Bewusstsein
Das Bewusstsein lässt sich als ein Zustand beschreiben, in dem uns Erfahrungen, Wahrnehmungen, intellektuelle Vorgänge, Gefühle und Bedürfnisse zugänglich sind. Das bedeutet, wir können innerlich darauf zugreifen und unsere Aufmerksamkeit gezielt auf vergangene oder aktuelle Erlebnis- und Wahrnehmungsinhalte richten. So kann ich mich bewusst an ein schwieriges Gespräch mit einer guten Freundin erinnern; ich kann mir meiner Wünsche bewusst werden; und ich kann mir meine Wirkung auf Kollegen bewusst machen, indem ich sie um → Feedback bitte. In diesem Sinne ist Bewusstsein auch eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der eigenen → Persönlichkeit.
Was uns in einem Moment bewusst ist, hängt vom Fokus unserer Aufmerksamkeit ebenso ab wie davon, was überhaupt bewusstseinsfähig ist, also ins Bewusstsein treten kann. Viele seelische und kognitive Inhalte sind nicht bewusstseinsfähig, entweder weil sie für uns nicht so bedeutsam sind oder weil es sich um unangenehme und schmerzvolle Erfahrungen handelt, die die Seele aus Schutzgründen zurückhält. Solche Erfahrungen beeinflussen unser Miteinander in besonderer Weise, denn wir versuchen, das Risiko für weitere Verletzungen möglichst klein zu halten. Gerade das kann jedoch dazu führen, dass sich schmerzliche Erfahrungen wiederholen (→ sich selbst erfüllende Prophezeiung): Ein Mensch, der aus Schutzgründen nur eine glatte Hochglanzfassade präsentiert, läuft eher Gefahr, dass ein anderer sich provoziert fühlt und (nicht gerade zaghaft) an dieser Fassade kratzt.
Für die zwischenmenschliche Kommunikation ist das Thema Bewusstsein von besonderer Bedeutung. Wenn wir kommunizieren, sind wir uns eines Teils der Inhalte bewusst, während ein großer Teil unterhalb der Bewusstseinsschwelle bleibt – es sei denn, mein Gegenüber reagiert genau auf diesen Teil und ich bekomme so Aufschluss über das, was ich durch einen entsprechenden Tonfall, Gestik oder Mimik «mitgesendet» habe. Zum Beispiel stellt Karl im Beisein von Rita in leicht patzigem Tonfall fest: «Die Blumen brauchen mal wieder Wasser.» Aus Karls Sicht zunächst eine sachliche Feststellung, auf die Rita allerdings genervt reagiert: «Ja dann gieß sie doch!» Zwischen den beiden entwickelt sich ein Streit darüber, wer wie viel zum Haushalt beiträgt. In dessen Verlauf wird Karl bewusst, dass er tatsächlich ärgerlich auf Rita ist, weil sie aus seiner Sicht viel zu wenig im gemeinsamen Alltag tut. Dieser Ärger hatte sich in Form des patzigen Tonfalls Luft verschafft. In seiner → Äußerung «Die Blumen brauchen mal wieder Wasser» schwangen neben der sachlichen Feststellung verschiedene unterschwellige → Botschaften mit, die Karl ebenso wie der eigene Ärger zunächst nicht bewusst waren: «Ich bin ärgerlich!», «Du bist dafür zuständig» oder «Engagier dich mehr im Haushalt!» (→ Kommunikationsquadrat). Ein Bewusstsein über die eigenen Gefühle und über die verschiedenen Botschaften, die in einer Äußerung enthalten sein können, ermöglicht es uns, die jeweilige Ebene gezielt anzusprechen.
Das, was uns (noch) nicht bewusst ist, hat großen Einfluss darauf, wie wir andere Menschen wahrnehmen und wie wir uns verhalten. Hat mein Nachbar die gleiche tiefe Stimme wie mein strenger Mathematiklehrer aus Schülertagen, und trägt er auch noch eine ähnliche Brille und genau so einen Bart, dann kann es passieren, dass ich mit Ablehnung auf ihn reagiere, obwohl er ein netter Kerl ist. Unbewusst aktiviert seine Ähnlichkeit mit dem alten Lehrer die alten Qualen. Indem ich mir dieser → Übertragung bewusst werde, habe ich den ersten Schritt zur Unterbrechung der seelischen Zwangsläufigkeit getan: Ich erkenne, dass mein Nachbar zwar aussieht wie der Lehrer, meine emotionale Abwehrreaktion aber in der früheren Beziehungserfahrung begründet ist.
Mir meiner eigenen seelischen Anteile (→ Inneres Team), Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse bewusst zu werden, ist der erste Schritt zu größerer Klarheit in der Kommunikation mit mir selbst und mit anderen. Jede Kommunikations(fort)bildung zielt darauf ab, das Bewusstsein dafür zu erhöhen, was in mir und zwischen mir und anderen Menschen vor sich geht. Denn dann unterliege ich nicht dem Geschehen, sondern kann ein wenig die (Selbst-)Führung übernehmen. Die kommunikationspsychologischen Modelle dienen der Bewusstseinserweiterung.