Kapitel 56

Bogotá, Kolumbien
14. April 2011

»Dann beeil dich.« Nathan schob den Junkie grob vor sich her. »Mach, geh zu.«

Der Junkie taumelte los, strauchelte, fing sich wieder. In dem Blick, den er Nathan über die Schulter zuwarf, lag ein solcher Hass, dass Nathan unwillkürlich den Schraubendreher fester umfasste. Eine falsche Bewegung, und der Kerl bekäme die angeschliffene Spitze zu spüren.

Aber der Junkie ging weiter, immer gerade aus. Den gebeugten Kopf zwischen die knochigen Schultern gezogen, sprang er über Steine und Löcher. Nach all den Jahren dort unten legte er dabei ein schier angeborenes Geschick an den Tag. Etwa zehn Minuten später blieb er stehen, ließ die Arme hängen und starrte auf den Boden wie ein Spielzeug, dem die Batterien ausgegangen waren.

»Was ist?«, fragte Nathan, der bewusst einige Schritte Abstand hielt. Er nahm die Taschenlampe herum. Einige Meter vor ihnen befand sich ein kleiner Geröllhaufen, aus dem einige Metallstäbe staken. Dahinter führte der Tunnel weiter ins Dunkel.

Der Junkie ging in die Hocke und begann im Geröll zu scharren. Nathan zog die Brauen zusammen. War das wieder ein Trick?

»Was machst du denn?« Er richtete den Schein der Lampe in das Gesicht des Junkies, der blinzelnd die Stirn kraus zog.

»Der Ausstieg.« Der Junkie hielt sich eine Hand vor die Augen. »Ich habe die Stelle markiert. Hier. Auf dem Boden.«

»Wo ist er denn?«

»Da.« Der Junkie wies auf die Wand zu ihrer Linken. Nathan richtete die Lampe darauf. »Da ist doch nichts.«

Der Junkie trat auf die Wand zu. Nathan spannte die Muskeln, aber der Junkie streckte nur die Hände und tätschelte die bröckelige Wand.

»Hier«, sagte er. »Die kleinen Stufen. In der Wand.« Er hob den Kopf und blickte hinauf. »Da oben ist der Ausgang.«

»Okay, geh mal weg.« Nathan sah sich die Wand genauer an. Der Junkie hatte nicht gelogen. Nathan sah kleine Vertiefungen, gerade groß genug für Finger und Zehenspitzen. Er richtete den Strahl der Lampe nach oben. Die Decke war hier viel höher. Sie war aus grob behauenen Steinquadern mit dunklen Stellen dort, wo welche herausgefallen waren.

»Wo soll denn da ein Ausstieg sein?«, fragte Nathan. Dann stutzte er. »Augenblick. Du hast Recht. Sieht nach einem Mannloch aus. Wo führt denn das hin?«

»Ciudad Bolivar.«

»Verdammt.« Die Ciudad Bolivar war der größte und ärmste Slum Bogotás. Er lag im Südwesten der Stadt. Es war ein gewalttätiger Stadtteil unter der Kontrolle von Gangs. Es war nicht gerade der Ort, an dem man als weißer Brite alleine rumlief.

»Wenn du bezahlst, helf ich dir da raus.«

»Du zuerst.« Nathan senkte die Lampe. »Keine Tricks.«

»Ohne mich überlebst du Ciudad Bolivar nicht.«

»Mach zu, Sportsfreund. Wir klären das, wenn wir hier raus sind.«

»Hast du Dollars?«

»Sehe ich aus, als hätte ich einen Koffer voll Geld dabei?«

Der Junkie kratzte sich die Stoppeln am Kinn. »Wie machen wir das denn?«

»Ich habe Freunde. Und jetzt mach, dass du da raufkommst.«

Irgendwo hinter ihnen waren wieder Stimmen zu hören, diesmal jedoch beträchtlich näher. Nathan fuhr herum, aber der Tunnel war leer.

Er wandte sich eben wieder dem Junkie zu, als ihn ein harter Schlag zwischen die Schulterblätter nach vorn taumeln ließ. Stoßartig entfuhr ihm die Luft. Schon kam der nächste Schlag. Stöhnend sackte er auf die Knie. In seinem Kopf drehte sich alles, er sah nicht mehr klar. Er duckte sich und spürte einen Luftzug, als etwas über ihn hinwegwischte. Er warf sich nach vorn und rollte sich seitwärts ab, bis er an der Wand aufschlug. Er blickte auf. Der Junkie hatte einen der Metallstäbe in der Hand und zielte damit auf Nathans Gesicht.

Nathan rollte sich seitwärts weg, aber der Metallstab streifte ihn. Er rappelte sich auf, trat ein paar Schritte zurück und schüttelte sich, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er stellte sich auf Gegenwehr ein. Und diesmal würde er den Kerl nicht schonen.

Die Taschenlampe lag dort, wo sie ihm aus der Hand gefallen war und warf ihr Licht über das Geröll.

Aber der Junkie war nicht mehr da.

Schwarzer Koks
titlepage.xhtml
part0000.html
part0001.html
part0002.html
part0003.html
part0004.html
part0005.html
part0006.html
part0007.html
part0008.html
part0009.html
part0010.html
part0011.html
part0012.html
part0013.html
part0014.html
part0015.html
part0016.html
part0017.html
part0018.html
part0019.html
part0020.html
part0021.html
part0022.html
part0023.html
part0024.html
part0025.html
part0026.html
part0027.html
part0028.html
part0029.html
part0030.html
part0031.html
part0032.html
part0033.html
part0034.html
part0035.html
part0036.html
part0037.html
part0038.html
part0039.html
part0040.html
part0041.html
part0042.html
part0043.html
part0044.html
part0045.html
part0046.html
part0047.html
part0048.html
part0049.html
part0050.html
part0051.html
part0052.html
part0053.html
part0054.html
part0055.html
part0056.html
part0057.html
part0058.html
part0059.html
part0060.html
part0061.html
part0062.html
part0063.html
part0064.html
part0065.html
part0066.html
part0067.html
part0068.html
part0069.html
part0070.html
part0071.html
part0072.html
part0073.html
part0074.html
part0075.html
part0076.html
part0077.html
part0078.html
part0079.html
part0080.html
part0081.html
part0082.html
part0083.html
part0084.html
part0085.html
part0086.html
part0087.html
part0088.html
part0089.html
part0090.html
part0091.html
part0092.html
part0093.html
part0094.html
part0095.html
part0096.html
part0097.html
part0098.html
part0099.html
part0100.html
part0101.html
part0102.html
part0103.html
part0104.html
part0105.html
part0106.html
part0107.html
part0108.html
part0109.html