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Das Haus der Diggs’ in Haight-Ashbury, dem bunten Hippie- und Multikulti-Viertel, war nicht schwer zu finden, obwohl mich in der ruhigen Waller Street, die den Golden Gate und den fast herzförmig angelegten Buena Vista Park miteinander verband, erst einmal die wunderschönen alten Häuser auf der linken Straßenseite ablenkten. Eine der für San Francisco typischen Zeilen aus Painted Ladies, wie man solche Häuser nannte, deren Fassaden in verschiedenen Blautönen, Karminrot und Lindgrün mit weißen Blenden, aufwendigen Bordüren und Ornamenten in verschiedenen Farben verziert waren.

Überhaupt sahen die verschwenderisch gestalteten Häuser rings um die steile Straße, die ich von der Haltestelle aus hinaufgekeucht war, ganz anders aus als die knallbunten, schrillen oder ökomäßigen Läden ein paar Straßen weiter unten, an denen ich eben noch mit dem Bus vorbeigefahren war. Hier hatten die Häuser etwas gepflegt Nostalgisches, etwas Künstlerisches und dezent Individuelles und so gar nichts von Hippies oder Beatniks. Ich konnte mir gut vorstellen, dass hier Menschen wohnten, die einen ganz besonderen Sinn für ausgefallenen Stil und Schönheit hatten – und auch das nötige Kleingeld dazu.

Dass ich hier trotzdem richtig war, verrieten mir die vier muskulösen Jungs, die sich mitten auf der ruhigen, von parkenden Autos und einzelnen Bäumen gesäumten Straße um einen Basketball rangelten. Zwei Schwarze, ein Weißer und ein Latino, alle nur in Joggingschuhen und schlabbrigen Trainingsshorts bis zum Knie, warfen sich lachend und unter lauten Zurufen den Ball zu, dribbelten damit herum, dass das Plock! Plock! des Balls auf dem Asphalt von den Häusern widerhallte, und versuchten, ihn sich mit viel Schubsen, Knuffen und Beinstellen gegenseitig wieder abzujagen.

»Hey, schaut mal – wir haben Publikum!«, rief der lang aufgeschossene Blonde, als er den Ball auffing, und schüttelte sich die Fransen seines Surferhaarschnitts aus der Stirn. Die anderen drei drehten sich um und in Shanes Gesicht leuchtete es auf.

»Hi, Amber!« rief er mir zu. »Sorry, Jungs, bin erst mal weg!« Lässig hob er die Hand zu einem angedeuteten Winken hinter sich und kam mit langen Schritten auf mich zu.

»Hey«, grüßte ich ihn knapp und packte den Schultergurt meines Rucksacks fester. Mir war es unangenehm, wie mich die anderen Jungs musterten und sich grinsend scherzhafte Bemerkungen zuwarfen, die zu leise ausfielen, als dass ich sie verstanden hätte.

»Nimm’s mir nicht übel, wenn ich auf Abstand zu dir bleibe«, erwiderte Shane grinsend. »Aber ich glaub, ich muss erst mal unter die Dusche, bevor ich dir mehr als drei Schritte näher komme.«

Ich nickte und fixierte einen Punkt irgendwo neben seiner Schulter; ich wusste nicht, wohin ich sonst schauen sollte. Shanes Trainingsshorts hingen tief auf seinen schmalen Hüften, und darüber war jeder Muskelstrang so deutlich ausgeprägt wie im Anatomielehrbuch, der harte Sixpack-Bauch, die eckigen Brustmuskeln, auf denen der Schweiß glänzte, die trainierten Oberarme.

»Lass uns reingehen, ja?«

Ich nickte wieder und folgte Shane zu einem zweistöckigen Doppelhaus auf der rechten Straßenseite. Die von einer niedlichen Dachgaube gekrönte linke Hälfte war tatsächlich in so einer Art Milka-Lila gestrichen, mit viel weißen Verzierungen und dunkelroten Fensterrahmen. Dagegen wirkte die rechte Hälfte in fadem Beige und Weiß fast unsichtbar. Und auch der Backsteinbau links vom Haus ging daneben ziemlich unter, erst auf den zweiten Blick erkannte ich an dem kleinen Kreuz auf dem Dach in dem niedrigen verschachtelten Bau eine Kirche.

Während hinter uns wieder das Plock! Plock! des Basketballs und die johlenden Jungenstimmen einsetzten, ging ich hinter Shane das gute Dutzend Stufen hinauf und bemühte mich, nicht allzu sehr auf seine strammen Rückenmuskeln und vor allem nicht auf sein Hinterteil zu starren, das sich knackig unter der Shorts abzeichnete.

»Bin wieder da-haaa«, brüllte Shane ins Haus hinein, als wir durch die Tür kamen. Die Wände des engen Eingangsbereichs waren von krakeligen Kinderzeichnungen in bunten Rahmen übersät. In einem langen Regal und auf dem Boden ringsum stapelten und türmten sich Schuhe in allen möglichen Größen und Varianten, von riesigen Sneakers und Herrenhalbschuhen über Mädchensandalen und Flipflops in zweierlei Größen (hauptsächlich in Pink), diversen Paaren Crocs und UGGs bis hin zu Birkenstocks und eleganten Pumps; dazwischen lag eine Barbiepuppe mit verrenkten Gliedern und einem nur halb fertig gewordenen Fransenschnitt Marke Eigenbau.

»Mom?«, rief Shane in der winzigen Diele, von der aus eine weiß lackierte Holztreppe nach oben führte. Geradeaus konnte ich einen Blick ins Wohnzimmer werfen, in dem gigantische Mohnblumen auf der Sitzgruppe blühten. »Mom? Magst du Amber Hallo sagen? Ich muss erst mal unter die Dusche!«

Ohne auf eine Antwort zu warten, schwenkte er nach rechts in die Küche ein, die im Vergleich zu der von Ted und mir tatsächlich ziemlich chaotisch wirkte, aber unheimlich gemütlich war. Die Wände waren zugepflastert mit Stundenplänen, Terminkalendern und noch mehr gerahmten Kinderzeichnungen; dazwischen hing eine Magnetwand, die man vor lauter festgepinnten Notizzetteln, Eintrittskarten und Fotos gar nicht mehr sehen konnte. Überall stand bunter Krimskrams herum, Obst war in einer bemalten Holzschale zu einer Pyramide aufgeschichtet und zwischen den Kräutertöpfen auf dem Fensterbrett blinzelte mich eine Tigerkatze an.

»Gleich, mein Schatz«, schallte es jetzt von irgendwo auf dem Stockwerk her; es war dieselbe Stimme, die vorhin die beiden streitenden Mädchen zu beruhigen versucht hatte.

Shane riss den Kühlschrank auf, der mit Getränkeflaschen, Tupperboxen, Gemüse und anderen frischen Lebensmitteln bis oben hin vollgestopft war. »Cola light, richtig?«

Als ich nickte, drückte er mir eine kleine Flasche davon in die Hand, während er sich irgendein neonorangefarbenes Iso-Zeugs aufschraubte, das er in wenigen Zügen hinunterstürzte; nebenbei drückte er mit dem Ellenbogen die Tür wieder zu. »Vorsicht mit der Katze«, riet er mir atemlos zwischen zwei Schlucken. »Wenn du anfängst, sie zu streicheln, kriegst du sie nicht mehr los. Sie heißt übrigens Justin.«

Meine Brauen rutschten hoch. »Justin?«

»Wie Justin Bieber.« Shane schnitt eine Grimasse. »Die Grausamkeit meiner Schwestern macht vor nichts halt.« Ich kicherte und auch Shane grinste. »Komm einfach nachher hoch, letzte Tür auf der rechten Seite.« Er zwinkerte mir zu und schlenderte aus der Küche. Ich konnte ihn die Treppen hinaufstapfen hören und wie er sich oben einen lauten Wortwechsel mit einem Mädchen lieferte, bis eine Tür knallte und das Mädchen kreischte: »Ich war aber noch nicht fertig! Du bist so ein Idiot, Maannn!«

Dann flogen leichtere Schritte die Treppe hinunter, die eines Mädchens in rosafarbenem T-Shirt, die langen, dünnen Beine in weißen Jeansshorts und Sneakers; dem Alter nach musste es Tamika sein, unter dem leicht strubbligen Bob die ersten Übungsversuche von dezentem Make-up im hübschen und gerade wutverzerrten Gesicht. »Mom?«, schrie sie, während sie durch die Diele rannte. »Bin bei Savannah, okay?«

»Okay, Liebes. Wir essen um halb acht!«

Mit einem kräftigen Rums flog die Haustür hinter Tamika zu, und gleich darauf kam aus dem Türrahmen auf der anderen Seite der Diele eine aparte schwarze Frau mit stylishem Kurzhaarschnitt in Leggings, Ballerinas und einer Tunika in Wasserfarben auf mich zu. Ihre sportliche, aber doch weibliche Figur und ihr Gesicht erinnerten mich an Michelle Obama, genau wie ihre ebenso sympathische wie energische Art; ich konnte sie mir gut in einem Gerichtssaal vorstellen.

»Hallo, Amber!«, rief sie mir fröhlich entgegen und streckte mir die Rechte hin, an der sie ein goldenes Armkettchen mit verschiedenen herunterbaumelnden Charms trug; an ihrem Hals glänzte eine feine Goldkette mit einem schlichten Kreuz daran und in den Ohrläppchen trug sie kleine goldene Kreolen. »Schön, dich endlich kennenzulernen, Shane hat uns schon viel von dir erzählt!«

»Hallo, Mrs Diggs«, erwiderte ich verlegen, als ich ihr die Hand gab; ich fragte mich, was genau Shane über mich erzählt haben könnte.

»Sag einfach Tasha zu mir.« Shanes Mutter öffnete den Kühlschrank und suchte mit geschmeidigen Bewegungen, die die Charms an ihrem Handgelenk klingeln ließen, darin herum. »Ich würde jetzt schrecklich gerne mit dir plaudern und dich ein bisschen kennenlernen, aber ich habe morgen eine wichtige Verhandlung, und mir läuft die Zeit davon. Du kannst aber gerne zum Abendessen bleiben, wenn du möchtest.« Sie holte eine Tupperbox hervor und drückte sie mir in die Hand. »Nimmst du die bitte mit nach oben? Sonst fängt mein Sohn in spätestens einer Stunde an, die Küche mit einer Spaghettiorgie zu verwüsten, weil er denkt, er würde gleich verhungern.« Sie rollte mit ihren schönen Augen, die die gleiche Farbe hatten wie die von Shane. »Wir sehen uns sicher noch, ja?« Liebevoll legte sie mir die Hand auf den Arm und ging wieder aus der Küche.

In der Diele blieb ich stehen und sah mich noch einmal um. Das ganze Haus atmete Vertrauen und Geborgenheit, dass es mir auf seltsame Art einen Stich versetzte, und gleichzeitig fühlte ich mich rundum darin wohl. Aufgehoben.

Eine Bewegung oben auf der Treppe ließ mich aufsehen. In kurzer Jeanslatzhose und weißem Trägertop darunter hangelte sich ein stupsnasiges, kulleräugiges Mädchen am Treppengeländer entlang und schob einen ihrer bloßen Füße zwischen den Streben hindurch; ihre krisseligen Haare waren zu zwei strammen Zöpfchen geflochten und an den Enden mit Haargummis in Glitzerpink umwickelt.

»Hi«, sagte ich zu ihr. »Du musst Kayla sein.« Sie nickte heftig; verlegen turnte sie am Geländer herum. »Ich bin Amber.« Kayla nickte wieder, dann kicherte sie, wirbelte herum und spritzte die Treppe hinauf, wo gleich darauf eine Tür hinter ihr zuschlug.

Schmunzelnd stieg ich die Treppe hoch. Auf den Wänden im Flur oben wechselte sich gerahmte Ethno-Kunst mit Fotos von Babys und kleinen Kindern ab, mit Bildern von Familienfeiern, Einschulungen und Urlaubsreisen. Im Badezimmer wurde gerade das Wasser abgedreht; ich konnte Shane prusten und dann vor sich hin pfeifen hören.

Trotz des großen roten Stoppschilds stand die weiß lackierte Tür zu seinem Zimmer offen; ein bisschen befangen, aber auch neugierig ging ich hinein. Ein typisches Jungszimmer war es, mit schlichten Holzmöbeln und wenig Deko-Zeugs, dafür mit einem ziemlichen Chaos aus Technikkram, CDs und DVDs, erstaunlich vielen Büchern und schmutzigen Socken und einem zerknüllten T-Shirt auf dem Boden. Immerhin war das Bett gemacht. Auf dem Kleiderschrank standen verschiedene angeschlagene und zerschrammte Footballhelme herum. In einer Ecke lehnte ein Baseballschläger, während der dazugehörige Handschuh nachlässig in ein Regalfach gestopft war.

Ungewöhnlich war das großformatige Gemälde über dem Bett, eine abstrakte Komposition in Rot, Grau, Schwarz und Weiß, und ich ging näher hin. Für Shane – In Liebe & auf ewig, Lauren, war es mit zierlichem Pinselschwung signiert, und mir wurde die Kehle eng. Noch mehr, als ich genauer hinsah und überall gerahmte Bilder von Lauren entdeckte. Lauren im Bikini am Strand. Lauren in einem Café, die hellblonden Haare als Zopf über der Schulter und eine Baskenmütze schräg aufgesetzt. Eine wunderschön lachende Lauren mit hochgesteckten Haaren in einem tollen pinkfarbenen Satinkleid mit schwarzem Band um die schmale Taille. Lauren in T-Shirt, Shorts und Basecap, wie sie auf einem Mäuerchen saß, hinter dem das Meer blau leuchtete.

»Hey, du bist ja schon da!« Shanes Stimme hinter mir ließ mich herumfahren und dann schnell wieder wegschauen. Er trug nur zerrissene Jeans, aus deren Bund der Gummizug einer knallroten Boxershorts herauslugte, und der Aqua-Duft seines Duschgels drang zu mir herüber.

»Wer ist das auf dem Poster?«, fragte ich schnell und zeigte mit der Tupperbox auf das großformatige Foto über dem unaufgeräumten Schreibtisch, das einen Sportler zeigte und über das sich ein hingekritzeltes, vollkommen unleserliches Autogramm zog.

»Das? Das ist Jerry Rice, mein großes Idol«, erklärte Shane, während ich aus dem Augenwinkel beobachtete, wie er sich aus dem Kleiderschrank ein grasgrünes T-Shirt holte und überzog. »Hat lange bei den San Francisco Forty-Niners gespielt. Der Wide Receiver, einer der besten Spieler aller Zeiten in der National Football League. Dreimal Super Bowl! – Oh, super, Mom hat Sandwiches gemacht.« Shane ließ die Tür hinter sich ins Schloss schnappen und nahm mir die Tupperbox ab, bevor er sich auf sein Bett plumpsen ließ. »Mach’s dir bequem!«

Die Sandwiches mit Truthahn, Käse und knackigem Gemüse zwischen Vollkorntoast waren Weltklasse, und während ich barfuß und mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett hockte und Shane mir von seinem Sommerkurs in Medizin in Stanford erzählte, von Zellteilung und genetischen Markern und Prionenforschung, vernichtete ich genüsslich die Hälfte des Boxeninhalts, die er mir großzügig angeboten hatte.

»Sag mal«, fing Shane irgendwann gedehnt an und stellte die leere Box auf dem Boden ab. »Ist bei dir wirklich alles okay? Du wirkst irgendwie bedrückt heute.« Ich wischte mir verstohlen die Finger an meinem Kleid ab, zuckte mit den Schultern und wich seinem forschenden Blick aus. »Ist es wegen Nathaniel?«

Ich zuckte wieder mit den Schultern. Dann streckte ich die Beine aus, ließ mich rücklings auf das Bett fallen und starrte an die Decke. »Es ist … alles nicht so einfach.«

»Denk ich mir.« Shane legte sich neben mich; den Kopf aufgestützt, schaute er mich an. »Wenn du drüber reden magst, kannst du’s mir gern erzählen. Aber ich fürchte, so wirklich weiterhelfen werd ich dir dabei auch nicht können.«

Ich lachte leise auf. »Wer kann das schon.«

Wir schwiegen einige Augenblicke lang, dann sagte Shane behutsam: »Ich hab viel nachgedacht in Stanford. Über Lauren. Über Geister. Und über alles, was wir in letzter Zeit gemeinsam gemacht haben, Matt, Abby, Holly, du und ich.« Er zögerte. »Ich mag dich sehr gern, Amber.«

Ich warf ihm einen schnellen Seitenblick zu und lächelte. »Ich mag dich auch total gern.«

»So mein ich das nicht.«

Fragend sah ich ihn an. Shane rutschte näher und legte mir die Hand auf die Wange; im nächsten Moment drückte er sanft seinen Mund auf meinen und ich schloss die Augen. Er roch nach Duschgel und warmer Erde, schmeckte nach Sandwich und Zahnpasta und nach etwas, das nur er selbst sein konnte, würzig und ein bisschen wie Lakritz.

»So mag ich dich«, murmelte er, als er sich von mir löste.

Ich blinzelte verwirrt; eine seltsame, aber nicht unangenehme Leere im Kopf, rührte ich mich nicht, und Shane küsste mich noch einmal. Schließlich öffneten sich meine Lippen, und als er sich mit seiner Zungenspitze vortastete und meine antippte, rauschte eine tosende Flut durch mich hindurch und spülte jeden Gedankenfetzen in meinem Kopf fort. Ich krallte meine Finger in seine Schulter und genoss das Gefühl von Knochen, Sehnen und Muskeln darunter, drückte mich fest an ihn und erwiderte stürmisch seine Küsse.

»Wow«, stieß Shane zwischen zwei Küssen atemlos und lachend hervor. »Wow!«

Er drückte mich so fest an sich, dass er mich fast zerquetschte, aber es fühlte sich gut an. Seine Hände streichelten mein Gesicht, meine bloßen Schultern und durch das Kleid hindurch meinen Rücken, während ich ihn bei den Armen packte, über seinen Rücken und seine Brust rieb, schließlich meine Finger unter den Saum seines T-Shirts wandern ließ und über seine feste, warme Haut strich. Berührungen, die eine Sehnsucht stillten, die so lange an mir genagt hatte. Viel zu lange.

»Wie geht’s dir?«, fragte er später, nachdem wir uns eine gefühlte Ewigkeit lang knutschend auf seinem Bett herumgewälzt hatten und nun Arm in Arm dalagen, beide erhitzt und ich dazu noch ein bisschen zerrauft.

»Gut«, antwortete ich mit fester Stimme. »Und absolut mies.«

Shane setzte zu einem Grinsen an, das misslang. »Mir geht’s genauso.« Ich spähte zu dem Bild von Lauren mit Baskenmütze hinüber, das in einem Silberrahmen auf dem Schreibtisch stand. »Nein, nicht wegen Lauren«, wiedersprach er mir sanft. »Lauren kommt nicht zurück, das habe ich schon vor langer Zeit begriffen. Und sie wäre die Erste, die das mit uns verstehen würde. Ich glaube wirklich, sie hätte dich sehr gern gemocht.« Seine Finger fuhren über die Träger meines Kleides und des BHs, und mir kehrte es den Magen um, als ich daran dachte, dass mich erst wenige Stunden zuvor Nathaniel an genau derselben Stelle berührt hatte. »Ich spanne niemandem gern die Freundin aus. Und dafür, dass Nathaniel eine verlorene Seele ist, scheint er mir schwer in Ordnung zu sein. Aber du bist die Erste seit Lauren, die mir etwas bedeutet.«

»Yippiee-yeah«, erwiderte ich rau und mit einem wackeligen Grinsen. »Ich hab den Jackpot der Jefferson High geknackt. Ich Glückspilz.« Shane lachte, verstummte aber sofort, als der erste trockene Schluchzer in mir hochruckte, dann der nächste und ich von einem tränenlosen Zucken nach dem anderen durchgeschüttelt wurde, das mir die Luft abdrückte. Vorsichtig zog Shane mich an sich, hielt mich fest und streichelte meinen Rücken, bis ich wieder ruhiger atmen konnte.

»Bleibst du zum Essen, Amber?«, rief Shanes Mutter aus der Küche, als wir Hand in Hand die Treppe hinunterkamen. Kayla lungerte am Türrahmen herum und sah uns aus großen Augen an.

»Ein anderes Mal vielleicht«, erwiderte ich; ich wäre tatsächlich gern geblieben, in diesem gemütlichen Haus, bei Shane, seinen Schwestern, seiner Mutter. Aber nicht heute, nicht nach dem, was oben in Shanes Zimmer passiert war und mich so tief aufgewühlt hatte, dass meine Knie immer noch zittrig waren.

»Du bist uns jederzeit willkommen«, rief sie mir augenzwinkernd zu und schnippelte weiter Salat in eine große Schüssel. »Bye, Amber!«

»Bye, Mrs Di … Tasha!«

Shane hielt mir gerade die Haustür auf und beugte sich herunter, um mich auf den Mund zu küssen, als uns das Geräusch von kleinen, nackten Füßen auf dem Holzboden innehalten ließ. Kayla kam mit hüpfenden Zöpfchen angejagt und legte vor uns eine Vollbremsung hin.

»Bist du Shanes neue Freundin?«, wollte sie begierig wissen, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt und mit den Schultern hin und her schaukelnd; hoffnungsvoll klang sie dabei.

Ratlos sah ich Shane an. Er lächelte und schloss seine Finger fester um meine.

»Du bist auf jeden Fall die Erste, der wir’s sagen, Kayla, großes Ehrenwort. Sobald Amber und ich das selbst herausgefunden haben, okay?«