Selbstkundgabe

Sobald ich etwas von mir gebe, gebe ich auch etwas von mir (kund/preis). Die Selbstkundgabe stellt die Seite des  Kommunikationsquadrates dar, auf der der Sender Informationen über sich selbst gibt: Was für ein Mensch er ist, wie es ihm geht, was er fühlt und denkt, wie er gestimmt ist, usw. Auf der Selbstkundgabe-Seite werden somit Ich-Botschaften vernehmlich, explizit ( Äußerung) oder zwischen den Zeilen (s. Abb. 60).

Abb. 60:

Die Selbstkundgabe im Kommunikationsquadrat

Selbstkundgaben sind in jeder Äußerung enthalten, ob wir wollen oder nicht. Sie können mehr oder weniger bewusst sein, mehr oder weniger reichhaltig und tiefgreifend und mehr oder weniger getarnt und versteckt, aber sie können nicht nicht sein. Wird die Selbstkundgabe explizit ( Äußerung,  Botschaft) geäußert, handelt es sich um eine gewollte Selbstkundgabe, beispielsweise «Ich kann mich heute nur schwer konzentrieren, da meine Mutter ins Krankenhaus gekommen ist und ich mir große Sorgen mache» oder «Ich bin 39 Jahre alt, arbeite seit 7 Jahren in diesem Unternehmen, bin verheiratet und habe zwei Kinder». Hier spricht der Sender mit seinem «Selbstkundgabe-Schnabel» ( Kommunikationsquadrat).

Aber auch, wenn der Sender die Selbstkundgabe nicht explizit ausdrückt, ist sie implizit ( Äußerung,  Botschaft) immer vorhanden. Beispiel: Frau Günther zu ihrer Nachbarin: «Ihr Kind wird immer lebhafter!» Auf der Selbstkundgabeseite könnte diese Aussage bedeuten: «Ich fühle mich durch Ihr Kind gestört» oder auch «Ich bin eine aufmerksame Person», «Ich kenne mich mit Kindern aus», «Ich habe Interesse daran, mit Ihnen über Ihr Kind ins Gespräch zu kommen», «Ich finde es beeindruckend mit anzusehen, wie sich Kinder weiterentwickeln». Die Nachbarin kann sich nicht sicher sein, welche dieser möglichen Selbstkundgaben die zutreffende ist, aber sie wird gewiss eine oder mehrere Botschaften auf ihrem Selbstkundgabe-Ohr ( Vier Ohren) empfangen.

Dass wir mit jeder Äußerung unweigerlich etwas von uns selbst kundgeben, kann uns zuweilen beunruhigen und nervös machen: Wie stehe ich da? Was für einen Eindruck mache ich? Was werden die anderen von mir denken und halten? Diese Gedanken und Sorgen bezeichnen wir als Selbstkundgabe-Angst. Es ist, als ob wir in manche zwischenmenschliche Situationen eine Art Prüfungsangst mit hineinnehmen und eine kritische Beurteilung durch den Mitmenschen erwarten. Je stärker die Selbstwertzweifel ( Minderwertigkeitsgefühl), umso mehr greift der Mensch bewusst oder unbewusst zu Techniken, die sich grob in Imponier- und Fassadentechniken unterteilen lassen. Beide Techniken haben zwar durchaus einen Sinn, da sich der Sender durch sie zu schützen versucht, jedoch können sie auch sehr ungünstige Wirkungen auf die Kommunikation und den Kontakt mit sich selbst haben (s.u.).

Imponiertechniken zielen darauf ab, die eigene «Schokoladenseite» vorzuzeigen und Pluspunkte zu sammeln. Sie dienen der gewollten Selbstdarstellung, etwa durch Äußerungen wie: «Englisch zu sprechen fällt mir nicht so schwer, aber ich habe halt auch viel im Ausland gelebt.» Zu den Imponiertechniken zählen schwer verständliche Sprache (z.B. «Die Produktionsergebnisse der Agrarproduzenten sind diametral proportional zu ihrem Intelligenzquotienten» anstatt «Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln») und auch beiläufige «hochwertige Personalmeldungen» («Ja, interkulturelle Kommunikation ist wirklich spannend, ich beobachte das immer wieder, ob nun in Bangkok, Zürich oder New York»). Scheinbare Beiträge zur Sache haben hier den heimlichen Schwerpunkt auf der Selbstkundgabe: «Seht her, wer ich bin, was ich habe, was ich kann.»

Während also Imponiertechniken darauf abzielen, die eigene Grandiosität herauszustellen, geht es bei den Fassadentechniken darum, das Persönliche zu verhüllen, jegliche Selbstkundgabe möglichst zu vermeiden. Die daraus resultierende Sprechweise kann allerdings auch stimmig sein, wenn es darum geht, Distanz zu wahren. Beispiel: «Man wundert sich schon, wie in dieser Abteilung die Projekte vergeben werden!» Ein Kollege (mit gespitztem Selbstkundgabe-Ohr) fragt nach: «Sie fühlen sich übergangen und Ihre Leistung nicht gewürdigt?» Antwort: «Ach, es geht nicht um mich, aber das typische Prozedere der Projektvergabe erscheint doch eher fragwürdig.»

Generell aber schadet die übermäßige Besorgtheit um die Selbstkundgabe und damit einhergehend der übermäßige Einsatz von Imponier- und Fassadentechniken sowohl der eigenen seelischen Verfassung, dem sachlichen Vorankommen als auch dem zwischenmenschlichen Kontakt. Wer stets damit beschäftigt ist, sich nach außen anders zu geben, als ihm innerlich zumute ist, muss viel psychische Energie aufwenden. Dies ist seelisch belastend und mit dem Risiko körperlicher Einbrüche verbunden. Der sachliche Ertrag ist gefährdet, weil die Aufmerksamkeit und Energie für ein sachliches Thema begrenzt ist, wenn die Beteiligten sehr um ihre Geltung besorgt sind, und zuletzt entsteht durch das Verbergen von Schwächen, Ängsten und Problemen nur schwerlich Kontakt. Von sich selbst etwas zu zeigen, was über die oberflächlichen Vorzeigeseiten hinausgeht, ist die Basis für tragfähigen menschlichen Kontakt.

Daher empfiehlt sich im Umgang mit der Selbstkundgabe eine selektive  Authentizität. Damit ist gemeint, dass der Sender sich als Mensch zeigt, auch mit seinen weniger glanzvollen Seiten, jedoch je nach Situation ( Situationsmodell) in einem eingegrenzten, nämlich selektiven, Ausmaß. Auf diese Weise wird der Sender sichtbarer und greifbarer, wodurch Missverständnisse vermieden werden können (beispielsweise weiß ich so, dass du wegen deiner kranken Mutter so wortkarg bist, und nicht, weil du mir womöglich etwas übel nimmst) und Verständnis und eventuell auch Solidarität entstehen können. Somit ermöglicht die Selbstkundgabe Kontakt, wo es andernfalls zu Befremden käme («Was guckt die denn heute so mürrisch!?»). Voraussetzung für einen solchen Kommunikationsstil ist allerdings eine  Souveränität zweiter Ordnung.

In Miteinander reden Band 1 wurde die Selbstkundgabe noch als Selbstoffenbarung bezeichnet. Da dieser Begriff jedoch nahelegt, dass der Sender, eventuell sogar gegen seinen Willen, sein Herz und sein Innerstes ausschüttet, hat Schulz von Thun inzwischen den Begriff Selbstkundgabe eingeführt. Er trägt der Tatsache besser Rechnung, dass der Sender die Selbstkundgabe dosieren und in unterschiedlicher Tiefe äußern kann.

Literatur

Miteinander reden 1, S. 109ff. (S. 99ff.)

Miteinander reden von A bis Z
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