Kapitel 87

Bogotá, Kolumbien
16. April 2011

»Ich kann Sie nicht reinlassen«, sagte der Ordner am Eingang und trat Lucia in den Weg.

»Bitte.« Sie zeigte ihm ihr strahlendstes Lächeln. »Ich sage Ihnen doch, ich habe meine Karte zuhause vergessen.«

»Gehen Sie zur Seite. Sie stehen im Weg.«

Einer nach dem anderen, zog Bogotás feine Gesellschaft an ihr vorbei. In freizügigen Kleidern präsentierte man faltenlose Haut, teure Diamanten und goldene Uhren. Ein blendend weißes Lächeln für die Paparazzi, die sich wie hungrige Hunde gegen die Metallbarriere vor dem Radisson Royal Hotel drängten. Ein ausladendes Transparent über dem Eingang wies den Anlass in riesigen schwarz-goldenen Lettern als Gala des Präsidenten aus.

Lucia holte ein Bündel Banknoten aus ihrer nietnagelneuen schwarzen Handtasche. Der Ordner hob abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf.

»Señorita, bitte nicht.«

»Was kann ich machen? Ich muss da hinein. Der Botschafter erwartet mich seit zehn Minuten.« Sie klimperte mit den Wimpern. »Sie sind doch ein intelligenter, netter Mensch. Sie müssen mir doch irgendwie helfen können.«

»Keine Eintrittskarte, kein Eintritt.«

»Aber–«

»Bitte, treten Sie zur Seite.«

Lucia stieß einen Seufzer aus.

»Kann ich helfen?«, fragte ein älterer Kollege des Ordners in roter Uniform, der eben aufgetaucht war.

»Die Señorita wollte gerade wieder gehen«, sagte der erste.

»Der britische Botschafter erwartet mich«, sagte Lucia. »Ich bin bereits spät dran, aber ich kann meine Karte nicht finden.«

»Steht Ihr Name auf der Liste?«, fragte der rotgekleidete Mann.

»Nein, steht er nicht«, sagte der erste. »Sie soll gehen.« Der Mann im roten Anzug musterte sie von Kopf bis Fuß.

»Kommen Sie mit«, sagte er und warf dem ersten Ordner einen Blick zu, der diesen den eben geöffneten Mund wieder schließen ließ.

Der rote Ordner nahm Lucia beiseite und bugsierte sie hinter die Röntgenscanner in der Marmorlobby des Nobelhotels.

»Dreihundert Dollar«, sagte er.

Lucia drückte ihm die Scheine in die Hand. Der Mann stopfte sie in die Tasche. Den vorwurfsvollen Blick der Kollegin am Scanner tat er mit einem Achselzucken ab. Er nahm einen der Anstecker für Besucher von einem Haufen am Tisch und reichte ihn Lucia.

»Herzlich willkommen zur ersten Gala für die Opfer der inneren Unruhen in unserem Land«, sagte er mit einer leichten Verneigung. »Wenn Sie jetzt noch durch die Sicherheitskontrolle gehen würden.«

Lucia gab sich alle Mühe, den ersten Kontrolleur nicht anzulächeln, der sie böse anfunkelte. Nachdem sie den Metalldetektor und ihre Tasche den Scanner passiert hatte, folgte Lucia der endlosen Reihe von Gästen über die ausladende Treppe hinauf in ein Mezzanin, wo man Getränke servierte. Champagnerflöten klirrten leise, hier und da perlte ein höfliches Lachen auf; man warf verstohlene Blicke auf die Konkurrenz.

Lucia gestattete sich einen Stoßseufzer der Erleichterung. Sie war nun mal ein Risiko eingegangen, hier ohne Einladung aufzukreuzen, aber sie hatte es geschafft. Jetzt musste sie nur noch den Präsidenten finden. Was keine leichte Aufgabe war. Die Sicherheitsmaßnahmen für seine Person wären nach all den Attentaten der Front an diesem Abend vermutlich besonders streng.

Kolumbiens ehemaliger Vizepräsident, ein stämmiger Mann mit Hängebacken, polterte vorbei, ein junges Supermodel am Arm. Zu Lucias Linken unterhielt ein Fußballer, ein Nationalheld, dessen Name Lucia im Augenblick nicht einfallen wollte, zwei Darstellerinnen einer Seifenopera mit Anekdoten diverser Ausschweifungen nach seinen Spielen. Hinter ihnen waren drei Kapitäne der kolumbianischen Wirtschaft in ein Gespräch über die Lage an der Börse vertieft.

Es war genau die Art von Leuten, die sein Vater an den Wochenenden in seinem Haus gehabt hatte. Die Großen, die Guten, die Mächtigen, Menschen im Glorienschein von Reichtum und Dünkel, zufrieden in dem Bewusstsein, dass sie dieses Land seit Jahrzehnten regierten und sich daran nichts ändern würde.

Lucia ballte die Fäuste. Diese Menschen waren verantwortlich für all das, was in ihrer Heimat nicht stimmte, die Massaker an der Landbevölkerung etwa oder das Erstarken der Paramilitärs. Alle, die einen insgeheim, die anderen unverhohlen, befürworteten sie die Exzesse der ASI, ja selbst deren Bündnisse wie etwa das mit der Front.

»Jetzt staune ich aber!«

Ihr Blick schlagartig wieder in der Gegenwart, fuhr Lucia herum.

»Sie?«, war alles, was sie hervorbrachte.

Sylvia Lituni bedachte sie mit einem perlweißen Lächeln und einer manikürten Hand. Sie war in dem langen schwarzen Kleid viel attraktiver als in dem Power Suit, den sie neulich im Fernsehstudio getragen hatte. Freilich konnte Lucia sich des Verdachts nicht erwehren, dass die üppigen Kurven und festen Brüste unter dem Skalpell eines Chirurgen entstanden waren.

»Wie man hört, gab es Probleme bei KGF.« Sylvia nahm Lucia zur Seite. »Ich möchte helfen.«

»Nach dem Fiasko von neulich Abend?«

»Es gibt Gerüchte, El Patrón sei wieder da.«

»Was?«

»Nicht so laut.« Sylvia sah sich um. »Ich riskiere schon meinen Kragen, wenn man mich mit Ihnen sieht.«

»Ich muss mit dem Präsidenten reden.«

»Der wird schwer bewacht.«

»Er ist der Einzige, der noch helfen kann«, sagte Lucia. »Sind Sie sicher, dass sich da nicht nur jemand für El Patrón ausgibt?«

Einer der Industriellen bedachte die beiden Frauen mit einem neugierigen Blick.

»Lucia, bitte, nicht so laut«, mahnte Sylvia. »Ich kenne Caviedas’ Stabschef. Ich werd mal sehen, was sich machen lässt.«

»Sagen Sie dem Präsidenten, dass ihn Lucita sprechen möchte.«

»Lucita?«

»So hat mich mein Vater genannt. Der Präsident war oft zu Besuch bei uns, als sie noch befreundet waren. Bevor die ganze böse Geschichte begann.«

Sylvias dick bemalte Augen blinzelten, bevor sie wie auf Wolken verschwand. Lucia griff nach einem Glas Champagner, entschied sich dann jedoch für einen Orangensaft. Die Nachricht über El Patrón hatte sie aus der Fassung gebracht.

»Keinen Champagner?«, sagte eine charmante Männerstimme hinter ihr.

Es war der Fußballstar. Mit hochgezogenen Brauen und selbstgefälligem Lächeln sah er sie an. Ein Mann, der erwartete, dass die Frauen sich ihm zu Füßen warfen.

»Nur bei besonderen Angelegenheiten.«

»Ah! Und der heutige Abend ist nicht besonders genug?«

Lucia antwortete nicht. Hinter dem Fußballer, in einer Ecke des geschäftigen Raums, sah sie Sylvia – in aufgeregter Unterhaltung mit Sir George Lloyd-Wanless.

Schwarzer Koks
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