Zuhören
Das Gelingen der zwischenmenschlichen Kommunikation steht und fällt nicht zuletzt mit dem Zuhören. Diese «stille Ressource», ohne die alles Reden nichts ist, basiert auf der Fähigkeit, die Perspektive des Gesprächspartners einzunehmen. Damit ich als Zuhörerin diesen Wechsel vollziehen kann, muss ich dem anderen nicht nur den Raum geben, seine Sicht der Dinge zu schildern – ich muss mich auch innerlich in die Lage versetzen, das Gesagte auf mich wirken zu lassen und es nachzuvollziehen. Dies gelingt nicht, wenn ich nur auf die nächste Atempause meines Gegenübers lauere, um meine Argumente anzubringen. Wirkliches Zuhören ist weit mehr, als den anderen bloß ausreden zu lassen, was eher einer «akustischen Duldung» gleichkommt. Das → Aktive Zuhören (welches als Inbegriff des guten Zuhörens gilt) ist oft mühsame Arbeit und eine selbstlose Leistung, die wir zum Gelingen des Kontaktes erbringen und bei der wir (vorübergehend) eigene Impulse zurückstellen.
Was das Zuhören oft so schwer macht, ist der folgenreiche Irrtum, Zuhören sei gleichbedeutend mit Zustimmen. Weil wir glauben, «wer zu Wort kommt, setzt sich durch», verhalten wir uns gern nach dem Motto: «Wehret den Anfängen!» Die unglückliche Folge davon sind oft lange und zermürbende Gespräche, die mit Frustration und Resignation enden, weil beide Beteiligten lediglich gebetsmühlenartig ihre Standpunkte wiederholen. Dabei bedeutet Zuhören zunächst einmal, die Sicht des anderen nachzuvollziehen (→ Verstehen). Ob ich ihr dann zustimmen kann, steht dabei auf einem anderen Blatt!
Eine Voraussetzung für gutes Zuhören ist eine innere Zuhörbereitschaft, die es aktuell zu überprüfen bzw. sicherzustellen gilt. Je nach Augenblick und Anlass ist unsere Zuhörbereitschaft mehr oder weniger vorhanden. Wenn mein Gegenüber ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis hat, ich jedoch gerade nur wenig Bereitschaft zum Zuhören habe, dürfte dies einen fruchtbaren Dialog stören. Es kann daher ein wahrer Liebesdienst sein, das so auch mitzuteilen («Ich merke, dass ich dir gerade nicht so zuhören kann, wie ich es mir und dir wünschen würde») und eine stimmigere (→ Stimmigkeit) Gesprächssituation herzustellen («Wäre es für dich in Ordnung, wenn wir später/am Abend/morgen darüber reden?»).
Zur Schule des guten Zuhörens gehört nicht zuletzt auch die Fähigkeit zu unterbrechen, damit sich das Dialogische entfalten kann und das Zuhören nicht einseitig zum «Sich-vollreden-Lassen» verkommt. Wenn man es mit einem Gesprächspartner zu tun hat, der die Zuhörbereitschaft seiner Mitmenschen übermäßig strapaziert, dessen Mitteilungsfreude größer ist als seine Wahrnehmungsfähigkeit für den Zuhörer, dann braucht es die Fähigkeit, sich gegen den Redefluss zu wehren! Sonst droht die Gefahr, aus falsch verstandener Höflichkeit alles über sich ergehen zu lassen – mit der Folge, dass man sich innerlich Stück für Stück aus dem Kontakt verabschiedet. Wenn ich also merke, dass meine Zuhörbereitschaft unter eine kritische Schwelle sinkt, sollte ich diesen Zustand nicht allzu lange hinnehmen – nicht nur im Interesse der eigenen Vitalität, sondern auch um dem anderen kein falsches Interesse vorzuspielen. Umgekehrt ist es für den, der ein Gesprächsanliegen hat, ratsam, nicht gleich loszulegen, sondern zunächst die aktuelle Kontaktbereitschaft seines Gegenübers zu ermitteln: «Darf ich Sie einmal mit dem Thema xy ansprechen, oder sind Sie gerade auf etwas anderes konzentriert?»
Literatur
Schulz von Thun, F./Stierlin, L.: Zur Psychologie des (guten) Zuhörens. In: Schulz von Thun, F.: Klarkommen mit sich selbst und anderen, S. 234–253.