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Geschlechtsspezifische Kommunikation
Kommen Frauen und Männer wirklich von unterschiedlichen Sternen, was ihre Kommunikation angeht? Angenommen, A und B (das Geschlecht wird noch nicht verraten) sind verheiratet und haben eine für sie wichtige Entscheidung getroffen. Jeder berichtet darüber in jeweils seinem/ihrem Kollegenkreis während einer Kaffeepause. Jede(r) tut dies auf seine/ihre Weise, und Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sollen raten: Wer von A und B ist Mann und Frau?
A berichtet |
B berichtet |
«Also, ich wag’s noch gar nicht auszusprechen, aber wir sind uns seit gestern einig und wollen ein Kind! Und jetzt kommt die Achterbahn: Ich freu mich wahnsinnig, und im nächsten Augenblick krieg ich die absolute Panik, das glaubt ihr nicht! Aber insgesamt bin ich ganz, ganz froh!» |
«Wir haben uns jetzt mit der Nachwuchsfrage befasst und sind einvernehmlich zu einer positiven Entscheidung gekommen, obwohl es auf beiden Seiten auch Bedenken gegeben hat, die auch jetzt, das muss man offen sagen, noch nicht alle hundertprozentig ausgeräumt sind.» |
Die Lösung dürfte klar sein. Hier die Kommunikationsmerkmale in der Gegenüberstellung:
♀ |
♂ |
eher konkret |
eher abstrakt |
(«wir wollen ein Kind») |
(«die Nachwuchsfrage») |
eher ich-nah |
eher ich-fern, distanziert |
(«ich freue mich») |
(«einvernehmlich», «auf beiden Seiten») |
eher gefühlsbetont |
eher verstandesbetont |
(«ich freue mich wahnsinnig, dann wieder krieg ich die Panik») |
(«Bedenken nicht ausgeräumt») |
Spontaneität und Herzensnähe lassen ahnen, dass Frauen ihr Heimspiel eher auf der Beziehungsebene haben (und sich die Sachebene tendenziell eher erobern müssen). Ich-ferne Distanz und verstandesbetonte Abstraktion sorgen dafür, dass der Mann eher auf der Sachebene sein Heimspiel sucht, er muss sich die Beziehungsebene, die «Sprache des Herzens» oft erst noch aneignen. Hinzu kommt, dass Frauen in Gesprächen und Meetings eher beziehungsförderlich kommunizieren, indem sie aktiv zuhören, würdigende Resonanz geben, dem anderen Raum lassen, damit er zu Wort und zur Geltung kommen kann. Dieser Beziehungsorientierung steht auf Seiten der Männer eine Statusorientierung gegenüber: Wer hat hier das Sagen? Wer ist Ober, wer ist Unter? Sie haben weniger Scheu zu unterbrechen, zu konkurrieren und notfalls zu kämpfen. Auch neigen sie, besonders im beruflichen und politischen Kontext, dazu, hochwertige Botschaften auf der Ebene der → Selbstkundgabe von sich zu geben («Imponiergehabe»). Die narzisstische Komponente ihrer Persönlichkeit ist häufig größer ausgeprägt als bei Frauen.
Ein klassisches Missverständnis zwischen Frauen und Männern ist das folgende: Eine Frau schüttet ihr Herz aus über aktuelle Probleme, der Mann reagiert mit Empfehlungen, was sie vernünftigerweise tun sollte. Sie fühlt sich nicht verstanden, er ist frustriert, weil sie seine Lösungen nicht annimmt und vielleicht sogar abwertet. Was ist geschehen? Sie erwartet in erster Linie ein mitfühlendes Herz – und empfindet seine Empfehlungen und Vorhaltungen als schulmeisterlich und besserwisserisch. Er hat sich wahrlich Mühe gegeben und um Lösungen bemüht, die dem Kummer abhelfen könnten – und erntet Abwehr und Undankbarkeit.
Soweit zum Thema «Jeder auf einem anderen Stern». Allerdings ist auf Folgendes hinzuweisen: Diese Unterschiede sind Durchschnittsgrößen, die auf Vergleichen beruhen. Es gibt große Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern. Im konkreten individuellen Fall kann es durchaus umgekehrt sein!
Viel wichtiger ist, dass jede(r) seine individuelle Entwicklungsrichtung (→ Werte- und Entwicklungsquadrat) entdeckt. Gewiss wird es manchem Mann gut tun, die «Sprache des Herzens» zu erobern und auszudrücken, was in ihm vorgeht. Gewiss sollte manche Frau die Kunst der Abgrenzung und der Selbstbehauptung erlernen. Beides ist möglich und beides trägt zur → Persönlichkeitsentwicklung bei. Und beide müssen nicht fürchten, sich dadurch von dem zu entfernen, was ihnen wesensgemäß ist.
Dagmar Kumbier (2006) sieht die Phänomene der geschlechtsspezifischen Kommunikation noch einmal differenzierter und nimmt das Bild von den Heim- und Auswärtsspielen wieder auf: Je nachdem, auf welchem «Spielfeld» gespielt wird, kann die kommunikative Begegnung von Frau und Mann sehr unterschiedlich ausfallen.
Literatur
Kumbier, D.: Sie sagt, er sagt.