sich ein Ausdruck des Unbehagens in seine Züge. »Striker«, sagte er. »Was machen Sie denn hier?«

»Ich geh in Rente. Haben Sie in dem Bunker zufällig ein freies Zimmer für mich?« Als Hamilton keine Miene verzog, kam Striker direkt auf den Punkt. »Wir sind wegen dem Suizid von Mandy Gill hier, unten auf der Union Street.«

Bernard trat fröstelnd von einem Fuß auf den anderen und blies in seine Hände. »Ja, weiß ich. Hab den Anruf mitbekommen.«

»Was wissen Sie über Miss Gill?«

Bernard Hamilton zuckte mit den Achseln. »Vermutlich nicht mehr, als in ihrer Akte steht. Keine Angehörigen, keine Freunde. Lebte von Sozialhilfe. Litt an Depressionen. Versuchte es mit Drogen, wie fast alle in der Gegend. Sie wissen ja, wie das läuft.« Er nahm eine Packung Zigaretten aus der Brusttasche und steckte sich eine an.

»Drogen, welche?«

»Dreimal dürfen Sie raten. Crack, Heroin, Speed, das ganze Programm.«

Striker machte sich Notizen für die toxikologische Untersuchung, dann leitete er die Info an Kirstin Dunsmuir weiter. Während er den Text eingab, schaltete Felicia sich ein.

»Was ist mit dem Arzt, der Mandy behandelte – dieser Dr. Erich Ostermann?«

Bernard blies den Rauch aus seiner Lunge. »Ostermann? Kenn ich bloß vom Namen her. Soll aber ein guter Arzt sein, was man so hört. Hat EvenHealth gegründet und dafür zig Auszeichnungen abgeräumt. Jede Menge Publicity. Echt gute Sache. Brachten sie in sämtlichen Zeitungen, auch im Fernsehen. Ich glaub, sogar in den BCTV-Nachrichten.«

Der ganze Schnickschnack ließ Striker kalt, ihm ging es um Fakten. Er steckte sein Handy weg und fragte: »Was wissen Sie über Ostermanns Arbeit?«

Bernard knöpfte sein Jackett über dem hellblauen Oberhemd mit farblich abgestimmter Krawatte zu und schob sich tiefer in den Eingang. »Schweinekalt hier draußen. Können wir das nicht zu einem anderen Zeitpunkt diskutieren?«

»Beantworten Sie meine Fragen«, sagte Striker mit Nachdruck.

Bernard zog hastig an seiner Zigarette und fluchte. »Ostermann hat häufig mit Hochrisikopatienten zu tun. Mit kriminellen Wiederholungstätern. Manisch-Depressiven. Psychopathen. So was in der Art. Er praktiziert hauptsächlich im Riverglen.«

»Kann ich mal seine Akte sehen?«

Bernard schwieg für eine kurze Weile und starrte Striker verständnislos an.

»Meinen Sie seine Personalakte

»Haben Sie noch andere Akten über ihn?«

Bernard schüttelte den Kopf. »Sorry, Mann, die gibt’s nicht mehr, seitdem einer von den Patienten eine Akte mitgehen ließ. Einer von den Docs beschwerte sich darüber, woraufhin der Verwaltungsrat entschied, das sei ein schlimmer Bruch der Privatsphäre. Das war vor sechs oder sieben Monaten. Daraufhin wanderten die persönlichen Daten der Mitarbeiter in den Shredder.«

»Alle?« Striker schoss Hamilton einen konsternierten Blick zu.

»Wieso interessieren Sie sich überhaupt für Dr. Ostermann?«, fragte Bernard zurück.

»Weil er mir nicht besonders kooperativ schien. Ich denke, er schützt einen von seinen Patienten, irgendeinen Billy Soundso. Ich möchte, dass Sie das für mich klären. Ach, und werfen Sie mal ein Auge auf einen gewissen Dr. Richter. Der Name stand auf Mandy Gills Rezeptverordnung.«

Bernard biss sich auf die Lippe. »Geht nicht. Außerdem bin ich ziemlich im Stress.«

»Das war keine Bitte.«

Bernard atmete geräuschvoll aus. »Verdammt, was soll das heißen?«

»Dass Sie mir noch was schuldig sind«, erinnerte ihn Striker.

Bernard warf die Zigarette auf den Boden und trat sie mit dem Absatz aus. »Na schön. Morgen. Vielleicht.«

Striker kannte Hamiltons passiv-aggressive Art, sich zu drücken. Er schüttelte kalt lächelnd den Kopf.

»Von wegen vielleicht«, bestimmte er. »Ich ruf Sie morgen an.

»Äh … meinetwegen.«

»Wenn Sie nichts für mich haben, mach ich Sie zur Schnecke, Mann.«

»Ich schau mal nach«, meinte Hamilton erkennbar gereizt.

»Sie sind ein Goldschatz«, ätzte Striker.

Felicia giggelte los, als Bernards Miene sich verdunkelte.

»Ihre albernen Kommentare können Sie sich sparen. Ich frier mir hier die Eier ab. Dafür werd ich nicht bezahlt.« Bernard Hamilton schnellte herum, dass ihm der Pferdeschwanz über die Schultern peitschte, und stürmte die Straße hinunter zu seinem Wagen.

Striker beobachtete, wie der Mann in einen funkelnagelneuen Audi stieg. Die Scheinwerfer blendeten auf, und Hamilton brauste mit röhrendem Motor die Straße hinunter. Plötzlich vibrierte Strikers Handy in der Brusttasche. Er hatte eine Nachricht auf der Mailbox. Er scrollte sich durch die eingegangenen Anrufe und las den Namen:

Larisa Logan.

Die Kollegin von der Opferhilfe.

Er stöhnte unwillkürlich.

Felicia blickte zu ihm und lächelte. »Los, ruf sie zurück und erklär ihr, dass du im Moment nicht über Amanda sprechen magst.«

Striker erwiderte ihren Blick. »Du kennst Larisa nicht – die ist wie ein Pitbullterrier. Wenn die sich einmal irgendwo festgebissen hat, lässt die nicht mehr locker.«

»Verklicker ihr einfach, dass jetzt kein guter Zeitpunkt ist.«

»Dann hält sie garantiert dagegen, dass dies genau der richtige Zeitpunkt ist.«

Felicia kicherte. »Sie scheint echt hartnäckig zu sein, das geb ich zu.«

»Und anhänglich wie eine Klette – wie Frauen eben so sein können.«

Bevor Felicia antworten konnte, aktivierte Striker die Mailbox und gab sein Passwort ein. Kaum tippte er auf Play, hörte er auch schon Larisas Stimme. Sie klang ganz anders als sonst: schrill, schnell und überstürzt:

»Jacob, ich bin’s, Larisa … Hören Sie, ich hab Sie eben in den Nachrichten gesehen … Ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen. Über Mandy Gill. Über das, was da passiert ist. Sie hat sich nicht selbst umgebracht, Jacob. Sie wurde umgebracht. Und ich kann es beweisen.«

Zornesblind
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