Introjekt
Wenn etwas von außen (von anderen Menschen) in die Seele importiert worden ist (z.B. die Normvorstellung «Jungen weinen nicht!»), kann dies zu einem Introjekt werden. Und zwar dann, wenn der Betreffende diese Norm «verinnerlicht», wenn er sie sich zu eigen macht und nicht mehr als importierten Fremdkörper erkennt und empfindet. Wenn Pia als Kind von ihrer Mutter oft zu hören bekommen hat: «Das kannst du aber noch besser, streng dich an!», dann kann ihr diese Ermahnung derart in Fleisch und Blut übergehen, dass sie fortan von ihr selbst ausgeht. Introjekte können sowohl negativ blockierend als auch positiv unterstützend wirken. Die Zuversicht, die ich bei einer wichtigen Bezugsperson in einer schwierigen Situation erlebt habe, kann als Introjekt in mir wirksam werden.
Im Modell des → Inneren Teams erscheinen Introjekte als Souffleure, die sich mit ihrer Botschaft an das Oberhaupt wenden und so Einfluss auf das innere Bühnengeschehen nehmen, z.B. in Gestalt eines inneren Widersachers, der alles schlechtredet und niedermacht («Deine Entwürfe taugen allenfalls als Schmierpapier – überlass das lieber Menschen, die etwas davon verstehen!»). Solche Stimmen behindern uns bisweilen, besonders wenn sie sich mit befehlender Unabdingbarkeit aufdrängen, der wir uns nur schwer entziehen können. In einem solchen Fall kann es sich lohnen, sich mit diesem Introjekt bewusst auseinanderzusetzen. Der unverdaute Fremdkörper kann dann entweder «abgestoßen», vielleicht langsam durch eine neue Philosophie ersetzt werden (z.B. «Schön, wenn ein ganzer Mann berührbar ist!»). Oder aber er kann durch bewusste Aneignung und Anverwandlung («So stimmt es für mich!») zu einem bewussten Teil meiner selbst werden, getreu dem Satz von Goethe: «Was du erbst von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!» (s. Abb. 39).
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