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Sache

Das  Kommunikationsquadrat unterscheidet vier Ebenen, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation gleichzeitig wirksam und prinzipiell bedeutsam sind: Sache,  Selbstkundgabe,  Beziehung und  Appell. Die Sache ist die obere Ebene.

Jedes Gespräch hat (mindestens) ein  Thema, beispielsweise das tagespolitische Geschehen, die aktuelle Unternehmensbilanz oder das Wetter. Geht es um Themen wie diese, steht offiziell die Sachseite der Kommunikation im Vordergrund: Gesprochen wird nicht über persönliche Befindlichkeiten oder die Beziehung der Gesprächspartner, sondern im Wesentlichen über Zahlen, Daten und Fakten. Man könnte meinen, die Sachseite der Kommunikation sei wenig störanfällig, aber weit gefehlt! Da jede Äußerung auf vier Ebenen wirken kann und Menschen verschieden sind, geht es selten nur um die Sache.

Kommunikationspsychologisch betrachtet ist auf der Sachseite zunächst einmal gefordert, den eigenen Standpunkt verständlich darzustellen ( Hamburger Verständlichkeitsmodell). Verständliche Informationsvermittlung bedeutet, dass man alle relevanten Informationen in anschaulicher und prägnanter Form vermittelt, Zusammenhänge nachvollziehbar erklärt und dem Zuhörer unbekannte Fremdwörter erläutert. Entsprechend orientiert sich Verständlichkeit am Adressaten (z.B. ob dieser Laie oder Experte ist). Neben der verständlichen Informationsvermittlung ist ein Bewusstsein darüber, dass das Gegenüber vielleicht einen anderen Standpunkt vertritt, ein weiterer wichtiger Baustein auf dem Weg zur Sachlichkeit. Denn nur wenn beim Informationsaustausch die Unterschiedlichkeit der Sichtweisen akzeptiert und das Gegenüber respektiert wird, lässt sich Sachlichkeit erzielen. Die Sachseite der Kommunikation ist in dem Maße störanfällig, wie sie zum Schauplatz verdeckter Konflikte und zum Austragungsort von Machtfragen genutzt wird. Zwar wird Sachlichkeit allerorten gefordert («Lassen Sie uns bitte sachlich bleiben!»), tatsächlich gehört es jedoch hierzulande zu den ungeübtesten Fähigkeiten, eine kontroverse Diskussion ohne Herabsetzungen zu führen.

Beispiel: Auf der Versammlung aller Wohnungseigentümer eines Hauses soll über die Installation von Sonnenkollektoren auf dem Hausdach diskutiert werden. Um die Diskussion führen und anschließend eine Entscheidung fällen zu können, benötigen die Beteiligten grundlegende Informationen zum Thema Solarenergie. Hierfür haben sie ihren Nachbarn Herrn Schlaumeier eingeladen. Herr Schlaumeier hat bereits selbst eine Solaranlage auf seinem Dach installiert und berichtet stolz im Fachjargon von den Vor- und Nachteilen unterschiedlicher Anlagen. Nach zehn Minuten können die Ersten nicht mehr folgen, nach einer Stunde hat die Eigentümerversammlung sich gänzlich in ‹Eingeweihte› und ‹Unwissende› gespalten. Als die ‹Eingeweihten› sich für die Installation einer Anlage aussprechen, bekommen sie von den ‹Unwissenden› mächtigen Gegenwind: Diese verweigern kategorisch ihre Zustimmung, wollen plötzlich keinesfalls «so ein hässliches Ding» auf ihrem Dach haben. Die ‹Unwissenden›, die sich eben noch ohnmächtig und herabgesetzt fühlten, machen nun in der Entscheidungsphase durch ihr Veto ihre Macht deutlich. Aus einer ursprünglich sachlich orientierten Zusammenkunft hat sich so ein Streit auf der Beziehungsebene entwickelt, wo es um Macht und ums Rechthaben, um Kränkungen und Heimzahlungen geht.

Das Beispiel macht aber noch etwas anderes deutlich: Die Sachebene und die Beziehungsebene gehören urtümlich zusammen, wann immer Menschen miteinander zu tun haben. Es gilt, die Erfordernisse der Sache mit den Erfordernissen des Menschlichen und Mitmenschlichen in Einklang zu bringen. Sache und Beziehung sind vorstellbar als zwei Schienenstränge: Laufen sie parallel nebeneinander (= Einklang von Sachlichem und Menschlichem), kann der Zug (z.B. das Projekt einer Arbeitsgruppe) Fahrt aufnehmen. Leichtere Störungen im Schienenverlauf äußern sich als mehr oder weniger starkes Ruckeln des Zuges, größere Irritationen machen die Weiterfahrt unmöglich – der Zug muss langsamer werden oder sogar ganz stehen bleiben. Ist die (sachliche) Zusammenarbeit derart beeinträchtigt, hilft oft nur noch  Metakommunikation, um die Schienenstränge zu sortieren und zu klären, was im Argen liegt. Solange die (zwischen-)menschliche Ebene gestört ist, ist an sachliches Vorankommen nicht oder nur sehr eingeschränkt zu denken. Metakommunikation über die verschiedenen Ebenen der Zusammenarbeit (idealer Weise in ritualisierter Form, beispielsweise als Montagsrunde am Wochenanfang) kann helfen, Störungen früher zu erkennen und sie dort zu klären, wo sie ihren Ursprung haben.

Literatur

Miteinander reden 1, S. 147ff. (129ff.)

Schulz von Thun, F./Ruppel, J./Stratmann, R.: Miteinander reden. Kommunikationspsychologie für Führungskräfte, S. 33ff.

Miteinander reden von A bis Z
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