71

Ich zwang mich, die Lider zu öffnen, wenigstens so weit, dass ich darunter hervorschielen und ihr in die Augen sehen konnte, die vor Schrecken und Angst riesig waren in ihrem blassen Gesicht.

»Gleich … gleich … vor … bei«, brachte ich keuchend hervor. Bei jedem Laut musste ich die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzubrüllen vor Schmerz. Dieser teuflische, flammende Schmerz, der mehr und mehr von mir Besitz ergriff. Der mich mit seinen Klauen von innen her zerfetzte, sodass ich nicht einmal mehr Ambers Hände in mir spürte.

Heiser schrie ich auf vor Erleichterung, als der Schmerz endlich nachließ, Flamme für Flamme verlosch und nur noch ein dumpfes Glühen übrig blieb.

»Nathaniel«, hörte ich sie tonlos flüstern.

»Vorbei …«, röchelte ich. »Schon … schon vorbei.«

»Geht … geht es dir gut?« Zitternd strichen ihre Finger über mich hinweg, nahmen das letzte, pochende Glühen auf wie ein Schwamm und wischten es fort. Wohlig seufzte ich auf und nickte erschöpft.

»Deshalb … deshalb war ich letzte Nacht nicht bei dir«, flüsterte ich, und meine Stimme klang genauso wund gescheuert wie ich mich fühlte. »Ich hatte keine Kraft mehr. Danach. Nach … nach dem hier.«

Die ganze Zeit über hatte ich nicht gewollt, dass sie das jemals miterlebte, dass sie mich je so sah. Jetzt jedoch war ich froh, sie bei mir zu haben; sie ganz nah bei mir zu spüren, wie sie sich an mich, in mich schmiegte, und ich schloss die Augen.

»Ist das seit … seit …«

Ich nickte und sie schwieg.

»Nathaniel …«, begann sie dann zögerlich, und es war ihr anzumerken, wie schwer es ihr fiel, weiterzusprechen. »Seitdem … Ich …« Sie atmete tief ein und ließ dann ihren Atem in einem wackeligen Fluss ausströmen. »Ich gleite seitdem immer wieder in die Vergangenheit hinüber. Manchmal glaube ich, es ist deine Zeit, manchmal ist es auch die danach. Dort bin ich wie du, nur ein Schatten. Und selbst hier …« Ich hörte sie aufschluchzen. »Selbst hier fühle ich mich mit jedem Tag kraftloser. Als würde ich mich von innen her auflösen. Als ob ich zu einem Schatten würde, wie du einer bist.«

Ruckartig öffneten sich meine Lider und ich starrte sie an. Ich sah die Angst in ihren Augen und wurde selbst von Furcht gepackt.

So gut wie wir es konnten, klammerten wir uns aneinander fest. Voller Angst, weil wir zu ahnen begannen, welches Unheil wir füreinander heraufbeschworen hatten. Und voller Zorn auf diese Ungerechtigkeit. Denn wir hatten uns doch einfach nur das genommen, was wir für unser gutes Recht hielten – uns einander nahe zu sein und uns zu lieben.

Konnte das wirklich so falsch gewesen sein?