Appell
Die Kommunikationspsychologie betrachtet jede Äußerung und Handlung auch unter dem Appell-Aspekt: Welche Wirkungsabsicht steckt darin? Was will der Sender beim Empfänger erreichen? Was soll der Empfänger tun, denken oder fühlen? Wenn die Führungskraft beispielsweise darauf hinweist: «Ach, Herr Meier, ich wollte Ihnen noch sagen, dass der Schlüssel für die neue Eingangstür jetzt da ist – falls Sie auch mal am Wochenende arbeiten müssen», so kann man sich hinsichtlich des Appells fragen, ob die Führungskraft vom Mitarbeiter mehr Arbeitseinsatz und Zusatzengagement erwartet, ob sie ihm signalisieren möchte, dass sie ihn für vertrauenswürdig hält, oder ob sie ihn bestmöglich informiert wissen will.
Der Versuch, Einfluss zu nehmen, kann mehr oder minder offen (explizit) oder verdeckt (implizit) sein. Bei einem offenen Appell äußert der Sender klar und deutlich, was er vom Empfänger möchte: «Herr Meyer, in Ihrer Position erwarte ich mehr Arbeitseinsatz von Ihnen, notfalls auch am Wochenende!» In vielen Situationen erleichtern offene Appelle die zielgerichtete Kommunikation. So weiß der Empfänger, woran er ist, und er erhält Gelegenheit, ebenfalls klar und deutlich dazu Stellung zu beziehen. Die kommunikationspsychologische Empfehlung lautet daher oftmals, einen offenen Appell auszusprechen (und dabei zwischen Wunsch, Bitte, Empfehlung oder Forderung zu differenzieren) anstelle einer Entwertung auf der Beziehungsebene («Nun stellen Sie sich mal nicht so an, keiner von uns hat eine 40-Stunden-Woche!»). (s. Abb. 4)
Kommunikationsempfehlung: offener Appell und Selbstkundgabe statt Entwertung auf der Beziehungsebene.
Im Kommunikationstraining wird man zudem angeleitet, den offenen Appell nicht mit einer entwertenden Beziehungsbotschaft zu versehen (statt: «Kannst du nicht wenigstens einmal den Mülleimer runterbringen?» besser: «Könntest du den Müll runterbringen? Danke!»). Die Philosophie hinter dieser Empfehlung: Lieber heute der Wunsch als morgen der Vorwurf!
Häufig werden Appelle verdeckt auf den Weg gebracht, der Sender gibt dem Empfänger dann nur implizit zu verstehen, was er von ihm will, ohne dies offen zu benennen (wie unsere Führungskraft im ersten Anlauf, siehe Beispiel oben). Der implizite Appell birgt Gefahren und Chancen.
Einerseits ist er anfällig für → Missverständnisse und Störungen in der Kommunikation. Er kann beispielsweise leicht überhört werden. Möglicherweise empfängt der Mitarbeiter lediglich die Information, dass es eine neue Eingangstür und auch einen neuen Schlüssel gibt, der im Bedarfsfall für ihn verfügbar ist, und bekommt gar nicht mit, dass die Führungskraft ihn zu mehr Engagement bewegen möchte. Auch können verdeckte Appelle leicht einen Manipulationsverdacht (→ Manipulation) und damit → Reaktanz auslösen («Wenn er erwartet, dass ich hier auch noch die Wochenenden verbringe, dann soll er das wenigstens offen und ehrlich sagen!»).
Andererseits haben verdeckte Appelle zuweilen auch Vorteile im Miteinander. Als Vorteil kann empfunden werden, dass der Empfänger den Hinweis «zwischen den Zeilen» lesen und von sich aus beherzigen kann, ohne nach außen als Kritisierter oder als bloß gehorsamer Befehlsempfänger dazustehen. Das Unausgesprochene, lediglich Angedeutete ermöglicht dem Empfänger eher, sein Gesicht zu wahren. Das ist insbesondere in kollektivistischen Kulturen (→ Interkulturelle Kommunikation) bedeutsam. Auch das Autonomiebestreben (→ Autonomie) des Empfängers kann somit mehr zur Geltung kommen, da der implizite Appell ihm zunächst die Wahl und Freiheit lässt, selbst zu entscheiden. Insofern gehört der verdeckte Appell, sensibel gehandhabt und nicht als «Wink mit dem Zaunpfahl» verabreicht, mitunter zur Kunst der indirekten Kommunikation.
Ob ein Appell Wirkung zeigt, hängt meist auch von der Art der Kommunikation auf den anderen drei Seiten des Kommunikationsquadrates ab. Auf der Sachseite: Drückt sich der Sender verständlich aus (→ Hamburger Verständlichkeitsmodell)? Auf der Selbstkundgabeseite: Wird er als Mensch auf glaubhafte Art sichtbar? Und auf der Beziehungsseite: Bietet er eine akzeptable Du-Botschaft und Beziehungsdefinition an?
Eine spezielle Form von Appellen sind die → paradoxen Appelle, bei denen der Sender dem Empfänger das Gegenteil dessen aufgibt, was er erreichen möchte.
Literatur
Miteinander reden 1, S. 32f., 242ff. (S. 29f., 209ff.)
Schulz von Thun, F.: Miteinander reden: Fragen und Antworten, S. 33ff., 41ff.
Stahl, E.: Lob der Intransparenz. In: Schulz von Thun, F./Kumbier, D.: Impulse für Kommunikation im Alltag.